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Nr: JURE240003590


LG Berlin II 64. Zivilkammer , Urteil vom 8. Februar 2024 , Az: 64 S 319/21

BGB § 906 ,


Leitsatz

Nach Vorgabe des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes soll ein Vermieter nicht schon für jede mehr als unerhebliche Beeinträchtigung des bis zu der Veränderung der äußeren Umstände gewohnten Nutzens der Mietsache einzustehen haben, sondern nur für solche Umfeldveränderungen, die er selber nach Maßgabe des § 906 BGB abwehren kann oder nur gegen Ausgleichszahlung hinnehmen muss. Die Freiheit von dahinter zurückbleibenden Einwirkungen auf das Grundstück, die ein Grundstückseigentümer ausgleichslos hinnehmen muss, sind danach gar nicht Gegenstand des vertraglichen Leistungsversprechens des Vermieters und der Gewährleistung.

(Anschluss/Umsetzung BGH – VIII ZR 258/19 –, Urt. v. 24. November 2021, GE 2022, 93 ff. und BGH – VIII ZR 31/18 –, Urteil v. 29. April 2020, GE 2020, 865 ff.; entgegen LG Hamburg – 311 S 5/22 –, Urt. v. 13. Januar 2023, ZMR 2023, 637 f.)


Fundstellen

Grundeigentum 2024, 286-288 (LT)

Verfahrensgang

vorgehend AG Berlin-Charlottenburg 17.11.2021 211 C 98/21
nachgehend BGH 0.00.0000 VIII ZR 30/24

Langtext


Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 17. November 2021 – 211 C 98/21 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Streithelferin der Beklagten zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision der Klägerin wird zugelassen.


Gründe

I.

Die Klägerin als Mieterin einer Wohnung macht gegen die Beklagte als Vermieterin Mietminderung geltend, weil sie den Nutzen der Wohnung durch den Betrieb einer Baustelle auf dem Nachbargrundstück für erheblich beeinträchtigt hielt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich der im ersten Rechtszug zur Verhandlung gestellten Sachanträge wird zunächst auf die tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils Bezug genommen, wobei klarzustellen ist, dass der Abriss der Bestandsgebäude bereits im Zeitraum ab 2019 stattfand und nicht Gegenstand der Klage ist; die Beklagte gestand insoweit eine Mietminderung von 10 % zu.

Das Amtsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe nicht schlüssig dargetan, dass der Nutzen der Wohnung im Zeitraum ab 15. April 2020 durch die Baustelle über das nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ersatzlos hinzunehmende Maß hinaus beeinträchtigt gewesen sei. Die Klägerin habe zur konkreten Beeinträchtigung des Wohnungsnutzens nicht ausreichend vorgetragen, sondern im Wesentlichen bloß geltend gemacht, dass sie die Wohnung nur in Baupausen habe lüften können. Soweit sie die Unbenutzbarkeit des Balkons wegen Lärm und Staub behauptet habe, sei das unschlüssig, weil unklar bleibe, wo sich der Balkon im Verhältnis zur Baustelle auf dem Nachbargrundstück befinde.

Gegen das ihr am 24. November 2021 zugestellte Urteile wendet sich die Klägerin mit ihrer am 8. Dezember 2021 eingelegten und am 24. Januar 2022 begründeten Berufung. Sie macht geltend, dass sie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausreichend zu den Auswirkungen der Baumaßnahmen vorgetragen habe; es sei daher nun Sache des Gerichts, in die Beweisaufnahme einzutreten und sich davon zu überzeugen, ob ein Mangel vorliege oder nicht.

Die Kammer hat die Klägerin zunächst mit Beschluss vom 20. Juni 2022 darauf hingewiesen, dass sie die Berufung durch einstimmigen Beschluss als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen beabsichtige. Die Klägerin habe nicht schlüssig dargetan, dass von der Baustelle wesentliche Beeinträchtigungen im Sinne des § 906 BGB ausgingen. Die Klägerin hat daraufhin noch einmal auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwiesen und geltend gemacht, dass die Kammer die geltend gemachte Wesentlichkeit der Beeinträchtigungen nicht nach Lage der Akten, sondern erst auf Grundlage einer Beweisaufnahme beurteilen könne.

Die Klägerin trägt zum Ablauf der Baumaßnahmen stichpunktartig wie folgt vor:

15. April 2020

Beginn der Errichtung mehrerer Gebäude auf dem Nachbargrundstück; Planierung des 60 m x 90 m großen Geländes mit schweren Maschinen; Ausheben von Baugruben und Wegstemmen von Mauerresten; ca. 15-fach täglich Schuttabtransport mittels LKW, die nicht abgedeckt werden. Die Baustelle beginne 10 m rechts (bei Sicht auf das Gebäude) von der Haustür, auf der gleichen Straßenseite

Mai 2020 bis Juni 2020

es würden Stahlträger in die Baugruben gerammt; Drehbohrgeräte mit Dieselgestank würden bis Mitte Juni 2020 genutzt; Ausschachten werde fortgesetzt, Quietschen der Ketten und Piepsen beim Rückwärtsfahren, hupende LKW; Betonmischfahrzeuge täglich auf der Straße vor der Wohnung

Juli 2020

Wegstemmen, polterndes Aufladen und Abtransport alter Betonfundamente

August 2020

Zuschnitt von Brettern für die Verschalung mittels Kettensägen; weiterhin Erdarbeiten und -transport

September 2020 ausgegossene Gründungspfähle würden mit Trennschleifern und Stemmbohrern auf einheitliche Höhe gebracht; im mittleren Fundament würden wieder Mauerreste weggehämmert und abtransportiert

Oktober 2020

kurze Baupause bis Ende Oktober 2020, dann weiter Zerschlagung alter Mauerreste und Erdarbeiten

November 2020 bis 11. Februar 2021

Fortsetzung dieser Maßnahmen, außer in der Baupause vom 20. Dezember 2020 bis 15. Januar 2021

12. Februar 2021 bis Frühsommer 2021

Errichtung Rohbau und parallel weitere Erdarbeiten; Aufbau zweier Kräne, krachendes Einschlagen von Bolzen; Sandverdichtung in Baugrube mittels Rüttler

Februar 2021 bis März 2021

Zuschnitt per Flex und Verlegung von Eisengittergeflecht für Bodenplatte des zentralen Wirtschaftshofs; am 17. März 2021, 6.15 h bis nach 21.00 h Betonarbeiten unter Einsatz Flügelglätter

April 2021

Maurerarbeiten; kreischender Lärm durch Steintrennmaschinen, auch Ostersamstag; regelmäßig Samstagarbeit 7h bis 13h

Mai 2021

Verschärfung der Lärmbelastung, da Straße aufgerissen werde, um Fernwärmeanschluss herzustellen; Dieselgeruch und starke Staubentwicklung durch Betonfräsen; Staub auf Fensterbänken
Bauarbeiter brüllten laut, um sich zu verständigen; hörten laut Musik, insbesondere samstags

Sommer 2021 Fertigwände und andere Fertigbauteile würden per LKW angeliefert, laufende Motoren, pp.

Juli 2021 Bagger brächten Sand von Lagerstelle Ecke A…, ständig Verkehr vor Wohnung und Balkon

Oktober 2021 Aufbau der Gerüste; Geschepper beim Abladen, Hämmern beim Aufbau; Gebrüll der Arbeiter nun näher auf Gerüsten; ab da Schabegeräusche durch Putzarbeiten; Arbeiter brüllen über Radios und Baulärm hinweg

November 2021 bis Dezember 2021

Lärm durch Schließung von Fensteröffnungen in der Brandmauer zum Nachbargrundstück im Haus; durchgehend Steinschneider und Baumaschinen

Mai 2022 Abbau Gerüst; laut, und Abtransport

Oktober 2022 bis November 2022 Rüttlereinsatz, zwecks Verdichtung und Bepflanzung

Zu den Auswirkungen der Baumaßnahme trägt die Klägerin stichpunktartig wie folgt vor:

- Lüften könne sie seit einem Jahr nur noch in den Baupausen; ihren Balkon könne sie de facto nicht mehr nutzen, auch wegen Schmutz; dies habe während des Corona-Lockdowns besonders schwer gewogen. Die Nichtnutzbarkeit des Balkons und die stark eingeschränkte Lüftungsmöglichkeit für die Wohnung stellten wesentliche Beeinträchtigungen dar.

- Pflanzentöpfe auf einer Blumenbank bewegten sich und Geschirr klirre in Schränken durch Rammarbeiten in Mai und Juni 2020.

- Die Klägerin spüre während der Sandverdichtung in der Baugrube mittels Rüttler Erschütterungen im ganzen Körper.

- Mehrere Mieter unterzeichnen im März 2021 eine „Petition“ an das Bezirksamt, da der Lärm verbunden mit dem Lockdown eine unzumutbare Belastung darstelle und zu Gesundheitsschäden führe

- Seit Beginn der Bauarbeiten seien drei Mietparteien ausgezogen, um der Dauerbelastung zu entgehen

- 10 % Mietminderung sei viel zu wenig, da eine solche Quote schon allein für die bloße Beeinträchtigung des Balkons anzusetzen sei

Mit Schriftsatz vom 27.04.2023 hat die Beklagte der Streithelferin den Streit verkündet, welche dem Streit auf Seiten der Beklagten beigetreten ist.

Die Klägerin hat zunächst angekündigt, den erstinstanzlichen Feststellungsantrag uneingeschränkt weiter zu verfolgen. In der mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 2023 hat sie ihr Begehren umgestellt und beantragt nunmehr sinngemäß,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin den auf den Zeitraum 15. April 2020 bis 14. Oktober 2022 entfallenden Minderungsbetrag von 35 % der Bruttowarmmiete in Höhe von 6.373,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Dezember 2023 zu zahlen.

Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Wesentliche Störungen seien nicht dargetan und hätte es auch nicht gegeben. Weder die Steintrenngeräte noch die Motorsägen hätten eingehaust werden können, da diese jeweils unmittelbar am Einsatzort benötigt worden seien und sich die Bauzeit andernfalls insgesamt unzumutbar verlängert hätte.

Die Kammer hat Beweis erhoben über Ausmaß und Auswirkungen der Baumaßnahmen durch Vernehmung der Zeugen G., Sch. und B.. Wegen der Einzelheiten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2023 verwiesen (Bl. 107 ff. d. A.).

II.

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 517, 519, 520 ZPO.

2. Sie ist jedoch nicht begründet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat das Amtsgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Die Kammer hat sich nicht die Überzeugung verschaffen können, dass die Baumaßnahmen zu im Sinne des § 906 BGB wesentlichen Beeinträchtigungen geführt hätten, die die Beklagte gemäß § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB hätte unterbinden können oder gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nur gegen eine angemessene Ausgleichszahlung hätte dulden müssen.

Die Kammer folgt im Ausgangspunkt den Vorgaben des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, die sie im Hinweisbeschluss vom 20. Juni 2022 wie folgt zusammengefasst hat:

„Die Parteien haben mit dem Mietvertrag keine Vereinbarungen über Umwelteinflüsse und das zulässige Maß der auf die Wohnung einwirkenden Lärmimmissionen getroffen; es gibt insbesondere weder eine ausdrückliche noch konkludente Beschaffenheitsvereinbarung der Parteien dahin, dass das Mietobjekt im Verlaufe des Mietverhältnisses niemals höheren Immissionen als zu Vertragsbeginn ausgesetzt sein dürfe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH – VIII ZR 31/18 –, Urteil v. 29.04.2020, GE 2020, 865; BGH – VIII ZR 197/14 –, GE 2015, 849), ergibt sich im Wege ergänzender Vertragsauslegung, dass benachbarte baustellenbedingte Störungen des Mietgebrauchs nur insoweit einen Mangel darstellen und zur Mietminderung nach § 536 Abs. 1 BGB führen, als der Vermieter die Störungen nach § 906 Abs. 1 BGB hätte unterbinden können oder ihm gegen den Nachbarn Ausgleichsansprüche nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB erwachsen.

Dies darzulegen und zu beweisen obliegt dem Mieter (vgl. BGH – VIII ZR 31/18 –, Urteil vom 29.04.2020, GE 2020, 865, Rn. 81, zitiert nach juris). Die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung nach § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB dient dazu, „sozialadäquate“ Belästigungen im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis von „über eine bloße Belästigung hinausgehenden, körperliches Unbehagen hervorrufenden und deshalb wesentlichen Beeinträchtigungen“ abzugrenzen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 82). Der Mieter muss daher bei wiederkehrenden Beeinträchtigungen beschreiben, um welche Art von Beeinträchtigungen es geht und zu welchen Tageszeiten, über welche Zeitdauer und in welcher Frequenz diese ungefähr auftreten sowie ferner dartun, dass es sich bei den geltend gemachten Immissionen um wesentliche Beeinträchtigungen im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 84).“

Das Landgericht Hamburg beschreibt die sich daraus für einen Mieter ergebende Darlegungslast wie folgt (LG Hamburg – 311 S 5/22 –, Urt. v. 13.01.2023, ZMR 2023, 637 f., Rn. 7, zitiert nach juris):

„Die Darlegungs- und Beweislast verteilt sich nach den im Wohnraummietrecht geltenden Grundsätzen nach Verantwortungsbereichen. Deshalb hat der Mieter darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass die von ihm angemietete Wohnung aufgrund der benachbarten Baustelle Geräusch- und Schmutzimmissionen ausgesetzt ist, welche die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung unmittelbar (erheblich) beeinträchtigen, und dass es sich dabei um eine wesentliche Beeinträchtigung i. S. d. § 906 Abs. 1 S. 1 BGB handelt (BGH, NZM 2020, 598 Rn. 64 ff., beck-online; NZM 2022, 178 Rn. 40, beck-online). Insoweit ist es weder erforderlich, dass der Mieter Lärmprotokolle führt noch, dass er das Ergebnis einer Messung des von den Bauarbeiten ausgehenden Schalldruckpegels in Dezibel (dB) vorlegt. Der Mieter genügt seiner Darlegungslast vielmehr bereits mit einer Beschreibung, aus der sich ergibt, um welche Art von Beeinträchtigung es geht und zu welchen Tageszeiten, über welche Zeitdauer und in welcher Frequenz diese ungefähr auftreten, soweit sich daraus der Rückschluss auf eine i. S. d. § 906 Abs. 1 S. 1 BGB wesentliche Beeinträchtigung ergibt. Ausreichend ist die Beschreibung dieser Beeinträchtigungen nach den für das streitgegenständliche Bauvorhaben üblichen Bauphasen (BGH, NZM 2020, 598, Rn. 83-85, beck-online; NZM 2022, 178, Rn. 41/42, beck-online).“

a) Ebenso wie das Landgericht Hamburg in seinem Fall hat die Kammer vorliegend nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keinen Zweifel daran, dass der nach dem Mietvertrag vorgesehene und gewöhnlich gewährte Nutzen der Mietwohnung auf Grund der von der Baustelle ausgehenden Störungen jedenfalls bis zum Abschluss der Rohbauarbeiten Ende Oktober 2021 außerhalb der Baupausen mehr als nur unerheblich beeinträchtigt war. Der von der Klägerin geschilderte und von den Zeugen bestätigte Staub sowie vor allem der Lärm, verursacht insbesondere durch die Rammarbeiten im Mai und Juni 2020, durch das maschinelle Wegstemmen massiver Betonfundamente ab Juli 2020, durch den Einsatz von Steintrennmaschinen ab April 2021 sowie auch durch den intensiven Schwerlastverkehr auf der sonst eher ruhigen Anliegerstraße vor dem von der Klägerin genutzten Balkon, bedingte zur Überzeugung der Kammer, dass die Klägerin die Wohnung während des Baubetriebs tagsüber nicht lüften und sich während dieser Zeiten auf dem Balkon nicht mehr zu Erholungszwecken aufhalten konnte. Der Nutzen der Wohnung war durch den Lärm auch im Übrigen mehr als unerheblich eingeschränkt. Die Zeugen haben übereinstimmend und gut nachvollziehbar geschildert, dass Telefonate oder persönliche Gespräche innerhalb ihrer jeweiligen Wohnungen nur erschwert möglich waren und eine gegenseitige Verständigung lautes Rufen erforderte. Die Kammer geht daher davon aus, dass es auch in der Wohnung der Klägerin allenfalls eingeschränkt möglich war, beispielsweise im Homeoffice zu arbeiten, da die Baugeräusche insbesondere einer aktiven Teilnahme an Telefon- oder Videokonferenzen entgegenstanden.

b) Anders als das Landgericht Hamburg in seinem Fall und vorliegend die Klägerin vermag die Kammer allerdings nicht festzustellen, dass es sich bei diesen mehr als unerheblichen Beeinträchtigungen des gewöhnlichen Nutzens der Mietsache zugleich um ausgleichspflichtige wesentliche Nutzungsbeeinträchtigungen im Sinne des § 906 BGB handelte.

Nach Vorgabe des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes soll ein Vermieter nämlich nicht schon für jede mehr als unerhebliche Beeinträchtigung des bis zu der Veränderung der äußeren Umstände gewohnten Nutzens der Mietsache einzustehen haben, sondern nur für solche Umfeldveränderungen, die er selber nach Maßgabe des § 906 BGB abwehren kann oder nur gegen Ausgleichszahlung hinnehmen muss; die Freiheit von dahinter zurückbleibenden Einwirkungen auf das Grundstück, die ein Grundstückseigentümer ausgleichslos hinnehmen muss, sind danach gar nicht Gegenstand des vertraglichen Leistungsversprechens des Vermieters und der Gewährleistung. Die ursprüngliche dagegen stehende Erwägung der Kammer, dass das Risiko einer nach Mietvertragsschluss – auch zufällig – eintretenden Verringerung des Nutzens der Mietsache grundsätzlich der Risikosphäre des Vermieters zuzuordnen sei (LG Berlin – 18 S 211/16 –, Urt. v. 07.06.2017, GE 2017, 1550 f., Rn. 10, zitiert nach juris), hat der Bundesgerichtshof unter Hinweis darauf verworfen, dass es sich bei einer durch Dritte verursachten Nutzungsbeeinträchtigung aus Sicht beider Vertragsparteien um ein unabwendbares Ereignis handeln könne, für das ein Vermieter erkennbar keine Haftung übernehmen wolle und billigerweise auch nicht übernehmen müsse. Auf den Hinweis der Kammer, dass die Konturierung des Mangelbegriffs am Maßstab des § 906 BGB (so BGH – VIII ZR 258/19 –, Urt. v. 24.11.2021, GE 2022, 93 ff., Rn. 31, zitiert nach juris) darauf hinauslaufe, dem Mieter während der Laufzeit des Mietverhältnisses das Risiko einer vom Vermieter als Eigentümer entschädigungslos hinzunehmenden Wohnwertverschlechterung allein zuzuweisen, statt ihn bloß „an der jeweiligen Situationsgebundenheit des Mietgrundstücks“ – anteilig – teilhaben zu lassen (LG Berlin, a. a. O.), ist der Senat dabei nicht eingegangen.

Nun führt zwar der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 24. November 2021 aus, ein Mieter müsse zur Darlegung der Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung letztlich nicht mehr darlegen und beweisen als im Falle nicht mehr sozialadäquater Lärmstörungen aus einer Nachbarwohnung (BGH – VIII ZR 258/19 –, Urt. v. 24.11.2021, GE 2022, 93 ff., Rn. 40 f., zitiert nach juris); und im damaligen Fall hielt es der Bundesgerichtshof für den Eintritt in die Beweisaufnahme über die Wesentlichkeit der Beeinträchtigungen zunächst gar für ausreichend, dass die Mieter unter Beschreibung der Bauphasen vorgetragen hatten, sie hätten die Wohnungsfenster tagsüber nicht mehr öffnen und trotz geschlossener Fenster in der Mehrzahl der Zimmer keine Unterhaltungen mehr führen können (BGH, a. a. O., Rn. 44). Die Kammer geht gleichwohl davon aus, dass an die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung, auch soweit sie im Rahmen des § 536 BGB zur Konturierung des Mangelbegriffs zu prüfen ist, der selbe in der Rechtsprechung des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes entwickelte strenge Maßstab anzulegen ist, der bei der unmittelbaren Anwendung des § 906 BGB im Nachbarschaftsrecht gilt; andernfalls liefe das Kriterium nicht nur weitgehend leer, sondern sähe der Vermieter sich mietvertraglichen Gewährleistungsansprüchen nach §§ 536, 536a BGB ausgesetzt, ohne erfolgreich gegen den Grundstücksnachbarn als Verursacher der Störungen vorgehen und diesen gegebenenfalls in Regress nehmen zu können.

Wie der bereits im Urteil der Kammer zu 18 S 211/16 zitierte Fall „Porta Nigra“ (BGH – V ZR 204/73 –, Urt. v. 26.09.1975, ZMR 1977, 19 ff., zitiert nach juris) exemplarisch verdeutlicht, muss selbst die durch nachbarliche Baumaßnahmen bedingte Unbenutzbarkeit einer zum Betrieb eines Cafés verpachteten Freifläche keine nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ausgleichspflichtige wesentliche Beeinträchtigung darstellen, wenn die Baumaßnahme ortsüblich und dem Grundstückseigentümer wegen seines mittelbaren Interesses an ihrer Durchführung zumutbar ist. Für einen strengen Prüfungsmaßstab spricht vorliegend auch das besondere öffentliche Interesse am Bau neuer Wohnungen. Würde die Wesentlichkeit der Beeinträchtigungen vorschnell bejaht oder den Grundstücksnachbarn auch schon für duldungspflichtige Beeinträchtigungen ein Ausgleichsanspruch zuerkannt, die einem Sonderopfer in Form eines enteignungsgleichen Eingriffs noch nicht nahekommen, müsste jeder Bauherr erhebliche Beträge für die Entschädigung sämtlicher Anlieger des Baugrundstücks einkalkulieren und würde sich der Bau neuer Wohnungen drastisch verteuern.

Aus den im Einzelnen bereits mit dem Hinweisbeschluss vom 20. Juni 2022 aufgezeigten Gründen vermag die Kammer danach auch unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht festzustellen, dass von der Baustelle wesentliche Beeinträchtigungen ausgingen, die die Beklagte nach § 906 BGB hätte unterbinden können oder die ihr nur gegen Ausgleichszahlung zuzumuten waren. Die Neubebauung des Nachbargrundstücks als solche stellt sich, solange sie nicht öfter als alle 50 Jahre stattfindet, auch der konkreten erheblichen Ausmaße nach als ortsübliche Nutzung des Grundstücks dar, die die Beklagte ausweislich der der Streithelferin erteilten Baugenehmigung nicht hätte unterbinden können und die sie entschädigungslos hinzunehmen hatte. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass sich die durch das Bauvorhaben verursachten Störungen nicht mehr im ortsüblichen Rahmen gehalten hätten, namentlich die Vorgaben der AVV Baulärm verletzt hätten. Jedenfalls in zeitlicher Hinsicht ist dies unstreitig, da in der AVV Baulärm als Nachtzeit die Zeit von 20:00 Uhr bis 7:00 Uhr definiert ist und die Klägerin nicht bewiesen hat, dass auf der Baustelle – außer an einem einzigen Tag, als eine Betonplatte errichtet wurde – morgens vor 7:00 Uhr oder abends nach 20:00 Uhr gearbeitet wurde. Auf Grundlage des Vortrages der Klägerin und der Zeugenaussagen ist auch nicht erkennbar, dass der Immissionsrichtwert (tagsüber) von 55 dB(A), den die AVV Baulärm für Gebiete vorsieht, in denen vorwiegend Wohnungen untergebracht sind, überschritten worden sei. Soweit die Klägerin bemängelt, dass die Steintrenngeräte zur Schalldämmung hätten eingehaust werden müssen, aber stattdessen überall auf der Baustelle mobil benutzt worden seien, haben die Beklagte und ihre Streithelferin auf die Unüblichkeit einer solchen Maßnahme sowie darauf verwiesen, dass sich die Baumaßnahme im Falle der Nutzung einer einzigen zentralen, eingehausten Steintrennmaschine insgesamt erheblich verlängert und auch verteuert hätte. Die Kammer hält dies für schlüssig und geht davon aus, dass es der Streithelferin der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Bauherrin jedenfalls im Sinne des § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB wirtschaftlich nicht zuzumuten gewesen wäre, nur eine einzige zentrale Steintrennmaschine mit einer Schutzumhausung vorzusehen. Die Beeinträchtigungen sind ihrer Intensität und ihrer Dauer nach insgesamt auch nicht derart gewichtig, dass ihre Duldung einem Sonderopfer in Form eines enteignungsgleichen Eingriffs nahe käme und deswegen nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB eine Ausgleichszahlung erforderten. Das gilt auch unter Berücksichtigung des an und für sich überflüssigen Lärms durch Bauarbeiter, die sich nach Vortrag der Klägerin und von den Zeugen bestätigt teils laut rufend verständigt und Musik gehört hätten; denn letztlich handelt es sich auch dabei um eine für einen Bauherrn praktisch nicht zu unterbindende Begleiterscheinung eines solchen Bauvorhabens, die einen Härteausgleich zu Gunsten des Grundstücksnachbarn nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht erfordert.

3. Die Kostenentscheidung folgt §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Kammer lässt gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision der Klägerin zu, da dies zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich erscheint. Die Kammer misst den für die Konturierung des Mangelbegriffs herangezogenen Kriterien des § 906 BGB augenscheinlich eine andere Gewichtung und Bedeutung bei als beispielsweise das Landgericht Hamburg in seiner oben zitierten Entscheidung vom 13. Januar 2023 (LG Hamburg – 311 S 5/22 –, Urt. v. 13.01.2023, ZMR 2023, 637 f., zitiert nach juris).


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