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Anmerkung zu:BayObLG München 4. Strafsenat, Beschluss vom 15.01.2024 - 204 VAs 177/23
Autor:Dr. Julian Lubini, RiOLG
Erscheinungsdatum:25.11.2024
Quelle:juris Logo
Normen:Art 140 GG, § 16 GVGEG, § 2 BDSG 2018, Art 137 WRV, § 13 GVGEG, § 170 StPO, § 475 StPO, § 479 StPO, § 23 GVGEG, Art 2 GG, Art 1 GG, § 24 GVGEG, § 12 GVGEG, § 14 GVGEG, § 474 StPO, EUV 2016/679
Fundstelle:jurisPR-StrafR 22/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Mayeul Hiéramente, RA und FA für Strafrecht
Zitiervorschlag:Lubini, jurisPR-StrafR 22/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Sind Kirchen öffentliche Stellen i.S.d. § 474 StPO, denen Auskünfte aus Ermittlungsverfahren erteilt werden können?



Leitsätze

1. Bistümer der römisch-katholischen Kirche können Einsicht in strafrechtliche Ermittlungsakten zur Durchführung eines kirchenrechtlichen Verfahrens gegen einen Priester grundsätzlich nur über § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO i.V.m. § 12 Abs. 2, § 13 Abs. 2 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 4 erhalten, wonach unter bestimmten Voraussetzungen von Amts wegen die Übermittlung von personenbezogenen Daten aus Strafverfahren an öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zulässig ist.
2. Besteht bei einer Verfahrensbeendigung nach § 170 Abs. 2 StPO nicht einmal ein Restverdacht hinsichtlich der dem Ermittlungsverfahren zugrundeliegenden Tatvorwürfe, so kommt eine Akteneinsicht danach in der Regel nicht in Betracht.
3. Die Stellung öffentlich-rechtlicher Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV) bedeutet angesichts ihres verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstverwaltungsrechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) und des Fehlens einer staatlichen Aufsicht einerseits sowie der religiösen und konfessionellen Neutralität des Staates nach dem Grundgesetz andererseits keine Gleichstellung mit anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die ihre Betätigungsvollmacht vom Staate herleiten und in diesen eingegliederte Verbände sind, sondern nur die Zuerkennung eines öffentlichen Status.
4. Da öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften - von Ausnahmen im Einzelfall abgesehen - nicht in vergleichbarer Weise wie die öffentlich-rechtlichen Körperschaften des Bundes und der Länder hoheitlich tätig sind, handelt es sich bei ihnen weder um eine öffentliche Stelle des Bundes noch der Länder i.S.d. Legaldefinition des § 2 Abs. 1 und 2 BDSG. Somit nimmt das Bistum der römisch-katholischen Kirche über den Regelungsbereich des § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO hinaus nicht den Rang einer öffentlichen Stelle i.S.d. § 474 Abs. 2 StPO oder gar eines Gerichts oder einer Justizbehörde i.S.d. § 474 Abs. 1 StPO ein.
5. Dies gilt auch dann, wenn das Bistum ein kirchenrechtliches Verfahren gegen einen Priester einleitet, da dieses den Kernbereich der eigenen Angelegenheiten der Kirche betrifft. Somit wird es auch bei Ergreifung dienstrechtlicher Maßnahmen, die dem beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren wesensgleich sind, nicht vergleichbar einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft des Bundes und der Länder hoheitlich tätig.



A.
Problemstellung
Der erst einige Zeit nach Ergehen veröffentlichte, ungewöhnlich eingehend begründete Beschluss des BayObLG dreht sich im ersten Teil um die Frage, ob Religionsgemeinschaften als öffentlichen Stellen i.S.v. § 474 Abs. 2 StPO Einsichtnahme in Ermittlungsakten gewährt werden kann. Ein solcher Status wird vom Senat in der Entscheidung grundsätzlich verneint, so dass an sich ggf. auf die Bestimmung des § 475 StPO (Auskünfte und Akteneinsicht für Privatpersonen und sonstige Stellen) mit strengeren Voraussetzungen verwiesen werden müsste. Allerdings ermöglichen die Spezialvorschriften der §§ 14-16 EGGVG über § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO eine Übermittlung. Mit deren Voraussetzungen beschäftigt sich der Beschluss in seinem zweiten Teil.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Antragsteller ist katholischer Priester und wurde von der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Vergewaltigung und der Verbreitung jugendpornografischer Inhalte verfolgt. Während des laufenden Ermittlungsverfahrens beantragte das zuständige Bistum im Hinblick auf ein kirchenrechtliches Verfahren Akteneinsicht, die von der Staatsanwaltschaft (die Beweismittel- und Sonderhefte ausgenommen) gewährt wurde. Das Bistum meinte, da es nicht über die ermittlungstechnischen Möglichkeiten der Staatsanwaltschaft verfüge, sei die kirchliche Justiz auf eine Übernahme der im Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse für das kirchenrechtliche Verfahren angewiesen. Das Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft sodann mangels hinreichenden Tatverdachts, nachdem eine Hausdurchsuchung und Auswertung der sichergestellten Datenträger den Verdacht nicht erhärteten, gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Der Antragsteller hat sich gegen die Gewährung der Akteneinsicht gewandt; sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte Erfolg.
Keinen Aufhebungsgrund sieht der Senat in der Begründung der stattgebenden Entscheidung, die sich nur allgemein auf § 474 StPO stützte, anstatt den für anwendbar erachteten Fall des § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StPO anzugeben. Denn der Senat prüft den Sachverhalt ohne Bindung an die Feststellungen der Staatsanwaltschaft nach Beschwerdegrundsätzen auch in tatsächlicher Hinsicht; Ermessen war ihr nicht eingeräumt.
In der Sache sieht der Senat (nur) den Anwendungsbereich des § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO eröffnet, da §§ 12 Abs. 2, 13 Abs. 2 EGGVG i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 4 EGGVG (als besondere Vorschrift i.S.v. § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO für „zweckfremde“ Übermittlung personenbezogener Daten aus Ermittlungsverfahren) unter bestimmten Voraussetzungen von Amts wegen die Übermittlung von personenbezogenen Daten aus Strafverfahren an öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zulassen.
Der Senat verwendet umfassenden Argumentationsaufwand für die Feststellung, dass das Bistum trotz seiner Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht grundsätzlich als öffentliche Stelle i.S.d. § 474 Abs. 2 StPO anzusehen sei. Nach dem Regelungszweck der §§ 474, 475 StPO müsse der Begriff der öffentlichen Stelle eng ausgelegt werden, da der Bürger bei einer Auskunft gegenüber privaten Stellen durch den strengeren Prüfungsmaßstab des § 475 StPO geschützt werden solle. Die Privilegierung der öffentlichen Stellen rechtfertige sich dadurch, dass eine größere Vertrauenswürdigkeit im Hinblick auf den Umgang mit den erhaltenen Daten angenommen werden könne als bei Privaten. Die Bestimmung des Begriffs der öffentlichen Stellen gemäß § 474 Abs. 2 StPO leitet der Senat aus der datenschutzrechtlichen Pflichtenstellung (§ 2 BDSG) her, wobei die Rechtsnatur der Kirchen als private oder öffentliche Stelle insoweit unklar bleibe. Sie seien jedenfalls nicht hoheitlich tätig, eine Gleichstellung mit anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften gebe es nicht. Ihr Körperschaftsstatus sei ein solcher im staatskirchenrechtlichen, nicht im verwaltungsorganisationsrechtlichen Sinne. „Sie sind durch ihre Trennung und damit Unabhängigkeit gegenüber dem Staat gekennzeichnet, was schon daraus erhellt, dass nach dem kirchenpolitischen Verständnis des Grundgesetzes eine Staatskirche verboten ist und aus Art. 137 Abs. 1 WRV ein System der Trennung von Staat und Kirche folgt“. (An anderer Stelle des Beschlusses betont der Senat allerdings, dass das Verhältnis zwischen Kirchen und Staat durch wechselseitige Zugewandtheit und Kooperation gekennzeichnet und weniger im Sinne einer strikten Trennung, sondern eher im Sinne einer Zuordnung und Zusammenarbeit von Staat und Kirchen auf der Basis grundrechtlicher Freiheit zu verstehen sei. Dieses Verständnis kommt der Rechtswirklichkeit tatsächlich näher.)
Auch wenn das dem Auskunftsersuchen zugrunde liegende kirchenrechtliche Vorverfahren dienstrechtliche Maßnahmen, die dem beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren wesensgleich seien, betreffe, werde die Kirche nicht vergleichbar einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft des Bundes und der Länder tätig. Dementsprechend liege auch im Falle des Ergreifens kirchenrechtlicher Maßnahmen gegenüber dem Antragsteller als Priester kein Akt der öffentlichen Gewalt vor, der es rechtfertigen würde, das Bistum grundsätzlich als öffentliche Stelle i.S.d. § 474 Abs. 2 StPO anzuerkennen.
Im Anwendungsbereich der §§ 12 ff. EGGVG allerdings seien öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften den öffentlichen Stellen i.S.d. § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO gleichzusetzen. Die Kirchen seien an Art. 1 Abs. 1 GG und das daraus abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung gebunden. Beim Bistum sei ein ausreichender Datenschutz i.S.d. § 12 Abs. 2 EGGVG gewährleistet, so dass nach Maßgabe der §§ 13 ff. EGGVG grundsätzlich personenbezogene Daten aus Strafverfahren übermittelt werden dürften.
Allerdings stand nun § 14 Abs. 2 EGGVG der Erteilung von Auskünften entgegen.
Nach den §§ 13 Abs. 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Nr. 4 EGGVG ist die Datenübermittlung zulässig, soweit die Kenntnis der Daten für dienstrechtliche Maßnahmen oder Maßnahmen der Aufsicht erforderlich ist, falls der Betroffene Geistlicher einer Kirche ist und die Daten auf eine Verletzung von Pflichten schließen lassen, die er bei der Ausübung des Berufs oder der Wahrnehmung der Aufgaben aus seinem Amtsverhältnis zu beachten hatte oder die Daten in anderer Weise geeignet sind, Zweifel an der Eignung, Zuverlässigkeit oder Befähigung des Beschuldigten hervorzurufen.
Hinsichtlich der Frage, ob die Kenntnis der Daten erforderlich ist, trägt nach § 479 Abs. 4 Satz 2 StPO in den Fällen des § 474 Abs. 2 StPO – abweichend vom Grundsatz des § 479 Abs. 4 Satz 1 StPO – die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten nicht die übermittelnde, sondern die ersuchende Stelle, sofern diese „eine öffentliche Stelle oder ein Rechtsanwalt ist“. Grundsätzlich, so der Senat, sei somit eine Schlüssigkeitsprüfung der Staatsanwaltschaft vorzunehmen, ob das Übermittlungsersuchen des Bistums abstrakt in den Anwendungsbereich der Ermächtigungsnorm – hier: § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO – falle, also den dort genannten Zwecken dienen solle (hier bejaht).
Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 EGGVG wiederum unterbleibt die Datenübermittlung, wenn etwa – wie hier – das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde und nicht besondere Umstände des Einzelfalles die Übermittlung erfordern. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 EGGVG ist die Übermittlung insbesondere erforderlich, wenn die Tat bereits ihrer Art nach geeignet ist, Zweifel an der Zuverlässigkeit oder Eignung des Betroffenen u.a. für die gerade von ihm ausgeübte berufliche Tätigkeit hervorzurufen. Ferner ist nach § 14 Abs. 2 Satz 4 EGGVG im Falle der Einstellung des Verfahrens zu berücksichtigen, wie gesichert die zu übermittelnden Erkenntnisse sind.
Im vorliegenden Fall seien keine besonderen Umstände ersichtlich, die die Übermittlung der Daten auch unter Berücksichtigung der beruflichen Stellung des Priesters erforderten.
Zwar verdeutliche die Wortwahl „insbesondere“ (§ 14 Abs. 2 Satz 2 EGGVG), dass auch andere Überlegungen zum Schutz der Allgemeinheit und des Vertrauens in die Integrität bei besonders verantwortungsvoller Tätigkeit ein Erfordernis der Übermittlung begründen könnten, wobei es auf die konkrete, vom Beschuldigten ausgeübte Tätigkeit abzustellen gelte.
Und für das Priesteramt liege es zwar auch auf der Hand, dass der Verdacht der Vergewaltigung und der Verbreitung jugendpornografischer Inhalte im Falle der Erweislichkeit Zweifel an der Eignung für die Amtsausübung begründe, „also eines Amtes, das ungeachtet der in der Öffentlichkeit bekanntgewordenen zahlreichen Missbrauchsvorwürfe nach wie vor überwiegend von Personen bekleidet wird, in deren Integrität jedenfalls von einer hohen Anzahl der Gläubigen römisch-katholischen Bekenntnisses ein hohes Vertrauen gesetzt wird.“ Es bestehe grundsätzlich auch ein beachtenswertes Interesse der Kirchenverwaltung, über entsprechende Verdachtsmomente, Ermittlungsergebnisse und ggf. vorhandene Beweismittel informiert zu werden.
Dem stehe aber gegenüber, dass das Ermittlungsverfahren hier deshalb gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei, weil die aufgrund der Durchsuchung erlangten Beweismittel einen hinreichenden Tatverdacht nicht stützen könnten, und vor allen Dingen, dass sich keinerlei Hinweise für eine Sexualstraftat und auf das Vorhandensein von Dateien jugendpornografischen oder kinderpornografischen Inhalts ergeben hätten.
Nach der Gesetzesbegründung zu § 14 EGGVG werde eine Übermittlung im Falle der Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO in aller Regel unterbleiben, weil die Ermittlungen nicht genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage böten. Gerade in Fällen, in denen das Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden sei, werde eine Auskunft oder gar eine Akteneinsicht für problematisch erachtet. Denn allein aufgrund des (einfachen) Tatverdachts hätten durch strafprozessuale Ermittlungsmethoden Informationen gewonnen werden können, die aber sodann gerade nicht zur Begründung eines hinreichenden Tatverdachts genügten. Die Auskunftserteilung würde daher gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen, welches die Interessen des Bistums überwögen.
Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 4 EGGVG ist im Falle der Einstellung des Verfahrens zu berücksichtigen, wie gesichert die zu übermittelnden Erkenntnisse sind. Dieser Prüfungspunkt beruhe im Kern auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das bedeute: Je unsicherer ein konkretes Faktum sei, desto weniger dürfe es zum Gegenstand einer Mitteilung nach § 14 EGGVG gemacht werden. Dies habe zur Folge, dass Datenübermittlungen bei einer Verfahrensbeendigung nach § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatnachweises in der Regel nur in sehr eingeschränktem Umfang in Betracht kämen, wobei sich letztlich die Frage stelle, ob unter bestimmten Voraussetzungen auch der im Ermittlungsverfahren zwar nicht erhärtete, aber auch nicht vollständig entkräftete (Rest-)Verdacht übermittlungsfähig sein solle, was in der Literatur unterschiedlich beantwortet wird.
Gegen den Antragsteller bestehe aber nicht einmal ein Restverdacht. Die bei der Durchsuchung gewonnenen Erkenntnisse über sein Privatleben und seine sexuellen Vorlieben hätten mit dem Verdacht der Begehung von Straftaten nicht im Entferntesten zu tun, es handle sich also nicht um mehr oder weniger gesicherte Erkenntnisse zu Straftaten, sondern um solche über seine private Lebensführung.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Auffassung, dass Religionsgemeinschaften als öffentlich-rechtliche Körperschaften nicht grundsätzlich als öffentliche Stelle i.S.d. § 474 Abs. 2 StPO anzusehen sind, hat der Senat gut, da fundiert und überzeugend, begründet. Die Stellung der Kirchen im strafprozessualen Daten(schutz)recht wird mit Exkursen ins Datenschutz-, Verfassungs- sowie Kirchenrecht fundiert und dogmatisch überzeugend herausgearbeitet. Das Ergebnis, wonach bei Kirchen nicht (mehr) automatisch von öffentlichen Stellen ausgegangen werden kann, leuchtet gerade auch im vorliegenden Kontext ein, in dem eine Kirche gleichsam als Arbeitgeber Informationen über einen Beschäftigten erlangen wollte.
Soweit das BayObLG in den Gründen ausführt, dass die Rechtsnatur der Kirchen als private oder öffentliche Stelle im BDSG unklar bleibe, sieht aktuell die Ausschussempfehlung des Bundesrates zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes (BR-Drs. 72/1/24, S. 2 f.) im Hinblick auf die auch dort konstatierte unklare Rechtslage vor, dass Kirchen, Religionsgemeinschaften und weltanschauliche Gemeinschaften in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, soweit sie nicht nach Maßgabe von Art. 91 der VO (EU) 2016/679 eigene Regelungen zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung von Daten erlassen haben, als nichtöffentliche Stellen im Sinne dieses Gesetzes gelten sollen (§ 2 Abs. 6 - neu - BDSG). Für die Regelung spreche die Gleichstellung mit anderen Kirchen; problematisch wäre hingegen eine Gleichstellung mit öffentlichen Stellen, weil Kirchen gerade keine Aufgaben im öffentlichen Interesse oder in Ausübung öffentlicher Gewalt wahrnähmen. Verwiesen wird dort auch auf eine aktuelle Entscheidung des BAG (Urt. v. 25.01.2024 - 8 AZR 318/22), wonach kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben und gerade nicht der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienten.
Spezialgesetzlich i.S.v. § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO sind die Kirchen aber jedenfalls doch im Anwendungsbereich der §§ 12 ff. EGGVG öffentlichen Stellen gleichzusetzen, so dass sich das Problem zulässiger Datenübermittlung in der Praxis etwas entschärft. Welche Bedeutung in jedem Fall mit diesem Status verbunden ist, zeigt sich an § 479 Abs. 4 Satz 2 StPO, wonach abweichend vom Grundsatz des § 479 Abs. 4 Satz 1 StPO der ersuchenden öffentlichen Stelle i.S.v. § 474 StPO das – wenn man so will – Privileg zukommt, die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten zu tragen, so dass die übermittelnde Stelle grundsätzlich auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkt ist. Und diese Verantwortung umfasst nicht nur die Prüfung der Zulässigkeit i.S.d. §§ 474 Abs. 2, 479 Abs. 4 Satz 1 StPO, sondern auch der Erforderlichkeit i.S.d. hier einschlägigen Spezialnorm des § 14 Abs. 2 EGGVG – und darüber hinaus auch der Frage, zu welchem Zeitpunkt dies der Fall ist (so zuletzt OLG Karlsruhe, Beschl. v. 01.08.2024 - 2 VAs 11/24).
Weniger einleuchtend erscheint dann allerdings, weshalb der Senat hier der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung gemäß § 479 Abs. 4 Satz 2 StPO zuweist, gilt diese Ausnahmeregelung doch nur, sofern der Empfänger eine öffentliche Stelle ist. Die Verlagerung der Zulässigkeitsprüfung auf die Religionsgemeinschaft erscheint auch nicht zweckdienlich, denn mit einer dann allein nötigen Schlüssigkeitsprüfung durch die Staatsanwaltschaft würde sich, wie der Fall zeigt, insoweit ein Unwuchteffekt ergeben, als diese zu einer Gewährung von Akteneinsicht führen kann, während eine intensivere (gerichtliche) Prüfung wie hier die Rechtswidrigkeit der Datenübermittlung ergeben kann, weil der Empfänger die Zulässigkeit und/oder Erforderlichkeit der Übermittlung mit seinem Ersuchen zu Unrecht bejaht hatte. Nicht vergessen werden darf zwar, dass § 479 Abs. 4 Satz 3 StPO einen zweiten Halbsatz hat, „es sei denn, dass ein besonderer Anlass zu einer weiter gehenden Prüfung der Zulässigkeit der Übermittlung vorliegt.“ Das kann in besonders sensiblen Verfahren wie dem vorliegenden mit erheblicher Grundrechtsrelevanz ohnehin bejaht werden, und offenbar hatte die Staatsanwaltschaft auch eine solche Prüfung vorgenommen. Dennoch erscheint es sachgerecht, die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften auch nicht als öffentliche Stelle i.S.d. § 479 Abs. 4 Satz 2 StPO anzusehen, denn wie aus der vorliegenden Entscheidung folgt, sollen sie dies über den Anwendungsbereich des § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO i.V.m. den §§ 12 ff. EGGVG hinaus gerade nicht sein. Demnach dürfte eine bloße Schlüssigkeitsprüfung durch die übermittelnde Stelle nach § 479 Abs. 4 Satz 3 StPO nicht zureichen. Hinzu kommt, dass die Kriterien des § 14 EGGVG – insbesondere die Erforderlichkeit – ohnehin von der übermittelnden Stelle voll zu prüfen sein werden, die Erforderlichkeit aber freilich nicht ohne die Zulässigkeit beurteilt werden kann. Andernfalls wäre auch nicht verständlich, wieso sich die Übermittlungsentscheidung bei eingestellten Verfahren stets zu der Frage, wie gesichert die zu übermittelnden Erkenntnisse sind, äußern muss, andernfalls ein die Rechtmäßigkeit der Datenübermittlung in Frage stellender Erörterungsmangel im Raum steht (Ebner in: BeckOK EGGVG, 24. Ed., § 14 Rn. 15).
Für die konkrete Subsumtion unter § 14 Abs. 2 EGGVG bleibt der im Übrigen so ausführliche Beschluss bedauerlicherweise die Mitteilung des genauen Sachverhalts schuldig. Welche Erkenntnisse über das Privatleben des Priesters und seine sexuellen Vorlieben, die mit dem Verdacht der Begehung von Straftaten nicht im Entferntesten zu tun hätten, sich aus den Ermittlungsakten letztlich ergaben, bleibt offen, ebenso wie die Anhaltspunkte, die zur Aufnahme der Ermittlungen (und immerhin dem Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses) führten. Insofern lassen sich der Entscheidung auch keine näheren Maßstäbe für die Auslegung entnehmen. Ist der aus dem Polizeirecht stammende Begriff des „Restverdachts“ schon etwas problematisch, weil ihn das Prozessrecht nicht kennt, stellt die Wendung „nicht einmal ein Restverdacht“ Rätsel auf. Das käme wohl der „erwiesenen Unschuld“ gleich. Immerhin unterscheidet Nr. 88 RiStBV im Rahmen des § 170 Abs. 2 StPO zwischen Unschuld und Nicht-mehr-Bestehen eines begründeten Verdachts. Im Rahmen des § 14 Abs. 2 Satz 4 EGGVG ist allerdings weniger die Frage nach dem Verdachtsgrad als nach der Art der Daten erheblich, die vorliegend offenbar keinen Zusammenhang mit Straftaten (mehr) aufwiesen, weshalb die Frage des „Restverdachts“ offenbleiben konnte.
Ein weiteres Problem liegt beim Zeitpunkt der Beantragung und Gewährung von Auskünften bzw. von Akteneinsicht. Vorliegend war das Gesuch im laufenden Ermittlungsverfahren gestellt, aber erst nach dessen Abschluss beschieden worden. Dies hat zur Folge, dass die Einschränkung des § 14 Abs. 2 Satz 1 EGGVG gilt. Danach unterbleibt die Übermittlung in eingestellten Ermittlungsverfahren, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalles die Übermittlung erfordern. Damit wäre das weitere Prüfungsprogramm des § 14 Abs. 2 EGGVG, insbesondere die Berücksichtigung gemäß Satz 4, wie gesichert die zu übermittelnden Erkenntnisse sind, entfallen, wenn die Akteneinsicht noch während der Ermittlungen gewährt worden wäre. Hier stellt sich die Frage, ob der Zufall über den Prüfungsumfang entscheiden und welcher Prüfungsmaßstab etwa gelten soll, wenn die Akteneinsicht zwar noch im laufenden Verfahren gewährt, aber vom Gericht erst nach dessen Einstellung überprüft wird. Sinnvoller erscheint es, generell auf den Zeitpunkt der Gesuchstellung abzustellen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Religionsgemeinschaften mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts können sich nicht (mehr) darauf berufen, a priori öffentliche Stellen (i.S.v. § 474 Abs. 2 StPO) zu sein. Denn ihr religionsverfassungsrechtlicher Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist ein solcher sui generis; es besteht weder eine Staatskirche noch eine allgemeine staatliche Religions(gemeinschafts)aufsicht. Das bedeutet aber wiederum nicht, dass sie bei Akteneinsichtsgesuchen wie Private oder „sonstige Stellen“ nach § 475 StPO zu behandeln wären, da sie unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 2, Abs. 1 EGGVG nach Maßgabe des § 14 EGGVG Akteneinsicht erhalten können, § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO.
Für die Staatsanwaltschaft dürfte dies bedeuten, dass sie sich trotz der Erleichterung des § 479 Abs. 4 Satz 2 StPO kaum auf eine Schlüssigkeitsprüfung hinsichtlich der Zulässigkeit und Erforderlichkeit der Datenübermittlung beschränken kann, da die Ausnahme gerade nur dann greift, wenn der Empfänger eine öffentliche Stelle ist. Das scheint das BayObLG im vorliegenden Beschluss allerdings anders zu sehen. Jedenfalls aber wäre die Ermittlungsbehörde gehalten, im Zweifelsfall (§ 479 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2) die Erforderlichkeit i.S.d. Spezialnorm des § 14 Abs. 2 EGGVG zu prüfen, sofern das Verfahren bereits abgeschlossen ist, insbesondere in Fällen hoher Grundrechtsrelevanz. Denn wie vorliegend ersichtlich, wird den Grundrechten des Priesters gegenüber dem Informationsinteresse seiner Kirche ein recht hoher Stellenwert eingeräumt.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Durch die beabsichtigte Vollziehung der gleichwohl bewilligten Akteneinsicht für das Bistum machte der Priester für den Antrag nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG eine Verletzung in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geltend. Der Senat sah eine Rechtsverletzung gemäß § 24 Abs. 1 EGGVG wegen der Akteninhalte zu intimen Vorlieben des Antragstellers als dargetan an; indes wird eine solche Qualität gar nicht nötig sein, da Auskünfte und Akteneinsicht fast immer personenbezogene Daten umfassen – die zweifelsfrei schon bei Namen, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Geschlecht usw. sowie bei der Information, dass und weswegen Ermittlungen geführt wurden, vorliegen.
Auch aus § 474 StPO im Übrigen sah der Senat keine Rechtsgrundlage für eine Auskunftserteilung.
Zu § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO: Die Auskünfte seien nicht zur Feststellung, Durchsetzung oder zur Abwehr von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit der (vermeintlichen) Straftat erforderlich. Nicht anwenden will der Senat die Rechtsprechung, welche dies für den Ausschluss aus dem Notfallregister durch die Ärztekammer oder zur Entziehung akademischer Titel durch eine Universität bejaht hatte. Es habe damit kein Einfallstor für Auskünfte zur Durchsetzung disziplinarischer Maßnahmen eröffnet werden sollen. Dem stehe bereits entgegen, dass § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO i.V.m. den §§ 12 Abs. 1 und 2, § 14 Abs. 1 Nr. 4 EGGVG die speziellere Vorschrift für die Auskunftserteilung zur Durchführung disziplinarischer Maßnahmen darstelle, die wiederum für den Fall einer erfolgten Verfahrenseinstellung eingeschränkt werde. Diese Einschränkung würde aber umgangen, wenn beim identischen Sachverhalt die Auskunft über § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO unbeschränkt erteilt werden könnte.
Zu § 474 Abs. 1 StPO: Ein Akteneinsichtsrecht des Generalvikariats folge auch hieraus nicht, da dieses nicht als andere Justizbehörde anzusehen sei. Da das Bistum bereits keine öffentliche Stelle i.S.d. § 474 Abs. 2 StPO sei, komme ihr erst recht nicht die Stellung einer Behörde des Bundes oder der Länder zu. Ob, wie teilweise vertreten, der Dienstherr als Disziplinarbehörde im Rahmen des von ihm geführten Disziplinarverfahrens nach dem funktional zu verstehenden Begriff als „andere Justizbehörde“ gemäß § 474 Abs. 1 StPO in Betracht komme, konnte der Senat daher offenlassen. Hieraus könne man allenfalls folgern, dass Untersuchungsführer von anderen Verwaltungsbehörden wegen ihrer disziplinarausübenden Gewalt als für Zwecke der Rechtspflege tätige Justizbehörden angesehen werden könnten, nicht aber solche von Kirchen.



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