Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Der Arbeitgeber hat am Eingangstor eine Überwachungskamera angebracht, die aufzeichnete, welche Personen das Werkgelände betreten und verlassen. Diese war offen angebracht, durch ein Piktogramm markiert und allen Mitarbeitern bekannt. Ob diesen ordnungsgemäße Datenschutzhinweise i.S.d. Art. 13 DSGVO erteilt wurden, blieb ungeklärt. Irgendwann – der Zeitpunkt konnte nicht exakt aufgeklärt werden – wurde die Überwachungskamera mit einem Hinweistext verstehen, nämlich: „Die Daten werden 96 Stunden vorgehalten“. Tatsächlich stimmte dies nicht, sondern der Arbeitgeber speicherte die Aufzeichnungen länger als ein Jahr, ohne diese zu löschen. Das Anbringen der Überwachungskamera war mit dem Betriebsrat abgestimmt worden; ob dieser sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG korrekt ausgeübt hatte, war dagegen ebenfalls ungeklärt.
Bei dem Arbeitgeber wurde eine elektronische Arbeitszeiterfassung praktiziert. Hierzu hatte der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung geschlossen, in der u.a. vorgesehen wurde, dass keine personenbezogene Auswertung von Daten der Arbeitszeiterfassung erfolgt.
Für den 02.06.2018, einen Samstag, hatten sich der Kläger sowie weitere Arbeitnehmer für eine Mehrarbeitsschicht angemeldet. Sie betraten an diesem Tag die Betriebsstätte des Arbeitgebers und lösten mit ihrem Werksausweis eine Info-Buchung aus, mit der sie innerhalb des Systems der elektronischen Arbeitszeiterfassung als anwesend registriert wurden. Anschließend verließen sie das Werksgelände jedoch sofort wieder und wurden dabei durch die Überwachungskamera gefilmt. Da der Arbeitgeber die Überwachungsvideos jedoch in der Folgezeit nicht auswertete, fiel dies nicht auf. Stattdessen ging der Arbeitgeber davon aus, dass die Mehrarbeitsschichten ordnungsgemäß geleistet wurden, und zahlte den Arbeitnehmern die entsprechende Vergütung.
Erst mehr als ein Jahr später erhielt der Arbeitgeber einen anonymen Hinweis und nahm diesen zum Anlass, sowohl die Kameraaufzeichnungen, die er nicht gelöscht hatte, als auch die Arbeitszeiterfassung für den 02.06.2018 auszuwerten. Nachdem er Anhörungsgespräche geführt hatte, ging der Arbeitgeber davon aus, dass die beteiligten Arbeitnehmer, u.a. der Kläger, des Arbeitszeitbetruges überführt sind und sprach unter dem 05.10.2019 die fristlose Kündigung aus.
Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. In der Sache ließ sich der Kläger nicht zum Vorwurf des Arbeitszeitbetruges ein, sondern argumentierte mit Sachvortrags- und Beweisverwertungsverboten.
Sowohl das ArbG Hannover als auch das LArbG Hannover gaben der Kündigungsschutzklage statt. Seine Entscheidung begründete das LArbG Hannover damit, der Arbeitgeber dürfe die Erkenntnisse aus der elektronischen Arbeitszeiterfassung nicht in das Verfahren einführen, da dies gegen die Betriebsvereinbarung verstoße. Gleiches gelte für die Aufzeichnungen der Überwachungskamera, da der gesetzliche Datenschutz dem entgegenstünde. Der Sachvortrag des Arbeitgebers dürfe deshalb insgesamt nicht berücksichtigt werden. Damit sei kein Kündigungsgrund auf prozessual wirksame Weise dargelegt; der Kündigungsklage sei stattzugeben.
II. Das BAG hat der Revision des Arbeitgebers stattgegeben und die Sache an das LArbG Hannover zurückverwiesen. Dabei stellte das BAG folgende Punkte klar:
1. Zu Unrecht habe das Landesarbeitsgericht ein Sachvortragsverbot angenommen. Zwar könne sich aus einem Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorgaben ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot ergeben. Vorliegend seien die Voraussetzungen aber nicht gegeben.
Werde ein Arbeitnehmer einer vorsätzlichen Pflichtverletzung überführt, dürfe ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot nur dann angenommen werden, wenn die Verwertung der zugrunde liegenden Beweismittel eine schwerwiegende Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers nach sich ziehen würde. Eine derart schwere Persönlichkeitsverletzung komme bei der heimlichen Kameraüberwachung in Betracht. Bei einer offenen Kameraüberwachung scheide diese aber regelmäßig aus. Zwar sei im vorliegenden Fall vorstellbar, dass im Zusammenhang mit der Kameraüberwachung gegen die Löschpflicht nach Art. 17 DSGVO, die Hinweispflicht nach Art. 13 DSGVO oder das Gebot der Zweckbindung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. b DSGVO vorstoßen worden sei. Dies könne jedoch letztlich dahinstehen, da nach Ansicht des BAG keiner der Verstöße ein hinreichendes Gewicht hätte, um ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot zu rechtfertigen. Gleiches gelte für die Frage, ob die Videoüberwachung Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates verletze.
2. Zu Unrecht habe das Landesarbeitsgericht zudem die Erkenntnisse aus der elektronischen Arbeitszeiterfassung nicht berücksichtigt und gemeint, eine Regelung der geschlossenen Betriebsvereinbarung stünde dem entgegen. Den Betriebsparteien fehle die Regelungsmacht, ein über das formelle Verfahrensrecht der ZPO hinausgehendes Verwertungsverbot zu begründen oder die Möglichkeit des Arbeitgebers wirksam zu beschränken, in einem Individualrechtsstreit Tatsachen über betriebliche Geschehnisse vorzutragen und diese unter Beweis zu stellen. Ob die Betriebsparteien mit Regelungen in der verfahrensgegenständlichen Betriebsvereinbarung ein Sachvortragsverwertungsverbot schaffen wollten, könnte somit dahinstehen, da sie dies gar nicht dürften und rechtswirksam könnten.
3. Das Erschleichen von Vergütung hinsichtlich einer nicht abgeleisteten Mehrarbeitsschicht reicht nach Auffassung des BAG offenbar eindeutig aus, um eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung zu rechtfertigen. Weitere Aufklärungsmaßnahmen, ob ggf. Umstände den Vorwurf in einem milderen Licht erscheinen lassen, hielt das BAG nicht für geboten.
4. Bislang hatte sich der Kläger nicht zur Sache eingelassen, sondern den Tatvorwurf lediglich pauschal bestritten. Dies reicht nach Ansicht des BAG nicht aus, um die auf den Kläger entfallende sekundäre Darlegungslast zu erfüllen. Das BAG wies die Sache zurück, um dem Kläger die Möglichkeit zu geben, sich zur Sache einzulassen. Ein wirksames Bestreiten setze voraus, dass der Kläger substantiiert vortrage, dass und wie er die Mehrarbeitsschicht korrekt abgeleistet habe. Dazu müsse er konkret darlegen, ob er durchgehend auf dem Werksgelände geblieben sei oder dieses zwar noch einmal verlassen, aber rechtzeitig wieder betreten haben möchte.
5. Wenn der Kläger seine Darlegungslast erfülle, würde der Arbeitgeber die Beweislast tragen. Dies bedeute aber nicht, dass der Arbeitgeber weitere Beweismittel vorlegen müsse. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung könne das Landesarbeitsgericht auch zu dem Schluss kommen, dass der Vortrag des Klägers zwar prozessual ausreichend substantiiert, aber inhaltlich so unwahrscheinlich ist, dass das Gericht sich hinreichend gewiss sei, dass es sich um eine Schutzbehauptung handle.
Auswirkungen für die Praxis
Die Klarstellung des BAG, dass die Betriebsparteien in einer Betriebsvereinbarung kein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot regeln können, hat eine erhebliche praktische Bedeutung. Bislang war es in vielen Unternehmen ein Dauerthema bei der Verhandlung um IT-Betriebsvereinbarungen, ob ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot für betriebsverfassungswidrige Leistungs- und Verhaltenskontrollen aufgenommen wird oder nicht. Dieser Diskussionspunkt wird künftig entfallen und die Verhandlung von IT-Betriebsvereinbarungen dadurch hoffentlich spürbar erleichtern bzw. beschleunigen.
Verstöße gegen die DSGVO können hingegen zu einem Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot führen. Ob dies der Fall ist, musste nach bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung differenziert beurteilt werden, nämlich im Wesentlichen danach, wie schwerwiegend der Datenschutzverstoß in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers eingreift, insbesondere wenn dieser durch die Auswertung von bereits datenschutzwidrig erlangten Beweismitteln vertieft würde (vgl. BAG, Urt. v. 23.04.2009 - 6 AZR 189/08 Rn. 26; BAG, Urt. v. 20.10.2016 - 2 AZR 395/15 Rn. 18). Mit seiner aktuellen Entscheidung stellt das BAG klar, dass dies nur in gravierenden Ausnahmefällen, nicht aber bei „leichten“ Datenschutzverstößen angenommen werden darf.
Ein schwerer Datenschutzverstoß, der ein Beweisverwertungsverbot auslöst, ist dabei vor allem bei heimlichen Überwachungsmaßnahmen denkbar. Das BAG hat klargestellt, dass Erkenntnisse aus einer Videoüberwachung regelmäßig keinem Beweisverwertungsverbot unterliegen, wenn diese offen durchgeführt wurde und einen Vorsatztäter überführt. Die Frage, ob eine Datenerhebung offen oder heimlich durchgeführt wird, dürfte auch in anderen Zusammenhängen entscheidend sein. Arbeitgeber sollten ihre Arbeitnehmer vor diesem Hintergrund möglichst transparent und nachweisbar darüber aufklären, in welcher Form sie deren personenbezogenen Daten erheben und verarbeiten. Die Vorschriften nach den Art. 13, 14 DSGVO enthalten hierfür spezifische Informationspflichten. Wenn der Arbeitgeber diese allerdings nicht oder nicht vollständig erfüllt und insoweit ungenau agiert, wiegt dies aus Sicht des BAG nicht schwer genug, um ein Beweisverwertungsverbot zu rechtfertigen. Gleiches gilt für eine nicht rechtzeitige Löschung von Aufzeichnungen (so schon: BAG, Urt. v. 23.08.2018 - 2 AZR 133/18).