Immissionsschutz: Erteilung einer Änderungsgenehmigung - hier: Anspruch auf Betriebserweiterung für zwei Windenergieanlagen wegen unzumutbarer Lärmeinwirkungen abgelehntLeitsätze 1. Setzt die Gemeinde in einem Bebauungsplan (Sondergebiet für Windkraftanlagen) mit Blick auf die Belange gesunder Wohnverhältnisse einen (nächtlichen) Schallleistungspegel fest, ohne zu berücksichtigen, dass der für ein reines Wohngebiet grundsätzlich geltende Immissionsrichtwert von 35 dB(A) nachts entsprechend Nr. 6.7 der TA Lärm wegen des Angrenzens des reinen Wohngebiets an den Außenbereich hätte erhöht werden müssen, stellt dies einen Verfahrensmangel i. S. v. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB a. F. (Fassung vom 23.09.2004) dar. 2. Die Bindungswirkung der TA Lärm ist durch gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse teilweise überholt, soweit es um das Prognoseverfahren zur Ermittlung der Belastung durch Lärm von Windenergieanlagen an einzelnen Immissionsorten geht. Die Prognoseberechnung auf der Grundlage des alternativen Verfahrens der DIN ISO 9613 2, auf das die TA Lärm Bezug nimmt, ist durch das Interimsverfahren zu modifizieren. 3. Bei der Bildung eines Zwischenwerts nach Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm zwischen Gebieten unterschiedlicher Nutzung und damit unterschiedlicher Schutzwürdigkeit ist methodisch so vorzugehen, dass die Immissionsrichtwerte zu ermitteln sind, die für die benachbarten Gebiete bei jeweils isolierter Betrachtung maßgeblich sind, und daraus unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ein Mittelwert zu bilden ist. 4. Aus dem Erfordernis einer Einzelfallprüfung folgt, dass sich die Zwischenwerte für Wohngrundstücke mit größerer Entfernung zum Außenbereich nicht ausgehend von dem an der unmittelbaren Grenze zum Außenbereich gebildeten Zwischenwert nach der physikalisch vorgegebenen Lärmausbreitung bei Windenergieanlagen rechnerisch ermitteln lassen. Auf diese Weise können die Grundstücke, die unmittelbar an den Außenbereich grenzen, der Sache nach von den Lärmrichtwerten profitieren, die im weiter innen liegenden Bereich einzuhalten sind. Das allein führt aber nicht dazu, dass innerhalb einer Gemengelage einzuhaltende Lärmrichtwerte einseitig zu Lasten der Wohnnutzung verschoben werden dürfen. - A.
Problemstellung Das OVG Münster befasst sich in der vorliegenden Entscheidung mit der Frage, wie Lärmeinwirkungen von Windenergieanlagen für an den Außenbereich angrenzende Wohngrundstücke zu behandeln sind (Gemengelage nach Ziffer 6.7 TA Lärm). Sie ist vor dem Hintergrund des beschleunigten Ausbaus erneuerbarer Energien und der sich in den letzten Jahren häufenden Streitigkeiten um Windenergieanlagen als höchst relevant anzusehen. So wurde am 28.07.2022 das reformierte EEG („EEG 2023“) veröffentlicht, das u.a. eine Anhebung der Ausbaupfade und Ausschreibungsmengen für Wind an Land vorsieht. Flankiert wird das EEG 2023 durch das „Wind-an-Land-Gesetz“, das den zuletzt (insbesondere durch Rechtsstreitigkeiten) stagnierenden Ausbau der Windenenergie in Deutschland schneller voranbringen soll. Konkret soll bis 2032 ein Anteil von 2% der Landflächen für die Windenergie ausgewiesen werden. Eine Vielzahl weiterer Gerichtsverfahren, insbesondere von Anwohnern der angrenzenden Flächen, stehen zu erwarten. Das OVG Münster, das seit Ende 2020 in ganz Nordrhein-Westfalen für alle neuen Streitfälle um die Errichtung, den Betrieb und die Änderung von Windenergieanlagen mit einer Höhe von mehr als 50 Metern erstinstanzlich zuständig ist, gab zuletzt aufgrund der Vielzahl und Komplexität der eingehenden Verfahren die Einrichtung eines eigenen Senats für derartige Streitigkeiten bekannt.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Beteiligten streiten um die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigung für die Erhöhung der zur Nachtzeit zugelassenen Betriebsleistung von zwei Windenergieanlagen nach § 16 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 6 Abs. 1 BImSchG. Die Klägerin ist Betreiberin des nördlich des betreffenden reinen Wohngebiets (§ 3 BauNVO) befindlichen Windparks mit insgesamt vier Anlagen im Außenbereich (§ 35 BauGB). Der dem zugrunde liegende Bebauungsplan, der für die entsprechenden Flächen ein „Sonstiges Sondergebiet für Windenergieanlagen und Flächen für die Landwirtschaft“ festsetzt, enthält in seinen textlichen Festsetzungen unter „I. Planungsrechtliche Festsetzungen gemäß § 9 Abs. 1 BauGB“ in Ziffer 11: „Bei Realisierung von 4 Windenenergieanlagen ist ein nächtlicher Schallleistungspegel von max. 99.0 dB(A) einzuhalten.“ Mit einem Änderungsantrag begehrte die Klägerin, die beiden streitgegenständlichen Windenergieanlagen auch zur Nachtzeit unter Volllast betreiben zu dürfen – so wie dies bereits für die beiden anderen im Windpark befindlichen Anlagen genehmigt wurde. Dem Antrag beigefügt war ein schalltechnisches Gutachten unter Anwendung des alternativen Verfahrens gemäß DIN ISO 9613-2, nach dem an den Immissionsorten IO 1 und IO 2 nachts ein Beurteilungspegel i.H.v. 38 dB(A), sowie an den übrigen Immissionsorten IO 3 bis IO 15 solche von jeweils 37 dB(A) nachts zu erwarten seien. Aufgrund der Nähe zum Außenbereich liege eine Gemengelage nach Ziffer 6.7 TA Lärm vor, aufgrund derer der Lärmrichtwert für das gegenständliche reine Wohngebiet i.H.v. 35 dB(A) nachts gemäß Ziffer 6.1 Satz 1 Buchst. f) TA Lärm auf 40 dB(A) zu erhöhen sei. Somit sei das Vorhaben hinsichtlich der zu erwartenden Lärmimmissionen zulässig. Der Beklagte lehnte den Änderungsantrag indes mit der Begründung ab, das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, da es der textlichen Festsetzung I.11 des vorliegenden Bebauungsplans widerspreche. Jedenfalls würden durch die beantragte Änderung die maßgeblichen nächtlichen Immissionsrichtwerte gemäß Ziffer 6.1 Satz 1 Buchst. f) TA Lärm an den Immissionsorten IO 6 und IO 13 überschritten. Für diese im inneren Bereich des Plangebiets liegenden Grundstücke sei zur Nachtzeit allenfalls ein Richtwert von 36 dB(A) zulässig. Hiergegen hat die Klägerin vor dem VG Minden in erster Instanz Klage erhoben und dies insbesondere damit begründet, dass der gegenständliche Bebauungsplan abwägungsfehlerhaft sei und durch die begehrte Änderung keine schädlichen Umwelteinwirkungen drohten, da der Immissionsrichtwert für die Grundstücke an den Immissionsorten IO 6 und IO 13 aufgrund des Vorliegens einer Gemengelage nach Ziffer 6.7 TA Lärm zu erhöhen sei. Sie seien noch dem Einfluss des Außenbereichs ausgesetzt, worauf es bei einer Gemengelage für die Zwischenwertbildung nach Maßgabe der TA Lärm entscheidend ankomme. Zudem sei eine Erhöhung der Lärmrichtwerte nach 6.7 TA Lärm auch dann geboten, wenn das betreffende Wohngebäude nicht am unmittelbaren Rand zum Außenbereich, sondern durch Bebauung abgeschirmt weiter zurückgesetzt liege. Die Beklagte führte im Wesentlichen an, dass für die Immissionsorte IO 6 und IO 13 kein Zwischenwert zu bilden sei, da die betreffenden Grundstücke im inneren Bereich des reinen Wohngebiets gelegen und somit einem Einfluss des Außenbereichs entzogen seien. Das VG Minden lehnte die Klage mit Urteil vom 13.03.2019 (11 K 9958/17) ab. Die beantragte Änderung der Betriebsweise der beiden Windenergieanlagen riefe schädliche Umwelteinwirkungen in Form von Lärm für die Nachbarschaft hervor. Für die Immissionsorte IO 6 und IO 13 sei der Richtwert von 35 dB(A) gemäß Ziffer 6.1 Satz 1 Buchst. f) TA Lärm zugrunde zu legen, der jedoch ausweichlich des vorgelegten Gutachtens nicht eingehalten werde. Der Richtwert sei für die an den Immissionsorten IO 6 und IO 13 befindlichen Grundstücke nicht aufgrund einer Gemengelage zu erhöhen, da sie nicht in erster oder zweiter Reihe zum Außenbereich gelegen, sondern vielmehr von Wohnbebauung geprägt seien. Hiergegen legte die Klägerin Berufung vor dem OVG Münster ein. Sie trug hierzu insbesondere vor, dass die für eine Zwischenwertbildung nach Maßgabe der TA Lärm vorhandene Gemengelage für die Grundstücke an den Immissionsorten IO 6 und IO 13 vorliegend nicht dadurch ausgeschlossen werde, dass sich die Grundstücke nicht am Rande des Außenbereichs, sondern weiter zurückgesetzt befänden. Es komme allein darauf an, dass sie noch dem Einfluss des Außenbereichs ausgesetzt seien. Zudem legte die Klägerin neue schalltechnische Gutachten unter Anwendung des sog. Interimsverfahrens vor, nach denen die Beurteilungspegel in der Nachtzeit für den Immissionsstandort IO 6 39,6 db(A) und für IO 13 39,5 dB(A) betragen. Das OVG Münster wies die Berufung als unbegründet zurück. Die beantragte Änderung sei genehmigungsbedürftig i.S.v. § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG, da durch sie nachteilige Auswirkungen hervorgerufen würden und diese für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erheblich sein könnten (wesentliche Änderung). Mit einer Gesamthöhe von jeweils mehr als 50 Metern seien die gegenständlichen Windenenergieanlagen immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftig nach § 4 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 und Nr. 1.6 des Anhangs 1 der 4. BImSchV. Durch die beantragte Leistungssteigerung der Anlagen während der Nachtzeit könnten ausweichlich des vorgelegten Gutachtens schädliche und damit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erhebliche Umwelteinwirkungen i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, nämlich erhöhte Lärmbelastungen für die umliegende Wohnnutzung, hervorgerufen werden. Der beantragten Änderungsgenehmigung stehe der gegenständliche Bebauungsplan – wie vom Beklagten vorgetragen – indes nicht gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG entgegen. Die textliche Festsetzung I.11 sei unwirksam, da der Bebauungsplan an einem verfahrensrechtlichen Fehler im Abwägungsvorgang i.S.v. § 233 Abs. 2 Satz 3 BauGB i.V.m. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB in der vorliegend maßgeblichen Fassung vom 23.09.2004 leide. Bei der textlichen Festsetzung I.11 habe die betreffende Gemeinde die Belange gesunder Wohnverhältnisse im gegenständlichen reinen Wohngebiet nicht zutreffend bewertet. Sie habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass der für ein reines Wohngebiet grundsätzlich geltende Immissionsrichtwert von 35 dB(A) nachts gemäß Ziffer 6.1 Satz 1 Buchst. f) TA Lärm nach Ziffer 6.7 TA Lärm in dem hier vorliegenden Fall, dass ein reines Wohngebiet unmittelbar an den Außenbereich angrenzt, für einzelfallbezogen näher zu bestimmende Bereiche des Wohngebiets hätte erhöht werden müssen. Jedoch seien die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Änderungsgenehmigung nicht gegeben, da der nächtliche Volllastbetrieb aller vier Windenergieanlagen schädliche Umwelteinwirkungen in Gestalt unzumutbarer Lärmbeeinträchtigung jedenfalls für die an den Immissionsorten IO 6 und IO 13 gelegenen Grundstücke hervorrufen würde (vgl. die §§ 6 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG). Vorliegend sei, entgegen dem Vorbringen des Beklagten, sehr wohl ein Zwischenwert aufgrund des Bestehens einer Gemengelage nach Ziffer 6.7 TA Lärm zu bilden. Hierbei sei methodisch so vorzugehen, dass die Immissionsrichtwerte zu ermitteln seien, die für die benachbarten Gebiete bei jeweils isolierter Betrachtung maßgeblich sind, und daraus unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ein Mittelwert (nicht das arithmetische Mittel zweier Richtwerte) zu bilden sei. Der Zwischenwert an den gegenständlichen Wohngrundstücken liege unter Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls deutlich unter 39,5 dB(A), jedenfalls unter 38 dB(A), so dass die im Gutachten der Klägerin angegebenen voraussichtlichen Lärmwerte von 39,6 dB(A) und 39,5 dB(A) dort unzumutbar seien. Wegen der Lage der Grundstücke in dritter Reihe des reinen Wohngebiets und der dadurch geringeren Prägung durch den Außenbereich müsse der betreffende Zwischenwert geringer ausfallen als (abgestufte) Zwischenwerte für die beiden ersten Reihen des reinen Wohngebiets.
- C.
Kontext der Entscheidung Das Urteil des OVG Münster gibt Anlass, sich mit dem virulenten Thema der Gemengelage nach Ziffer 6.7 TA Lärm zu befassen, das die Gerichte im Zusammenhang mit Windenergieanlagen vor allem in den letzten Jahren immer mehr beschäftigt hat. In Ziffer 6.1 TA Lärm sind Immissionsrichtwerte für sechs verschiedene Baugebietstypen festgelegt. Dabei wird für alle dieser Baugebietstypen (mit Ausnahme des Industriegebiets) jeweils ein Richtwert für den Tag und ein Richtwert für die Nachtzeit angegeben. Die Höhe der jeweiligen Richtwerte basiert auf dem Gedanken, dass je nach Art der Nutzung eine andere immissionsrechtliche Schutzwürdigkeit besteht (so gilt etwa für Industriegebiete mit 70 dB(A) der höchste Richtwert, während der Richtwert in Kurgebieten, für Krankenhäuser und Pflegeanstalten tagsüber 45 dB(A) und nachts lediglich 35 dB(A) beträgt). Treffen zwei verschiedene Baugebietstypen aufeinander, kann eine Gemengelage nach Ziffer 6.7 TA Lärm vorliegen. Dies ist ausweichlich der Legaldefinition in Ziffer 6.7 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm der Fall, wenn gewerblich, industriell oder in ihrer Geräuschauswirkung vergleichbar genutzte Gebiete mit dem zum Wohnen dienenden Gebieten aneinandergrenzen. Gemengelagen zwischen Wohngebieten und dem Außenbereich sind somit nicht ausdrücklich von der Regelung erfasst. Trotzdem bietet es sich an, auf den Rechtsgedanken der Ziffer 6.7 TA Lärm auch in derartigen Fällen zurückzugreifen (Hinsch, ZUR 2008, 567, 570). Diese Regelung beruht auf dem aus dem Rücksichtnahmegebot entwickelten allgemeinen Rechtsgedanken, dass in Bereichen, in denen Gebiete von unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit zusammentreffen, die Grundstücksnutzung mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet ist, die dazu führt, dass der Belästigte Nachteile hinnehmen muss, die er außerhalb eines solchen Grenzbereichs nicht hinzunehmen bräuchte (BVerwG, Urt. v. 12.12.1975 - IV C 71.73). Insofern wird es auch bei Gemengelagen zwischen Wohngebieten und dem Außenbereich der Bildung eines angemessenen Zwischenwerts zum Zweck des Ausgleichs der wechselseitigen Rücksichtnahmeverpflichtungen bedürfen (VGH Kassel, Urt. v. 30.10.2009 - 6 B 2668/09). Liegt eine Gemengelage vor, können die für die zum Wohnen dienenden Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte erhöht werden, soweit dies nach der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist, Ziffer 6.7 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm. Ausgangspunkt für die Bildung des Zwischenwerts bilden die in Ziffer 6.1 TA Lärm festgelegten Immissionsrichtwerte (zum Folgenden Hansmann in: Landmann/Rohmer, UmweltR, 97. EL Dezember 2021, TA Lärm 6 Rn. 26). Dabei ist eine Erhöhung des für das schutzbedürftige Gebiet geltenden Immissionsrichtwertes zu prüfen. In diesem Rahmen legt Ziffer 6.7 Abs. 1 Satz 2 TA Lärm fest, dass der für Kern-, Dorf- und Mischgebiete zu bildende Zwischenwert den für diese Gebiete geltende Immissionsrichtwert nicht überschreiten soll. Dies ist als Obergrenze für die betreffenden Gebiete anzusehen (OVG Münster, Urt. v. 20.12.2018 - 8 A 2971/17). Wie in der vorliegenden Entscheidung des OVG Münster wird es für die Bildung des Zwischenwerts nicht ausreichend sein, sich alleine auf das arithmetische Mittel festzulegen (so schon BVerwG, Beschl. v. 29.10.1984 - 7 B 149/84). Vielmehr müssen bei der Bestimmung des Mittelwerts die Ortsüblichkeit und die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden, wobei insbesondere auch die Priorität der entgegenstehenden Nutzungen von Bedeutung ist (BVerwG, Beschl. v. 12.09.2007 - 7 B 24/07). Dabei kommt es – wie vom OVG Münster zutreffend ausgeführt – entscheidend darauf an, inwieweit die Nutzung des einen Gebiets noch prägend auf die des anderen Gebiets einwirkt (Hansmann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 97. EL Dezember 2021, TA Lärm 6 Rn. 25). Bei der Bildung des Zwischenwertes werden nach der Rechtsprechung einem Wohnhaus, das in einem reinen Wohngebiet unmittelbar am Rande des Außenbereichs gelegen ist, häufig – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – bis zu 5 dB(A) höhere Lärmimmission zugemutet (OVG Münster, Beschl. v. 29.01.2013 - 8 A 2016/11 Rn. 14 f. m.w.N.). Für Wohnhäuser, die weiter zurückgesetzt liegen, wird man – wie es das OVG Münster vorliegend auch getan hat – im Rahmen der Einzelfallprüfung aufgrund des Gebots der Rücksichtnahme jedoch einen strengeren Zwischenwert als für Wohnhäuser in Randlage bilden müssen (so auch schon OVG Münster, Beschl. v. 29.01.2013 - 8 A 2016/11 Rn. 16).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Mit seiner Entscheidung liegt das OVG Münster auf einer Linie mit seiner bisherigen Rechtsprechung zur Bildung eines Lärmimmissions-Zwischenwerts für Wohnhäuser in zurückgesetzter Lage zum Außenbereich, in dem sich bereits Windenergieanlagen befinden oder noch gebaut werden sollen. Anwohner derartiger Wohnhäuser dürfen davon ausgehen, dass sie im Vergleich zu ihren in „erster Linie“ wohnenden Nachbarn stärker vor Lärmimmissionen geschützt werden. In Anbetracht der ambitionierten Ziele der Bundesregierung zum Ausbau der Windenergie ist zu erwarten, dass zukünftig weitere ähnlich gelagerte Sachverhalte den neu für Streitigkeiten um Windenergieanlagen eingerichteten 22. Senat des OVG Münster beschäftigen werden.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Über die Gemengelage hinaus beschäftigt sich das OVG Münster in seiner Entscheidung auch mit der Frage, nach welchem Verfahren die im Rahmen eines Änderungsantrags vorzulegende Schallprognose zu berechnen ist. So ist die Prognoseberechnung auf Grundlage des alternativen Verfahrens der DIN ISO 9613-2, auf das die TA Lärm in Ziffer A.2.2 und A.2.3.4 des Anhangs Bezug nimmt, mittlerweile durch das sog. Interimsverfahren zu modifizieren (Rn. 111 ff.). Das Berechnungsverfahren nach DIN ISO 9613-2 ist als durch neue, gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse teilweise als überholt anzusehen (Rn. 120). Dies beruht vor allem darauf, dass die DIN ISO 9613-2 die Quellhöhe auf kleiner 30 Meter begrenzt. Heutige Windenergieanlagen sind jedoch weitaus größer, d.h. die Quellhöhe nach DIN ISO 9613-2 ist nicht mehr ausreichend. Daher ist nunmehr so lange zusätzlich das als Übergangslösung konzipierte Interimsverfahren für die Berechnung von Schallprognosen anzuwenden, bis ein Verfahren zur Schallausbreitungsrechnung entwickelt ist, das den Anwendungsbereich der DIN ISO 9613-2 auf Windenergieanlagen als hochliegende Quellen erweitert (Rn. 129).
|