Zulassungsentziehung wegen Verletzung der FortbildungspflichtOrientierungssatz zur Anmerkung Auch Leistungserbringer, die als einige der wenigen einen speziellen Patientenkreis versorgen, sind verpflichtet, turnusmäßig Fortbildungsnachweise zu erbringen. - A.
Problemstellung In regelmäßigen Abständen muss sich das BSG mit den Rechtsfolgen der Verletzung der vertragsärztlichen Pflicht zur Fortbildung (§ 95d SGB V) beschäftigen. Dass weder die Behandlung eines speziellen Patientenkreises (hier: traumatisierte Geflüchtete) noch Fortbildungen außerhalb anerkannter Fortbildungsmaßnahmen und des Nachweiszeitraumes vor einer Zulassungsentziehung bewahren, zeigt das BSG mit dem vorliegenden Beschluss deutlich auf.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die 1963 geborene Beigeladene war seit 2010 mit hälftigem Versorgungsauftrag als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (KJP) zugelassen. Trotz Erinnerungen durch die klagende Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) erbrachte sie für den am 31.10.2015 endenden Fünfjahreszeitraum keine Fortbildungsnachweise. Ab dem Quartal 1/2016 kürzte die Klägerin ihr Honorar zunächst um 10% und ab dem Quartal 1/2017 um 25%. Auf den Hinweis der Klägerin vom 23.04.2018, dass sie verpflichtet sei, unverzüglich gegenüber dem Zulassungsausschuss einen Antrag auf Entziehung der Zulassung zu stellen, wenn der Nachweis der Fortbildung nicht spätestens zwei Jahre nach Ablauf des Fünfjahreszeitraums erbracht werde, teilte die Beigeladene mit, dass sie von 250 Punkten bisher 130 Punkte erreicht habe. Später reichte sie einen Nachweis der Psychotherapeutenkammer Bayern (PTK Bayern) ein, wonach sie im Zeitraum vom 18.10.2010 bis 24.06.2018 250 Fortbildungspunkte erworben hat. Während der Zulassungsausschuss die Zulassung der Beigeladenen wegen Verletzung der Fortbildungspflicht entzog, hob der beklagte Berufungsausschuss die Ausgangsentscheidung auf. Nach eingehender Prüfung des Einzelfalles sehe er von einer Zulassungsentziehung ab, da diese eine Lücke in die Versorgung der Versicherten reißen würde, auch wenn der einschlägige Planungsbereich für psychologische Psychotherapeuten überversorgt sei. Die Beigeladene betreue eine spezifische Klientel, nämlich in der Regel jugendliche Flüchtlinge mit speziellen Diagnosen. Sie sei nach ihrem Vortrag die einzige KJP in Bayern, die sich mit fast allen jugendlichen Flüchtlingen aus A. in deren Muttersprache verständigen könne. Zwar habe kein Patient Anspruch darauf, in seiner Muttersprache behandelt zu werden. Ebenso wenig bestehe ein Anspruch auf eine Zulassung allein wegen bestimmter Sprachkenntnisse. Zu beachten sei auch, dass die Beigeladene einen Teil der Patienten ohne Zulassung behandeln könne, da diese nicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) angehörten. Jedoch bestehe für den von ihr behandelten Personenkreis, sobald er den Regelungen der GKV unterliege, faktisch keine Möglichkeit, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es sei auch nicht so, dass die Beigeladene keinerlei Anstrengungen unternommen habe, ihrer Fortbildungspflicht nachzukommen. Das Sozialgericht verpflichtete den Beklagten unter Aufhebung seines Beschlusses, die Zulassung der Beigeladenen vollständig zu entziehen. Das Landessozialgericht wies die Berufung der Beigeladenen zurück. Diese habe ihre Pflicht zur Erbringung eines Fortbildungsnachweises im Fünfjahreszeitraum vom 18.10.2010 bis 31.10.2015 unstreitig verletzt. Weder in diesem Zeitraum noch in der nachfolgenden Zweijahresfrist bis 31.10.2017, in der die Fortbildung hätte nachgeholt werden können, habe sie 250 Fortbildungspunkte nachgewiesen. Unerheblich seien die nachträgliche Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung nach Ablauf der Nachfrist sowie die nach ihren Ausführungen besondere Patientenklientel und die bei dieser vorliegenden Krankheiten. Etwas anderes ergebe sich nicht aus ihrem Vortrag betreffend eine von Oktober 2014 bis August 2016 abgeleistete „Selbsterfahrung“. Aus den beigezogenen Akten der PTK Bayern ergebe sich, dass die Beigeladene diese Stunden als Krankenbehandlung gegenüber ihrer Krankenversicherung abgerechnet habe. Selbst wenn eine Einvernahme der Lehranalytikerin den Vortrag bestätigt hätte, dass die absolvierten Stunden mindestens 50% Selbsterfahrung i.S.d. Fortbildungsordnung beinhaltet hätten, fehle es an einer Anerkennung dieser Fortbildung durch die PTK Bayern. Das BSG hat die Nichtzulassungsbeschwerde der Beigeladenen unter allen Zulassungsgründen (grundsätzliche Bedeutung, Rechtsprechungsabweichung, Verfahrensmangel) zurückgewiesen: Die Beigeladene bezeichne als grundsätzlich bedeutsam, ob die von der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen internationalen Verpflichtungen (EU-Aufnahmerichtlinie, ABl L 180 v. 29.06.2013, 96-116; Massenzustrom-Richtlinie, ABl L 212 v. 07.08.2001, 12-23; Qualifikationsrichtlinie, ABl L 337 v. 20.12.2011, 9-26) bei einer Zulassungsentziehung – auch bei Verhältnismäßigkeitsabwägung – beachtet werden müssten. Zwar treffe es zu, dass zu dieser Frage bisher keine Rechtsprechung des Senats vorliege. Jedoch hätte es der Beigeladenen oblegen, sich zunächst mit der Frage der verbindlichen Geltung von Europäischen Richtlinien für die Mitgliedstaaten auseinanderzusetzen und die konkrete Möglichkeit eines Verstoßes nachvollziehbar darzulegen. Inwieweit Richtlinien der EU überhaupt geeignet seien, unmittelbare innerstaatliche Rechtsansprüche zu begründen, erörtere sie nicht. Ebenso wenig gehe sie auf die im Rahmen der GKV von der Bundesrepublik bereits ergriffenen Maßnahmen ein. Zudem könne den genannten Europäischen Vorschriften unter keinem Aspekt eine Verpflichtung entnommen werden, die Zulassung einer konkreten Person unabhängig davon aufrechtzuerhalten, ob sie ihre Fortbildungspflicht erfülle. Es liege auch keine Divergenz des Berufungsurteils zu dem Beschluss des BSG vom 28.10.2015 (B 6 KA 36/15 B) vor. Der Senat habe darin betont, dass die Bewertung der Verhältnismäßigkeit der Zulassungsentziehung „einer allgemeingültigen Klärung nicht zugänglich, sondern vom jeweiligen Einzelfall abhängig“ sei. Im damaligen Fall sei die Zulassungsentziehung nicht unverhältnismäßig gewesen, weil der dortige Kläger vielfältige Hinweise, Warnungen, Honorarkürzungen und anderes mehr nicht „zu einer durchgreifenden Verhaltensänderung genutzt“ habe. Hieraus könne aber schon denklogisch nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass eine Zulassungsentziehung in jedem Fall unverhältnismäßig wäre, wenn eine solche Verhaltensänderung – zu welchem Zeitpunkt auch immer – eingetreten sei. Im Gegenteil habe der Senat entschieden, dass die nachträgliche Erfüllung der Fortbildungspflicht bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen für eine Zulassungsentziehung gegeben sind, schon deswegen keine Berücksichtigung finden könne, weil dies der gesetzlichen Regelung zuwiderlaufen würde. Einen Verfahrensfehler habe die Beigeladene schon nicht hinreichend aufgezeigt. Es fehle an einer hinreichenden Schilderung, dass und warum die Entscheidung des Landessozialgerichts auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Vernehmung der Lehranalytikerin als sachverständige Zeugin dazu, dass die dort absolvierte Behandlung mindestens 50% Selbsterfahrung im Sinne der Fortbildungsordnung beinhaltet habe, beruhen könne. Das Landessozialgericht habe begründet, weshalb dem Beweisantrag – unabhängig davon, dass dieser nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten worden sei – nicht zu folgen gewesen sei.
- C.
Kontext der Entscheidung § 95d SGB V begründet eine allgemeine vertragsärztliche Pflicht zur Fortbildung in dem Umfang, wie es zur Erhaltung und Fortentwicklung der zur Berufsausübung erforderlichen Fachkenntnisse, (sowie seit 26.03.2024) Fähigkeiten und Fertigkeiten notwendig ist. Diese Regelung gilt nach § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V entsprechend für Psychotherapeuten und Zahnärzte, ferner für ermächtigte Ärzte (Absatz 4) und angestellte Ärzte bei einem Vertragsarzt, einem MVZ, einer Einrichtung der KÄV oder kommunaler Träger (§ 105 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 SGB V) oder einer Pflegeeinrichtung nach § 119b SGB V (Absatz 5 Satz 1). Der entsprechende Nachweis ist alle fünf Jahre für den zurückliegenden Fünfjahreszeitraum zu erbringen. Eine Nachreichung von Fortbildungspunkten ist nur begrenzt möglich. Das Gesetz sieht eine einmalige Nachfrist vor, in der die Fortbildung binnen zwei Jahren ganz oder teilweise nachgeholt werden kann. Zeitlich noch später liegende Fortbildungen können nach der gesetzlichen Intention nicht mehr als Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung des vergangenen Fünfjahreszeitraums angerechnet werden (BSG, Beschl. v. 11.02.2015 - B 6 KA 37/14 B). Bei Erteilung des entsprechenden Fortbildungsnachweises verfallen etwaige überschüssige Fortbildungspunkte mit der Folge, dass sie nicht auf den nachfolgenden Fünfjahreszeitraum anrechenbar sind. Die Löschung „alter Punkte“ entspricht dem Sinn und Zweck der Fortbildungspflicht für Ärzte, eine kontinuierliche, auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand beruhende Weiterbildung der tätigen Ärzte sicherzustellen. Eine Ansammlung von Fortbildungspunkten aus der Vergangenheit ist hiermit nicht vereinbar (VG Gelsenkirchen, Urt. v. 08.08.2016 - 7 K 4277/15). Verletzungen der Fortbildungspflicht werden zunächst mit Kürzungen des Honorars um 10% (für die ersten vier Quartale) und 25% (für den anschließenden Zeitraum) sanktioniert (dazu BSG, Urt. v. 11.02.2015 - B 6 KA 19/14 R; BSG, Beschl. v. 13.05.2015 - B 6 KA 50/14 B; BSG, Beschl. v. 10.10.2017 - B 6 KA 50/17 B; BSG, Beschl. v. 25.11.2020 - B 6 KA 36/19 B; BSG, Urt. v. 04.11.2021 - B 6 KA 9/20 R). Wird der vollständige Fortbildungsnachweis nicht spätestens zwei Jahre nach Ablauf des Fünfjahreszeitraums erbracht, soll, d.h. im Regelfall muss, die KÄV unverzüglich die Entziehung der Zulassung beantragen. Die Norm enthält keinen eigenständigen Zulassungsentziehungstatbestand, sondern es gelten nach § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V i.V.m. § 27 Ärzte-ZV die gleichen Maßstäbe wie für sonstige Verstöße gegen vertragsärztliche Pflichten. Aus dem fehlenden Fortbildungsnachweis wird zugleich der Schluss gezogen, dass der Vertragsarzt seiner Fortbildungspflicht nicht nachgekommen ist. Das betrifft eine grundlegende vertragsärztliche Pflicht und aus dem Gesetz lässt sich ableiten, dass derjenige, der sich sogar durch empfindliche Honorarkürzungen nicht beeindrucken lässt, diese Pflicht gröblich verletzt und mit ihr verantwortungslos umgeht ( BT-Drs. 15/1525, S. 110; BSG, Urt. v. 11.02.2015 - B 6 KA 19/14 R). Die Zulassung ist auch vollständig und nicht etwa nur zur Hälfte oder zu einem Viertel zu entziehen (LSG Hamburg, Urt. v. 19.11.2020 - L 5 KA 24/17). Wohl nicht zuletzt im Hinblick auf die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln (§§ 86a Abs. 1, 153 Abs. 1, 165 SGG) werden vielfach Zulassungsentziehungsverfahren bis zum BSG getrieben, das sich aber durchweg unnachgiebig zeigt (z.B. BSG, Beschl. v. 11.02.2015 - B 6 KA 37/14 B zu persönlich schwierigen Lebensumständen; BSG, Beschl. v. 28.10.2015 - B 6 KA 36/15 B zum Tod des Vaters und Suizid des Sohnes; BSG, Beschl. v. 10.05.2017 - B 6 KA 72/16 B zum Nachweis durch fortlaufende langjährige, praxisbezogene und prämierte Forschungsarbeit; BSG, Beschl. v. 12.09.2018 - B 6 KA 12/18 B zur grundsätzlichen Bedeutung „in vielerlei Hinsicht“; BSG, Beschl. v. 13.02.2019 - B 6 KA 20/18 B zu privaten besonderen Härtegründen durch Wohnungsbrand und schwerstpflegebedürftige Mutter; BSG, Beschl. v. 14.07.2021 - B 6 KA 42/20 B zur Schwerbehinderung des Vertragsarztes). Die vorliegende Entscheidung ergänzt diese Rechtsprechung um weitere Aspekte. In Ausnahmefällen kann die KÄV von einem Antrag auf Entziehung der Zulassung absehen, z.B. wenn nur wenige Fortbildungspunkte fehlen ( BT-Drs. 15/1525, S. 111) oder der vorgegebene Nachweis nur um wenige Stunden verfehlt wird (BSG, Beschl. v. 11.02.2015 - B 6 KA 37/14 B) und die Zulassungsentziehung deshalb unverhältnismäßig wäre. Auch ist es den KÄVs nicht verwehrt, neben den Honorarkürzungen auch Disziplinarmaßnahmen – als mildere Maßnahme gegenüber einer Zulassungsentziehung – auszusprechen (BSG, Beschl. v. 08.10.2015 - B 6 KA 2/15 BH).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die vorliegende Entscheidung belegt erneut, dass das BSG die Qualitätssicherung der (zahn)ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung der GKV-Versicherten im Interesse des Gesundheitsschutzes als Gemeinwohlbelang von überragendem Gewicht erachtet. Die Verletzung der Fortbildungspflicht kann in letzter Konsequenz bis zur Existenzvernichtung führen. Dazu braucht es nicht zu kommen. Die Fortbildung durch Präsenzveranstaltungen wird auch dadurch gefördert, dass sich der Vertrags(zahn)arzt bei Teilnahme an (zahn)ärztlicher Fortbildung vertreten lassen kann (§ 32 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV). Zudem bietet z.B. das Deutsche Ärzteblatt monatlich zertifizierte cme-Fortbildungen (Continuing Medical Education) im Internet an. Bei richtiger Beantwortung von 70% der Fragen werden 3 Punkte gutgeschrieben. Auch Verlage medizinischer Fachliteratur bieten für fast jedes Fachgebiet Online-Kurse an, die mit 2 bis 4 cme-Punkten bewertet werden. Bei sinnvoller Auswahl anerkannter Fortbildungsmaßnahmen aus dem breiten Angebot dürfte es auch Leistungserbringern mit voller Praxisauslastung oder außergewöhnlichen Belastungen im persönlichen Bereich nicht schwerfallen, in fünf Jahren 250 cme-Punkte (Vertragsärzte, Psychotherapeuten) bzw. 125 cme-Punkte (Vertragszahnärzte) zu erreichen.
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