Enthält eine Widerspruchsbelehrung keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG erforderliche Form (teilweise Schriftform, teilweise Textform) des Widerspruchs, liegt kein geringfügiger Belehrungsfehler vor, durch den dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben.
- A.
Problemstellung
Der BGH befasst sich zum wiederholten Male mit den Auswirkungen einer inhaltlich fehlerhaften Widerspruchsbelehrung in diversen Lebensversicherungspolicen und insoweit zu der Einzelfallfrage, ob das sog. „ewige Widerspruchsrecht“ durch den Einwand von Treu und Glauben begrenzt werden kann, wenn die Widerspruchsbelehrung fehlerhaft war.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger, ein Insolvenzverwalter, forderte die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von 14 Versicherungsverträgen, die im sog. Policenmodell abgeschlossen wurden.
Die durch Fettdruck drucktechnisch hervorgehobene Widerspruchsbelehrung in den Versicherungsscheinen der Versicherungsnehmer 1 bis 13 lautete jeweils:
„(…) Wir weisen Sie darauf hin, dass damit die 14-tägige Frist für das Widerspruchsrecht (…) beginnt. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.“
Der Versicherungsnehmer 14 wurde drucktechnisch hervorgehoben über das ihm zustehende Widerspruchsrecht wie folgt belehrt:
„(…) Wir weisen Sie darauf hin, dass damit die 30-tägige Frist für das Widerspruchsrecht (…) beginnt. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.“
Sämtliche Versicherungsnehmer verkauften alle Rechte und Pflichten aus den Versicherungsverträgen in den Jahren 2009 bis 2012 an die nunmehrige Insolvenzschuldnerin, diese erklärte in der Folgezeit die Kündigung der einzelnen Versicherungsverträge und erhielt von der Beklagten errechnete Rückkaufswerte ausgezahlt.
Der Kläger widersprach mit Schreiben im Februar 2017 dem Zustandekommen sämtlicher Versicherungsverträge. Mit der Klage verlangt er die Rückzahlung der eingezahlten Prämien zuzüglich gezogener Nutzungen abzüglich der ausgezahlten Rückkaufswerte und Risikokosten im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung.
Das Berufungsgericht hat einen Zahlungsanspruch des Klägers aufgrund erklärter Widersprüche verneint. Über die Wirksamkeit der Abtretung müsse nicht entschieden werden. Jedenfalls sei der Kläger im Jahr 2017 nicht mehr berechtigt gewesen, dem Abschluss der unstreitig im sog. Policenmodell geschlossenen Verträge nach § 5a VVG a.F. zu widersprechen. Die Widerspruchserklärungen seien verfristet gewesen, weil Fehler in den Widerspruchsbelehrungen den Beginn der Widerspruchsfrist nicht gehindert hätten. Das Fehlen des Hinweises auf die einzuhaltende Form des Widerspruchs (VN 1 bis 5: Schriftform; VN 6 bis 14: Textform) in den erteilten Belehrungen sei abstrakt nicht dazu geeignet, den durchschnittlichen Versicherungsnehmer daran zu hindern, das ihm zustehende Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Jedenfalls sei das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie nach § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG aller hier maßgeblichen Fassungen erloschen. Die vorgenannte Regelung gelte weiter, wenn der Versicherungsnehmer zwar fehlerhaft belehrt, dieser Belehrungsmangel aber abstrakt nicht geeignet sei, ihn daran zu hindern, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben.
In hiesigen Fall lehnt der BGH jedoch eine solche Einschränkung des „ewigen Widerspruchsrechts“ ab. Enthalte eine Widerspruchsbelehrung keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG (hier in der Fassung vom 13.07.2001) erforderliche Form (hier Textform) des Widerspruchs, liege kein geringfügiger Belehrungsfehler vor, da dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen werde, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben.
Für 13 der 14 Verträge (VN 2 bis 14) verwies der BGH den Fall deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Bei einem weiteren Versicherungsvertrag hatte die Versicherungsnehmerin die ihr aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag zustehenden Rechte und Ansprüche bereits vor dessen Abschluss an eine Bausparkasse abgetreten. Insoweit erklärte das Berufungsgericht, der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung durften bei der beklagten Versicherung ein schutzwürdiges Vertrauen in den unbedingten Bestand des Vertrages begründen (vgl. BGH, Beschl. v. 27.01.2016 - IV ZR 130/15 Rn. 16).
Der BGH erklärte die Revision für unzulässig mangels Zulassung. Das Berufungsgericht habe die Revisionszulassung wirksam auf die Frage beschränkt, ob ein geringfügiger Belehrungsmangel zum Ausschluss des Widerspruchsrechts führe und damit auf Ansprüche aus den Versicherungsverträgen.
Bei dem hiesigen Vertrag habe das OLG Düsseldorf das Widerspruchsrecht mit der selbstständig tragenden Begründung des Rechtsmissbrauchs verneint.
- C.
Kontext der Entscheidung
Nach Grundsatzentscheidungen des EuGH und des BGH in den Jahren 2013 und 2014, die zugunsten des Versicherungsnehmers einer im Policenmodell abgeschlossenen Lebensversicherung ein ewiges Widerspruchsrecht anerkannten, hatten zahlreiche Versicherungsnehmer dem Abschluss der Verträge widersprochen sowie deren Rückabwicklung verlangt.
Beim sog. „Policenmodell“ galt bis zu diesem Zeitpunkt der Vertrag gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb der Widerspruchsfrist dem Abschluss des Versicherungsvertrages widersprach. Die Frist begann gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die weiteren Unterlagen vorlagen und er bei Aushändigung des Versicherungsscheins in drucktechnisch deutlicher Form belehrt worden war. Das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers erlosch jedoch gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie. Ende 2013 stellte der EuGH die Europarechtswidrigkeit der Regelung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. fest (vgl. EuGH, Urt. v. 19.12.2013 - C-209/12). Der BGH folgerte daraus, dass § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. richtlinienkonform dergestalt eingeschränkt ausgelegt werden müsse, dass im Bereich der Lebensversicherungen das Widerspruchsrecht eines Versicherungsnehmers, der nicht ordnungsgemäß belehrt wurde, grundsätzlich zeitlich unbegrenzt fortbestehe (vgl. BGH, Urt. v. 07.05.2014 - IV ZR 76/11).
Im Nachgang zu diesem Urteil folgte jedoch eine Reihe von Entscheidungen, die dieses ewige Widerspruchsrecht über das Rechtskonstrukt des § 242 BGB wieder inhaltlich eingeschränkt haben.
Der BGH geht bei einer fehlerhaften Widerspruchsbelehrung dann von einer Begrenzung des Widerspruchsrecht aus, wenn der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten den Eindruck erweckt, den Vertrag unbedingt fortsetzen zu wollen, und sein nachträglicher Widerspruch deshalb als treuwidrig erscheint (subjektive Variante) oder wenn die Ausübung des Widerspruchsrechts deshalb als treuwidrig angesehen werden konnte, weil der Belehrungsmangel so unwesentlich ist, dass er den Versicherungsnehmer nicht ernsthaft von der fristgemäßen Ausübung des Widerspruchsrechts abhalten kann (objektive Variante). Auch dann könne der Widerspruch als rechtsmissbräuchliches Verhalten angesehen werden.
Im Kern geht es in der zweiten, auch hier für 13 der Versicherungsverträge relevanten Konstellation, darum, unter welchen Voraussetzungen ein Belehrungsmangel so geringfügig ist, dass darin eine „im Ergebnis folgenlose Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Belehrung“ liegt. Dabei war durch den Senat zunächst zu klären, ob hinsichtlich der Rechtsfolgen eines Belehrungsmangels überhaupt nach dessen Gewicht zu differenzieren ist. Der Versicherungssenat bejahte dies in aller Klarheit am 15.02.2023 (IV ZR 353/21) und knüpft dabei an die Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 19.12.2019 - C-355/18, C-356/18, C-357/18, C-479/18) an, wonach es unverhältnismäßig wäre, dem Versicherungsnehmer die Lösung vom Vertrag zu ermöglichen, wenn ihm der Belehrungsfehler nicht die Möglichkeit nimmt, das Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Hintergrund sei das Übermaßverbot.
Der BGH erklärte, dass ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliege, wenn dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen werde, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, das sei der Fall, wenn die Widerspruchbelehrung anstatt auf die Textform nur auf die Schriftform hinweise. Unter diesen (engen) Voraussetzungen liege ein geringfügiger Belehrungsfehler vor, der einer Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 242 BGB entgegenstehe. Im dortigen Einzelfall wurde nur über die Widerspruchserklärung in Schriftform anstelle der seit dem 01.08.2001 ausreichenden Textform belehrt. Dies könne die Versicherungsnehmer nicht ernsthaft von der Ausübung des Widerspruchsrechts innerhalb der bei ordnungsgemäßer Belehrung gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. geltenden Frist abgehalten haben. Denn die Ausübung der Schriftform stelle keine wesentliche Erschwernis im Vergleich zur Textform dar. Da der Versicherungsnehmer mit einer schriftlichen Erklärung, wie sie laut Belehrung notwendig erschienen sei, zum einen die gesetzlich vorgesehene Textform jedenfalls erfüllt habe, also eine wirksame Erklärung abgeben hätte können, und zum anderen den Vorteil der leichteren Beweisbarkeit der Einhaltung des Formerfordernisses habe in Anspruch nehmen können, erscheine es im Lichte der Rechtsprechung des EuGH als unverhältnismäßig, unter Hinweis auf diesen Fehler in der Belehrung die Lösungsmöglichkeit des Versicherungsnehmers zeitlich unbegrenzt zuzulassen.
Am 15.03.2023 entschied der BGH (IV ZR 40/21) aber, es liege hingegen kein nur geringfügiger Belehrungsfehler vor, wenn die Belehrung überhaupt keinen Hinweis auf die Form des Widerspruchs gebe. Die Voraussetzungen für einen geringfügigen Belehrungsmangel sind also sehr eng.
Im hiesigen Fall fehlte in den Widerspruchsbelehrungen zu den Versicherungsverträgen ebenfalls jeglicher Hinweis auf die erforderliche Schrift- bzw. Textform des Widerspruchs. Denn dieses Formerfordernis konnten die jeweiligen Versicherungsnehmer – laut dem Senat – nicht aus der Formulierung entnehmen, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genüge. Vielmehr werde der Versicherungsnehmer – anders als das Berufungsgericht meint – annehmen, dass ein formloser Widerspruch genüge.
Der Senat setzt insofern also seine Rechtsprechung fort (so auch BGH, Urt. v. 17.04.2024 - IV ZR 125/22; und danach BGH, Urt. v. 26.06.2024 - IV ZR 421/22).
- D.
Auswirkungen für die Praxis
Auch fast zehn Jahre nach den – oben angesprochenen – Grundsatzentscheidungen des EuGH (vgl. EuGH, Urt. v. 19.12.2013 - C-209/12) und des BGH (vgl. BGH, Urt. v. 07.05.2014 - IV ZR 76/11) widersprechen nach wie vor viele Versicherungsnehmer ihren Lebensversicherungsverträgen, die sie in der Zeit vor dem Inkrafttreten des VVG n.F. am 01.01.2008 nach dem „Policenmodell“ abgeschlossen hatten. Es ist inzwischen aber ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, dass Versicherungsnehmer, die bei Abschluss ihres Lebensversicherungsvertrages überwiegend ordnungsgemäß – also entsprechend den Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. – über ihr Widerspruchsrecht belehrt wurden, sich nach jahrelanger Durchführung dieses Versicherungsvertrages wegen widersprüchlicher Rechtsausübung nicht auf dessen Unwirksamkeit berufen können.
Es zeigt sich, gerade in Bezug auf die Abgrenzung zwischen der Entscheidung des BGH aus Februar und März 2023, dass die Gerichte sich sehr detailliert mit den Formulierungen und Vorstellungen der Parteien zu der jeweils streitgegenständlichen Widerspruchsbelehrung auseinandersetzen und alle tatsächlichen Umstände des Einzelfalls bei ihrer Bewertung würdigen müssen.
Im Ergebnis bedeutet die Entscheidung des BGH für die Praxis erneut ein Stück zusätzliche Klarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Auswirkung, die eine inhaltlich fehlerhafte Widerspruchsbelehrung auf das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers hat.
Trotz dessen bleibt die Abwägung in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung.
Das Urteil stärkt die Rechte der Versicherungsnehmer, indem es die Bedeutung korrekter Widerspruchsbelehrungen unterstreicht und die Möglichkeit der Rückabwicklung von Verträgen auch nach längerer Zeit offenhält.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Weiterer Schwerpunkt der Entscheidung war die Nichtzulassung der Revision für einen der Versicherungsverträge, dessen Widerspruchsbelehrung anders lautete. Die Revisionszulassung habe die Berufungsfrage zulässig darauf beschränkt, ob ein geringfügiger Belehrungsmangel zum Ausschluss des Widerspruchsrechts geführt habe. Die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage beschränke sich hier auf diesen eindeutig abgrenzbaren selbstständigen Teil des Streitstoffs (vgl. BGH, Beschl. v. 27.09.2023 - IV ZR 123/21).
In Bezug auf den weiteren Versicherungsvertrag greife hingegen die selbstständig tragende Begründung, dass ein Anspruch insoweit jedenfalls wegen Rechtsmissbrauchs ausscheide.
Daraus zeigt sich auch, dass immer noch die subjektive Seite abzuprüfen ist. Gerade wenn – wie hier – ein erheblicher Belehrungsmangel vorliegt (denn auch in dieser Belehrung wurde nicht auf die notwendige Form hingewiesen), kann dem Bereicherungsanspruch des Klägers jedenfalls der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenstehen.