Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die im Inland wohnhaften Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Der Kläger erzielte in den Jahren 2009 und 2012 (Streitjahre) zudem Einkünfte aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkünfte.
Der Kläger hatte am 26.07.1991 auf der Grundlage des damaligen jugoslawischen Gesetzes über Unternehmen vom 29.12.1988 die Gesellschaft A mit Sitz in Jugoslawien gegründet. Die Gesellschaft wurde mit Beschluss des Gerichts der Vereinten Arbeit v. 05.08.1991 in das Gerichtsregister eingetragen. Mit Gesellschafterbeschluss vom 25.11.1995 wurde die Gesellschaft an das Unternehmensgesetz der Föderation von Bosnien und Herzegowina (BIH) vom 11.02.1995 angepasst. Es erfolgte eine Umbenennung und am 25.12.1999 eine erneute Satzungsänderung auf Grundlage des Gesetzes über Wirtschaftsgesellschaften vom 12.06.1999.
Am 20.05.1995 hatte der Kläger zudem auf der Grundlage des Unternehmensgesetzes der Föderation von BIH v. 11.02.1995 die Gesellschaft B gegründet. Am 04.05.2000 passte er die Satzung dieser Gesellschaft an die neuen gesetzlichen Regelungen in BIH an.
Am 25.05.2009 veräußerte der Kläger seine Anteile an der B an die A und erzielte dabei einen Veräußerungsgewinn. Am 19.09.2012 beschloss die Gesellschafterversammlung der A eine Gewinnausschüttung. Davon entfielen 70% auf den Kläger. Eine Besteuerung des Veräußerungsgewinns oder der Gewinnausschüttung nahmen die zuständigen Finanzbehörden in BIH nicht vor.
Das Finanzamt erfasste im Bescheid für 2009 einen gewerblichen Veräußerungsgewinn aus der Anteilsveräußerung und im Bescheid für 2012 die Gewinnausschüttung als der Abgeltungsteuer unterliegenden Kapitalertrag. Die Kläger sind der Auffassung, Veräußerungsgewinn und Gewinnausschüttung seien nach Art. 8 i.V.m. Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien vom 26.03.1987, dessen unveränderte Fortgeltung Deutschland und BIH am 13.11.1992 vereinbart haben, von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer auszunehmen. Das Finanzamt meint demgegenüber, das DBA-Jugoslawien sei nur auf Gewinne aus Investitionen in eine jugoslawische Organisation der Vereinten Arbeit anwendbar. Daher würden nur nicht privatisierte Formen der vergesellschafteten Unternehmen erfasst, nicht hingegen die Nachfolgeorganisationen in Form juristischer Personen.
Die Klage hatte in erster Instanz Erfolg (FG Düsseldorf, Urt. v. 05.09.2017 - 3 K 2745/16 E - EFG 2017, 1652). Der BFH hat die Revision des Finanzamts durch Beschluss gemäß § 126a FGO zurückgewiesen.
Das Finanzgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass Deutschland weder hinsichtlich des Veräußerungsgewinns noch hinsichtlich der Gewinnausschüttung ein Besteuerungsrecht zustehe, sondern die Beträge lediglich im Rahmen des Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 2 EStG zu berücksichtigen seien. Bei dem im Jahr 2009 erzielten Gewinn des Klägers aus der Veräußerung der Anteile an der B an die A handle es sich um einen Gewinn aus der Veräußerung von Rechten aus einem Vertrag über Investitionen in einer jugoslawischen Organisation der Vereinten Arbeit i.S.d. Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien; die Gewinnausschüttung der A aus dem Jahr 2012 unterfalle Art. 8 Satz 1 DBA-Jugoslawien (Gewinn aus Investitionen in einer jugoslawischen Organisation der Vereinten Arbeit, den eine in Deutschland ansässige Person bezieht).
Der Begriff der Organisation der Vereinten Arbeit werde im DBA-Jugoslawien selbst nicht definiert. Dies habe seinen historischen Hintergrund darin, dass zur Zeit des Abschlusses des DBA-Jugoslawien im Jahr 1987 deutsche Steuerpflichtige aus Jugoslawien nicht Dividenden, sondern nur Gewinne aus der genannten Organisation erhalten konnten, die als sozialistische Unternehmensform durch das Selbstbestimmungsrecht der in der Organisation arbeitenden Menschen bestimmt war, aber die Investition privater Mittel mit dem Ziel der Gewinnerzielung erlaubte. Aus diesem Grund seien seinerzeit die Regelungen in Art. 8 und Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien vereinbart und der Dividendenartikel des Art. 11 DBA-Jugoslawien für Dividenden aus Deutschland einseitig gefasst worden, um zu einer sachgerechten Aufteilung der Besteuerungsrechte zu gelangen (vgl. Denkschrift zum Abkommen zu Art. 8,
BT-Drs. 11/886, S. 23 f.; Raber in: Wassermeyer, Jugoslawien Art. 8 Rn. 1). Durch das Gesetz über Unternehmen vom 29.12.1988 sei indessen die Anpassung der Organisationen der Vereinten Arbeit an neue Unternehmensformen (vergesellschaftete Unternehmen, Genossenschaftsunternehmen, Privatunternehmen oder gemischte Unternehmen) bis zum 31.12.1991 angeordnet worden. Im Anschluss daran entwickelten die Nachfolgestaaten der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien – und darunter auch BIH – ihr eigenes Gesellschaftsrecht. Spätestens seit Ende 1991 existierten Organisationen der Vereinten Arbeit nicht mehr.
Werde ein Begriff im Abkommen selbst nicht definiert und lasse sich der Bedeutungsinhalt – wie im Streitfall – auch nicht unmittelbar aus dem allgemeinen und im Einklang mit dem Sinn und Vorschriftenzusammenhang des Abkommens stehenden Sprachgebrauch gewinnen, kommt dem Begriff nach Art. 3 Abs. 2 DBA-Jugoslawien die Bedeutung zu, die ihm nach dem Recht über die Steuern des Anwendestaates (hier: Deutschland) zukomme. Indessen habe der Begriff der „Organisation der Vereinten Arbeit“ im deutschen Steuerrecht keine Bedeutung. Vielmehr handle es sich um einen Rechtsbegriff des jugoslawischen Rechts, an den die Abkommensparteien bewusst angeknüpft hätten. Es entspreche dann aber dem Zweck des Art. 3 Abs. 2 DBA-Jugoslawien, Entscheidungsharmonie zwischen der Abkommensauslegung und dem innerstaatlichen Steuerrecht des Anwendestaates dadurch herzustellen, dass der genannte Rechtsbegriff im Einklang mit der Begriffsbedeutung im anderen Vertragsstaat (hier: Jugoslawien) auszulegen sei. Ein anderes Verständnis würde ohne hinreichenden Grund die Gefahr fördern, dass das Abkommen in den einzelnen Vertragsstaaten unterschiedlich ausgelegt werde, und damit der im Grundsatz angestrebten Entscheidungsharmonie entgegenwirken.
Angesichts der gesellschaftsrechtlichen Entwicklung in Jugoslawien und seinen Nachfolgestaaten unterfielen nach zutreffender Auffassung auch die an die Stelle der Organisationen der Vereinten Arbeit getretenen Nachfolgeunternehmen und alle steuerpflichtigen juristischen Personen, die nach 1988 in Übereinstimmung mit dem jugoslawischen Gesellschaftsrecht bzw. dem Gesellschaftsrecht der Nachfolgestaaten errichtet worden seien, Art. 8 und Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien (Raber in: Wassermeyer, Jugoslawien Art. 8 Rn. 7 und 8). Der Senat halte an seiner Rechtsprechung zur sog. statischen Abkommensauslegung (BFH, Urt. v. 10.06.2015 - I R 79/13 - BStBl II 2016, 326; Anm. Märtens, jurisPR-SteuerR 45/2015 Anm. 1; BFH, Urt. v. 25.11.2015 - I R 50/14 - BStBl II 2017, 247; Anm. Lieber, jurisPR-SteuerR 25/2016 Anm. 4) fest, stelle aber klar, dass bei Vorliegen einer sog. Fortgeltungsvereinbarung für die Abkommensauslegung auf den Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung abzustellen sein könne.
Dafür spreche zunächst maßgeblich die Tatsache, dass in dem Zeitpunkt, in dem Deutschland und BIH die Fortgeltung des bisherigen DBA-Jugoslawien vereinbart hätten (13.11.1992), keine Organisationen der Vereinten Arbeit mehr existierten und dies beiden Vertragsstaaten auch bewusst gewesen sein müsse (dazu Graw, EFG 2017, 1655, 1656). Im Zeitpunkt des Abschlusses der Fortgeltungsvereinbarung seien wesentliche gesellschaftsrechtliche Entwicklungen in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens bereits vollzogen gewesen (Raber in: Wassermeyer, Jugoslawien Art. 8 Rn. 10) und seien nach bosnisch-herzegowinischem Gesellschaftsrecht alle vormaligen Organisationen der Vereinten Arbeit bereits hinsichtlich ihrer Rechtsform angepasst worden. Dass die Vertragsstaaten Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien angesichts dieser Tatsache ohne Anwendungsbereich hätten belassen und leerlaufen lassen wollen, sei nicht vorstellbar.
Nichts anderes könne aber auch für steuerpflichtige juristische Personen gelten, die nach 1988 errichtet worden seien. Insoweit ergebe sich aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. d Unterabs. i DBA-Jugoslawien, dass die Organisation der Vereinten Arbeit nur eine Sonderform der juristischen Person im Sinne des Abkommens sei, weil danach Gesellschaft im Sinne des Abkommens die vorgenannte Organisation und „andere“ juristische Personen seien. Die dort erwähnten anderen „der Steuer unterliegenden juristischen Personen“ würden zwar in Art. 8 und Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien nicht erwähnt, indessen sei die Organisation der Vereinten Arbeit bei Unterzeichnung des DBA-Jugoslawien die einzige Unternehmensform, in die Privatinvestoren hätten investieren können. Nur insoweit habe überhaupt die Gefahr einer Doppelbesteuerung von Gewinnen bestanden. Ein Anlass, in Art. 8 und Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien einen anderen Begriff als den der Organisation der Vereinten Arbeit zu wählen bzw. auf den in Art. 3 Abs. 1 Buchst. d DBA-Jugoslawien gewählten Begriff der „Gesellschaft“ abzustellen, habe damit nicht bestanden.