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Anmerkung zu:LSG Darmstadt 7. Senat, Urteil vom 24.02.2023 - L 7 AS 41/22
Autor:Claudia Theesfeld-Betten, Ass. jur.
Erscheinungsdatum:14.09.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 31 SGB 10, § 24 SGB 10, § 53 SGB 1, § 22 SGB 2
Fundstelle:jurisPR-MietR 18/2023 Anm. 1
Herausgeber:Norbert Eisenschmid, RA
Zitiervorschlag:Theesfeld-Betten, jurisPR-MietR 18/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Direktzahlung der Unterkunftskosten an Vermieter bei bestehenden Mietrückständen



Orientierungssätze

1. Eine Direktauszahlung der Kosten für die Unterkunft an Dritte kommt nach § 22 Abs. 7 Satz 2 SGB II nur in Betracht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Leistungsempfänger die ihm gewährten Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.
2. Diese Voraussetzungen liegen u.a. dann vor, wenn Mietrückstände bestehen und der Leistungsempfänger die Mietforderungen des Vermieters nicht erfüllt.



A.
Problemstellung
Das LSG Darmstadt hatte darüber zu entscheiden, ob der Leistungsträger eine Direktüberweisung der Unterkunftskosten an den Vermieter gemäß § 22 Abs. 7 SGB II veranlassen durfte.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Aufgrund einer Einweisungsverfügung der Stadt A. (Amt für Wohnungshilfen und Soziales – Obdachlosenhilfe) vom 15.09.2016 wurde die Klägerin ab dem 18.08.2016 bis auf Weiteres in die als Notunterkunft zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten eingewiesen, da anderenfalls Obdachlosigkeit drohte. Für die monatliche Nutzungsentschädigung wurde für die Unterkunft ein Nutzungsentgelt festgesetzt, bestehend aus einer Grundmiete i.H.v. 270 Euro, Betriebskosten i.H.v. 110 Euro und Heizkosten i.H.v. 141 Euro, insgesamt somit 521 Euro. Zusätzlich wurden Kosten für Strom i.H.v. 75 Euro festgesetzt.
Die Kosten der Unterkunft i.H.v. 521 Euro wurden in der Folgezeit vom beklagten Jobcenter bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt und bis einschließlich Dezember 2016 an die Klägerin ausgezahlt. Die Klägerin zahlte monatlich aber nur einen Teilbetrag i.H.v. 380 Euro für die Notunterkunft an die Stadt.
Mit Schreiben vom 08.12.2016 teilte die Stadt dem Jobcenter mit, dass Mietrückstände i.H.v. 961,56 Euro bestehen würden, und bat um Abzweigung ihrer Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Die Beklagte zahlte daraufhin ab 01.01.2017 diese Leistungen (521 Euro) direkt an die Stadt aus.
Die Klägerin legte gegen den entsprechenden Bescheid Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 28.02.2017 zurückgewiesen wurde. Nach § 22 Abs. 7 SGB II sollen die Leistungen an den Vermieter gezahlt werden, wenn Mietrückstände bestehen. Dies sei vorliegend der Fall gewesen. Entsprechend sei die Klägerin über den Wechsel der Mietauszahlung informiert worden.
Die Klägerin erhob sodann Klage vor dem SG Frankfurt gegen die Direktzahlung der Miete durch das Jobcenter an die Stadt. Sie wies den Vorwurf zurück, dass die Leistungen nicht zweckentsprechend verwendet würden. Es sei weder von Mietrückständen noch von Rückständen für Gasabschlagszahlungen/Heizkosten auszugehen. Die Klägerin sei seit Jahren Vertragspartnerin bei den Stadtwerken und habe einen bereits vor Einweisung in der Notunterkunft mit den Stadtwerken bestehenden Vertrag bezüglich ihrer alten Wohnung auf die neue Unterkunft umgemeldet. Sie zahle angemessene Abschlagszahlungen i.H.v. 38 Euro auf diesen Vertrag direkt an die Stadtwerke. Die unangemessenen Abschlagszahlungen i.H.v. 141 Euro seien von der Stadt festgesetzt worden, würden von dort aber nicht an die Stadtwerke gezahlt.
Das SG Frankfurt wies die Klage ab. Die Direktzahlung an den Vermieter sei in rechtmäßiger Weise erfolgt. Gegen das Urteil des Sozialgerichts legte die Klägerin Berufung ein und verfolgt ihren Anspruch weiter.
Das LSG Darmstadt hat die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen den Abweisungsgründen der Vorinstanz angeschlossen.
Rechtsgrundlage für die Auszahlung der Unterkunftskosten an die Stadt sei § 22 Abs. 7 Satz 2 SGB II. Danach sollen die Bedarfe für Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt sei. Dies sei nach § 22 Abs. 7 Satz 3 Nr. 1 SGB II insbesondere der Fall, wenn Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen. Der kommunale Träger habe nach § 22 Abs. 7 Satz 4 SGB II die leistungsberechtigte Person über eine Zahlung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte schriftlich zu unterrichten. Die Gefahr eines nicht zweckentsprechenden Einsatzes der bewilligten Kosten der Unterkunft sei vorliegend – nicht zuletzt auch aufgrund der eigenen Angaben der Klägerin – belegt worden. So habe die Klägerin selbst eingeräumt, dass sie es nicht einsehe, die Heizkosten an die Stadt zu zahlen, da davon auszugehen sei, dass diese nicht Vertragspartner der Stadtwerke sei.
Diese Argumentation überzeuge nicht. Schließlich müsse der Hauseigentümer nicht zwingend Vertragspartner der Stadtwerke sein. Aufgrund der auf dem Markt zahlreich vorhandenen Gasversorger könne der Eigentümer auch Kunde eines anderen Gaslieferanten sein. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass die Stadt die Mittel für die Wohnung in voller Höhe unmittelbar an den Hauseigentümer weiterleite. Entgegenstehende Anhaltspunkte könnten der Akte nicht entnommen werden.


C.
Kontext der Entscheidung
Das Jobcenter hatte die Direktzahlung an den Vermieter im Fall der Klägerin zu Recht auf § 22 Abs. 7 Satz 2 SGB II gestützt. Nach dieser Vorschrift soll der mit dem Bürgergeld bewilligte Bedarf für Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. § 22 Abs. 7 Satz 3 SGB II enthält Regelbeispiele, wann diese Voraussetzung insbesondere erfüllt ist.
Diese Regelbeispiele waren im vorliegenden Fall wohl nicht einschlägig. Die zweckentsprechende Verwendung war jedoch für den streitgegenständlichen Zeitraum dennoch nicht sichergestellt.
Dem Jobcenter stand insoweit kein Entscheidungsspielraum zu. Eine Verknüpfung der Tatbestands- mit der Rechtsfolgenseite durch ein „soll“ – wie hier in § 22 Abs. 7 Satz 2 SGB II – hat für den Regelfall eine Entscheidungspflicht zur Folge. Nur in Ausnahmefällen kann die Behörde aus wichtigen Gründen oder wegen atypischen Einzelfällen von der vorgegebenen Rechtsfolge abweichen. Der vom Normgeber vorausgesetzte Regelfall wird durch die Subsumtion des Sachverhalts unter den abstrakten Rahmen der Vorschrift festgestellt. Zur Entscheidung, ob ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, der ein Abweichen von der Regel rechtfertigt, ist jedoch über die bloße Subsumtion hinaus die Übereinstimmung des Lebenssachverhalts mit dem Normzweck zu ermitteln. Ergibt eine umfassende Betrachtung der Besonderheiten der konkreten Situation, dass die Erfassung anderer Fälle intendiert war, so ist eine abweichende Rechtsfolgenentscheidung der Verwaltung möglich. Ob im Einzelfall ein solcher atypischer Einzelfall gegeben war, ist unbeschränkt justiziabel (vgl. zu „Soll“-Vorschriften im Verwaltungsrecht Geis in: Schoch u.a., VwVfG, § 40, Stand: April 2022, Rn. 26). Dass hier für einen atypischen Fall keine Gründe ersichtlich sind, hatte das Jobcenter im Widerspruchsbescheid ausdrücklich – und zutreffend – unter Berücksichtigung des konkreten Lebenssachverhalts festgestellt.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung selbst weist für die Praxis keine Besonderheiten auf, dennoch eignet sie sich für einige – auch mietrechtsbezogene – praxisrelevante Hinweise zu § 22 Abs. 7 SGB II.
Zu bedenken ist in derart gelagerten Fällen zunächst, dass es sich – unabhängig von der Darstellungsweise im Bescheid – bei der Zahlung an einen Dritten (hier den Vermieter) um einen Eingriff in das Verfügungsrecht des Hilfebedürftigen über die ihm gewährten Leistungen und damit um eine belastende Regelung des Einzelfalls handelt, die die Qualität eines (eigenen) Verwaltungsakts i.S.d. § 31 Satz 1 SGB X hat.
Der Verwaltungsakt des Jobcenters war hier nach Ansicht des Landessozialgerichts formell rechtmäßig. Zwar hatte das Jobcenter die Klägerin offenbar nicht vor der Umstellung auf die Direktzahlung gemäß § 24 Abs. 1 SGB X angehört. Von der Anhörung durfte jedoch nach § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X abgesehen werden, weil von den tatsächlichen Angaben der Klägerin nicht zu ihren Ungunsten abgewichen wurde. Unstreitig war, dass die Klägerin die bewilligten Zahlungen eben nicht an die Stadt weiterleitete, sondern ganz oder teilweise einbehielt bzw. an die Stadtwerke überwies. Auf der Grundlage dieser tatsächlichen und unstreitigen Angaben hatte das Jobcenter über die Direktzahlung entschieden. Dass es damit zwar nicht von den tatsächlichen Angaben der Klägerin, aber von deren Rechtsauffassung abweicht, führt nicht zum Erfordernis der Anhörung, deren Sinn der Schutz des Betroffenen vor Überraschungsentscheidungen ist. Grundsätzlich sollte aber, wenn ein Vermieter gegenüber dem Jobcenter anzeigt, von seinem im Leistungsbezug stehenden Mieter nicht die (volle) Miete zu erhalten, vor Einleitung der Direktzahlung eine Anhörung des betroffenen Leistungsempfängers erfolgen und ermittelt werden, ob die Angaben zutreffend sind oder der Leistungsberechtigte entsprechende Gründe für die Minder-/Nichtzahlung – z.B. eine berechtigte Mietminderung oder ein Zurückbehaltungsrecht – plausibel darlegen kann.
Anders zu behandeln sind von den Leistungsträgern Fälle, in denen ein Teil der Miete aus der Regelleistung zu zahlen ist, etwa weil die gewährten Unterkunftskosten wegen Unangemessenheit nicht zur Deckung der Miete ausreichen. § 22 Abs. 7 SGB II bezieht sich ausschließlich auf die gewährten Kosten für Unterkunft und Heizung. Eine Direktüberweisung anderer Leistungen als der bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung ist nur unter den Voraussetzungen von § 53 SGB I möglich. Nach § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I können Ansprüche auf Geldleistungen übertragen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, dass die Übertragung oder Verpfändung im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt. Einem solchen Verwaltungsakt müssen nachvollziehbar die Ermessenserwägungen dafür entnommen werden können, weshalb davon ausgegangen wird, dass eine Direktüberweisung im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt. Auch sollte in diesen Fällen stets vorher eine Anhörung des Betroffenen erfolgen.
Anzumerken ist noch, dass der Anspruch auf Unterkunftskosten auch bei einer Direktzahlung weiterhin dem Leistungsberechtigten zusteht, nicht seinem Vermieter. Die Direktzahlung nach § 22 Abs 7 SGB II bewirkt eine abweichende Empfangsberechtigung, nicht aber eine Übertragung des Leistungsanspruchs auf den Vermieter. Der Vermieter kann deshalb den Leistungsträger zwar auf den (drohenden) Eintritt eines der Regelbeispiele des § 22 Abs. 7 SGB II hinweisen, hat jedoch kein subjektives öffentliches Recht darauf, die vom Mieter geschuldeten Zahlungen „unmittelbar“ vom Leistungsträger zu erhalten.



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