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Anmerkung zu:BVerwG 9. Senat, Urteil vom 14.12.2022 - 9 A 18/21
Autor:Martin Steinkühler, RiBVerwG
Erscheinungsdatum:11.09.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 2 UVPG, § 76 VwVfG, § 9 UVPG, § 17 FStrG, § 18 AEG 1994, § 75 VwVfG
Fundstelle:jurisPR-BVerwG 18/2023 Anm. 1
Herausgeber:Verein der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht e.V.
Zitiervorschlag:Steinkühler, jurisPR-BVerwG 18/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Änderung der Planfeststellung eines kombinierten Straßen- und Eisenbahntunnels („Feste Fehmarnbeltquerung“)



Leitsätze

1. Zur Klagebefugnis einer anerkannten Vereinigung gegen einen vorprüfungspflichtigen Planänderungsbeschluss.
2. Die Bestandskraft eines Planfeststellungsbeschlusses kann sich auf die ihm zugrunde liegende Methodik zur Berechnung des eingriffsrechtlichen Kompensationsbedarfs und -umfangs mit der Folge erstrecken, dass ein Planänderungsbeschluss, der auf derselben Methodik basiert, insoweit nicht mehr angefochten werden kann.



A.
Problemstellung
Regelmäßig sind nicht nur Planfeststellungsbeschlüsse, sondern auch deren Änderung Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Klagen. Dann stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang diese Planänderungsbeschlüsse überhaupt noch einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Hiermit befasst sich das Urteil des BVerwG.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger – zwei anerkannte Umweltvereinigungen – klagten gegen die Änderung des Planfeststellungsbeschlusses bzgl. der Errichtung der sogenannten Festen Fehmarnbeltquerung (FFBQ). Die gegen den ursprünglichen Beschluss erhobenen Klagen – darunter diejenige der jetzigen Klägerin zu 1 (BVerwG, Urt. v. 03.11.2020 - 9 A 9/19 - BVerwGE 170, 210) – hatte das BVerwG mit Urteilen vom 03.11.2020 abgewiesen. Darin führte der Senat aus, ungeachtet dreier erst nachträglich erkannter Riffflächen seien sowohl die dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde gelegte Definition als auch die Methodik und der Umfang der Bestandsaufnahme der Riffe rechtmäßig; auf dieser Grundlage habe der Planfeststellungsbeschluss zu Recht eine erhebliche Beeinträchtigung geschützter Biotope verneint. Der Beklagte und die Vorhabenträger müssten sich jedoch daran festhalten lassen, dass sie die Existenz der betreffenden Riffe sowie die Notwendigkeit ihrer naturschutzfachlichen Berücksichtigung anerkannt und die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens nach § 76 VwVfG vor Abschluss des Vorhabens im Bereich der betreffenden Biotope zugesagt haben. Der nunmehr angefochtene Planänderungsbeschluss erteilt eine Befreiung für die Beeinträchtigung von Riffflächen und ordnet deren Wiederherstellung an anderer Stelle an.
I. Das Urteil des 9. Senats befasst sich zunächst damit, ob es sich bei dem Planänderungsbeschluss um eine Zulassungsentscheidung handelt, für die eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann. Beides bejaht das Gericht mit der Folge der Zulässigkeit der Klagen; dies gilt auch für diejenige der beiden Vereinigungen, welche den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss nicht angefochten hatte.
Bei dem Planänderungsbeschluss handelt es sich um eine Zulassungsentscheidung i.S.v. § 2 Abs. 6 Nr. 1 UVPG, obwohl die Errichtung und der Betrieb der FFBQ bereits mit dem bestandskräftigen ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss genehmigt wurden. Denn der Senat hatte mit Urteil vom 03.11.2020 (9 A 9/19 Rn. 179 - BVerwGE 170, 210) entschieden, dass aufgrund der dort genannten besonderen Umstände das Vorhaben vor Abschluss des Planänderungsverfahrens nach § 76 VwVfG im Bereich der vorgenannten drei Riffflächen nicht durchgeführt werden darf. Der Planänderungsbeschluss regelt damit Zulässigkeitsaspekte, die für die Realisierung dieses Vorhabens unerlässlich sind.
Soweit die Zulässigkeit der Klage des Weiteren voraussetzt, dass für die angefochtene Entscheidung eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann, genügt zwar nicht, dass die Möglichkeit einer solchen Pflicht nicht von vornherein auszuschließen ist. Jedoch ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn für das Vorhaben bzw. dessen Änderung – wie vorliegend – eine Vorprüfung durchzuführen ist; auf deren Ergebnis kommt es nicht an. Darüber hinaus genügt es im Rahmen der Zulässigkeit, wenn die klagende Vereinigung geltend macht, ihre Beteiligung sei aufgrund einer im Rahmen der Vorprüfung fehlerhaft verneinten UVP-Pflicht zu Unrecht unterblieben.
Schließlich steht der Zulässigkeit der Klage derjenigen Vereinigung, die gegen den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss nicht geklagt hatte, nicht dessen Bestandskraft entgegen. Zwar kann grundsätzlich nur ein im Ausgangsverfahren obsiegender Kläger gegen die Entscheidung im ergänzenden Verfahren geltend machen, die vom Gericht festgestellten Mängel seien weiterhin nicht behoben. Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um eine Fortsetzung des ursprünglichen Planfeststellungsverfahrens zur Fehlerheilung, sondern um ein selbstständiges, einen anderen Streitgegenstand betreffendes Planänderungsverfahren nach § 76 VwVfG. Denn der Senat hatte nicht die Fehlerhaftigkeit, sondern die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses festgestellt. Der Planänderungsbeschluss kann daher - allerdings nur, soweit er gegenüber dem bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss eigene Regelungen enthält - unabhängig von der Bestandskraft des zugrunde liegenden Planfeststellungsbeschlusses angefochten werden.
II. Den Einwand der Kläger, vor Erlass des Planänderungsbeschlusses habe eine Umweltverträglichkeits- und nicht lediglich eine Vorprüfung durchgeführt werden müssen, hat das Gericht als unbegründet zurückgewiesen.
Die behördliche Prognose, ob die Änderung eines Vorhabens – zusätzliche oder andere – erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen hervorrufen kann, unterliegt vor Gericht lediglich einer Plausibilitätskontrolle. Zwar liegen nachteilige Umweltauswirkungen, welche die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich machen, nicht erst dann vor, wenn die Umweltauswirkungen so gewichtig sind, dass sie zu einer Versagung der Zulassung führen können. Jedoch begründet auch nicht jede Änderung oder Erweiterung eines Vorhabens die Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung; insbesondere ist nicht jeder erhebliche Eingriff i.S.d. Naturschutzrechts gleichbedeutend mit dem Begriff der erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UVPG. Es bedarf vielmehr bereits in der Vorprüfung einer Gewichtung der abwägungserheblichen Belange unter Berücksichtigung der vorhaben- und standortbezogenen Kriterien; steht danach fest, dass ein abwägungserheblicher Umweltbelang keinen Einfluss auf das Ergebnis des Planfeststellungsbeschlusses haben kann, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht erforderlich.
Das vorliegende Planänderungsverfahren war durch die Besonderheit geprägt, dass das planfestgestellte Tunnelbauwerk in seiner technischen und räumlichen Ausprägung durch den angefochtenen Planänderungsbeschluss unverändert bleibt. Zwar handelt es sich dennoch um eine Änderung des planfestgestellten Vorhabens. Denn die Frage, ob ein bestehendes Vorhaben geändert oder erweitert wird, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, wobei der Vorhabenbegriff nicht mit dem in § 17 Abs. 1 Satz 1 FStrG, § 18 Abs. 1 Satz 1 AEG verwendeten Begriff der die Planfeststellung auslösenden Maßnahmen von Bau und Änderung eines Verkehrswegs identisch ist. Vielmehr umfasst das „Vorhaben“ i.S.d. Fachrechts auch die vorhabenbedingten Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, weshalb eine nachträgliche Ergänzung von Maßnahmen der Realkompensation eine Änderung des Vorhabens darstellt. Jedoch beschränkt sich die Änderung vorliegend in räumlicher Hinsicht auf die Verringerung einer Ankerzone sowie die Wiederherstellung von Riffstrukturen, mithin auf Maßnahmen, die keine nachteiligen, sondern positive Umweltauswirkungen haben. Darüber hinaus waren Auswirkungen des Vorhabens auf Riffe bereits Prüfungsgegenstand des ursprünglichen Planfeststellungsverfahrens und sah schon die bisherige Planfeststellung vor, baubedingte Beeinträchtigungen durch die Wiederherstellung von Riffstrukturen zu kompensieren. Mit dem Planänderungsbeschluss wird nicht die Abwägung des Vorhabens neu eröffnet oder ergänzt, sondern geht es allein um die Erteilung einer Befreiung und den Umfang der Kompensation für die Beeinträchtigung der Riffe, auf die sich diese Befreiung bezieht.
III. Die gegen die vorgesehenen Kompensationsmaßnahmen erhobenen Einwände hat das BVerwG schließlich ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen. Von über den Fall hinausgehender Bedeutung ist insoweit die Feststellung, dass methodische Einwände gegen die Bewertung der Kompensationsfläche im Planänderungsbeschluss bereits deshalb keine Berücksichtigung finden können, weil die Methodik u.a. der Eingriffs- und Kompensationsbewertung für die FFBQ bereits im ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss bestandskräftig planfestgestellt wurden.
Gemäß § 75 Abs. 1 VwVfG wird durch die Planfeststellung die Zulässigkeit des Vorhabens im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt und werden durch die Planfeststellung alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt. Diese umfassende Genehmigungs-, Konzentrations- und Gestaltungswirkung bestimmt den Umfang der materiellen Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses. Diese schließt vorliegend die Methodik zur Berechnung des Kompensationsbedarfs und -umfangs ein. Sie wurde aufwändig eigens für das Vorhaben der FFBQ entwickelt, im Planfeststellungsbeschluss näher erläutert und insbesondere mit dem damaligen Landschaftspflegerischen Begleitplan bestandskräftig planfestgestellt. Ihr liegen mehrjährige, umfangreiche Untersuchungen, Berechnungen und Modellierungen der naturräumlichen Bedingungen sowie der verschiedenen Auswirkungen des Vorhabens zugrunde. Könnte eine derartige für die Regelung der Umweltauswirkungen des Vorhabens zentrale Methode nach Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses anlässlich eines Planänderungsverfahrens noch zum Gegenstand der gerichtlichen Prüfung gemacht werden, würde das gerade im Planfeststellungsverfahren geltende besondere Bedürfnis nach Rechtsbeständigkeit und Planungssicherheit für den Vorhabenträger erheblich beeinträchtigt.


C.
Kontext der Entscheidung
Das Urteil knüpft an die bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Klagen gegen Planänderungsbeschlüsse sowohl hinsichtlich der Voraussetzung, dass eine Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung bestehen kann und eine Vereinigung zur Beteiligung berechtigt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.2013 - 4 C 14/12 Rn. 7 ff. - BVerwGE 149, 17; BVerwG, Beschl. v. 29.06.2017 - 9 A 8/16 Rn. 5 - Buchholz 407.4 § 17c FStrG Nr 6; BVerwG, Urt. v. 02.11.2017 - 7 C 25/15 Rn. 18 - Buchholz 445.41 § 27 WHG 2010 Nr 3 u. BVerwG, Urt. v. 26.09.2019 - 7 C 5/18 Rn. 19 - BVerwGE 166, 321, 324; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.01.2020 - OVG 11 S 20.18 Rn. 20), als auch hinsichtlich der eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Planänderungsbeschlüsse an (BVerwG, Beschl. v. 22.09.2005 - 9 B 13/05 Rn. 5 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr 189; BVerwG, Urt. v. 08.01.2014 - 9 A 4/13 Rn. 28 - BVerwGE 149, 31; BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 - 9 C 3/16 Rn. 61 - Buchholz 406.403 § 34 BNatSchG 2010 Nr 14 u. BVerwG, Urt. v. 16.05.2018 - 9 A 4/17 Rn. 47 f. - BVerwGE 162, 102; BVerwG, Beschl. v. 31.01.2019 - 4 B 9/17 Rn. 17; BVerwG, Urt. v. 23.06.2020 - 9 A 22/19 Rn. 35 ff. - BVerwGE 168, 368; BVerwG, Urt. v. 28.09.2021 - 9 A 10/20 Rn. 12 u. BVerwG, Urt. v. 28.09.2021 - 9 A 12/20 Rn. 11 - UPR 2022, 95) und entwickelt letztere fort. Dabei stellt das Gericht klar, dass sich die Bestandskraft eines Planfeststellungsbeschlusses auch auf die ihm zugrunde liegende naturschutzfachliche Methodik erstrecken kann.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der – je nach Perspektive – Hoffnung oder Befürchtung, die Änderung eines Planfeststellungsbeschlusses ermögliche eine neuerliche umfassende Anfechtung der Planung, erteilt das BVerwG eine deutliche Absage. Dies verdeutlicht auch die Parallelentscheidung vom selben Tag (BVerwG, Urt. v. 14.12.2022 - 9 A 17/21).



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