juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 8. Zivilsenat, Urteil vom 25.01.2023 - VIII ZR 230/21
Autor:Prof. Dr. Siegbert Lammel
Erscheinungsdatum:16.03.2023
Quelle:juris Logo
Norm:§ 556 BGB
Fundstelle:jurisPR-MietR 5/2023 Anm. 1
Herausgeber:Norbert Eisenschmid, RA
Zitiervorschlag:Lammel, jurisPR-MietR 5/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Wirtschaftlichkeitsgebot bei Betriebskostenabrechnungen



Leitsätze

1. Wurde ein die Betriebskosten auslösender Dienstleistungsvertrag bereits vor Abschluss des Wohnraummietvertrags geschlossen, kann eine mögliche Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots als Nebenpflicht des Vermieters schon wegen einer zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestehenden mietvertraglichen Rücksichtnahmepflicht nicht in der Eingehung dieser Verbindlichkeit gesehen werden. Vielmehr kommt eine Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots nur in Betracht, soweit dem Vermieter - im Falle eines nicht angemessenen Kosten-Nutzen-Verhältnisses - eine Korrektur der zu überhöhten Kosten führenden Maßnahme während des Mietverhältnisses - beispielsweise durch Kündigung eines Vertrags mit ungünstigen Bedingungen - möglich und wirtschaftlich zumutbar gewesen wäre und er diese Möglichkeit nicht ergriffen hat (im Anschluss an BGH, Urt. v. 28.11.2007 - VIII ZR 243/06 - NJW 2008, 440 Rn. 15).
2. Aus der Einordnung des Wirtschaftlichkeitsgebots als vertragliche Nebenpflicht des Vermieters folgt nach allgemeinen Grundsätzen, dass der Mieter, der wegen einer solchen Pflichtverletzung Ansprüche erhebt, die Darlegungs- und Beweislast für ein pflichtwidriges Verhalten des Vermieters trägt (im Anschluss an BGH, Urt. v. 06.07.2011 - VIII ZR 340/10 - NJW 2011, 3028 Rn. 16; BGH, Urt. v. 05.10.2022 - VIII ZR 117/21 - NJW-RR 2022, 1593 Rn. 36).



A.
Problemstellung
Ab welchem Zeitpunkt greift das Wirtschaftlichkeitsgebot bei Betriebskostenabrechnungen?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die klagenden Mieter verlangen Rückzahlung geleisteter Beträge auf Betriebskostenabrechnungen. Sie sind der Auffassung, dass sie nicht mit den Kosten für ein sog. Müllmanagement belastet werden durften bzw. dürfen. Die beklagte Vermieterin hatte den das Müllmanagement betreffenden Vertrag vor Abschluss der Mietverträge mit den Klägern abgeschlossen; darin waren den Mietern die Kosten für die Abfallentsorgung sowohl nach der Quadratmeterzahl als auch dem individuellen Verbrauch je Wohneinheit unter Berücksichtigung einer wöchentlichen Mindestmenge von 20 Litern Restmüll für jeden Haushalt auferlegt worden. Nach der Abfallentsorgungssatzung der Stadt stand ein Mindestrestmüllvolumen zur Verfügung, das für das Anwesen nie erreicht worden ist; deshalb sei die Bestellung eines Müllmanagement überflüssig. Amts- und Landgericht hatten den Klagen stattgegeben.
Der BGH hat auf die Revision der Beklagten das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zurückverwiesen.
Der BGH hält die Begründung des Landgerichts zu den Auswirkungen des Wirtschaftlichkeitsgebots für durchgreifend rechtsfehlerhaft. Das Berufungsgericht habe den Inhalt der vertraglichen Nebenpflicht des Vermieters, auf ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis bei den Betriebskosten Rücksicht zu nehmen, verkannt. Eine Pflichtverletzung stelle das Vorhandensein eines Schuldverhältnisses voraus, könne daher nicht vorliegen, wenn der Mietvertrag nicht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses über das Müllmanagement vorgelegen habe. Die Beibehaltung dieses vorherigen Vertrages zum Zeitpunkt der Betriebskostenabrechnung stelle nur dann eine Pflichtverletzung im Sinne eines Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot dar, wenn dem Vermieter die Kündigung des vorherigen Vertrages zumutbar gewesen sei. Auch sei die Dienstleistung „Müllmanagement“ nach Ansicht des BGH trotz der Nichtausschöpfung des Mindestrestmüllvolumens nicht überflüssig, wobei er sich in Einzelheiten der Müllentsorgung ergeht. Schließlich sei auch die Auferlegung der Darlegungs- und Beweislast auf den Vermieter fehlerhaft, da eine Pflichtverletzung von demjenigen bewiesen werden müsse, der aus ihr Ansprüche herleiten wolle.


C.
Kontext der Entscheidung
Der Entscheidung liegen zwei Annahmen zugrunde: Zum einen die Einordnung des Gebotes der Wirtschaftlichkeit als vertragliche Nebenpflicht, zum anderen daraus abgeleitet die Beweisbelastung des Mieters. Für diese Annahmen bezieht sich der BGH auf eine Entscheidung aus dem Jahre 2007 (BGH, Urt. v. 28.11.2007 - VIII ZR 243/06 - NJW 2008, 440 m. Anm. Lammel, jurisPR-MietR 8/2008 Anm. 3) und auf einen Aufsatz von Milger (NZM 2008, 1, 9). Beide Zitate stützen die Auffassungen des vorliegenden Urteils nicht: In der Entscheidung von 2007 wird das Wirtschaftlichkeitsgebot ohne jede Begründung apodiktisch als „Nebenpflicht“ bezeichnet (Rn. 14); Milger nimmt zu dieser Einordnung nicht ausdrücklich Stellung, sondern referiert sie lediglich, wobei aus ihren vorangegangenen Darlegungen eher die Tendenz hervorscheint, das Wirtschaftlichkeitsgebot als „Kostenbegrenzung“ anzusehen (NZM 2008, 1, 9 li. Sp. Abs. 4). Wird methodisch korrekt vom Wortlaut der Norm § 556 Abs. 3 Satz 1 BGB ausgegangen, legt dies nahe, aus dem dort genannten Zusammenhang von Abrechnung über die Betriebskosten und Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots auf eine Begrenzung der den Mieter treffenden Kostenlast zu schließen. Daraus folgt dann, dass der Vermieter zwar frei ist, kostenträchtige Verträge mit Einfluss auf die umlegbaren Betriebskosten abzuschließen, dass er aber nicht diese Kosten im vollen Umfang mit der Betriebskostenabrechnung auf die Mieter überwälzen darf (ähnlich Milger, NZM 2008, 1). Damit entfällt auch das BGH-Argument der (fehlenden) Möglichkeit zur Auflösung des belastenden Vertrages. Die Missachtung dieses Zusammenhangs hätte die Konsequenz, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot praktisch leerläuft, sofern der belastende Vertrag nur vor Abschluss des Mietvertrages geschlossen worden ist (ähnlich Lehmann-Richter in: Schmidt-Futterer, 15. Aufl., § 556 Rn. 460). Außerdem ist dem BGH entgegenzuhalten, dass es durchaus vorvertragliche Pflichten gibt, deren Nichteinhaltung zu Schadensersatzansprüchen führen kann. Hinsichtlich der Beweislast ist auf die sekundäre Beweislast des Vermieters hinzuweisen, da der Mieter in die Vertragsschlusspraxis des Vermieters keinen Einblick haben kann. Letztlich hat der BGH übersehen, dass es sich bei dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Zusammenhang mit der Betriebskostenabrechnung um zwingendes Recht zugunsten der Mieter handelt, § 556 Abs. 4 BGB, wovon auch der BGH nicht durch Uminterpretationen der Norm abweichen darf.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Maßgebend ist der sich im Wortlaut des Gesetzes manifestierende Wille des Gesetzgebers, an den sich auch der BGH trotz der verwendeten starken Worte zu halten hat.



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