OLG München 6. Zivilsenat, Urteil vom
7.März 2024 , Az: 6 U 1509/14
Verfahrensgang
vorgehend LG München I 13.03.2014 11 HK O 12091/13
nachgehend BGH 01.01.+1000000000 I ZR 74/24
Langtext
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 13.03.2014, Az. 11 HK O 12091/13, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass im Tenor zu Ziff. I. 1. des Urteils das Wort „insbesondere“ gestrichen wird.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffern I.1. und I.2. des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils EUR 75.000,00 abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Parteien streiten um die lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit der Gewährung von Boni bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch eine im EU-Ausland ansässige Versandapotheke.
Der Kläger ist ein berufsständischer Interessensvertreter der in B. ansässigen selbständigen Apotheker mit Sitz in M. Zu seinen satzungsmäßigen Aufgaben zählt insbesondere die Förderung lauteren und die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs und anderer Missstände sowie schädigender Auswüchse im geschäftlichen Verkehr.
Die Beklagte ist ein in den Niederlanden ansässiges Pharmaunternehmen. Als Schwesterunternehmen der zur schweizerischen Z. R. AG gehörenden Versandapotheke D. reimportierte sie in den Jahren 2012 und 2013 unter dem damaligen Firmennamen W. P. C.V. ihr von deutschen Pharmagroßhändlern gelieferte verschreibungspflichtige Medikamente, indem sie diese nach Einreichung einer entsprechenden ärztlichen Verschreibung an in Deutschland ansässige Patienten abgab. Zwischenzeitlich hat die Beklagte den Apothekenbetrieb eingestellt.
Im Jahr 2012 warb die Beklagte zum einen damit, einem Patienten bei der Einlösung eines Rezepts einen direkt mit dem Rechnungsbetrag verrechneten Bonus in Höhe von EUR 3,00 pro Medikament, insgesamt aber höchstens EUR 9,00 pro Rezept zu zahlen. Hiergegen erwirkte der Kläger eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Traunstein (Beschl. v. 28.12.2012, Az. 1 HK O 4865/12, Anlage K 5). Zum anderen warb die Beklagte damit, bei der Einlösung eines Rezepts eine Prämie in einer Höhe von bis zu EUR 9,00 zu zahlen, wenn der Patient sich bereit erklärte, durch Ausfüllen eines Formulars oder durch Beantwortung von Fragen im Rahmen eines Telefonats einen Arzneimittelcheck zu absolvieren. Die Bonussumme wurde dabei automatisch von der Rechnung abgezogen. Auch Wiederbesteller konnten den Bonus erhalten. Das Arzneimittelcheck-Formular sah insoweit vor, durch Ankreuzen auf frühere, unveränderte Angaben verweisen zu können. Hiergegen erwirkte der Kläger eine einstweilige Verfügung des Landgerichts München I (Urt. v. 03.05.2013, Az. 11 HK O 2469/13, Anlage K 9; bestätigt durch OLG München, Urt. v. 26.09.2013, Az. 6 U 2241/13).
Bei dem vorliegenden Rechtsstreit handelt es sich um das Hauptsacheverfahren zu den vorgenannten einstweiligen Verfügungsverfahren. Auf die mit der Klageschrift vom 27.05.2013 und der Klageerweiterungsschrift vom 28.06.2013 erhobene Klage hin hat das Landgericht München I mit Urteil vom 13.03.2014, Az. 11 HK O 12091/13 (nachfolgend: LGU), auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, der Beklagten bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel antragsgemäß untersagt,
I.1. im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Kunden in Deutschland einen Bonus in Höhe von 3,00 € für jedes rezeptpflichtige Medikament auf einem Rezept anzubieten und/oder zu gewähren und/oder hierfür zu werben, insbesondere wenn dies wie folgt geschieht:
I.2. im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Kunden in Deutschland als Vergütung für einen Arzneimittel-Check einen Bonus von bis zu 9,00 € (3,00 € pro Arzneimittel auf einem Rezept) anzubieten und/oder hierfür zu werben, wenn dies wie folgt geschieht:
und/oder als Vergütung für einen Arzneimittelcheck einen Bonus von bis zu 9,00 € (3,00 € pro Arzneimittel auf einem Rezept) zu gewähren.
Des Weiteren hat das Landgericht die Beklagte (nach Aufrechnung der Beklagten mit einer unstreitigen Gegenforderung) zur Erstattung vorprozessualer Kosten in Höhe von EUR 856,80 nebst Zinsen seit 13.08.2013 (Tenor II.), angefallen durch die Abmahnung vom 06.12.2012 (Anlage K 4) sowie durch die Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung vom 20.03.2013 (Anlage K 7) wegen des vom LG Traunstein verbotenen Bonusmodells ohne Gesundheits-Check (LGU Tenor I.1), schließlich (Tenor III.) zur Erstattung vorprozessualer Kosten von EUR 1.556,60 nebst Zinsen seit 15.03.2013, angefallen durch die Abmahnung vom 22.01.2013 (Anlage K 17) und die Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung vom 05.03.2013 (Anlage K 19) wegen des vom LG München I verbotenen Bonusmodells (mit Gesundheits-Check, vgl. Tenor LGU I.2.), verurteilt.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt: Dem nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a.F. anspruchsberechtigten Kläger stehe der unter Ziffer I.1. des Tenors zuerkannte Anspruch gemäß § 8 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG a.F. i.V.m. § 78 AMG zu. Die Auslobung und/oder Gewährung eines Bonus von EUR 3,00 für jedes verschreibungspflichtige Medikament auf einem bei der Beklagten eingelösten Rezept verstoße gegen die als Marktverhaltensregelungen i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG a.F. zu qualifizierenden Preisbindungsvorschriften des § 78 AMG i.V.m. den Regelungen der AMPreisV. Diese Normen gälten, wie der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB, Beschl. v. 22.08.2012, Az. GmS-OGB 1/10, NJW 2013, 1425 = GRUR 2013, 417 – Medikamentenkauf im Versandhandel) befunden habe, auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die von Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union im Wege des Versandhandels ins Inland verbracht und hier an Endabnehmer abgegeben würden. Im Hinblick auf diese Rechtsprechung könne die beklagtenseits beanstandete formelle Vereinbarkeit des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. mit EU-Recht dahinstehen. Die Geltung der Arzneimittelpreisbindung für ausländische Versandapotheken verstoße, wie der GmS-OGB sowie, ihm folgend, der erkennende Senat im vorangegangenen Verfügungsverfahren (Az. 6 U 2241/13) befunden hätten, auch materiell nicht gegen europäisches Recht. Die beklagtenseits beantragte Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof (1) zur Frage der Vereinbarkeit des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs nach Art. 34 AEUV und (2) zur Frage der Rechtfertigung eines solchen Verstoßes mit dem Erfordernis einer gleichmäßigen und flächendeckenden Gesundheitsversorgung gerade durch die Preisbindung, ohne dass eine entsprechende Tatsachengrundlage vorliegt, sei aus den vom GmS-OGB genannten Gründen (GRUR 2013, 417Rn. 47) entbehrlich. Soweit darüber hinaus eine Vorabentscheidung zu der Frage angeregt wurde, ob (3) Art. 87 Abs. 3 AEUV i.V.m. Erwägungsgrund 45 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodex dem entgegenstehe, dass ein Mitgliedsstaat einer Apotheke als Leistungserbringer untersage, dem Verbraucher Zuwendungen oder sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren, wenn kein unmittelbarer Bezug zwischen Zuwendung/Werbegabe und konkreten Arzneimitteln bestehe, sei schon nicht ersichtlich, inwiefern das in der Arzneimittelpreisbindung enthaltene Verbot der Gewährung von Zuwendungen gegen die angeführten gemeinschaftsrechtlichen Regelungen verstoßen könnte: wenn diese eine Beschränkung der Werbung in einer Hinsicht vorsähen, werde damit nicht impliziert, dass im Übrigen jegliche Werbeform zulässig sei. Unbehelflich bleibe schließlich auch der Einwand der Beklagten, wonach das unter Ziffer I.1. tenorierte Verbot zu weit gehe: Wenn der BGH in seinen Entscheidungen Az. I ZR 98/12 und Az. I ZR 90/12 einen Rabatt in Höhe von € 1,00 je Medikament für zulässig erachte, sei dies für den Streitfall, in dem ein Rabatt in Höhe von € 3,00 in Rede stehe, nicht einschlägig.
Aus denselben Erwägungen sei auch das Verbot nach Ziffer I.2. des Tenors betreffend die Gewährung eines Bonus in Höhe von EUR 3,00 für jedes verschreibungspflichtige Medikament auf einem Rezept (maximal EUR 9,00 je Rezept) bei Teilnahme an einem Arzneimittel-Check gerechtfertigt. Denn ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung liege auch dann vor, wenn dem Kunden zwar für jedes verschreibungspflichtige Medikament der korrekte Preis berechnet werde, ihm allerdings, gekoppelt an den Erwerb eines preisgebundenen Arzneimittels, Vorteile gewährt würden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen ließen (BGH, Urt. v. 09.09.2010, Az. I ZR 193/07, GRUR 2010, 1136 – Unser Dankeschön für Sie). Abweichendes gelte nur dann, wenn die Vorteile nicht spezifisch im Kontext des Arzneimittelerwerbs, sondern zum Ausgleich anderweitiger Nachteile – etwa der Unannehmlichkeit, wegen eines nicht vorrätigen Präparats den Weg zur Apotheke neuerlich auf sich nehmen zu müssen (OLG Hamburg, 26.07.2007, Az. 3 U 21/07, GRUR-RR 2007, 403 – Saartaler) – gewährt würden. Allerdings dürfe der Anlass der Prämiengewährung nicht gänzlich unerheblich oder unwesentlich sein. Eben diese für die ausnahmsweise Unbedenklichkeit einer Bonusauslobung formulierten Voraussetzungen lägen im Streitfall nicht vor, sei doch die Inanspruchnahme der mit dem Arzneimittel-Check verbundenen Beratung für den Kunden nicht etwa eine Unannehmlichkeit, sondern selbst ein Vorteil, der den bei ihm anfallenden (eher geringfügigen) Aufwand angemessen kompensiere. Ohnehin sprächen die Modalitäten dieser Bonusvariante (nämlich wiederum EUR 3,00 pro verschreibungspflichtigem Medikament) dafür, dass es sich lediglich um eine Fortsetzung der von der Beklagten zuvor praktizierten und gemäß Ziffer I.1. des Tenors verbotenen Rabattpraxis handele, zumal ein Beratungsbedarf des Kunden auch bei rezeptfreien Präparaten bestehe. Der Einwand der Beklagten, insoweit unterliege sie nach niederländischem Recht (anders als bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln) keiner Dokumentationspflicht, sei nicht geeignet, schlüssig zu erklären, warum der Bonus pro Medikament gezahlt werde, sei doch der mit dem Gesundheits-Check einhergehende Aufwand für den Kunden nicht an die Zahl der bestellten rezeptpflichtigen Präparate gekoppelt, sondern falle gleichermaßen bei Bestellung von einem Arzneimittel wie auch von dreien an. Schließlich sei auch die Gewährung weiterer EUR 3,00 je Medikament bei Folgebestellungen erkennbar nicht aufwandsbezogen, habe der Kunde in diesem Fall doch lediglich anzukreuzen, dass Änderungen nicht eingetreten seien. Lägen mithin die Voraussetzungen einer ausnahmsweisen rechtlichen Unbedenklichkeit der Prämiengewährung nicht vor, sei die Beklagte auch insoweit zur Unterlassung verpflichtet. Die Kosten für die vorprozessualen Abmahnschreiben habe die Beklagte nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG a.F., diejenigen für Aufforderungen zur Abgabe einer Abschlusserklärung nach § 9 UWG zu erstatten.
Gegen diese Entscheidung, den Beklagtenvertretern zugestellt am 24.03.2014 (Bl. 197/215Z d.A.), richtet sich die am 22.04.2014 (Bl. 259/260 d. Akte) eingelegte und, nach antragsgemäßer (Bl. 265 f. d.A.) Fristverlängerung (Bl. 267 d.A.) mit Schriftsatz vom 23.06.2014, bei Gericht eingegangen am selben Tage (Bl. 268/364 d.A.), begründete Berufung der Beklagten, mit der sie das bereits erstinstanzlich verfolgte Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Nachdem der Senat erstmalig am 11.12.2014 zur Sache verhandelt hatte, hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 24.03.2015 (Az. I-20 U 149/13, Anlage BK 8) die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. mit der europarechtlich gemäß Art. 28, 34 AEUV gewährleisteten Warenverkehrsfreiheit dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt. Mit Blick auf diese für den hiesigen Rechtsstreit vorgreifliche Frage hat der Senat den Rechtsstreit mit dem Einverständnis beider Parteien analog § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf ausgesetzt.
Mit Urteil vom 19.10.2016, Az. C-148/15, GRUR 2016, 1312, ECLI:EU:C:2016:776 – Deutsche Parkinson Vereinigung, hat der Europäische Gerichtshof sodann im vom OLG Düsseldorf angestrengten Vorabentscheidungsverfahren entschieden, dass eine nationale Regelung, die vorsieht, dass für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel einheitliche Apothekenabgabepreise festgesetzt werden, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Art. 34 AEUV darstelle, da sich eine entsprechende Arzneimittelpreisbindung auf die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch in anderen Mitgliedstaaten ansässige Apotheken stärker auswirke als auf die Abgabe solcher Arzneimittel durch im Inland ansässige Apotheken. Im Hinblick auf eine Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV hat der EuGH weiter ausgeführt, dass eine derartige nationale Regelung nicht mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen im Sinne des Art. 36 AEUV gerechtfertigte werden könne, weil diese nicht geeignet sei, die angestrebten Ziele zu erreichen. Zur Begründung hat der Gerichtshof unter Verweis auf seine Rechtsprechung in Sachen The Scotch Whisky Association (Urt. v. 23.12.2015, Rs. C-333/14, EU:C:2015:845, Rn. 54) u.a. festgestellt, dass der Kläger im Ausgangsverfahren des Rechtsstreits vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf und die im Vorabentscheidungsverfahren unmittelbar beteiligte Bundesrepublik Deutschland ihre Argumentation, dass die Arzneimittelpreisbindung geeignet und erforderlich sei, um eine flächendeckende Arzneimittelversorgung sicherzustellen, nicht hinreichend mit den gebotenen Beweisen untermauert hätten (EuGH, a.a.O., Rn. 35 ff.).
Mit Beschluss vom 22.02.2018 hat der Senat sodann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 03.08.2017 die Bundesregierung um amtliche Auskunft zu der Frage ersucht, ob und gegebenenfalls welche tatsächlichen Umstände die Annahme rechtfertigen, dass die nationalen Regelungen des Arzneimittelpreisrechts, wonach für verschreibungspflichtige Arzneimittel einheitliche Apothekenabgabepreise festzusetzen sind, zur Gewährleistung einer flächendeckenden, sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung erforderlich seien (Bl. 1082/1085 d.A.). Zwar wäre der Berufung der hiesigen Klägerin auf der Grundlage der dargestellten Vorabentscheidung des EuGH stattzugeben und die Klage mangels Anspruchsgrundlage abzuweisen. Hieran aber sehe sich der Senat durch die Entscheidung des BGH vom 24.11.2016, Az. I ZR 163/15 (GRUR 2017, 635 – Freunde werden Freunde), mit der er dem OLG Köln in einem Verfahren gleichgelagerter Konstellation aufgegeben habe, zur Vorbereitung einer etwaigen neuerlichen Überprüfung der Frage einer Rechtfertigung der nationalen Regelungen zur Arzneimittelpreisbindung gemäß Art. 36 AEUV durch den EuGH, nunmehr auf zureichender Tatsachengrundlage, weitere Feststellungen zu treffen und hierfür die Möglichkeit der Einholung einer amtlichen Auskunft der Bundesregierung aufgezeigt hat, gehindert.
Mit Schreiben vom 25.04.2018 hat das Bundesministerium für Gesundheit den Erhalt des Auskunftsersuchens bestätigt. Obwohl die Stellungnahme gemäß telefonischer Mitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit für das Jahr 2019 in Aussicht gestellt worden war (Bl. 1093 d.A.), erfolgte eine Beantwortung des Auskunftsersuchens erst mit Schreiben vom 23.12.2021, dem Senat zugegangen am 30.12.2021 (Bl. 1121/1122 d.A.), auf dessen Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.
In der Stellungnahme hat das Bundesministerium für Gesundheit darauf verwiesen, dass § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. zwischenzeitlich aufgehoben worden sei und stattdessen nunmehr in § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V geregelt sei, dass Apotheken verordnete Arzneimittel an gesetzlich Versicherte als Sachleistung nur abgeben und unmittelbar mit den Krankenkassen abrechnen dürften, wenn der Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V für sie Rechtswirkung habe. Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen entfalte, seien verpflichtet, bei der Abgabe von verordneten Arzneimitteln an in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte die in der Arzneimittelpreisverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise einzuhalten. Zuwendungen dürften gemäß § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V gesetzlich Krankenversicherten nicht gewährt werden. Für verschreibungspflichtige Arzneimittel gewährte Rabatte könnten zu einem Verdrängungswettbewerb führen und in der Folge die wirtschaftliche Situation von Apotheken gefährden und damit die sichere und qualitativ hochwertige flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln einschränken. Zur Begründung verweist das Bundesministerium für Gesundheit darauf, dass Apotheken im Durchschnitt rund 80% ihres Umsatzes mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung erwirtschafteten. Rabatte in der Größenordnung zwischen EUR 3,00 und EUR 5,00 pro Packung eines Fertigarzneimittels würden zu Einbußen von 30% bis 60% des Ertrags von Apotheken bei der Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung führen. Zudem diene die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden, dazu, das Sachleistungs- und das Solidaritätsprinzip zu stützen. Rabatte und Boni, die bei den gesetzlich Versicherten verblieben, kämen nicht der Solidargemeinschaft zugute. Hierdurch würde das Solidaritätsprinzip unterwandert. Das Sachleistungsprinzip diene zudem der Mäßigung des Gewinnstrebens der Apotheken. Es solle sicherstellen, dass die Apotheken, die im Rahmen ihres gesetzlichen Versorgungsauftrages feste Vergütungssätze pro Leistung erhalten, untereinander nicht über finanzielle Werbeanreize konkurrierten, was auch dem Schutz der Versicherten vor unsachlicher Beeinflussung und vor Verzögerung bei der Therapie diene. Vielmehr solle der Wettbewerb im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nur über Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung gesteuert werden. Darüber hinaus seien mit der Einführung des elektronischen Rezepts eventuelle bestehende Nachteile für Versandapotheken weggefallen, so dass diesen ein direkter ortsunabhängiger Zugang zu den gesetzlich Versicherten möglich sei. Im Übrigen könnten ergänzende Ausführungen der Gesetzesbegründung des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes entnommen werden. Weitergehende empirische Daten zu den Auswirkungen einheitlicher Apothekenabgabepreise auf die flächendeckende, sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung seien nicht erhoben worden. Die Auswirkungen der neuen Regelung des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels seien gemäß § 129 Abs. 5f SGB V bis zum 31.12.2023 zu evaluieren.
In der weiteren mündlichen Verhandlung vom 20.04.2023 hat der Senat den Parteien einen richterlichen Hinweis folgenden Inhalts erteilt und unter Fristsetzung bis 22.05.2023 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben (Bl. 1196/1198 d.A):
1. Es könnte fraglich sein, ob die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr noch gegeben ist, angesichts dessen, dass die Rechtslage im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Verletzungshandlungen durchaus als zweifelhaft angesehen werden könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 26.02.2014, I ZR 119/09 sowie Beschluss vom 20.01.2016, I ZB 102/14). Vor diesem Hintergrund erhält die Beklagte Gelegenheit, sich dazu zu erklären, ob sie die jetzige Rechtslage im Hinblick auf die streitgegenständlichen Verletzungshandlungen einzuhalten gedenkt. Nicht ausreichend für den Wegfall der Wiederholungsgefahr ist jedenfalls allein der Umstand, dass die Beklagte ihrem Vortrag nach nicht mehr als Versandapotheke tätig sei.
2. Für die vom Senat zu treffende Entscheidung dürfte nicht nur auf die vorgelegten Anlagen sowie den Sachvortrag abzustellen sein; vielmehr dürften auch andere öffentlich zugängliche Unterlagen aus den Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen sein, um beurteilen zu können, ob die damalige wie unter Umständen auch die jetzige Rechtslage mit Artikel 34, 36 AEUV in Einklang stehen. Hierzu dürften insbesondere die Gesetzgebungsmaterialien zum zweiten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19.10.2012, inklusive Plenarprotokolle wie z. B. Nr. 17/178 sowie die Gesetzgebungsmaterialien zum Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken vom 15.12.2020, inklusive Plenarprotokolle wie z. B. Nr. 19/186, heranzuziehen seien.
3. Darüber hinaus dürften allgemein gültige Erfahrungssätze mit einzubeziehen sein, nämlich dass zunehmender Preiswettbewerb Verdrängungseffekte und eine zunehmende Konzentration auf Handelsebene zur Folge haben dürfte sowie dass zunehmender Wettbewerb durch Online-Handelsunternehmen Verdrängungseffekte insbesondere zum Nachteil kleiner und mittlerer Ladengeschäfte haben dürfte, dies insbesondere in Kombination mit Eröffnung eines Preiswettbewerbs.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F., wonach die deutschen Arzneimittelpreisvorschriften auch auf ausländische Versandapotheken anwendbar seien, ebenso wie der zur alten Rechtslage ergangene Beschluss des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 28.10.2012 europarechtswidrig seien. Die mit § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. einhergehende Ausweitung der Festpreisregelung nach § 78 Abs. 2 AMG auf den grenzüberschreitenden Handel stelle eine staatliche Maßnahme dar, die nicht nur die Verkaufsmodalitäten regele, sondern den freien Warenverkehr im Binnenmarkt beschränke, indem sie der Beklagten den Marktzutritt im Inland erschwere. Die für EU-Versandapotheken geltende Arzneimittelpreisbindung stehe daher einer mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung gleich und sei folglich als Maßnahme gleicher Wirkung gemäß Art. 34 AEUV unzulässig. Eine Rechtfertigung für dieses Marktzugangshindernis könne weder aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls noch aus Art. 36 AEUV hergeleitet werden. Der Kläger habe nicht – wie es der Europäische Gerichtshof in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung ausdrücklich verlange – hinreichend dargetan, dass die Beschränkung des freien Warenverkehrs im Hinblick auf eine im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung der flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln geeignet und erforderlich sei. Tatsächlich bestehe ein solcher Kausalzusammenhang zwischen der gewählten Maßnahme Festpreis und einer (vermeintlich) abzuwehrenden Gefahr von Versorgungslücken nicht. Ohnehin sei Motiv des Gesetzgebers für die Festpreisregelung nicht eine Sicherstellung der Arzneimittelversorgung gewesen, sondern eine Kostensenkung. Diese könne indes mit Mindestpreisen schwerlich erreicht werden. Das vor diesem Hintergrund von der Europäischen Kommission mit ihrer begründeten Stellungnahme vom 20.11.2013, Az. C(2013) 7854 final (Anlage BK 5), gegen die Bundesrepublik Deutschland zu Recht eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren habe die Europäische Kommission gemäß dem Schreiben vom 08.07.2021 lediglich aus Opportunitätserwägungen eingestellt (Anlage BK 53).
Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.10.2016 in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung stehe verbindlich fest, dass die Preisbindung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. europarechtswidrig sei und damit dem seitens des Klägers begehrten Unterlassungsantrag nicht zugrunde gelegt werden dürfe. Die Bundesregierung sei an dem Vorabentscheidungsverfahren beteiligt gewesen. Ihre Einlassung sei indes als rein pauschal und daher nicht hinreichend tragfähig anerkannt worden. Der im hiesigen Verfahren erholten Auskunft der Bundesregierung vom 21.12.2021 ließen sich die notwendigen Beweise zur Rechtfertigung des mit der Arzneimittelpreisbindung verbundenen Eingriffs in die europäische Warenverkehrsfreiheit ebenfalls nicht entnehmen. Damit stehe fest, dass die notwendige Tatsachengrundlagen gar nicht ermittelt worden seien. Dem Bundesministerium für Gesundheit zufolge seien empirische Daten zu den Auswirkungen einheitlicher Apothekenabgabepreise auf die flächendeckende Arzneimittelversorgung nicht erhoben worden.
Den Ausführungen der Klagepartei ließen sich ebenfalls keine den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs genügenden Nachweise dafür entnehmen, dass die für EU-ausländische Versandapotheken geltende Arzneimittelpreisbindung erforderlich sei, um eine flächendeckende Arzneimittelversorgung der deutschen Bevölkerung sicherzustellen. Der Vortrag sei bereits verspätet. Unabhängig davon rechtfertige der Vortrag des Klägers eine Arzneimittelpreisbindung für EU-Versandapotheken auch in der Sache nicht. Die Arzneimittelversorgung in Deutschland sei nach wie vor gut und gesichert. Dies belege insbesondere die in Auszügen als Anlage BK 32 vorgelegte Thünen-Studie.
Die von dem Kläger als Anlage K 5 vorgelegte IFH-Studie belege die behauptete Bedeutung von Präsenzapotheken nicht. Die Studie sei mit nur 300 befragten Ärzten und 1672 Apothekern nicht repräsentativ. Überdies beanstandet die Beklagte die tatsächlichen Feststellungen der IFH-Studie als inhaltlich unzutreffend und bietet Beweis durch Erholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens an. Ebenso bestreitet die Beklagte die Ergebnisse der von dem Kläger als Anlage K 6 vorgelegten Sempora-Studie. Zudem sei auch diese Studie nicht repräsentativ. Selbst wenn aber 51% der befragten Verbraucher ihre Verschreibungen bei einer Versandapotheke einlösen würden, wenn sie einen Rabatt von EUR 2,00 bekämen, wäre damit noch nicht belegt, dass dies zu einer Arzneimittelversorgungsgefährdung führe. Denn letztlich würden nur Patienten den Versandhandel für ihnen verordnete Arzneimittel in Betracht ziehen, wenn diese wie etwa im Falle chronisch kranker Personen ihren Arzneimittelbedarf langfristig planen könnten. Irrelevant sei, ob jüngere Menschen zum Versandhandel tendieren. Denn diese seien ohnehin auf weniger Arzneimittelverordnungen angewiesen.
Der Markt für verschreibungspflichtige Arzneimittel werde nach wie vor zu über 98% von deutschen Apotheken beherrscht. Das Gutachten von M./B./D. gemäß Anlage K 32 (übereinstimmend mit der in Buchform herausgegebenen Fassung gemäß Anlage K 63) könne eine Gefährdung der Arzneimittelversorgung bereits aus dem Grund nicht belegen, weil der Autor Dettling Rechtsanwalt in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers sei. Den Ausführungen fehle daher die notwendige Objektivität. Die Autoren M. und B. müssten ebenfalls als parteiisch angesehen werden, weil diese langjährig für Apothekerverbände und Arzneimittelhersteller tätig gewesen seien.
Zwischen den von Versandapotheken gewährten Boni und einer Gefährdung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung bestehe kein Kausalzusammenhang. Der Kläger habe insbesondere nicht auf Grund konkreter Daten und mit Hilfe wissenschaftlicher Untersuchungen hinreichend belegt, dass die Arzneimittelpreisbindung geeignet und erforderlich ist, um eine flächendeckende Arzneimittelversorgung zu gewährleisten. Die für das Bundesministerium für Gesundheit (Anlage BK 54) und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Anlage B 51) erstellten Gutachten würden eine Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente gerade nicht rechtfertigen.
Unabhängig davon sei die Vorschrift des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. auch formell verfassungswidrig, da zu unterstellen sei, dass die Bundesregierung die Gesetzesänderung nicht, wie erforderlich, vorab bei der Europäischen Kommission notifiziert habe mit der Folge, dass sich die Betroffenen (ausländische Versandapotheken) auf die Unanwendbarkeit des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. berufen könnten. Darüber hinaus sei die Regelung auch als Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG materiell verfassungswidrig, da der Gesetzgeber angesichts der unterbliebenen Notifizierung wie auch im Hinblick auf den Grundsatz des freien Warenverkehrs, Art. 28 ff. AEUV, vorrangiges Unionsrecht nicht beachtet habe. Rein vorsorglich sei auch zu monieren, dass es auch an einer – nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zuletzt BVerfGE 126, 112, 155 f.) aus Gründen des Vertrauensschutzes erforderlichen – Übergangsregelung fehle.
Auch die nach Abschaffung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. in Kraft getretene Preisbindungsregelung gemäß § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V sei unwirksam. Insoweit müssten die Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs aus dessen Entscheidung in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung entsprechend gelten. Tatsachenbasierte Beweise in der gebotenen Form wissenschaftlicher Untersuchungen lägen auch insoweit nicht vor. Insbesondere ergäben sich entsprechende Tatsachen auch nicht aus dem Schreiben der Bundesregierung vom 23.12.2021. In dem Schreiben habe die Bundesregierung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass empirische Daten nicht erhoben worden seien.
Auf sonstige, nicht ausdrücklich in den richterlichen Hinweisen vom 20.04.2023 genannte Gesetzgebungsmaterialien dürfe der Senat nicht zugreifen. Es gelte der Beibringungsgrundsatz. Eine Amtsermittlung sei im Zivilprozess nicht vorgesehen.
Selbst wenn die AMPreisV auf die Beklagte Anwendung fände, stellten sich die streitgegenständlichen Prämienmodelle nicht als unzulässig dar. Ein Verstoß gegen § 78 Abs. 2 AMG oder eine Umgehung der Regelungen des § 78 Abs. 2 AMG i.V.m § 3, § 4 AMPreisV liege nämlich nicht vor. Die Gewährung eines Bonus von EUR 3,00 je rezeptpflichtigem Medikament (maximal EUR 9,00 je Rezept) sei nicht an die Einlösung eines Rezepts gebunden, sondern stelle die Gegenleistung für die Teilnahme an einem Arzneimittelcheck dar. Denn die Beklagte unterliege nach ihrem Heimatrecht bestimmten Dokumentationspflichten, die sie ohne Mitwirkung der Kunden nicht erfüllen könne. Unerheblich sei, dass § 20 ApoBetrO die Apotheker zur Beratung ihrer Kunden verpflichte; denn die Vorschrift sei auf die Beklagte nicht anwendbar. Gleichermaßen unerheblich sei der Umstand, dass im Fall des Erwerbs nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ein solcher Gesundheitscheck nicht erhoben werde. Soweit das Landgericht eine Unlauterkeit des Bonus-Modells nach § 4 Nr. 11 UWG a.F. i.V.m. § 78 Abs. 2 AMG i.V.m. AMPreisV u.a. daraus herleite, dass der Bonus auch bei Folgebestellungen gewährt werde, verkenne es, dass diese Fälle ebenfalls mit – zu entgeltendem – Aufwand für den Kunden einhergingen. Kostenerstattungsansprüche bestünden ohnehin nicht. Im Übrigen wäre jedenfalls Ziffer I.1. des Tenors des angefochtenen Urteils zu weit; denn der Bundesgerichtshof habe mit den Entscheidungen I ZR 90/12 und I ZR 98/12 ausdrücklich klargestellt, dass eine Rabattierung von EUR 1,00 pro Medikament und maximal EUR 3,00 pro Rezept mangels Spürbarkeit lauterkeitsrechtlich unbeachtlich sei. Dies sei auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen, so dass der Beklagten ein Bonus in Höhe von EUR 3,00 für ein Rezept nicht verboten werden könne.
Die Beklagte b e a n t r a g t zuletzt,
das Urteil des Landgerichts München I vom 13.03.2014, Az. 11 HK O 12091/13, aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise
das Verfahren wenigstens bis zur Vorabentscheidung des EuGH in der Rechtssache zum Aktenzeichen C-517/23 (BGH, Vorlagebeschluss vom 13.07.2023 – I ZR 182/22 mit Blick auf die Auslegung von § 7 Abs. 1 HWG auszusetzen
und dem EuGH zu § 129 Abs. 3 SGB V nach Art. 267 AEUV folgende Vorlagefragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
(1.) Ist Art. 34 AEUV dahingehend auszulegen, dass diese Bestimmung einer Regelung des innerstaatlichen Rechts entgegensteht, die ausländische Versandapotheken bei Lieferungen in den Mitgliedstaaten einer den Vorschriften des § 129 Abs. 3 SGB V iVm. § 3 AMPreisV entsprechenden Preisbindung bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sowie einem Verbot der Gewährung von Zuwendungen an Versicherte im System der Gesetzlichen Krankenversicherung unterwirft?
(2.) Ist Art. 36 S. 2 AEUV dahingehend auszulegen, dass die Versetzung einer Norm, deren Regelungswirkung der Gerichtshof bereits für unionsrechtswidrig erklärt hat, in eine andere nationale Normsystematik unter Zugrundelegung einer beabsichtigten Stärkung der nationalen stationären Apotheken eine verschleierte Handelsbeschränkung zwischen den Mitgliedstaaten darstellt?
Der Kläger b e a n t r a g t,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass das Urteil des Landgerichts mit der Maßgabe verteidigt wird, dass im Tenor Ziffer I.1. das Wort „insbesondere“ entfällt.
Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm die geltend gemachten Unterlassungsansprüche im zuletzt beantragten Umfang zustehen.
Bei der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung handele es sich um eine Ausreißerentscheidung, welche die an Mitgliedstaaten zu stellenden Beweisanforderungen überspanne und den im Bereich des Gesundheitsschutzes bestehenden Beurteilungsspielraum verkenne. Tatsächlich seien die Vorschriften zur Arzneimittelpreisbindung zur Gewährleistung einer flächendeckenden sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung gerechtfertigt. Die Freigabe der Preisgestaltung bei Arzneimitteln für EU-Versandapotheken würde die derzeit noch flächendeckende Arzneimittelversorgung in Deutschland erheblich gefährden. Insbesondere im ländlichen Raum hätten Präsenzapotheken eine hohe Bedeutung zur Sicherstellung der zeitnahen Arzneimittelversorgung vor Ort. Apotheken würden etwa 80% ihres Umsatzes mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erwirtschaften. Jedenfalls belege das als Anlage K 32 vorgelegte Gutachten die Erforderlichkeit der Arzneimittelpreisbindung.
Die Arzneimittelpreisbindung sei sowohl nach der zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Rabattaktionen geltenden als auch nach der aktuellen Rechtslage nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt. Die Regelung des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V stelle keine bloße Umgehung der Vorgaben des Unionsgerichtshofs dar, sondern verankere die Preisbindung im Sozialrecht. Unionsrechtlich stelle die Regelung der § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V bereits keine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 34 AEUV dar. Insbesondere im Hinblick auf die zwischenzeitliche Einführung des E-Rezepts herrschten nunmehr zwischen EU-Versandapotheken und Präsenzapotheken gleiche Wettbewerbsbedingungen. Hinzu komme, dass die Regelung über den Schutz der flächendeckenden Arzneimittelversorgung über Präsenzapotheken hinaus jedenfalls auch zum Zwecke des Schutzes des Sachleistungs- und Solidaritätsprinzips in der Gesetzlichen Krankenversicherung gerechtfertigt sei.
Soweit die Beklagte behaupte, wegen angeblich ungenügender Wechselwirkungsberatung in Bezug auf ihre deutschen Kunden erheblichem Druck ihrer Heimatbehörden (IGZ) ausgesetzt zu sein und ihr deswegen sogar eine Untersagung drohe, sei dieses – verspätete – Vorbringen zu bestreiten. Auch die als Anlagen BK 1 bis BK 3 eingeführten Unterlagen, die bereits aus dem Jahr 2013 stammten, seien verspätet. Zur Frage eines Verstoßes gegen Art. 34 AEUV sei nicht erfindlich, inwiefern es Sache des Klägers sei, die Beeinträchtigung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung durch die Eröffnung eines Preiswettbewerbs bei Arzneimitteln darzulegen und zu beweisen. Vielmehr könne er sich insoweit auf die gesetzliche Regelung berufen, zumal auch der Bundesgerichtshof in der Entscheidung Az. I ZR 79/10 eine Überschreitung des den Mitgliedsstaaten eingeräumten Wertungsspielraums nicht konstatiert habe. Die Einwände der Beklagten zur Reichweite von Nr. I.1 des Tenors seien nicht nachvollziehbar: Verboten werde nicht die Gewährung eines Bonus von EUR 3,00 je Rezept, sondern von EUR 3,00 je verschreibungspflichtigem Arzneimittel. Wenn der Bundesgerichtshof in den Entscheidungen Az. I ZR 90/12 und Az. I ZR 98/12 einen Rabatt von EUR 1,50 je Arzneimittel verboten habe, könne ein Bonus in doppelter Höhe nicht zulässig sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 11.12.2014, 03.08.2017, 20.04.2023 und 07.03.2024 Bezug genommen.
B.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die von der Beklagten auch gegenüber Mitgliedern Gesetzlicher Krankenversicherungen angebotenen Zuwendungen verstoßen gegen die gesetzlichen Vorgaben zur Arzneimittelpreisbindung sowohl in der Fassung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 AMG a.F.Arzneimittelgesetz vom 12.12.2005, BGBl. I S. 3394, in der mit Wirkung vom 26.10.2012 geänderten Fassung, BGBl. I S. 2192 (nachfolgend: AMG a.F.). i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 AMPreisV als auch gemäß § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V. Die bundesdeutschen Regelungen zur Arzneimittelpreisbindung sind weder nach der zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Werbeaktion maßgeblichen noch auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Rechtslage wegen Verstoßes gegen die gemäß Art. 28 ff. AEUV gewährleistete Warenverkehrsfreiheit unionsrechtswidrig. Infolge des Urteils des Unionsgerichtshofs vom 19.10.2016 in der Rechtssache Rs. C-148/15 – Deutsche Parkinson Vereinigung (ECLI:EU:C:2016:776 = GRUR 2016, 1312) bestehende Zweifel an der europarechtlichen Wirksamkeit der deutschen Arzneimittelpreisvorschriften sind unter Berücksichtigung des im Rahmen des vorliegenden Verfahrens erfolgten Parteivortrags und der Stellungnahme der Bundesregierung vom 23.12.2021 im Hinblick auf die dem Gesetzgeber zustehende, weite Einschätzungsprärogative ausgeräumt.
I.
Die Berufung ist gemäß § 511 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Gegen das ihr am 24.03.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit der dem Oberlandesgericht am selben Tag zugegangenen Berufungsschrift vom 22.04.2014 form- und fristgerecht Berufung eingelegt, § 519 Abs. 1, Abs. 2, § 517 ZPO. Nach gewährter Fristverlängerung hat die Beklagte die von ihr eingelegte Berufung mit Schriftsatz vom 23.06.2014 form- und fristgerecht begründet, § 520 Abs. 3, Abs. 2 ZPO.
II.
In der Sache hat die zulässige Berufung indes keinen Erfolg. Da die streitgegenständlichen Werbemaßnahmen auch an Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung gerichtet waren, stehen dem als berufsständische Vereinigung der b. Apotheker unstreitig gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a.F., § 15a Abs. 1 UWG prozessführungsbefugten und aktivlegitimierten Kläger die vom Landgericht zuerkannten Unterlassungsansprüche wegen Verstoßes gegen die im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Werbemaßnahmen sowie die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltenden Vorschriften zur Arzneimittelpreisbindung auf der Rechtsgrundlage der § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG a.F.Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 03.07.2004, BGBl. I S. 1414, in der mit Wirkung vom 31.10.2009 geänderten Fassung, BGBl. I S. 2355 (nachfolgend: UWG a.F.). i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 AMG a.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 AMPreisV bzw. § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG i.V.m. § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V zu. Die vom Landgericht dem Kläger gleichfalls zu Recht zugesprochenen Ansprüche auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten sind auf der Rechtsgrundlage der § 12 Abs. 1 Satz 2, § 9 UWG a.F. begründet.
1. Auf den Streitfall ist, was von den Parteien nicht in Abrede gestellt wird, das deutsche Wettbewerbsrecht anzuwenden, Art. 6 Abs. 1 ROM II-VO.
2. Dass sich die für die Arzneimittelpreisbindung maßgebliche Rechtslage zwischenzeitlich mit der Abschaffung der Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. und dem stattdessen in Kraft getretenen § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V geändert hat, steht den geltend gemachten Unterlassungsansprüchen nicht entgegen. Hat sich die für die streitgegenständliche Handlung maßgebliche Rechtslage nach deren Vornahme geändert, bestehen die von einem Kläger auf Wiederholungsgefahr gestützten und in die Zukunft gerichteten Unterlassungsansprüche zwar nur, wenn die angegriffene Handlung sowohl zum Zeitpunkt ihrer Vornahme rechtswidrig war als auch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat rechtswidrig ist (st. Rspr.; BGH, Beschl. v. 12.01.2023, Az. I ZR 223/19, GRUR 2023, 264Rn. 28 – Arzneimittelbestelldaten; BGH, Urt. v. 2.6.2022, Az. I ZR 140/15, GRUR 2022, 1308Rn. 68 – YouTube II; BGH, Urt. v. 16.12.2021, Az. I ZR 201/20, GRUR 2022 Rn. 26 – ÖKO-TEST III). Im Streitfall sind die von der Klagepartei geltend gemachten Unterlassungsansprüche indes sowohl nach der im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Rabattaktionen maßgeblichen Rechtslage (nachfolgend Ziff. 3.) als auch auf Grundlage der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Vorschriften begründet (nachfolgend Ziff. 4.).
3. Mit den streitgegenständlichen Bonusaktionen hat die Beklagte gegen die im Zeitpunkt der Verletzungshandlungen maßgeblichen Vorschriften der § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG a.F. i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 AMG a.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 AMPreisV verstoßen.
a. Bei den Vorschriften der § 78 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 AMG a.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 AMPreisV handelte es sich um gesetzliche Regelungen, die auch dazu bestimmt waren, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, § 4 Nr. 11 UWG a.F. Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. galt die auf der Grundlage des § 78 Abs. 1 Satz 1 AMG a.F. erlassene Arzneimittelpreisverordnung auch für Arzneimittel, die von einer Apotheke eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum gemäß § 73 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1a AMG a.F. im Wege des Versandes an Endverbraucher in die Bundesrepublik Deutschland verbracht wurden. Mit dieser am 26.10.2012 in Kraft getretenen Regelung wurde gesetzlich klargestellt, dass die deutschen Vorschriften zur Festsetzung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises – wie von dem Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes mit Beschluss vom 22.08.2012 bereits entschieden (GmS-OGB, Beschl. v. 22.08.2012, Az. GmS-OGB 1/10, NJW 2013, 1425 – Medikamentenkauf im Versandhandel) – auch für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel gelten sollten, welche von Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union im Wege des Versandhandels an Endverbraucher mit Wohnsitz in Deutschland abgegeben wurden. Sie war ihrem Zweck nach dazu bestimmt, den Preiswettbewerb zwischen EU-ausländischen Versandapotheken und inländischen Vor-Ort-Apotheken zu regeln, und diente damit der Regelung des Marktverhaltens zum Schutz der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer (BR-Drs. 91/12, S. 108; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. 2015, § 4 Rn. 11.38; vgl. BGH, Urt. v. 09.09.2010, Az. I ZR 98/08, GRUR 2010, 1133Rn. 19 – Bonuspunkte; BGH, Urt. v. 09.09.2010, GRUR 2010, 1136Rn. 22 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE).
b. Zu Recht hat das Landgericht weiter angenommen, dass die streitgegenständlichen Rabattaktionen gegen die nach § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. auch für im EU-Ausland ansässige Versandapotheken geltende Preisbindung verstoßen haben.
aa. Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 AMG a.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 AMPreisV waren EU-ausländische Versandapotheken dazu verpflichtet, verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel, d.h. Arzneimittel, deren Abgabe nach § 43 Abs. 1 AMG den Apotheken vorbehalten ist, zu einem einheitlichen Apothekenabgabepreis an im Inland ansässige Endkunden abzugeben. Die auf der Grundlage des § 78 Abs. 1 AMG ergangene Arzneimittelpreisverordnung legt für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel in § 2 die Preisspannen des Großhandels bei der Abgabe im Wiederverkauf an Apotheken und in § 3 die Preisspannen der Apotheken bei der Abgabe im Wiederverkauf jeweils zwingend fest (vgl. § 1 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 4 AMPreisV). Die Bestimmung des § 78 Abs. 3 Satz 1 AMG stellt die Rechtslage insoweit zusammenfassend klar, als danach ein einheitlicher Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers für alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel zu gewährleisten ist, soweit für diese verbindliche Preise und Preisspannen durch die Arzneimittelpreisverordnung bestimmt sind. Erst hierdurch ergab sich in Verbindung mit den Handelszuschlägen, die die Arzneimittelpreisverordnung festlegt, ein einheitlicher, bei der Abgabe an den Endverbraucher verbindlicher Apothekenabgabepreis (BGH, Urt. v. 09.09.2010, GRUR 2010, 1136Rn. 16 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE). Gegen diese Preisbindung verstößt ein Apotheker indes nicht nur dann, wenn er ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem anderen als dem nach der Arzneimittelpreisverordnung zu berechnenden Preis abgibt. Die Bestimmungen der Arzneimittelpreisverordnung werden vielmehr auch dann verletzt, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar der korrekte Preis angesetzt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen (BGH, Urt. v. 09.09.2010, GRUR 2010, 1136Rn. 17 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE). In gleicher Weise wie die im Zusammenhang mit dem Erwerb verschreibungspflichtiger Fertigarzneimittel erfolgte Gewährung von Rabatten bzw. Skonti oder ähnlicher unmittelbarer Preisnachlässe unterliegt daher die an den Erwerb apothekenpflichtiger und damit preisgebundener Arzneimittel gekoppelte Überlassung von Einkaufsgutscheinen, die sodann beim Kauf nicht preisgebundener Waren eingelöst werden können (BGH, Urt. v. 09.09.2010, GRUR 2010, 1136Rn. 17 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE), sowie die Anrechnung von Bonuspunkten (BGH, 09.09.2010, Az. I ZR 98/08, GRUR 2010, 1133Rn. 15 – Bonuspunkte) dem arzneimittelrechtlichen Preisbindungsgebot. Denn aus der Sicht des Kunden stellen sich auch diese Vergünstigungen als Rabatt auf das Erstgeschäft (d.h. den Kauf rezeptpflichtiger und damit preisgebundener Medikamente) und damit als Unterschreitung der in der AMPreisVO vorgeschriebenen Preise dar (so bereits der erkennende Senat, Urt. v. 26.09.2013, Az. 6 U 2241/13).
bb. Diese Vorgaben hat die Beklagte mit den beiden streitgegenständlichen Rabattaktionen außer Acht gelassen:
(1) Der bis zu einer Gesamthöhe von EUR 9,00 pro Rezept für jedes rezept- und damit verschreibungspflichtige Medikament angebotene und gewährte Rabatt in Höhe von jeweils EUR 3,00 stellt sich aus der Sicht angesprochener Kunden als unmittelbarer Preisnachlass auf den eigentlichen Apothekenabgabepreis dar.
(2) Gleiches gilt für den einem Kunden in gleicher Höhe gegen Teilnahme an einem Arzneimittelcheck gewährten Bonus. Die Zahlung des Bonus von EUR 3,00 pro Medikament bis zu einer Gesamthöhe von EUR 9,00 pro Rezept erfolgt aus der Sicht des angesprochenen Kunden als finanzieller Anreiz dafür, Rezepte bei der Beklagten einzulösen. Hingegen stellt sich die Zahlung dem angesprochenen Kunden nicht als Entlohnung mit der Durchführung des Arzneimittelchecks verbundener Unannehmlichkeit dar, angesichts derer die preisliche Anreizwirkung als solche in den Hintergrund treten würde. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass die Zahlung von Prämien oder Rabatten ebenso wie die sonstige Erstattung bestimmter Geldbeträge im Zusammenhang mit dem Erwerb preisgebundener Arzneimittel nur dann keinen Verstoß gegen die gesetzlich vorgegebene Preisbindung darstellt, wenn die Vorteile nicht allein für den Erwerb des preisgebundenen Arzneimittels, sondern auch aus anderem Anlass gewährt werden, etwa weil der Kunde beim Erwerb Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen muss (BGH, Urt. v. 08.05.2013, Az. I ZR 98/12, GRUR 2013, 1264Rn. 13 – RezeptBonus; BGH, 09.09.2010, Az. I ZR 98/08, GRUR 2010, 1133Rn. 16 – Bonuspunkte; BGH, Urt. v. 09.09.2010, GRUR 2010, 1136Rn. 18 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE; vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 25.08.2011, Az. 2 U 21/11, BeckRS 2011, 24809). Eine Entschädigung einer Unannehmlichkeit ist etwa anzunehmen, wenn einem Kunden ein Gutschein aus dem Grund ausgestellt wird, weil er wegen der fehlenden Vorrätigkeit eines gewünschten Präparats die Apotheke nochmals aufsuchen muss oder wegen personalbedingt längerer Wartezeiten. Insoweit steht nämlich nicht die finanzielle Anreizwirkung als der Gedanke der Entschädigung eines Kunden für ihm entstandene Unannehmlichkeiten im Vordergrund (vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 26.07.2007, Az. 3 U 21/07, NJW-RR 2008, 61, 62 - Saartaler).
Auf eine solche Konstellation kann sich die Beklagte im Streitfall indes nicht berufen. Denn die Höhe des von ihr ausgelobten Bonus steht entgegen der Behauptung der Beklagten in ihrer Werbeschrift gemäß Anlage K 12 („Die Prämie erhalten Sie als Aufwandsentschädigung für Ihr Mitwirken an unserer Qualitätssicherung. … Die Höhe der Aufwandsentschädigung hängt vom Umfang der erforderlichen Befragung bzw. der Anzahl Ihrer Medikamente ab … Zu jedem Medikament werden Ihnen bestimmte Standardfragen gestellt, die sie beantworten müssen. Je größer Ihr Aufwand dabei ist und je mehr Medikamente sie dokumentieren müssen, desto höher ist die Aufwandsentschädigung. …“) nicht in Abhängigkeit von etwaigen Unannehmlichkeiten, sondern steht allein in Relation zu der Anzahl der bei der Beklagten eingelösten Arzneimittel und Rezepte. Bietet die Beklagte wie in ihrer Werbung eine „Aufwandsentschädigung von 3,00 Euro – also maximal 9,00 Euro pro Rezept“ an, erfolgt die entsprechende Zahlung aus Sicht des betroffenen Kunden für die Anzahl der bei der Beklagten eingelösten Rezepte und Arzneimittel, nicht aber für etwaige mit dem Ausfüllen des Arzneimittelcheckformulars verbundene Unannehmlichkeiten.
Ohnehin stellt das Ausfüllen des von dem Kläger als Anlage K 15 vorgelegten Arzneimittelcheckformulars – worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat – bereits aus dem Grund keine Unannehmlichkeit dar, weil mit der gegebenenfalls möglichen Vermeidung gesundheitsschädlicher Arzneimittelunverträglichkeiten und Wechselwirkungen ein Vorteil für den Kunden einhergeht, der seinerseits den entsprechenden Aufwand des Ausfüllens des genannten Formulars kompensiert. Bei der Bonuszahlung handelt es sich daher um einen überschießenden Vorteil, den der angesprochene Kunde als reinen Preisnachlass wahrnimmt.
Hinzu kommt, dass von einem mit dem Ausfüllen des Arzneimittelcheckformulars (Anlage K 15) verbundenen hinreichend erheblichen Aufwand oder gar Unannehmlichkeiten auch in zeitlicher Hinsicht keine Rede sein kann. Der sogenannte Arzneimittelcheck beschränkt sich darauf, dass ein Kunde neben seinen personenbezogenen Daten die gemäß dem Rezept verordneten Medikamente nebst Indikation in ein einseitiges Formular eintragen und drei Fragen nach möglichen sonstigen Beschwerden, Unverträglichkeiten und einer bestehenden Schwangerschaft beantworten muss. Wie der Senat in anderer Besetzung bereits in seinem Urteil vom 26.09.2013, Az. 6 U 2241/13, entschieden hat, dürfte dies kaum wenige Minuten in Anspruch nehmen. Hat ein Kunde zudem bereits ein Rezept bei der Beklagten eingelöst, erschöpft sich der Arzneimittelcheck gar darin, die Option „Meine Angaben liegen Ihnen bereits vor. An diesen hat sich nichts geändert.“ anzukreuzen, das Datum einzutragen und das Dokument zu unterschreiben. Gleichwohl erhält der Kunde auch in diesem Fall für jedes verordnete Medikament einen Bonus in Höhe von EUR 3,00, bis zu einer Gesamthöhe von EUR 9,00 pro Rezept.
Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang zudem auf die natürliche Zurückhaltung ihrer Abnehmer bei der Offenbarung derart intimer Informationen rekurriert, die es erfordere, einen Anreiz zu schaffen, entsprechende Daten zu offenbaren, rechtfertigt auch dies nicht die Notwendigkeit der Gewährung eines finanziellen Anreizes. Insoweit erleichtert bereits die Anonymität der Bestellsituation gegenüber der Beklagten die Preisgabe der abgefragten Daten. Dementgegen steht der Kunde in einer stationären Apotheke einem Apotheker persönlich gegenüber und ist insofern naturgemäß dazu gezwungen, die aus der Verordnung ersichtlichen gesundheitsbezogenen Angaben zu offenbaren, umso mehr, als Apothekern gemäß § 20 Abs. 2 ApBetrO zugleich eine gesetzliche Informations- und Beratungspflicht obliegt. Selbstredend rechtfertigt die dementsprechende Überwindung einer möglichen Schamgrenze nicht die Zahlung eines Bonus. Vielmehr ist die Offenbarung gesundheitsbezogener Daten naturgemäß damit verbunden, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel gemäß § 43 Abs. 1 AMG nur von Apotheken abgeben werden dürfen. Eine gesondert zu vergütende Unannehmlichkeit liegt hierin damit nicht.
Belegen mithin sämtliche Umstände, dass ein Ausnahmefall im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung nicht vorliegt, bleibt es schließlich auch unbehelflich, wenn die Beklagte behauptet, durch nationale Vorschriften in ihrem Sitzland angehalten zu sein, entsprechende Informationen von den Bestellern zu erheben.
c. Das beanstandete Verhalten der Beklagten war zudem geeignet, die Interessen von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, § 3 Abs. 1 UWG a.F. Ein Verstoß gegen die Arzneimittelpreisbindung ist dem Bundesgerichtshof zufolge immer bereits dann geeignet, die Interessen von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, wenn der Wert der für den Bezug eines Arzneimittels gewährten Werbegabe – was vorliegend der Fall ist – einen Euro übersteigt (BGH, Urt. v. 08.05.2013, Az. I ZR 98/12, GRUR 2013, 1264Rn. 20 – RezeptBonus).
d. Die Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. verletzt überdies nicht die europarechtlich gemäß Art. 28 ff. AEUV gewährleistete Warenverkehrsfreiheit. Soweit der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 19.10.2016, Rs. C-148/15, ECLI:EU:C:2016:776 – Deutsche Parkinson Vereinigung, entschieden hat, dass eine nationale Regelung, wonach für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel einheitliche Apothekenabgabepreise festgesetzt werden, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne des Art. 34 AEUV darstellt, da sie sich auf die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch in anderen Mitgliedstaaten ansässige Apotheken stärker auswirkt als auf die Abgabe solcher Arzneimittel durch im Inland ansässige Apotheken, ist dies auf Grund des Anwendungsvorrangs des Europarechts und der Verbindlichkeit der dem Unionsgerichtshof gemäß Art. 267 AEUV zugewiesenen Auslegung zwar grundsätzlich hinzunehmen (vgl. EuGH, Urt. v. 22.02.2022, Rs. C-430/21, ECLI:EU:C:2022:99 = BeckRS 2022, 2350, Rn. 52/55). Der Unionsgerichtshof hat jedoch in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung die bundesdeutschen Regelungen der Arzneimittelpreisbindung nicht per se, sondern nur mangels hinreichend substantiierten Vortrages zur Rechtfertigung gemäß Art. 36 AEUV für europarechtswidrig erklärt (nachfolgend lit. aa.). Nach der zivilgerichtlich vorzunehmenden Stichhaltigkeitsprüfung (nachfolgend lit. bb.) durfte der Gesetzgeber aber auf der Grundlage im Rahmen des vorliegenden Verfahrens festgestellten konkreten Daten und tatsächlichen Anhaltspunkte davon ausgehen, dass die zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Rabattaktionen geltenden Regelungen der Arzneimittelpreisbindung ein geeignetes und erforderliches Mittel waren, um zum Zwecke des Schutzes von Leben und Gesundheit von Menschen eine flächendeckende sichere und qualitativ hochwertige Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten (nachfolgend lit. cc.).
aa. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung folgt die Unwirksamkeit der Arzneimittelpreisbindung nicht bereits aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung.
(1) Zwar hat der Unionsgerichtshof insoweit unter Berücksichtigung der seitens der Bundesregierung zur Begründung der Notwendigkeit der Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. vorgetragenen Erwägungen entschieden, dass diese aus dem Grund nicht mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen im Sinne von Art. 36 AEUV gerechtfertigt werden könne, weil sie nicht geeignet sei, die mit der Regelung angestrebten Ziele zu erreichen. Aus dem Urteil folgt indes keine die Unwirksamkeit der Arzneimittelpreisbindung präkludierende Bindungswirkung. Denn in der Sache hat der Unionsgerichtshof die deutsche Arzneimittelpreisbindung auf das Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf hin lediglich mit der Begründung für europarechtswidrig erachtet, dass keine hinreichenden Nachweise zur Rechtfertigung des Eingriffs in die europäische Warenverkehrsfreiheit vorgetragen worden waren. Ausdrücklich hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass die Notwendigkeit einer flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in ganz Deutschland nicht mit den notwendigen Beweisen untermauert worden sei. Insbesondere sei nicht dargetan worden, inwiefern durch die Festlegung einheitlicher Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel eine bessere geografische Verteilung der traditionellen Apotheken in Deutschland sichergestellt werden könne (EuGH, Urt. v. 19.10.2016, Rs. C-148/15, ECLI:EU:C:2016:776 = GRUR 2016, 1312Rn. 37 – Deutsche Parkinson Vereinigung). Beruht die Entscheidung des Unionsgerichtshofs damit aber auf einer von den damaligen Streitparteien und der aufgrund ihrer Verantwortlichkeit für die streitgegenständliche gesetzliche Regelung zum Zwecke des Vorabentscheidungsverfahrens beteiligten Bundesrepublik Deutschland nicht hinreichend erfüllten Darlegungslast, bleibt es der (im damaligen Verfahren nicht einmal beteiligten) Klagepartei unbenommen, im hiesigen Streitfall ihrerseits vorzutragen und zu belegen, dass hinreichende tatsächliche Gründe gegeben sind, um die im Streit stehende Arzneimittelpreisbindung zu rechtfertigen (vgl. Frank, GRUR 2016, 1246, 1249; Drexel, EuZW 2019, 533, 538). Letztlich ist es – auch dem Unionsgerichtshof zufolge – Sache des zuständigen nationalen Gerichts, eine nationale gesetzliche Regelung mit Hilfe der ihm vorgelegten Beweismittel objektiv daraufhin zu überprüfen, ob sich diese mit Blick auf die behaupteten Rechtfertigungsgründe als hinreichend tragfähig erweisen (EuGH, a.a.O., Rn. 35 – Deutsche Parkinson Vereinigung).
(2) Der Bundesgerichtshof hat dementsprechend im Nachgang zu der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung bereits entschieden, dass Feststellungen zur tatsächlichen Rechtfertigung der Arzneimittelpreisbindung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens getroffen und hierzu etwa eine amtliche Auskunft staatlicher Stellen wie der Bundesregierung eingeholt werden können (BGH, Urt. v. 18.11.2021, Az. I ZR 214/18, Rn. 64 – Gewinnspielwerbung II; GRUR 2022, 391Rn. 64; BGH, Urt. v. 20.02.2020, Az. I ZR 5/19, PharmR 2020, 267, 269 f. – Sofort-Bonus II; BGH, Urt. v. 24.11.2016, Az. I ZR 163/15, GRUR 2017, 635Rn. 49 – Freunde werben Freunde; BGH, Urt. v. 26.4.2018, Az. I ZR 121/17, GRUR 2018, 1271, Rn. 28/31 – Applikationsarzneimittel). Im Rahmen der von einem nationalen Gericht zu treffenden Feststellungen darf sich dieses jedoch nicht auf eine solche amtliche Stellungnahme beschränken. Es ist vielmehr bereits eine notwendige Konsequenz der im Zivilprozess geltenden Beibringungsmaxime, dass der von den Parteien vorgebrachte Streitstoff insgesamt zu berücksichtigen ist. Gleichermaßen wäre es nicht erklärlich, dass der Unionsgerichtshof selbst im Rahmen des von ihm geführten Vorabentscheidungsverfahrens nicht nur die Ausführungen der für die fragliche gesetzliche Regelung verantwortlichen staatlichen Stelle, sondern auch den Vortrag der Parteien sowie weiterer Mitgliedstaaten berücksichtigt (EuGH, a.a.O., Rn. 42 – Deutsche Parkinson Vereinigung). Nichts anderes kann dann aber für die Anwendung der vom Unionsgerichtshof vorgegebenen Rechtsprechung im Rahmen eines nationalen Streitverfahrens vor einem mitgliedstaatlichen Gericht gelten.
(3) Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 08.06.2017, Az. I-20 U 38/16, und 25.04.2017, Az. I-20 U 149/13, verweist, ist dies bereits aus dem Grund unbehelflich, da sich die diesen zugrunde liegende Begründung im Kern darauf beschränkt, dass die Arzneimittelpreisbindung europarechtlich nicht gerechtfertigt werden könne, weil der Unionsgerichtshof den Vortrag der Bundesregierung im Vorabentscheidungsverfahren in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung bereits umfassend berücksichtigt und im Ergebnis für eben nicht ausreichend befunden habe. Diese Begründung greift aber nach dem Dafürhalten des Senats – wie ausgeführt – zu kurz. Der Unionsgerichtshof selbst hat im Rahmen von ihm in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung referenzierter Rechtsprechung ausdrücklich entschieden, dass die nationalen Gerichte bei der Anwendung der Art. 34, 36 AEUV nicht nur die Angaben, Beweismittel und sonstigen Unterlagen zu berücksichtigen haben, welche dem Gesetzgeber beim Erlass der streitgegenständlichen Regelung zur Verfügung standen. Vielmehr müssen die nationalen Gerichte alle Angaben, Beweismittel und sonstigen einschlägigen Unterlagen berücksichtigen, von denen sie gemäß den Bedingungen ihres nationalen Rechts im Zeitpunkt ihrer Entscheidung Kenntnis haben (EuGH, Urt. v. 23.12.2015, Rs. C-333/14, ECLI:EU:C:2015:845, Rn. 60/65 – Scotch Whisky Association; ebenso Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard v. 27.02.2020, Rs. C-649/18, ECLI:EU:C:2020:134, Rn. 131).
(4) Nichts anderes folgt aus der Vorlageentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.07.2023 (Az. I ZR 182/22, GRUR 2023, 1318 – Gutscheinwerbung). Gegenstand der Entscheidung ist die im hiesigen Streitfall nicht entscheidungserhebliche Frage, ob der Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 Nr. 2 Teilsatz 1 Buchst. a HWG dahin auszulegen ist, dass ihm allein unmittelbar wirkende Preisnachlässe und Zahlungen, nicht aber auf einen Geldbetrag oder einen prozentualen Rabatt lautende Gutscheine für den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte unterfallen (BGH, a.a.O., Rn. 36). Soweit der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang von einer erneuten Vorlage an den Unionsgerichtshof zur Klärung der Frage, ob die in § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. vorgesehene Arzneimittelpreisbindung erforderlich ist, um die gebotene flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen und das finanzielle Gleichgewicht des Systems der gesetzlichen Krankenkasse abzusichern, abgesehen hat, hat er dies allein damit begründet, dass im dort anhängigen Verfahren keine weitere Aufklärung zu erwarten sei (BGH, a.a.O., Rn. 18). Im vorliegend zu entscheidenden Streitfall ist die Frage eines Verstoßes gegen § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. indes entscheidungserheblich. Zudem hat nicht nur die Klagepartei umfassend zur Rechtfertigung der Arzneimittelpreisbindung vorgetragen, sondern liegt zwischenzeitlich auch das von der Bundesregierung angeforderte Auskunftsschreiben vor. Damit bleibt es aber dabei, dass der Senat von dem im Streitfall vorgebrachten Sachvortrag ausgehend zu entscheiden hat, ob die Arzneimittelpreisbindung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. eine zum Schutz der Gesundheit gerechtfertigte Regelung darstellte.
bb. Ob der mit der Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. einhergehende Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit des Art. 34 AEUV aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt war, ist zivilgerichtlich unter Berücksichtigung der im Bereich der Gesundheitspolitik bestehenden weitreichenden Einschätzungsprärogative des nationalen Gesetzgebers im Rahmen einer Stichhaltigkeitskontrolle daraufhin zu prüfen, ob die fragliche Regelung bei verständiger Würdigung auf rechtfertigenden, hinreichend tatsachenbasierten Anknüpfungspunkten beruht, diese also nicht lediglich auf der Grundlage ins Blaue hinein erfolgter Überlegungen und damit willkürlich erfolgt ist. Ist im Rahmen der durchzuführenden Stichhaltigkeitskontrolle feststellbar, dass dem parlamentarischen Willensbildungsprozess Tatsachen zugrunde liegen, die sowohl für als auch gegen die Erforderlichkeit der fraglichen Maßnahme sprechen, kann sich der Gesetzgeber seiner im Bereich der Gesundheitspolitik geltenden, weiten Einschätzungsprärogative entsprechend für oder gegen diese entscheiden, ohne durch diese rein normative Abwägung die unionsrechtlich gebotenen Grenzen des freien Warenverkehrs zu verletzen. Dieser, für die Überprüfung der Unionsrechtskonformität nationaler gesetzlicher Regelungen im Streitfall maßgebliche Prüfungsmaßstab folgt im Einzelnen aus folgenden Erwägungen:
(1) Auszugehen ist zunächst davon, dass gemäß Art. 36 AEUV Maßnahmen gleicher Wirkung im Sinne von Art. 34 AEUV unionsrechtlich nur dann ausnahmsweise zulässig sind, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Zudem dürfen die fraglichen Maßnahmen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen.
Insoweit ist in der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs anerkannt, dass das Ziel der Gewährleistung einer flächendeckenden sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung grundsätzlich dem nach Art. 36 AEUV privilegierten Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen unterfällt und folglich Einschränkungen der Warenverkehrsfreiheit dem Grunde nach rechtfertigen kann, weil dieses Ziel dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen dient (EuGH, Urt. v. 19.10.2016, Rs. C-148/15, ECLI:EU:C:2016:776 = GRUR 2016, 1312, Rn. 31, 34 – Deutsche Parkinson Vereinigung; EuGH, Urt. v. 28.03.1995, Rs. C-324/93, EU:C:1995:84, Rn. 37 – Evans Medical und Macfarlan Smith). Dies überzeugt, da es eine wesentliche Grundlage der Gesundheitsvor- und Gesundheitsfürsorge ist, sowohl zur Prävention als insbesondere auch in Fällen von Krankheit und unfallbedingten Verletzungen über die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik bekannten und am Markt angebotenen Arzneimittel verfügen zu können. Diese Verfügbarkeit muss schon aus Gründen der verfassungsrechtlich nicht nur vor dem Hintergrund des Art. 3 GG, sondern zur Wahrung der einem jeden Menschen zukommenden unveräußerlichen Würde, Art. 1 GG, gebotenen Gleichbehandlung sowie zum Zwecke des gemäß Art. 2 Abs. 1 GG gebotenen Lebens- und Gesundheitsschutzes im gesamten Bundesgebiet einheitlich und gleichmäßig auf möglichst hohem Niveau sichergestellt werden.
Allerdings lässt sich eine nationale Regelung, die eine durch den Vertrag gewährleistete Grundfreiheit wie den freien Warenverkehr beschränken kann, auch aus Gründen des Gesundheitsschutzes nur dann mit Erfolg rechtfertigen, wenn diese geeignet ist, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. EuGH, Urt. v. 19.10.2016, Rs. C-148/15, ECLI:EU:C:2016:776 = GRUR 2016, 1312Rn. 34 – Deutsche Parkinson Vereinigung mit Verweis auf Urt. v. 09.12.2010, Rs. C-421/09, EU:C:2010:760, Rn. 34 – Humanplasma sowie Urt. v. 23.12.2015, Rs. C-333/14, EU:C:2015:845, Rn. 33 – Scotch Whisky Association). Die Rechtfertigungsgründe, auf die sich ein Mitgliedstaat berufen kann, müssen daher von einer Untersuchung zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von diesem Mitgliedstaat erlassenen Maßnahme sowie von genauen Angaben zur Stützung seines Vorbringens begleitet sein (EuGH, Urt. v. 19.10.2016, Rs. C-148/15, ECLI:EU:C:2016:776 = GRUR 2016, 1312, Rn. 35 – Deutsche Parkinson Vereinigung; Urt. v. 23.12.2015, Rs. C-333/14, EU:C:2015:845, Rn. 54 – Scotch Whisky Association; Urt. v. 26.04.2012, Rs. C-456/10, ECLI:EU:C:2012:241, Rn. 50 - ANETT).
(2) Als denkbare Beweismittel kommen dabei entweder statistische Daten, auf einzelne Punkte beschränkte Daten oder andere Mittel in Betracht, welche das nationale Gericht seiner Prüfung dann dahingehend objektiv zu prüfen hat, ob die vorgelegten Beweise bei verständiger Würdigung die Einschätzung erlauben, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung des verfolgten Ziels geeignet sind, und ob es möglich ist, dieses Ziel durch Maßnahmen zu erreichen, die den freien Warenverkehr weniger einschränken (EuGH, Urt. v. 19.10.2016, Rs. C-148/15, ECLI:EU:C:2016:776 = GRUR 2016, 1312, Rn. 35/36 – Deutsche Parkinson Vereinigung mit Verweis auf Urt. v. 23.12.2015, Rs. C-333/14, ECLI:EU:C:2015:845 = EuZW 2016, 230, Rn. 54 – Scotch Whisky Association).
Überdies hat das zuständige nationale Gericht im Rahmen seiner richterlichen Überzeugungsbildung die nach seiner Jurisdiktion maßgeblichen Beweisregeln zu beachten und im Lichte der europarechtlichen Vorgaben anzuwenden (vgl. EuGH, Urt. v. 23.12.2015, Rs. C-333/14, ECLI:EU:C:2015:845 = EuZW 2016, 230, Rn. 64 – Scotch Whisky Association). Hierzu zählen auch die nach deutschem Zivilprozessrecht bestehenden Beweiserleichterungen. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises gilt etwa eine bestimmte Ursache oder ein bestimmter Ablauf nach der allgemeinen Lebenserfahrung als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges, wenn das Gericht das Vorliegen eines entsprechenden typischen Geschehensablaufs feststellen kann (vgl. BGH, Urt. v. 23.01.1997, Az. I ZR 29/94, NJW 1997, 2757, 2759 – Produktwerbung). Gleichfalls sind Erfahrungssätze und daraus zu folgernde tatsächliche Vermutungen zu berücksichtigen. So geht der Bundesgerichtshof im Rahmen kartellrechtlicher Schadensersatzverfahren davon aus, dass sich bei einem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern über geheime Informationen, die das aktuelle oder geplante Preissetzungsverhalten gegenüber einem gemeinsamen Abnehmer zum Gegenstand haben, die tatsächliche Vermutung – im Sinne eines Erfahrungssatzes – dafür ergibt, dass die nach dem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch gegenüber diesem Abnehmer erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die Wettbewerbsbeschränkung gebildet hätten (BGH, Urt. v. 29.11.2022, Az. KZR 42/20, NZKart 2023, 24, 26 – Schlecker). Den sachlichen Grund dieser Rechtsprechung verortet der Bundesgerichtshof in einem aus der hohen Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens folgenden validen Erfahrungssatz. Ausdrücklich betont der Bundesgerichtshof dabei, dass es zum ökonomischen Erfahrungswissen zähle, dass ein Unternehmen Kenntnisse über beabsichtigtes oder erwogenes Marktverhalten eines Wettbewerbers in der Regel bei der Bestimmung des eigenen Marktverhaltens berücksichtigt. Die Tatsache, dass ein solches Verhalten wirtschaftlicher Vernunft entspricht, ist dabei die dem Bundesgerichtshof zufolge tragende Erwägung der Annahme einer entsprechenden tatsächlichen Vermutung (BGH, a.a.O., mit Verweis auf BGH, 13.07.2020, Az. KRB 99/19, NJW 2021, 395Rn. 42 – Bierkartell).
(3) Soweit der Unionsgerichtshof weiter eine Prüfung möglicher, die Warenverkehrsfreiheit weniger beschneidender Maßnahmen anmahnt, ist dies als Hinweis auf das Erfordernis einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung zu verstehen. Der vom Unionsgerichtshof selbst referenzierten Rechtsprechung zufolge darf nämlich die den Streitparteien auferlegte Beweislast nicht so weit gehen, dass positiv belegt werden müsste, dass ein Mitgliedstaat das von ihm angestrebte Ziel mit keiner anderen vorstellbaren Maßnahme unter den gleichen Bedingungen erreichen könne (st. Rspr.; EuGH, Urt. v. 23.12.2015, Rs. C-333/14, ECLI:EU:C:2015:845, Rn. 55/58 – Scotch Whisky Association; Urt. v. 10.02.2009, Rs. C-110/05, ECLI:EU:C:2009:66, Rn. 66 – Kommission/Italien; Urt. v. 23.10.1997, Rs. C-157/94, ECLI:EU:C:1997:499, Rn. 58 – Kommission/Niederlande). Vielmehr hat das zuständige nationale Gericht im Rahmen seiner Prüfung dem Unionsgerichtshof zufolge die Stichhaltigkeit der ihm vorliegenden Beweise nur daraufhin zu prüfen, ob diese bei verständiger Würdigung die Einschätzung erlauben, dass die vom Gesetzgeber gewählten Mittel zur Verwirklichung der jeweils verfolgten Ziele geeignet sind, und ob es möglich ist, diese Ziele durch Maßnahmen zu erreichen, die den freien Warenverkehr weniger einschränken. Dabei darf das Gericht auch mögliche wissenschaftliche Unsicherheiten hinsichtlich der konkreten und tatsächlichen Auswirkungen einer Preisbindungsmaßnahme für die Erreichung des verfolgten Ziels berücksichtigen (vgl. EuGH, Urt. v. 23.12.2015, Rs. C-333/14, ECLI:EU:C:2015:845 = EuZW 2016, 230, Rn. 56/57 – Scotch Whisky Association).
(4) Im Rahmen der nach dem Unionsgerichtshof folglich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung ist zudem zu berücksichtigen, dass für die Anwendung und Auslegung des Unionsrechts die Verantwortung für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung gemäß Art. 168 Abs. 7 AEUV bei den Mitgliedstaaten selbst liegt, wobei die Verantwortung der Mitgliedstaaten sowohl die Verwaltung des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung als auch die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel umfasst. Unter den nach den Vorgaben des AEUV geschützten Gütern und Interessen nimmt die Gesundheit und das Leben von Menschen den höchsten Rang ein. Nichts anderes folgt daraus, dass der Unionsgerichtshof auch in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung seine in ständiger Rechtsprechung wiederholte Formulierung zitiert, wonach die Ausnahmeregelung des Art. 36 AEUV eng auszulegen sei (EuGH, Urt. v. 19.10.2016, Rs. C-148/15, ECLI:EU:C:2016:776 = GRUR 2016, 1312, Rn. 29 – Deutsche Parkinson Vereinigung). Diese Formulierung kann angesichts der grundlegenden und übergeordneten Bedeutung des Lebens- und Gesundheitsschutzes nur dahingehend verstanden werden, dass hiermit die zweifellos hohe Bedeutung der Warenverkehrsfreiheit für die Realisierung eines einheitlichen Binnenmarkts und das damit verbundene Gebot der effektiven Verwirklichung europarechtlicher Vorgaben hervorgehoben und vor diesem Hintergrund eine grundsätzliche Notwendigkeit für den Nachweis des Vorliegens der Rechtfertigungsvoraussetzungen abgeleitet wird (so dann der EuGH, a.a.O., Rn. 35 – Deutsche Parkinson Vereinigung). Man wird dem Unionsgerichtshof hingegen nicht unterstellen können, hiermit Wirtschafts- und Warenverkehrsfreiheit über den Gesundheits- und Lebensschutz stellen zu wollen. Eine solche Auslegung der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs stünde nicht zuletzt in direktem Widerspruch zu den Vorgaben der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 83/389 vom 30.03.2010, nachfolgend nur: GRCh). Diese betont bereits in ihrer Präambel, dass der Mensch im Mittelpunkt des Handelns der Europäischen Union steht und stellt dementsprechend den Schutz der Würde, des Lebens und der geistigen und körperlichen Unversehrtheit in ihren Artikeln 1 bis 3 GRCh sämtlichen weiteren Gewährleistungen voran. Auszugehen ist daher von einem den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung gesundheitspolitischer Maßnahmen zustehenden weiten Beurteilungsermessen. Für ein weites Beurteilungsermessen spricht auch die Regelung des Art. 94 Abs. 4 RL 2001/83/EG. Demzufolge bleibt das gemäß Art. 94 Abs. 1 RL 2001/83/EG bei der Werbung für Arzneimittel geltende Verbot der Gewährung finanzieller Vorteile von in den Mitgliedstaaten bestehenden Maßnahmen hinsichtlich der Preise unberührt. Gemäß Art. 4 Abs. 3 RL 2001/83/EG berühren die Bestimmungen der Arzneimittelrichtlinie überdies nicht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Festsetzung der Arzneimittelpreise und ihrer Einbeziehung in den Anwendungsbereich der innerstaatlichen Krankenversicherungssysteme.
Im Rahmen des den Mitgliedstaaten zustehenden Beurteilungsermessens liegt es zudem in deren Verantwortung, zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Auch insoweit ist, da sich dieses Niveau von einem Mitgliedstaat zum anderen unterscheiden kann, den Mitgliedstaaten ein weiter Wertungsspielraum zuzuerkennen (st. Rspr., statt vieler: EuGH, Urteil vom 01.06.2010, Rs. C-570, 571/07, ECLI:EU:C:2008:138, Rn. 44 – Pérez/Consejería de Salud y Servicios Sanitarios; Urt. v. 11.09.2008, Rs. C-141/07, ECLI:EU:C:2008:492, Rn. 51 – Kommission/Deutschland). Auf den, den Mitgliedstaaten zustehenden Wertungsspielraum und damit auch auf die Art und Weise der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wirkt es sich aber aus, wenn bei der gebotenen Bewertung der maßgeblichen tatsächlichen Umstände erhebliche wissenschaftliche und praktische Unsicherheiten bestehen. Unter solchen Umständen ist einem Mitgliedstaat zuzugestehen, dass er dem Vorsorgeprinzip entsprechend Schutzmaßnahmen trifft, ohne abwarten zu müssen, dass das Vorliegen und die Größe dieser Gefahren klar dargelegt sind. Nur auf rein hypothetische Erwägungen darf die Risikobewertung indes nicht gestützt werden (EuGH, Urt. v. 02.12.2004, Rs. C-41/02, ECLI:EU:C:2004:762, Rn. 51/52 – Kommission/Niederlande).
Diese nach Maßgabe des Vorsorgeprinzips bestehende Auswirkung auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist in der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs zwar zum Gefahrstoffrecht entwickelt worden. Gleichwohl sind diese Maßstäbe dem Unionsgerichtshof selbst zufolge auch für die zum Bereich des Gesundheitsschutzes zählende Organisation des Apothekenwesens und der über Apotheken erfolgenden Arzneimittelabgabe maßgeblich (vgl. EuGH, Urt. v. 11.09.2008, Rs. C-141/07, ECLI:EU:C:2008:492, Rn. 51 – Kommission/Deutschland). So hat der Unionsgerichtshof mit Blick auf das den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung dem Gesundheitsschutz dienender Maßnahmen zustehende weite Ermessen bereits entschieden, dass ein generelles Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln europarechtlich nicht zu beanstanden ist (EuGH, Urt. v. 11.12.2003, Rs. C-322/01, ECLI:EU:C:2003:664, Rn. 124 – Deutscher Apothekerverband/DocMorris). Gleichermaßen verstößt das apothekenrechtliche Fremdbesitzverbot nicht gegen die europäische Niederlassungsfreiheit, weil ein Mitgliedstaat, wenn eine Ungewissheit hinsichtlich des Vorliegens oder der Bedeutung der Gefahren für die menschliche Gesundheit bleibt, Schutzmaßnahmen treffen kann, ohne abwarten zu müssen, bis der Beweis für das tatsächliche Bestehen dieser Gefahren vollständig erbracht ist. Mitgliedstaaten können dem Unionsgerichtshof zufolge daher diejenigen Maßnahmen treffen, die eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung, wozu im Einzelnen eine Gefahr für die sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung gehört, weitestmöglich verringern (EuGH, Urt. v. 19.05.2009, Rs. C-171/07 und C-172/07, ECLI:EU:C:2009:316, Rn. 30 – Apothekerkammer des Saarlandes/Saarland). Unabhängig davon ist es aus unionsrechtlicher Sicht als grundlegende Leitlinie mitgliedstaatlichen Handelns anerkannt, dass Mitgliedstaaten das Recht haben, das Schutzniveau festzusetzen, das sie im Rahmen des Risikomanagements als angemessen erachten, und sie hierfür unter Berufung auf das Vorsorgeprinzip geeignete Maßnahmen treffen können, wobei es nicht immer möglich ist, vorab für alle Situationen das angemessene Schutzniveau festzulegen (Europäischer Rat, Nizza, 7. - 10.12.2000, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage III – Entschließung des Rates über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, Nr. 5, https://www.europarl.europa.eu/summits/nice2_de.htm#an3).
Der Anwendung des Vorsorgeprinzips steht das Urteil des Unionsgerichtshofs in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung nicht entgegen. Zwar hat der Gerichtshof in dieser Entscheidung den Schlussanträgen des Generalanwalts folgend nicht ausdrücklich auf das Vorsorgeprinzip rekurriert (vgl. Schlussanträge, Generalanwalt M. S. vom 02.06.2016, Rs. C-148/15, ECLI:EU:C:2016:394, Rn. 69). Soweit hiermit aber eine bewusste Einschränkung angedacht gewesen sein sollte, hat der Gerichtshof hiervon jedoch in seiner jüngeren Rechtsprechung wieder Abstand genommen und die unter dem Eindruck des Vorsorgeprinzips ergangene frühere Rechtsprechung im Zusammenhang mit nationalen Regelungen zum Gesundheitsschutz wieder ausdrücklich betont. In seinem Urteil vom 18.09.2019 (Rs. C-222/18, ECLI:EU:C:2019:751, Rn. 69/70 – VIPA) geht der Gerichtshof daher unter Bezugnahme auf sein Urteil in Sachen Apothekerkammer des Saarlandes im Grundsatz davon aus, dass es den nationalen Behörden obliegt, in jedem Einzelfall den Beweis dafür zu erbringen, dass eine Regelung, die eine durch den AEUV gewährleistete Grundfreiheit einschränkt, geeignet ist, die Verwirklichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Dabei betont der Gerichtshof in Rn. 71, dass den Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Bereich des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung ein Wertungsspielraum zuzuerkennen ist. In Rn. 72 führt der Gerichtshof dann ausdrücklich aus:
„Hinsichtlich der Eignung einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen zur Erreichung des geltend gemachten Ziels ist darauf hinzuweisen, dass der Mitgliedstaat, wenn eine Ungewissheit hinsichtlich des Vorliegens oder der Bedeutung von Gefahren für die menschliche Gesundheit bleibt, Schutzmaßnahmen treffen können muss, ohne warten zu müssen, bis der Beweis für das tatsächliche Bestehen dieser Gefahren vollständig erbracht ist. Außerdem kann der Mitgliedstaat diejenigen Maßnahmen treffen, die eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung, wozu im Einzelnen eine Gefahr für die sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung gehört, weitestmöglich verringern (Urteil vom 19. Mai 2009, Apothekerkammer des Saarlandes u. a., C-171/07 und C-172/07, EU:C:2009:316‚ Rn. 30 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).“
Vor diesem Hintergrund kann von einem Mitgliedstaat nicht verlangt werden, wenn er eine die Warenverkehrsfreiheit einschränkende Maßnahme mit der Notwendigkeit begründet, das Eintreten einer Gefahr für die Gesundheit seiner Bevölkerung – wie die einer möglichen Ausdünnung des landesweiten Netzes von Apotheken – zu verhindern, dass er empirische Daten vorlegt, die den Kausalzusammenhang zwischen dieser Maßnahme und der beabsichtigten Wirkung eindeutig belegen. Dies würde gerade – entgegen den vorstehend aufgezeigten Maßstäben – bedeuten, dass das Eintreten dieser Gefahr abgewartet werden müsste, damit dann geprüft werden kann, ob sich die Gefahr mit der restriktiven Maßnahme tatsächlich beseitigen lässt. Zu prüfen ist daher lediglich, ob die dem nationalen Gericht zur Rechtfertigung der fraglichen mitgliedstaatlichen Maßnahme vorgelegten Beweise bei verständiger Würdigung die Einschätzung erlauben, dass diese Regelung zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet ist, und ob es möglich ist, dieses Ziel durch weniger einschränkende Maßnahmen zu erreichen (vgl. EuGH, Urt. v. 23.12.2015, Rs. C-333/14, ECLI:EU:C:2015:845 = EuZW 2016, 230, Rn. 56 – Scotch Whisky Association sowie Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard v. 27.02.2020, Rs. C-649/18, ECLI:EU:C:2020:134, Rn. 131).
(5) Weiter muss berücksichtigt werden, dass die nationalen Gerichte nach den Vorgaben des Unionsgerichtshofs zur Rechtfertigung mitgliedstaatlicher Einschränkungen des Warenverkehrs die hypothetische Entwicklung im Bereich der Arzneimittelversorgung prognostisch zu prüfen haben, womit naturgemäß – mangels Verfügbarkeit einer entsprechenden Datenlage – erhebliche praktische Beweisschwierigkeiten einhergehen, da entsprechende Daten schlechterdings nicht vorliegen. Insofern ist daran zu erinnern, dass dem Unionsgerichtshof zufolge neben statistischen Daten auch auf einzelne Punkte beschränkte Daten oder andere Mittel genügen, auf deren Grundlage eine objektive gerichtliche Prüfung vorgenommen werden kann. Daher müssen mit Blick auf die praktischen Beweisschwierigkeiten, denen sich die nationalen Gerichte im Rahmen der wie hier vorzunehmenden Prüfung hypothetischer wirtschaftlicher Entwicklungen ausgesetzt sehen, aber konkrete und glaubhafte Anhaltspunkte dafür genügen, dass der Mitgliedstaat vernünftige Gründe für die Ansicht haben durfte, dass die fraglichen Maßnahmen der Erhaltung des gewünschten hohen Gesundheitsschutzniveaus dienlich sind (vgl. zum Schutz nationaler Sicherheitsinteressen: EuGH, Urt. v. 02.03.2023, Rs. C-601/21, ECLI:EU:C:2023:151, Rn. 54 – Kommission/Polen).
Gibt aber der Unionsgerichtshof – wie ausgeführt – selbst vor, dass die von einem nationalen Gericht vorzunehmende Stichhaltigkeitskontrolle darauf beschränkt ist, objektiv festzustellen, ob die ihm vorgelegten Beweise bei verständiger Würdigung die Einschätzung erlauben, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung der verfolgten Ziele geeignet sind, und ob es möglich ist, diese Ziele durch Maßnahmen zu erreichen, die den freien Warenverkehr weniger einschränken (vgl. EuGH, Urt. v. 23.12.2015, Rs. C-333/14, EU:C:2015:845, Rn. 56 – Scotch Whiskey), ist die zivilgerichtliche Überprüfung angesichts der seitens des nationalen Gesetzgebers zu treffenden Prognoseentscheidung und der hiermit verbundenen praktischen Beweisschwierigkeiten vor dem Hintergrund der bestehenden weitreichenden Einschätzungsprärogative bei der Definition und Umsetzung gesundheitspolitischer Ziele auf die Frage zu beschränken, ob hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die fragliche gesetzliche Maßnahme rechtfertigen und nicht ohne jede tatsächlichen Anhaltspunkte ins Blaue und damit willkürlich erfolgt sind.
(6) Dass im Streitfall keine übermäßigen Anforderungen an die Rechtfertigung des in der Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. liegenden Eingriffs in die unionsrechtliche Warenverkehrsfreiheit gestellt werden dürfen, folgt ferner daraus, dass nach Art und Ausmaß allenfalls ein geringfügiger Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit vorliegt. Infolge der Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. werden EU-Versandapotheken nicht vom Marktzutritt in Deutschland ausgeschlossen, sondern ihnen entsteht durch den fehlenden persönlichen Kontakt zu potentiellen Kunden ein lediglich mittelbarer Wettbewerbsnachteil. Im Bereich der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel besteht hingegen bereits im Ansatz keine Preisbindung, sodass Versandapotheken insoweit aufgrund der günstigeren Kostenstrukturen Preisvorteile an Kunden weitergeben und diese so an sich binden können, um entsprechende Marktanteile zu gewinnen und auszubauen.
(7) Darüber hinaus ist eine zurückhaltende richterliche Überprüfung auch unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Gewaltenteilungsgrundsatzes geboten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.10.1987, Az. 2 BvR 624/83, NJW 1988, 1651, 1653). Steht dem demokratisch legitimierten nationalen Gesetzgeber – was im Bereich der Gesundheitspolitik wie ausgeführt im Rahmen des Art. 36 AEUV der Fall ist – ein Gestaltungsspielraum zu, ist bei der zivilgerichtlichen Kontrolle auch aus dem Grund eine nur eingeschränkte richterliche Überprüfung geboten, weil der parlamentarische Entscheidungsprozess im Rahmen eines wie in der Bundesrepublik Deutschland nach gegenwärtigem Stand fraglos verwirklichten demokratischen Staatssystems als solcher bereits eine grundlegende Gewähr dafür bietet, dass die unterschiedlichen Interessen zur Sprache kommen und dem repräsentativ-demokratischen Willensbildungsprozess entsprechende legislative Entscheidungen unter Berücksichtigung dieser Interessen und alternativen Regulierungsszenarien getroffen werden.
cc. Hieran gemessen durfte der Gesetzgeber im Rahmen der von ihm zu treffenden Prognoseentscheidung davon ausgehen, dass die Arzneimittelpreisbindung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. ein geeignetes und erforderliches Mittel darstellt, um das als solches legitime Ziel der Erhaltung der flächendeckenden sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung in Deutschland zu gewährleisten. Die dementsprechende gesetzgeberische Entscheidung ist nicht nur ins Blaue und damit willkürlich erfolgt. Es liegen vielmehr hinreichend konkrete und glaubhafte Anhaltspunkte vor, die nach verständiger Würdigung den Schluss begründen, dass eine für EU-Versandhandelsapotheken geltende Arzneimittelpreisbindung dem Erhalt des gewünschten hohen Gesundheitsschutzes dienlich sind. Dass der Gesetzgeber bei seiner Entscheidung für diese Maßnahme im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungsprärogative andere Maßnahmen, durch die dieses Ziel ebenfalls und in vergleichbarer Weise hätte erreicht werden können, den freien Warenverkehr indes zweifelsfrei weniger einschränken würden, außer Acht gelassen hat, ist nicht ersichtlich. Soweit dabei nachfolgend einzelne der von den Parteien vorgetragenen Argumente nicht ausdrücklich erwähnt werden, hat der Senat diese in seine Würdigung einbezogen. Sie führen indes zu keinem anderen Ergebnis:
(1) Dem Gesetzgeber ging es entgegen der Behauptung der Beklagten mit der Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. um eine Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus und damit um eine gesundheitspolitische Zielsetzung. Dass stationären Apotheken eine für die Arzneimittelversorgung grundlegende und zentrale Bedeutung zukommt, steht außer Frage und wird von der Beklagten als solches auch nicht bestritten. Entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte ergeben sich zudem aus der aus dem Jahr 2017 datierenden und von dem Kläger als Anlage K 5 vorgelegten IFH-Studie. Die besondere Bedeutung von Präsenzapotheken ergibt sich demzufolge aus den über die bloße Bereitstellung verschreibungspflichtiger Arzneimittel hinaus angebotenen Beratungsleistungen. Unerheblich ist insoweit, ob – wie die Beklagte vorträgt – sie wegen mutmaßlich unzureichender Wechselwirkungsberatung von ihren Heimatbehörden unter Druck gesetzt würde. Daraus mag folgen, dass auch die Beklagte gewissen Beratungspflichten ausgesetzt ist. Nach ihrem eigenen Vortrag ist indes lediglich von einer sogenannten Wechselwirkungsberatung die Rede. Hierauf sind die den nationalen Präsenzapotheken obliegenden Beratungspflichten hingegen nicht beschränkt. Nationale Präsenzapotheken obliegen vielmehr umfassenden Beratungspflichten. Insbesondere müssen bei der Information und Beratung über Arzneimittel gemäß § 20 Abs. 2 ApBetrO Aspekte der Arzneimittelsicherheit berücksichtigt werden. Die Beratung muss zudem die notwendigen Informationen über die sachgerechte Anwendung des Arzneimittels umfassen, soweit erforderlich auch über eventuelle Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen, die sich aus den Angaben auf der Verschreibung sowie den Angaben des Patienten oder Kunden ergeben, und über die sachgerechte Aufbewahrung oder Entsorgung des Arzneimittels. Ferner sind die Präsenzapotheken gehalten, bei der Abgabe von Arzneimitteln an einen Patienten oder andere Kunden durch Nachfrage auch festzustellen, inwieweit diese gegebenenfalls weiteren Informations- und Beratungsbedarf haben, und eine entsprechende Beratung anzubieten. Im Falle der Selbstmedikation ist ferner auch festzustellen, ob das gewünschte Arzneimittel zur Anwendung bei der vorgesehenen Person geeignet erscheint oder in welchen Fällen anzuraten ist, gegebenenfalls einen Arzt aufzusuchen. Darüber hinaus richten sich auch die Anforderungen an die Beschaffenheit der Betriebsräume nach den entsprechenden, umfassenden Beratungspflichten. Gemäß § 4 Abs. 2a ApBetrO müssen die Betriebsräume einer Präsenzapotheke hinreichend zugänglich und barrierefrei gestaltet sein und auch vertrauliche Beratungsmöglichkeiten ermöglichen. Unabhängig davon ist eine Präsenzapotheke umfassenden weiteren regulatorischen Pflichten ausgesetzt. Hinzu kommen insbesondere Nacht- und Notdienste sowie der regelmäßige persönliche Kontakt mit den verschreibenden Ärzten und die Versorgung von Heimen (Anlage K 5, Seite 5). Soweit die Beklagte hingegen darauf verweist, dass die Arzneimittelpreisbindung eine rein wettbewerblich und mithin wirtschaftspolitisch motivierte Regelung sei, verkennt sie, dass die beabsichtigte Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen stationären Apotheken und europäischen Versandhandelsapotheken gerade dem gesundheitspolitischen Ziel dient, die zur Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus bestehende Infrastruktur stationärer Apotheken zur Arzneimittelversorgung zu erhalten. Die gesundheitspolitische Natur der Zielsetzung der Arzneimittelpreisbindung ergibt sich aus der Gesetzesbegründung ebenso wie aus den der Gesetzgebung zugrunde liegenden Plenarprotokollen:
Der Gesetzesbegründung zufolge ist eine einheitliche Preisgestaltung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aus Gründen des Gesundheitsschutzes geboten, um die Gefahr eines Fehl- oder Mehrgebrauchs zu vermeiden. Zugleich soll die Therapiefreiheit der Ärzte geschützt und das Einfordern von Wunschverschreibungen unterbunden werden. Ferner soll der Patient im Zeitpunkt der krankheitsbedingten Verschreibung eines Medikaments kurzfristig das entsprechende Medikament erhalten und einnehmen können und daher nicht in eine Situation gebracht werden, in der er im Krankheitsfalle durch einen zunächst vorgenommenen Preisvergleich von einer zeitnahen Einnahme abgehalten wird. Eine kurzfristige Einnahmemöglichkeit setzt aber nicht nur das Fehlen der Notwendigkeit eines Preisvergleichs, sondern auch eine ortsnahe Versorgung über stationäre Apotheken mit entsprechender Lager- und Lieferinfrastruktur voraus. Ausdrücklich heißt es insoweit in der Gesetzesbegründung zu § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. (BT-Drs. 17/9341, S. 66/67):
„Die Regelung ist aus gesundheitspolitischen Gründen erforderlich. Die Geltung der Arzneimittelpreisverordnung gewährleistet einen einheitlichen Apothekenabgabepreis für alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die in Deutschland an Verbraucher abgegeben werden. Damit ist insbesondere auch gewährleistet, dass die im öffentlichen Interesse gebotene flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicher gestellt ist. Ferner schützen feste Preise die Patienten. (…) Ein Rabattverbot bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist daher aus Gründen des Gesundheitsschutzes auch dann geboten, wenn der Patient bei einer Versandapotheke einkauft und zwar unabhängig davon, wo die Versandapotheke ihren Sitz hat. Durch das Anpreisen günstigerer Preise oder Mengenrabatte besteht immer die Gefahr eines Fehl- oder Mehrgebrauchs. Dabei besteht die Gefahr, dass Ärzte vermehrt unter Druck geraten und Wunschverschreibungen ausstellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn hohe Zugaben oder sonstige Vergünstigungen locken. Derartige Rabatte sind mit dem besonderen Charakter der Arzneimittel, deren therapeutische Wirkung sie substanziell von anderen Waren unterscheidet, nicht zu vereinbaren. Daher gilt für die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Deutschland ein Rabattverbot. Dieser Schutz muss aber auch für die Patienten gelten, die in Deutschland bei einer ausländischen Versandapotheke einkaufen. Ein Ziel der Arzneimittelpreisverordnung ist auch, den Patienten vor Überforderung zu schützen. Der Patient muss sich für den Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel darauf verlassen können, dass er das jeweilige Arzneimittel in jeder Apotheke zum gleichen Preis erhalten kann. Der Patient soll nicht in die Situation gelangen, dass er in der besonderen Situation der Krankheit bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln Preise vergleichen muss. Einerseits kann der Patient die Berechtigung des Preises nicht abschätzen und ist andererseits auf das Arzneimittel angewiesen. Die Schutzwirkung geht verloren, wenn die Preisbindung für ausländische Versandapotheken nicht gilt.“
Die mit der Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. verfolgte gesundheitspolitische Zielsetzung wird ferner auch durch den parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses selbst bestätigt. Beispielsweise äußerte sich die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit F. wie folgt (Plenarprotokoll 17/175 vom 26.04.2012, Bl. 20844, Anlage K 10):
„Wir wollen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher auch beim Versandhandel mit Arzneimitteln einen hohen Gesundheitsschutz haben. Daher halten wir es für erforderlich, dass auch der Versandhandel den einheitlichen Apothekenabgabepreis zu gewährleisten hat. Wir wollen nicht, dass Apotheken Rabatte auf verschreibungspflichtige Arzneimittel geben. Das ist erforderlich, damit Arzneimittelmissbrauch vermieden wird und Patienten in der besonderen Situation der Krankheit von einem Preisvergleich verschont bleiben und nicht durch Rabatte oder andere Vorteile beeinflusst werden. Dies muss ebenso für den Einkauf bei ausländischen Versandapotheken gelten.“
Auch in der darauffolgenden Debatte vom 28.06.2012 wurde das dementsprechende gesundheitspolitische Versorgungsziel etwa durch die folgende Äußerung des Abgeordneten H. bestätigt (Plenarprotokoll 17/187 vom 28.06.2012, Bl. 22424):
„Zum Dritten geht es um Regelungen im Bereich des Apothekenwesens. Ich sage nach wie vor, dass ich es für richtig halte, dass die Arzneimittelpreisverordnung für Versandapotheken und Präsenzapotheken gleichermaßen gilt. Frau Be., während Sie sagen, es gehe dabei um chronisch Kranke, geht es mir bei diesem Thema um die ländliche Apotheke. Es kann nicht sein, dass wir Rosinenpickerei betreiben, was dann dazu führt, dass zum Beispiel im ländlichen Raum Apotheken zumachen müssen. Sie sind ein wichtiger Beitrag zum Erhalt entsprechender Versorgungsstrukturen.“
(2) Das dem Erlass des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. zugrunde liegende Gesetzgebungsverfahren zeigt zudem, dass die entsprechende gesetzgeberische Entscheidung nicht ins Blaue und damit letztlich willkürlich getroffen wurde. Die Einführung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. basierte auf einer intensiv geführten parlamentarischen Debatte, in deren Rahmen die Arzneimittelpreisbindung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. nicht nur kontrovers diskutiert, sondern auch denkbare Alternativlösungen wie ein generelles Versandhandelsverbot erwogen wurden (a). Die parlamentarische Diskussion beschränkte sich dabei nicht auf einen bloß politischen Meinungsaustausch, sondern erfolgte auf hinreichend greifbarer und konkreter Tatsachengrundlage (b).
(a) Die parlamentarischen Diskussionsbeiträge belegen insoweit, dass im Streitfall eine intensive Abwägung der für und gegen eine auch für EU-Versandhandelsapotheken geltenden Arzneimittelpreisbindung sprechenden Gründe erfolgt ist. Die Abgeordnete Bu. kritisierte etwa den Gesetzentwurf als nicht zureichend und forderte ein weitestmögliches Verbot des Versandhandels von Arzneimitteln (Bundestag Plenarprotokoll 17/187 vom 28.06.2012, 22423):
„Wir als Linke haben Ihnen wegen dieser Ausgangslage in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Bundesrates den Antrag vorgelegt, den Versandhandel so weit wie möglich zu beschränken. Wir wollen, dass klar ist: Arzneimittelsicherheit und Internethandel kann man nicht zusammenbringen. Es gibt keinen Weg, legale Versandapotheken von illegalen für die Menschen deutlich unterscheidbar zu machen. Es gibt keinen Weg, eine gute Betreuung online zu gewährleisten. (…) Ihr Weg, ausländische Versandapotheken an das deutsche Recht zu binden und damit für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen, wird von uns als nicht ausreichend wirksam eingeschätzt.“
Für eine Liberalisierung der Apothekenpreise im Internet-Versandhandel trat hingegen die Abgeordnete Be. ein (Bundestag Plenarprotokoll 17/187 vom 28.06.2012, 22424):
„Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier die Koalition vor allem den hiesigen Apothekerinnen und Apothekern einen Gefallen tun wollte. Die Frage ist: Haben Sie bedacht, welche Nachteile das zum einen für chronisch Kranke bringt und dass zum anderen die europäischen Versandhändler wahrscheinlich mit einiger Aussicht auf Erfolg klagen werden?“
Dem wiederum trat der Abgeordnete H. wie folgt entgegen (Bundestag Plenarprotokoll 17/187 vom 28.06.2012, 22424):
„Ich sage nach wie vor, dass ich es für richtig halte, dass die Arzneimittelpreisverordnung für Versandapotheken und Präsenzapotheken gleichermaßen gilt. Frau Be., während Sie sagen, es gehe dabei um chronisch Kranke, geht es mir bei diesem Thema um die ländliche Apotheke. Es kann nicht sein, dass wir Rosinenpickerei betreiben, was dann dazu führt, dass zum Beispiel im ländlichen Raum Apotheken zumachen müssen. Sie sind ein wichtiger Beitrag zum Erhalt entsprechende Versorgungsstrukturen.“
Ferner trat der Abgeordnete L. dem von der Abgeordneten Dr. Bu. geforderten Verbot des Versandhandels entgegen (Bundestag Plenarprotokoll 17/187 vom 28.06.2012, 22426):
„Ich will an dieser Stelle noch ein paar Worte zum Antrag der Fraktion Die Linke verlieren. Wir teilen die Haltung in Sachen Pick-up-Handel und zum Verweis auf die Notwendigkeit einer umfangreichen Beratung und Sicherheit von Medikamentenbeziehern. Auch für uns bleibt die Beratung durch den Präsenzapotheker unverzichtbar. Wir können aber einer Verdammung des Versandhandels nicht beipflichten. Im Gegenteil: Der Versandhandel hat sich in großen Teilen bewährt.“
Wiederum für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln trat im Rahmen der Bundesratssitzung vom 21.09.2012 die nordrhein-westfälische Ministerin Steffens ein (Bundesrat Plenarprotokoll 900 vom 21.09.2012, 406):
„Die Sicherheit der Patientinnen und Patienten und der Erhalt der gut funktionierenden Arzneimittelversorgung über Apotheken, gerade auch im ländlichen Raum, erfordern in der Konsequenz ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Der Europäische Gerichtshof sieht ein solches Verbot aus Gründen des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung als zulässig an.“
Die alternative Lösung eines Versandhandelsverbots hat der Gesetzgeber im Ergebnis aber als aus seiner Sicht zu weitreichenden Grundrechtseingriff abgelehnt. Die parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit F. äußerte sich insoweit wie folgt (Plenarprotokoll 17/175, vom 26.04.2012, Seite 20844):
„Das vom Bundesrat geforderte Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln begegnet verfassungsrechtlichen Vorbehalten, da es zu einem ungerechtfertigten Eingriff in die grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit führen würde. Der Vorschlag nebst seiner Begründung zeigt jedoch, dass die Mehrheit der Länder zumindest ein isoliertes Verbot von Pick-up-Stellen zwischenzeitlich ebenfalls für verfassungsrechtlich bedenklich hält.“
(b) Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung beschränkte sich der Gesetzgebungsprozess dabei nicht auf einen rein politischen Meinungsaustausch der beteiligten Abgeordneten. Vielmehr basierte die Meinungsbildung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Abgeordneten auf Basis der auch diesen bekannten wesentlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zur Arzneimittelversorgung und den Implikationen eines zum Nachteil der nationalen Präsenzapotheken stattfindenden Preiswettbewerbs. Die Beklagte verkennt insoweit, dass sich die Gesetzgebung nicht auf die parlamentarische Debatte beschränkt, sondern Gesetzesvorschläge umfassend in Fachausschüssen vorberaten werden. Die Einführung der streitgegenständlichen Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. wurde durch den Ausschuss für Gesundheit vorbereitet, der seine Beratungen über den Gesetzentwurf der Bundesregierung gemäß BT-Drs. 17/9341 in seiner 74. Sitzung am 09.05.2012 aufgenommen und beschlossen hat, hierzu sowie zu dem Antrag gemäß BT-Drs. 17/9556 eine öffentliche Anhörung durchzuführen. In seiner 77. Sitzung am 23.05.2012 hat der Ausschuss seine Beratungen über den Gesetzentwurf fortgesetzt. Am 11.06.2012 fand sodann eine öffentliche Anhörung statt, der vorab erholte Sachverständigenstellungnahmen von Verbänden sämtlicher einschlägiger Interessensgruppierungen und Einzelsachverständigen zugrunde lagen (BT-Drs. 17/10156, S. 82, mit Verweis auf das Wortprotokoll und die als Ausschussdrucksachen an die Abgeordneten verteilten Stellungnahmen der Sachverständigen).
Im Rahmen der Sachverständigenstellungnahmen wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass – was zwischen den Parteien der Sache nach unstreitig ist – die Betriebsergebnisse der Apotheken rückläufig sind und immer mehr Apotheken schließen (vgl. Stellungnahme der ABDA vom 04.06.2012 zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, BT-Drs. 17/9341, S. 2). Im Rahmen der öffentlichen Anhörung vom 11.06.2012 wurden darüber hinaus die strukturellen Unterschiede zwischen Präsenz- und ausländischen Versandapotheken betont, da Präsenzapotheken nicht nur eine persönliche Beratung gewährleisten können, sondern mit der Teilnahme an Nacht- und Notdiensten und der Zubereitung von Rezepturen auch erweiterten Leistungsanforderungen ausgesetzt sind (BT-Drs. 17/10156, S. 82, mit Verweis auf Wortprotokoll Nr. 17/79 vom 11.06.2012, S. 26, 29). Ebenfalls betont wurde die große Bedeutung des Absatzes verschreibungspflichtiger Arzneimittel für die Präsenzapotheken, wobei zugleich darauf hingewiesen wurde, dass der Anteil rezeptpflichtiger Bestellungen in den ausländischen Versandapotheken wesentlich niedriger ist, als dies in den nationalen Präsenzapotheken der Fall ist (BT-Drs. 17/10156, S. 82 mit Verweis auf Wortprotokoll Nr. 17/79 vom 11.06.2012, S. 30). In diesem Zusammenhang hat auch die Bundesregierung in ihrer Auskunft vom 23.12.2021 darauf hingewiesen, dass die mit einem Umsatzanteil verschreibungspflichtiger Medikamente von rund 80 Prozent grundlegende Bedeutung verschreibungspflichtiger Arzneimittel für den wirtschaftlichen Betrieb einer Präsenzapotheke ein wesentlicher Erwägungsgrund der Entscheidung für eine auch für EU-Versandapotheken geltende Arzneimittelpreisbindung darstellte. Denn bei den von EU-Versandapotheken gewährten marktüblichen Rabatten in der Größenordnung zwischen drei bis fünf Euro pro Packung muss eine Präsenzapotheke der Bundesregierung zufolge mit Einbußen von 30 bis 60 Prozent des mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erwirtschafteten Ertrags rechnen.
Entsprechende Ertragsrückgänge drohten den Präsenzapotheken nach den dem Gesetzgeber vorliegenden sachverständigen Informationen vor allem im Bereich chronisch erkrankter Patienten, da es insbesondere insoweit zu weitreichenden Umsatzverlagerungen von stationären Apotheken zu europäischen Versandhandelsapotheken kommen kann. Chronische Erkrankungen bringen typischerweise langfristige und kostenintensive medikamentöse Behandlungen mit sich. Die betroffenen Patienten sind dabei in der Lage, ihren Bedarf an verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu planen. Die besondere Sensitivität für Preisvorteile und zugleich bessere Planbarkeit des Arzneimittelbedarfs berechtigen zu der Annahme einer hohen Wechselbereitschaft zu europäischen Versandapotheken. Dementsprechend wies der Sachverständige G. der European Association of Mail Service Pharmacies in der Anhörung des Gesundheitsausschusses vom 11.06.2012 ausdrücklich darauf hin, dass die finanziellen Belastungen für chronische kranke Patienten oft sehr hoch seien und damit ein Bezug über europäische Versandhandelsapotheken besonders attraktiv sei, weil diese einen Teil der Kosten über Boni an die betroffenen Patienten zurückerstatten könnten (BT-Drs. 17/10156, S. 82 mit Verweis auf Wortprotokoll Nr. 17/79 vom 11.06.2012, S. 30).
War dem Gesetzgeber mithin bewusst, dass Präsenzapotheken gegenüber EU-Versandapotheken weitgehenderen Leistungsanforderungen ausgesetzt sind und infolge eines zunehmenden Preiswettbewerbs zugleich erhebliche Umsatzrückgänge im Bereich verschreibungspflichtiger Medikamente gegenüber der ertragsrelevanten Kundengruppe chronisch erkrankter Patienten drohen, lagen der Gesetzgebung zu § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. entsprechend konkrete und greifbare Anhaltspunkte für die Annahme zugrunde, dass sich der kontinuierliche Rückgang an Präsenzapotheken weiter beschleunigen kann, wenn nicht der für EU-Versandapotheken bestehende Wettbewerbsvorteil eines möglichen Preiswettbewerbs durch Einführung einer gleichermaßen für alle geltenden Preisbindung beseitigt wird.
(3) Soweit die Beklagte die Erforderlichkeit der Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. dagegen mit dem Argument widerlegen möchte, dass in Deutschland durchgängig eine gute Versorgungsinfrastruktur an Apotheken gegeben ist, ist dies bereits im Ansatz unbehelflich.
(a) Der Verweis auf eine zum jetzigen Zeitpunkt gute Versorgungsinfrastruktur an Apotheken kann der Erforderlichkeit der Einführung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. schon deswegen nicht entgegen gehalten werden, weil sie keinen Rückschluss darauf erlaubt, wie sich die Versorgungsstruktur ohne die Einführung dieser Norm entwickelt hätte.
(b) Ob und inwieweit der zunehmende Rückgang der Zahl in Deutschland betriebener Apotheken die flächendeckende Versorgung tatsächlich beeinträchtigt, kann ungeachtet dessen in der Sache dahinstehen. Der Senat verkennt insoweit nicht den umfassenden und seinerseits durch tatsachenbasierte Anhaltspunkte belegten Vortrag der Beklagten, wonach sich der Marktanteil europäischer Versandhandelsunternehmen bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln unabhängig von regulatorischen Eingriffen des Gesetzgebers bislang nicht über Werte im Bereich von ein bis zwei Prozent hinaus entwickelt hat und die flächendeckende Versorgung in Deutschland bislang nicht beeinträchtigt ist. Es kann insoweit vielmehr als wahr unterstellt werden, dass die Apothekeninfrastruktur in Deutschland nach wie vor flächendeckend gesichert ist und während des gesamten Verfahrens jederzeit gesichert war (vgl. etwa die als Anlage BK 32 in Auszügen vorgelegte T.-Studie). Denn bereits aus rechtlichen Gründen ist es für die Frage der Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV nicht relevant, ob bereits konkrete Beeinträchtigungen der (nach wie vor gegebenen) flächendeckenden Versorgung festzustellen sind. Im Lichte des unionsrechtlichen Vorsorgeprinzips ist der Gesetzgeber gerade nicht gehalten, mit Maßnahmen abzuwarten, bis sich die Gefahr für eine hinreichend sichere Arzneimittelversorgung durch einen tatsächlichen Rückgang von Apothekenbetriebsstätten beobachten und tatsächlich messen lässt. Vielmehr steht es einem Mitgliedsstaat zur Durchsetzung eines von ihm angestrebten, hohen Gesundheitsschutzniveaus und der damit verbundenen Aufrechterhaltung einer funktionierenden hinreichend sicheren Arzneimittelversorgung frei, die geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen zu ergreifen, um entsprechende Gefahren im Ansatz zu vermeiden und daher das Entstehen von Versorgungslücken zu verhindern. Hiervon ausgehend stellt auch der Schutz des bestehenden Status quo der Apothekendichte als solcher ein legitimes Ziel dar. Anderenfalls würden die Beweisanforderungen unverhältnismäßig überspannt und das Ziel der Wahrung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus konterkariert. Auch unionsrechtlich genügt daher eine auf Grund konkreter Tatsachen bestehende und objektiv belegte abstrakte Gefahr für die hinreichend sichere Arzneimittelversorgung. Von einer entsprechenden abstrakten Gefahr für den Bestand der Arzneimittelversorgung, die – wie ausgeführt auch der parlamentarischen Debatte zugrunde lag – durfte der Gesetzgeber indes ausgehen.
Dies gilt umso mehr, als dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen zufolge die durchschnittliche Apothekendichte in Deutschland mit einem Wert von 3.850 Einwohnern je Apotheke leicht unter dem EU-Durchschnitt von 3.230 liegt. Zwar weisen wirtschaftlich starke Länder wie beispielsweise Dänemark (16.670 Einwohner je Apotheke), Finnland (6.670 Einwohner je Apotheke), Österreich (6.670 Einwohner je Apotheke) und das Vereinigtes Königreich (4.550 Einwohner je Apotheke) eine zum Teil deutlich niedrigere Apothekendichte auf (Drucksache 18/1940, Anlage K 46, S. 119). Allerdings liegt es unionsrechtlich – wie ausgeführt – im Ermessen eines Mitgliedsstaates, das für ihn maßgebliche Gesundheitsschutzniveau selbst zu definieren. Orientiert sich das angestrebte Versorgungsziel zudem an dem wie hier relevanten EU-Durchschnittswert, kann dem Gesetzgeber insoweit auch keine ins Blaue definierte und damit bloß willkürlich festgesetzte Zielvorgabe vorgehalten werden.
(c) Hinzu kommt, dass die Apothekendichte in Deutschland bereits seit dem Jahr 2000 kontinuierlich abnimmt. So ging einer statistischen Erhebung der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) aus dem Jahr 2022 zufolge die Anzahl von 21.476 Apotheken im Jahr 2000 auf nur noch 18.461 Apotheken im Jahr 2021 zurück (Anlage BK 55, S. 17). Zuletzt betrug die Anzahl der in Deutschland betriebenen Apotheken nur noch 17.939 (Anlage BK 56).
(4) Darüber hinaus sprechen die folgenden weiteren, von dem Kläger im Rahmen des vorliegenden Streitverfahrens vorgetragenen tatsächlichen Anknüpfungspunkte dafür, dass eine gleichermaßen für nationale Präsenz- wie auch für EU-Versandapotheken geltende Arzneimittelpreisbindung als vom Gesetzgeber seinerzeit im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative als geeignete und angemessene Maßnahme zum Erhalt der bestehenden flächendeckenden Arzneimittelversorgung angesehen werden durfte. Indem sich der Gesetzgeber dabei gegen ein sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat teilweise befürwortetes allgemeines Versandhandelsverbot und stattdessen für eine gleichermaßen für alle Marktteilnehmer geltende Preisbindung verschreibungspflichtiger Arzneimittel entschieden hat, ist dies überdies im Ergebnis nicht Ausdruck einer Benachteiligung EU-ausländischer Versandapotheken als vielmehr eines im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgebotes gebotenen, ausgewogenen Interessensausgleichs. Soweit sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auf gegenläufige Erkenntnisse stützt oder sie auf der Grundlage der verschiedenen von ihr vorgelegten Daten und Gutachten zu anderen Schlussfolgerungen kommt, mag dies in sich stimmig und gleichermaßen sachlich nachvollziehbar sein. Es ist aber – wie ausgeführt – Sache des Gesetzgebers, im Rahmen der ihm zur Erhaltung des beabsichtigen hohen Gesundheitsschutzniveaus zustehenden Einschätzungsprärogative zwischen verschiedenen jeweils tatsachenbasierten und als solchen vertretbaren Standpunkten auszuwählen und sich für den von ihm letztlich aus normativen Gründen bevorzugten Lösungsweg zu entscheiden:
(a) Ausgehend von dem als solchen legitimen Ziel des Erhalts der in Deutschland bestehenden Apothekendichte und dem durch statistische Daten belegten Rückgang der Anzahl in Deutschland betriebener Apotheken kann die Eröffnung von Preiswettbewerb im Bereich verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch EU-Versandapotheken erhebliche Auswirkungen auf die Ertragssituation von nationalen Präsenzapotheken haben, sodass infolge eines zugleich zunehmenden Preiswettbewerbs mögliche weitere Apothekenschließungen zu besorgen sind. Dass durch den Preiswettbewerb bedingte weitere Apothekenschließungen zu besorgen sind und damit die flächendeckende Versorgung beeinträchtigt werden kann, ergibt sich aus der Ertragsrelevanz des Geschäfts mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und der auf Grund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte hinlänglich belegten Annahme der auch insoweit zunehmenden Bedeutung des Versandhandels. Die insoweit aus dem Schreiben der Bundesregierung vom 23.12.2021 ersichtliche Erwägung, wonach Rabatte und Zuwendungen bei der Abgabe von Arzneimitteln eine Lenkungswirkung entfalten, in deren Folge sich ein Verdrängungswettbewerb zum Nachteil der preisgebundenen Apotheken ergeben kann, stellt einen typisierten Geschehensablauf dar, der eine entsprechende tatsächliche Vermutung dafür begründet, dass es infolge des zunehmenden Preiswettbewerbs zu möglichen Apothekenschließungen kommen kann und somit die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln gefährdet wird.
Die Annahme des Gesetzgebers, dass das Geschäft mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eine für die Rentabilität des Betriebs einer Apotheke grundlegende Bedeutung hat, ist aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte nachvollziehbar. Neben dem Schreiben der Bundesregierung vom 23.12.2021, wonach Präsenzapotheken etwa 80 Prozent ihres Umsatzes allein mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung erwirtschaften, wird diese Annahme auch durch die Stellungnahme des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen vom 26.06.2014 bestätigt. Demzufolge belief sich der Umsatzanteil verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Jahr 2009 auf 78,6 Prozent und im Jahr 2013 auf 80,3 Prozent (BT-Drs. 18/1940, Anlage K 46, Seite 116; vgl. weiter auch Anlage B 51, Seite 44).
Ist aber das Geschäft mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für den Betrieb einer Apotheke von grundlegender Bedeutung, ist die Annahme des Gesetzgebers nicht zu beanstanden, dass die Möglichkeit eines preisgünstigeren Erwerbs bei europäischen Versandapotheken eine erhebliche Lenkungswirkung entfalten und folglich dazu führen kann, dass Kunden ihnen ärztlich verschriebene Arzneimittel zunehmend bei entsprechend preisgünstigeren Anbietern erwerben.
Dass Preiswettbewerb eine erhebliche Lenkungswirkung entfaltet, ist betriebswirtschaftlich anerkannt (vgl. Diller, Preispolitik, 4. Aufl. 2008, Anlage K 56) und stellt nicht zuletzt den grundlegenden Ausgangspunkt des für die EU-Wettbewerbspolitik zentralen Kartellverbots gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV dar. Angesichts der Homogenität des Produkts Arzneimittel ist ein Anbieterwechsel von einer stationären zu einer europäischen Versandapotheke auch ohne weiteres möglich. Zur Überzeugung des Senats, dessen Mitglieder insoweit zu den angesprochenen Verkehrskreisen zählen und die dies folglich aus eigener Anschauung beurteilen können, steht zudem fest, dass in der Bevölkerung eine hinreichende Bereitschaft vorhanden ist, Arzneimittel im Wege des Versandhandels über das Internet zu bestellen. Diese Annahme ist auch aufgrund tatsächlicher Anknüpfungspunkte konkret nachvollziehbar. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa vom 20./22.03.2017 zufolge haben bereits 24 Prozent der befragten 18- bis 74-jährigen Personen Arzneimittel über das Internet bestellt (vgl. Anlage BK 45). Deutsche Versandhandelsapotheken erwarten überdies einen zunehmenden Umsatzanstieg im Bereich des Arzneimittelversandhandels. Bereits im Jahr 2016 erwirtschafteten Apotheken zudem 1.556 Millionen Euro von insgesamt 8.396,5 Millionen Euro und damit etwa 18 Prozent ihres mit dem Verkauf verschreibungspflichtiger Arzneimittel erzielten Umsatzes im Bereich des Versandhandels (Bundesverband Deutscher Versandapotheken, Daten und Fakten, Anlage K 75). Berücksichtigt man darüber hinaus, dass Versandhandelsapotheken selbst für den Fall des Wegfalls der Arzneimittelpreisbindung von einem wachsenden Marktpotential ausgehen (vgl. Anlage K 70), ist es vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung und der damit einhergehenden wachsenden Bereitschaft der Kunden, verschreibungspflichtige Arzneimittel im Wege des Versandhandels zu bestellen sowie der bei Wegfall der Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. nur den europäischen Versandhandelsapotheken erlaubten Preisnachlässe naheliegend, dass dies eine Umsatzverlagerung im Bereich verschreibungspflichtiger Arzneimittel von den preisgebundenen stationären Apotheken hin zu den europäischen Versandhandelsapotheken zur Folge haben kann. Dafür spricht ferner, dass gemäß der dem Senat als Anlage K 6 vorliegenden S.-Studie 21 Prozent der befragten Verbraucher bei einem Rezeptbonus von 2,00 Euro pro Rezept und dementsprechend 10,00 Euro bei Einlösung von fünf Rezepten immer, 30 Prozent meistens und weitere 30 Prozent Teils/Teils bereit wären, Rezepte bei Versandapotheken einzulösen (Anlage K 6, Seite 6). Hinzu kommt, dass die jüngere Kundengruppe eine weiter zunehmende Bereitschaft zum Bezug von Arzneimitteln im Internet zeigt (Anlage K 6, Seite 7). Sind die jetzt jüngeren Kundengruppen aber zunehmend bereit, Arzneimittel im Internet zu bestellen, ist eine Prognose, dass sich deren Nachfrage mit zunehmendem Alter und damit einhergehendem zunehmendem Bedarf an Arzneimitteln weiter erhöhen und dementsprechende Umsätze zunehmend hin zu Versandapotheken verlagern werden, sachlich nachvollziehbar.
(b) Darüber hinaus wird die vom Gesetzgeber der Regelung der Arzneimittelpreisbindung zugrunde gelegte Gefahr nachteiliger Auswirkungen auf die bestehende flächendeckende Arzneimittelversorgung durch die tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklungen der im Bereich des Versands von Arzneimitteln tätigen Z. R. Group AG bestätigt.
Einer Pressemitteilung vom 23.08.2017 zufolge konnte die Z. R. Gruppe mit ihrer Versandhandelsapotheke D. ihren Umsatz allein im ersten Halbjahr 2017 um 7,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum steigern. In Deutschland konnte D. das Versandgeschäft mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gleichfalls um 7,2 Prozent steigern und damit die Anzahl von Kunden auch in diesem Marktsegment weiter deutlich erhöhen (Anlage K 69). Dem entspricht auch eine Erhebung des Bundesgesundheitsministeriums, wonach im ersten Halbjahr 2017 die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen gegenüber ausländischen Versandapotheken um 13,5 Prozent gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum gestiegen sind (Anlage K 72). Unabhängig davon, dass dieses Wachstum zum Teil auch auf einer größeren Anzahl an Versicherten und einem damit einhergehenden Wachstum des Gesamtmarktes beruht, zeigt die Entwicklung jedenfalls, dass ein erheblicher Teil der Kunden die Bereitschaft zeigt, verschreibungspflichtige Arzneimittel über europäische Versandhandelspotheken zu beziehen.
Für einen weiter steigenden Marktanteil europäischer Versandhandelsapotheken spricht weiter auch die im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit erstellte IGES-Studie vom 24.09.2020 (Anlage BK 54). Demzufolge zeigte sich bis zum Jahr 2016 kein absoluter Zuwachs. Erst seit dem Jahr 2017 und damit nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung lag der Umsatz europäischer Versandhandelsapotheken mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mehrfach bei über 400 Millionen Euro (Anlage BK 54, Seite 30). Bezogen auf den durchschnittlichen Umsatz, den eine Präsenzapotheke mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für gesetzlich krankenversicherte Kunden erwirtschaftet, entspricht dies dem Umsatz von ca. 200 Apothekenstandorten (Anlage BK 54, Seite 33).
Hinzu kommt, dass die Z. R. Gruppe auch im Hinblick auf die künftige Geschäftsentwicklung davon ausgeht, die gute Wachstumsentwicklung speziell in Deutschland weiter fortsetzen zu können (Anlage K 69). Dieser positiven Wachstumseinschätzung entsprechend, konnte der von D, in Deutschland mit dem Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel erzielte Umsatz im dritten Quartal 2017 um 9,7 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode gesteigert werden (Anlage K 71).
(c) Stellt mithin eine Umsatzverlagerung von stationären Apotheken zu europäischen Versandhandelsapotheken nach allgemein wirtschaftlichen Erkenntnissen sowie nach der eigenen Einschätzung relevanter Marktteilnehmer ein greifbares Szenario dar, durfte der Gesetzgeber ferner auch annehmen, dass es zu weiteren Schließungen stationärer Apotheken und damit einer Beeinträchtigung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung kommen kann.
Dass ein zunehmender Preiswettbewerb durch Online-Handelsunternehmen Verdrängungseffekte nach sich zieht, steht ferner auch mit Blick auf die allgemein bekannten und von dem Kläger ausführlich und konkret dargelegten Marktentwicklungen im Bereich des Einzelhandels fest. So zeigen die Entwicklungen im Bereich des Einzelhandels mit Elektronikartikeln, dass der zunehmende Preiswettbewerb durch Internethandelsunternehmen dazu geführt hat, dass sich die Zahl inhabergeführter kleiner und mittlerer Elektronikfachgeschäfte deutlich verringert hat und sich die Handelslandschaft neben großen Internetplattformanbietern mittlerweile auf einige wenige große Handelsketten beschränkt. Mag diese Entwicklung aus Sicht des Verbrauchers insoweit erfreulich sein, als zahlreiche, auch qualitativ hochwertige Elektronikartikel zu günstigen Preisen erhältlich sind, so kann dieser positive wettbewerbliche Effekt des Preiswettbewerbs auf den Bereich der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel nicht übertragen werden. Insofern ist der Beklagten zuzugeben, dass in der Tat die Märkte nicht miteinander vergleichbar sind. Die Beklagte übersieht dabei aber, dass sich diese fehlende Vergleichbarkeit auf die positiven wettbewerblichen Auswirkungen günstigerer Preise beschränkt. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch darin, dass eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln der Wahrung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus dient, während ein entsprechend legitimes Versorgungsziel im Bereich der Elektronikprodukte nicht besteht. Der allgemeine wettbewerbliche Reaktionsmechanismus hingegen, wonach zunehmender Preiswettbewerb zu Verdrängungseffekten und Konzentrationen im Handelsbereich führt, greift unabhängig von dem betroffenen Produkt und damit auch im Bereich der Arzneimittel.
Vor diesem Hintergrund ist der allgemeine Erfahrungssatz gerechtfertigt, dass zunehmender Preiswettbewerb durch Online-Handelsunternehmen Verdrängungseffekte im Bereich des stationären Einzelhandels nach sich zieht. Dieser Erfahrungssatz ist den vorstehenden Ausführungen entsprechend durch hinreichend konkrete tatsächliche Anhaltspunkte belegt, sodass auch der Gesetzgeber die streitgegenständliche Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. hierauf stützen konnte.
(d) Der Gesetzgeber durfte daher berechtigterweise weiterhin annehmen, dass eine gleichermaßen für stationäre Apotheken wie europäische Versandhandelsapotheken geltende Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eine zum Erhalt der flächendeckenden Arzneimittelversorgung geeignete und erforderliche Maßnahme darstellt. Führt eine Eröffnung des Preiswettbewerbs bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wie vorstehend dargelegt zu Verdrängungseffekten zum Nachteil stationärer Apotheken, ist die Annahme, dass eine Preisbindung als actus contrarius entsprechende Verdrängungseffekte zu vermeiden geeignet ist, zumindest nicht zu beanstanden.
Überdies kann die Erforderlichkeit einer Arzneimittelpreisbindung auf konkrete Erkenntnisse aus der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung gestützt werden. So zeigt der Beitrag von M.l/McC., dass eine Preisbindung im Handelsbereich allgemein dazu beiträgt, kleine Handelsgeschäfte zu erhalten (Anlage K 13, Seite 357). Gleiches wird in einer wirtschafts- und rechtspolitischen Untersuchung von K. betreffend den Bereich des Vertriebs von Zeitungen und Zeitschriften bestätigt. Demzufolge führt eine Preisbindung mit festen Handelsspannen dazu, dass Händler aufgrund einer langfristig gleichbleibenden Gewinnspanne mit einem relativ konstanten Umsatz planen können, was wiederum zu einem dichten Händlernetz führt (Anlage K 15, Seite 223).
Zugunsten einer Preisbindung konnte der Gesetzgeber im Rahmen der zur Erforderlichkeitsprüfung gebotenen Interessensabwägung auch den nachweislich besonderen Beitrag stationärer Apotheken zu einer qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung berücksichtigen. So bieten Präsenzapotheken nicht nur Nacht- und Notdienste und persönliche Beratungsleistungen an, sondern stellen auch patientenindividuelle Rezepturen bereit (vgl. Anlage K 5, Seite 28). Zudem hat die IFH-Studie aus dem Jahr 2017 ergeben, dass Ärzte nur selten Kontakt zu ausländischen Versandapotheken haben, während sie zu stationären Apotheken regelmäßigen Kontakt pflegen. So antworteten 38,7 Prozent der insgesamt 300 befragten Ärzte, mehrmals täglich mit Apotheken vor Ort Kontakt zu haben. In Bezug auf ausländische Versandapotheken wurde die entsprechende Frage hingegen von keinem Arzt bejaht (Anlage K 5, Seite 8). Dass dies im Zeitpunkt der Einführung der fraglichen Regelung nicht anders war, erscheint angesichts der über die Jahre insgesamt zunehmenden Bedeutung des Onlinehandels insgesamt zwingend.
Hervorgehoben sei an dieser Stelle, dass für die Beurteilung der fraglichen Norm als europarechtskonform nicht entscheidend ist, ob die dargestellten wirtschaftlichen Zusammenhänge zwischen Preisbindung einerseits und damit zusammenhängenden Handelsstrukturen andererseits zwingend sind, unumstößlich feststehen oder unbestreitbar sind. Maßgeblich im hiesigen Zivilrechtsstreit ist vielmehr allein die Überprüfung der vom Gesetzgeber zu treffenden Prognoseentscheidungen, in deren Rahmen eben verschiedene als möglich in Betracht kommende Szenarien berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden müssen. Zeigen sich aber nach wissenschaftlichen Erkenntnissen mögliche, aus Gemeinwohlsicht negative Entwicklungen, stellt dies ein als solches sachlich berechtigtes Abwägungskriterium dar, welches ein Mitgliedstaat im Rahmen des ihm zustehenden weiten Beurteilungsspielraums zur Erzielung des von ihm gewünschten Gesundheitsschutzniveaus berücksichtigen kann.
Daher ist das von der Beklagten in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument, wonach Preisflexibilität Umsatzanreize setze und zur Mehr- bzw. Wiederansiedlung in ländlichen Gebieten führen könne, da dort gegebenenfalls auch höhere Preise verlangt werden könnten, nicht geeignet, die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Arzneimittelpreisbindung zu widerlegen.
Entsprechendes gilt für die Annahme, dass – wie die Beklagte einwendet – der Rückgang von Apotheken weniger auf einen zunehmenden Preiswettbewerb als auf einen allgemeinen Nachwuchsmangel zurückzuführen sei. Es kann insofern als wahr unterstellt werden, dass Apotheken mit verschiedenen wirtschaftlichen Herausforderungen wie insbesondere dem Finden geeigneter Nachwuchskräfte umzugehen haben. Angesichts des aus dem Blickwinkel des öffentlichen Interesses überragend wichtigen Ziels der Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus kann es indes nicht als unverhältnismäßige Maßnahme betrachtet werden, wenn mit einer Preisbindungsregelung das Ertragsniveau einer Apotheke im Wettbewerb mit ausländischen Versandapotheken nicht der Gefahr möglicher Verdrängungseffekte ausgesetzt wird.
Überdies ist es nach der ständigen Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs einem nationalen Gesetzgeber nicht zuzumuten, abzuwarten, bis sich eine mögliche Gefahr hinreichend konkret realisiert, um erst sodann schärfere Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Würde sich in Folge einer erheblichen Marktanteilsverschiebung zu den europäischen Versandhandelsapotheken eine konkrete Beeinträchtigung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung durch Präsenzapotheken einstellen, könnte der Gesetzgeber zur Wiederherstellung der flächendeckenden Versorgung gegebenenfalls ein generelles Versandhandelsverbot verabschieden. Eine dahingehendes per se Verbot erachtet der Unionsgerichtshof dem Grunde nach für zulässig (EuGH, Urt. v. 11.12.2003, Rs. C-322/01, ECLI:EU:C:2003:664, Rn. 124 – Deutscher Apothekerverband/DocMorris). Insofern erweist sich aber eine wie mit der Preisbindungsregelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. erfolgte frühzeitige Maßnahme zur Eindämmung einer konkret möglichen Gefahr für den Fortbestand einer hinreichenden Anzahl an Vor-Ort-Apotheken letztlich als weniger einschneidender und damit gerade verhältnismäßiger Eingriff in die unionsrechtlich gewährleistete Warenverkehrsfreiheit.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber von mehreren geeigneten Regulierungsoptionen in Ausübung des ihm zustehenden Ermessens die aus seiner Sicht zur Erreichung des von ihm angestrebten Gesundheitsschutzniveaus am besten geeignete Maßnahme auswählen kann. Denn Mitgliedstaaten müssen gerade nicht positiv belegen, das von ihnen avisierte Ziel mit keiner anderen vorstellbaren Maßnahme unter den gleichen Bedingungen erreichen zu können (st. Rspr.; EuGH, Urt. v. 23.12.2015, Rs. C-333/14, ECLI:EU:C:2015:845, Rn. 55 – Scotch Whisky Association; Urt. v. 10.02.2009, Rs. C-110/05, ECLI:EU:C:2009:66, Rn. 66 – Kommission/Italien; Urt. v. 23.10.1997, Rs. C-157/94, ECLI:EU:C:1997:499, Rn. 58 – Kommission/Niederlande).
dd. Soweit die Beklagte den Sachvortrag zur Rechtfertigung des streitgegenständlichen Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit bestritten hat, begründet dies weder durchgreifende Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der streitgegenständlichen Arzneimittelpreisbindung noch bedingt dies die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme:
(1) Zum einen genügt es für die Rechtfertigung einer die Warenverkehrsfreiheit aus Gründen des Gesundheitsschutzes einschränkenden gesetzlichen Maßnahme, wenn – wie vorstehend ausgeführt – hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass eine gleichermaßen für inländische Apotheken wie für europäische Versandapotheken geltende Arzneimittelpreisbindung eine wirksame Maßnahme zum Erhalt der flächendeckenden Versorgung mit Arzneimitteln darstellt. Gegenläufige, gleichermaßen tatsachenbasierte Anhaltspunkte rechtfertigen angesichts der vom Gesetzgeber zu treffenden Prognoseentscheidung und der entsprechenden praktischen Beweisschwierigkeiten im Ergebnis nicht die Schlussfolgerung, im Hinblick auf das Interesse der EU-Versandapotheken an einem wirksamen Marktzutritt in Deutschland von einer Arzneimittelpreisbindung absehen zu müssen. Denn wenn unterschiedliche Lösungswege als jeweils durch tatsachenbasierte Anhaltspunkte gerechtfertigt erscheinen, kann der Gesetzgeber im Rahmen des parlamentarischen Willensbildungsprozesses in Ausübung der ihm in gesundheitspolitischen Fragen zustehenden Einschätzungsprärogative entweder den einen oder den anderen Weg wählen, ohne dabei die unionsrechtlichen Grenzen der Warenverkehrsfreiheit zu verletzen.
Dass die Bundesregierung in ihrem Auskunftsschreiben vom 23.12.2021 insoweit ausgeführt hat, dass keine empirischen Daten erhoben worden seien, hat entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung nicht zur Folge, dass die Anforderungen des Unionsgerichtshofs aus dessen Entscheidung in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung nicht erfüllt sind. Denn entscheidend ist letztlich, dass der Gesetzgeber – wie ausgeführt – die Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. im Rahmen einer parlamentarischen Debatte auf der Grundlage konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte verabschiedet hat. Diese und die von den Parteien im Rahmen des vorliegenden Verfahrens vorgetragenen tatsächlichen Umstände zeigen im Rahmen der gebotenen Gesamtschau – wie unter Ziff. II.3.d.cc. im Einzelnen ausgeführt – aber, dass die streitgegenständliche Arzneimittelpreisbindung durch konkrete, tatsächliche Anknüpfungspunkte gerechtfertigt war, um das vom Gesetzgeber in Ausübung der ihm in Gesundheitsfragen zustehenden Einschätzungsprärogative avisierte hohe Gesundheitsschutzniveau aufrechtzuerhalten.
(2) Zum anderen ist die Ermittlung und Anwendung der zur Entscheidung des jeweiligen Streitfalles maßgeblichen Rechtsnormen – worauf der Kläger in diesem Zusammenhang zutreffend hinweist – ureigenste Aufgabe des erkennenden Gerichts selbst. Geht es um die Bestimmung des auf den Streitfall anwendbaren Rechts, kann es nicht von der Frage nach der Darlegungs- und Beweislast der Parteien abhängen, ob die eine gesetzliche Regelung tragenden Erwägungen in tatsächlicher Hinsicht zutreffend sind. Dies entspricht nicht zuletzt auch dem Rechtsgedanken des § 293 ZPO, wonach das Gericht selbst im Falle der Anwendung ausländischen Rechts nicht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise beschränkt, sondern darüber hinausgehend befugt ist, auch andere Erkenntnisquellen zu benutzen und zum Zwecke einer solchen Benutzung das Erforderliche anzuordnen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Berücksichtigung von von den Parteien nicht selbst vorgelegte Gesetzgebungsmaterialien ohne weiteres und insbesondere im Hinblick auf den in der mündlichen Verhandlung vom 20.04.2023 erteilten Hinweis zulässig.
(3) Schließlich verkennt der Senat nicht, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 25.04.2017, Az. I-20 U 149/13, BeckRS 2017, 109016, eine im Ergebnis abweichende Entscheidung getroffen hat. Zum einen besteht insoweit in rechtsförmlicher Hinsicht keine Bindungswirkung, weil es sich um einen anderen Streitgegenstand handelt. Zum anderen beruhen die Feststellungen im hiesigen Verfahren neben der ergänzend erholten und dem Oberlandesgericht Düsseldorf noch nicht vorliegenden Auskunft der Bundesregierung vom 23.12.2021 insbesondere auf den von den Parteien im vorliegenden Verfahren vorgelegten Unterlagen. Daher sieht sich der Senat auch nicht gehindert, im Ergebnis von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf abzuweichen, nimmt u.a. dies jedoch zum Anlass, die Revision zum Bundesgerichtshof zuzulassen (vgl. unten unter C.).
e. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. bestehen überdies ebenfalls nicht.
Verletzt die Arzneimittelpreisbindung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG nicht die unionsrechtliche Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV, kommt auch ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG mit der von der Beklagten vorgetragenen Begründung nicht in Betracht, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf den Grundsatz des freien Warenverkehrs, Art. 28 ff. AEUV, vorrangiges Unionsrecht nicht beachtet habe.
Auch im Hinblick auf das von der Beklagten gerügte Fehlen einer Übergangsregelung ist ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht ersichtlich (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 08.06.2010, Az. 1 BvR 2011/07 u.a., BeckRS 2010, 50478 Rn. 126). Europäische Versandhandelsunternehmen konnten sich im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Arzneimittelpreisbindung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. bereits nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil es sich lediglich um eine klarstellende Regelung zu der bereits zuvor geltenden Rechtslage handelte. Denn bereits mit Beschluss vom 22.08.2012 hatte der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes entschieden, dass die deutschen Vorschriften für den Apothekenabgabepreis auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel gelten, welche Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union im Wege des Versandhandels nach Deutschland an Endverbraucher abgeben (GemS-OGB 1/10, GuP 2013, 74).
Ebenso wenig vermag der Senat eine formelle Verfassungswidrigkeit festzustellen. Die in Ansehung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. behauptete Verletzung einer Notifizierungspflicht gegenüber der Europäischen Kommission und der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 AEUV hätte jedenfalls nicht die Nichtigkeit des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. zur Folge (BVerfG, Beschl. v. 31.03.2016, Az. 2 BvR 929/14, NJW 2016, 2401Rn. 23).
4. Der dem Kläger zugesprochene Unterlassungsanspruch ist darüber hinaus auch nach dem zum Zeitpunkt der Entscheidung durch den erkennenden Senat maßgeblichen Rechtslage gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG i.V.m. § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V begründet.
a. Bei der Vorschrift des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG (vgl. BGH, Urt. v. 18.11.2021, Az. I ZR 214/18, GRUR 2022, 391Rn. 57 ff. – Gewinnspielwerbung II).
b. Die streitgegenständlichen Werbeaktionen verstoßen gegen § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 78 Abs. 1 Satz 1 AMG und sind damit auch nach neuem Recht gemäß § 3a UWG lauterkeitsrechtlich unzulässig (vgl. BGH, Urt. v. 18.11.2021, Az. I ZR 214/18, GRUR 2022, 391Rn. 68 – Gewinnspielwerbung II).
Gemäß § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren. Dass die Beklagte dem Rahmenvertrag beigetreten ist und dieser ihr gegenüber mithin Rechtswirkungen hat, steht nach dem in der mündlichen Verhandlung vom 07.03.2024 erfolgten unstreitigen Sachvortrag der Beklagten fest.
In der Sache räumt die Beklagte mit den streitgegenständlichen Rabattaktionen ihren Kunden einen vergünstigten Preis ein und missachtet damit den gemäß § 78 AMG n.F. i.V.m. § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V vorgegebenen gebundenen Preis (vgl. hierzu die Ausführungen zu Ziff. II.3.b.). Unschädlich ist dabei, dass dem Tenor des landgerichtlichen Urteils zufolge auch das „Werben“ mit einem für rezeptpflichtige Medikamente gewährten Bonus untersagt wird, obwohl § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V ausdrücklich nur das „Gewähren“ von Preisnachlässen untersagt. Denn ist das Gewähren von Zuwendungen nach § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V verboten und sind die Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkung hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 AMG n.F. erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet, dürfen entsprechende Zuwendungen auch nicht beworben werden (BGH, GRUR 2022, 391Rn. 66 f. – Gewinnspielwerbung II).
c. Der Verstoß gegen § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist zudem geeignet, die Interessen von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, § 3a Abs. 1 UWG. Der Bundesgerichtshof hat bereits zur Arzneimittelpreisbindung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. entschieden, dass ein Verstoß immer bereits dann geeignet ist, die Interessen von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, wenn der Wert der für den Bezug eines Arzneimittels gewährten Werbegabe einen Euro übersteigt (BGH, Urt. v. 08.05.2013, Az. I ZR 98/12, GRUR 2013, 1264Rn. 20 – RezeptBonus). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Gründe, deretwegen die Spürbarkeit im Hinblick auf die Arzneimittelpreisbindung nach § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V abweichend zu beurteilen wäre, liegen nicht vor.
d. Die Vorschrift des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist nach dem Dafürhalten des Senats unionsrechtskonform. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass es sich bei der auf den Vertrieb verschreibungspflichtiger Arzneimittel an gesetzlich Krankenversicherte beschränkten Neuregelung der Arzneimittelpreisbindung bereits nicht um eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 34 AEUV handelt (nachfolgend lit. aa.). Jedenfalls ist die Regelung aber gemäß Art. 36 AEUV gerechtfertigt (nachfolgend lit. bb.).
aa. Bei der Regelung des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V handelt es sich bereits nicht um eine Maßnahme gleicher Wirkung i.S.v. Art. 34 AEUV. Zum einen können die Erwägungen des Unionsgerichtshofs aus der Entscheidung in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung nicht auf die Arzneimittelpreisbindung gemäß § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V übertragen werden. Zum anderen steht der Annahme einer Maßnahme gleicher Wirkung das Urteil des Unionsgerichtshofs in Sachen L. entgegen:
(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs erfasst das Verbot von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßigen Beschränkungen gemäß Art. 34 AEUV jede Maßnahme eines Mitgliedstaates, die geeignet ist, die Einfuhr zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern (st. Rspr., statt vieler: EuGH, Urt. v. 11.07.1974, Az. C-8/74, ECLI:EU:C:1974:82 = BeckRS 2004, 73731, Rn. 5 – Dassonville). Keine Maßnahmen gleicher Wirkung sind demgegenüber nationale Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren (st. Rspr., grundlegend: EuGH, Urt. v. 24.11.1993, Az. C-267/91, ECLI:EU:C:1993:905 = BeckRS 2004, 75834, Rn. 16 – Keck). Unterschiedslos anwendbare Regelungen, die den Marktzugang für eingeführte Erzeugnisse nicht versperren oder stärker als für einheimische Erzeugnisse behindern, sind demnach keine Maßnahmen gleicher Wirkung (vgl. Leible/Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 73. EL Mai 2021, Art. 34 Rn. 77 f.).
(2) Nach diesen Maßstäben liegt eine Maßnahme gleicher Wirkung im Hinblick auf § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V nicht vor.
(a) Zwar hat der Unionsgerichtshof in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung entschieden, dass die Arzneimittelpreisbindung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. als Maßnahme gleicher Wirkung anzusehen ist (siehe oben Ziff. II.3.d.). Die entsprechenden Erwägungen können jedoch bereits aus dem Grund nicht auf die streitgegenständliche Regelung des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V übertragen werden, weil diese entgegen § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. nicht weiter für den gesamten Markt der verschreibungspflichtigen Arzneimittel gilt, sondern die nunmehr geltende Preisbindung auf den Vertrieb an gesetzlich Krankenversicherte begrenzt ist. Mithin steht es EU-Versandapotheken nach der nunmehr geltenden Rechtslage frei, gegenüber privatversicherten Patienten in Deutschland mit Preisnachlässen zu werben. Ist mithin aber ein Preiswettbewerb beim Vertrieb verschreibungspflichtiger Medikamente an privatversicherte Kunden gewährleistet, kann die Möglichkeit einer Werbung mit Preisnachlässen entgegen der Entscheidung des Unionsgerichtshofs in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung nicht weiter als das „einzige Mittel“ bezeichnet werden, welches EU-Versandapotheken zur Verfügung steht, um im Bereich des Vertriebs verschreibungspflichtiger Arzneimittel gegenüber nationalen Präsenzapotheken konkurrenzfähig zu sein (vgl. EuGH, Urt. v. 19.10.2016, Rs. C-148/15, ECLI:EU:C:2016:776 = GRUR 2016, 1312, Rn. 24/25 – Deutsche Parkinson Vereinigung).
(b) Der Senat verkennt dabei nicht, dass sich die Europäische Kommission in der als Anlage BK 53 vorgelegten Stellungnahme vom 08.07.2021 gegenteilig positioniert und die Regelung des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V als Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 34 AEUV angesehen hat. Zum einen wird in der Stellungnahme aus Sicht des Senats nicht hinreichend berücksichtigt, dass EU-Versandapotheken gegenüber Privatversicherten nunmehr mit Preisvorteilen werben können. Selbst wenn man daher davon ausgeht, dass etwa 90 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung gesetzlich krankenversichert sind, ist damit ein Preiswettbewerb in einem erheblichen Teil des Marktes für verschreibungspflichtige Medikamente nunmehr möglich.
(c) Entscheidend ist aber vor allem, dass sich darüber hinaus im Hinblick auf die Einführung des E-Rezepts die Marktbedingungen dahingehend geändert haben, dass Kunden entsprechende ärztliche Verschreibungen nun auch direkt bei EU-Versandapotheken einreichen können. Seit dem 01.01.2024 ist die Nutzung des E-Rezepts für verschreibungspflichtige Medikamente zudem verpflichtend. Infolgedessen konkurrieren EU-Versandapotheken nunmehr unmittelbar mit den Präsenzapotheken, sodass bislang beim Marktzugang zum Nachteil von EU-Versandapotheken bestehende Marktzutrittshindernisse mit der Einführung des E-Rezepts mithin entfallen sind (so auch Bundesregierung, Auskunftsschreiben vom 23.12.2021, S. 3 sowie IGES-Gutachten, Anlage BK 54, S. 18).
Dementsprechend hat etwa die zur Unternehmensgruppe der Beklagten zählenden EU-Versandapotheke DocMorris bereits im Jahr 2023 Ärztinnen und Ärzte im Hinblick auf die Ausstellung von E-Rezepten darüber informiert, dass E-Rezepte auf Wunsch der Kunden auch direkt an sie übermittelt werden könnten (vgl. Anlage K 63).
In wirtschaftlicher Hinsicht geht die Versandapothekenbranche zudem selbst davon aus, dass mit der Einführung des E-Rezepts eine wesentliche Marktzutrittsvoraussetzung geschaffen wurde. So konnte eigenen Angaben von D. zufolge mit einer Anzahl von 8,8 Millionen aktiven Kunden, d.h. Kunden, die D. direkt oder über seine Partner beliefert, Stand Ende September 2023 eine Basis für nachhaltiges, profitables Wachstum gefestigt werden. Obwohl zum Ende des dritten Quartals 2023 im Bereich rezeptpflichtiger Medikamente auf Basis von Papierrezepten ein unter den Erwartungen liegender Umsatzrückgang von 16,9 Prozent zu verzeichnen war, strebt D. im Hinblick auf die seit Juni 2023 zu verzeichnende Verdoppelung der insgesamt eingelösten E-Rezepte und der zukünftig verpflichtenden Nutzung des E-Rezepts mittelfristig weiterhin eine bereinigte EBITDA-Zielmarge von 8 Prozent an (Anlage K 64).
Sind aber mit der verpflichtenden Nutzung des E-Rezepts im Ausgangspunkt nunmehr gleiche wettbewerbliche Rahmenbedingungen für den Vertrieb verschreibungspflichtiger Arzneimittel geschaffen und stellt dies den eigenen Einschätzung der relevanten Marktteilnehmer zufolge die entscheidende Grundlage für den entsprechenden Marktzugang dar, kann eine (mittelbare) Handelsbeschränkung zum Nachteil von EU-Versandapotheken letztlich nicht mehr angenommen werden. Dies gilt umso mehr, als – wie bereits ausgeführt – gegenüber Privatpatienten keine Preisbindung mehr gilt und EU-Versandapotheken insoweit de lege lata in der Lage sind, gegenüber Präsenzapotheken bestehende Kostenvorteile in der Form entsprechender Rabatte an ihre Kunden weiterzugeben.
(d) Darüber hinaus weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass der Unionsgerichtshof bereits mit Urteil vom 10.01.1985 entschieden hat, dass eine Regelung zur Buchpreisbindung dann keine verbotene Maßnahme mit gleicher Wirkung einer mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung darstellt, „wenn sich aus objektiven Umständen ergeben sollte, dass die betroffenen Bücher allein zum Zwecke ihrer Wiedereinfuhr ausgeführt worden sind, um eine gesetzliche Regelung [in der Entscheidung die Buchpreisbindung] zu umgehen“ (EuGH, Az. C-229/83, Rn. 27 – Leclerc). Diese Voraussetzung ist nach dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Klägers erfüllt. Die Beklagte versendet in Deutschland zugelassene, deutsch etikettierte und mit Beipackzetteln in deutscher Sprache versehene Arzneimittel an Kunden in Deutschland, die mangels Kennzeichnung sowohl der Verpackungen als auch der Packungsbeilagen in niederländischer Sprache als solche in den Niederlanden gar nicht verkehrsfähig sind.
bb. Selbst wenn man jedoch die auf den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung beschränkte Arzneimittelpreisbindung gemäß § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V als Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 34 AEUV einstufen würde, wäre die Regelung nicht unionsrechtswidrig, weil jedenfalls die Voraussetzungen einer Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV zu bejahen sind. Zum einen finden die bereits zu § 78 Abs. 1 AMG a.F. dargestellten Erwägungen insoweit entsprechende Anwendung. Zum anderen ist die Regelung auch zum Schutz des in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Solidaritätsprinzips gerechtfertigt.
(1) Auch mit der Regelung des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V verfolgt der Gesetzgeber das als solches legitime Ziel, ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen, indem der Erhalt einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sichergestellt werden soll (Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken, nachfolgend nur: VOASG, der Bundesregierung vom 09.08.2019, BT-Drs. 19/21732, S. 1). Ausdrücklich spricht sich der Gesetzgeber unter Berücksichtigung des Urteils des Unionsgerichtshofs in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung dafür aus, dass einheitliche Apothekenabgabepreise zur Gewährleistung einer flächendeckenden, sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung erforderlich sind (Entwurf VOASG, a.a.O., S. 21).
(2) Die Gesetzgebung basierte überdies dabei gleichfalls nicht auf willkürlichen Erwägungen, sondern kann sich auf hinreichend konkrete, tatsächliche Anhaltspunkte stützen. Auch der Regelung des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V ging eine intensive, kontrovers geführte parlamentarische Debatte voraus, in deren Rahmen verschiedene Regulierungsmöglichkeiten diskutiert und abgewogen wurden. Insbesondere wurde aus den Reihen des Bundesrates sowie von verschiedenen Abgeordneten des Bundestages erneut ein vollständiges Versandhandelsverbot gefordert (Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/174 vom 11.09.2020, S. 21878, 21879). Nach einer umfassenden und intensiv geführten Debatte verabschiedete der Gesetzgeber letztlich aber die in § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V kodifizierte Preisbindung für die an Gesetzlich Krankenversicherte abgegebenen verschreibungspflichtigen Arzneimittel.
Die Abgeordnete M. hat insofern unter Verweis auf die in der Corona-Pandemie in besonderem Maße deutlich gewordene Notwendigkeit einer flächendeckenden Apothekenversorgung ausgeführt (Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/186 vom 29.10.2020, S. 23467):
„Ich bin ganz ehrlich: Ich weiß, dass viele – Apotheker wie auch Kollegen in der Politik – sich ein Versandhandelsverbot gewünscht hätten. Aber wir müssen uns auf das beschränken, was europarechtlich möglich ist. Ich danke ausdrücklich dem Gesundheitsminister und seinen Mitarbeitern für viele Gespräche mit der Kommission, für Gutachten zum Sachleistungsprinzip als tragendem Element unserer Gesundheitsversorgung und für konstruktive Zusammenarbeit.
Genau deshalb verankern wir heute die sogenannte Gleichpreisigkeit, einen einheitlichen Apothekenabgabepreis für gesetzlich versicherte Patienten im Rahmen des Sachleistungsprinzips im SGB V.“
Der Abgeordnete H. betonte zur Begründung der Regelung des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V weiter, dass ein Versandhandelsverbot zwar eine mögliche Regulierungsoption dargestellt hätte, aber nicht mehr der Verbrauchererwartung entspreche. Wie bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. lag der gesetzgeberischen Entscheidung den Ausführungen des Abgeordneten Hennrich zufolge insbesondere die Ertragsrelevanz des Handels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für Präsenzapotheken zugrunde (Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/186 vom 29.10.2020, S. 23471):
„Deswegen war es auch richtig und wichtig, dass wir das Boniverbot etablieren und damit sicherstellen, dass es eine Gleichpreisigkeit gibt. Denn es ist vollkommen klar: Jeder Euro, den eine Apotheke abgeben müsste, schmälert die Marge. Das kann eine Apotheke in der Stadt vielleicht stemmen, aber es ist ein großes Problem für die Apotheken in der ländlichen Region, und die sind wichtig für die Versorgung. Deswegen war es notwendig, die Gleichpreisigkeit im SGB V zu verankern.“
Bereits in der Debatte vom 10.05.2020 hatte zudem die Abgeordnete Dr. V. auf die für Präsenzapotheken erhebliche Bedeutung des Handels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln hingewiesen:
„Im Gegensatz zu den stationären Apotheken, die noch immer etwa 80 Prozent ihres Umsatzes mit verschreibungspflichtigen Medikamenten machen, lebt der Versandhandel vom Verkauf der typischen Produkte des Ergänzungssortiments und rezeptfreien Arzneimitteln. Hier erzielen Versandapotheken mittlerweile einen Marktanteil von jeweils rund 10 Prozent. Bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln hingegen liegt ihr Marktanteil unter 1 Prozent.
Auch wenn Verbraucher immer häufiger Arzneimittel im Internet bestellen – auf die Apotheke vor Ort verzichten möchten sie nicht. Der Arzneimittelversand reicht nicht aus, um eine zeitnahe flächendeckende Versorgung anbieten zu können.
Neben der schnellen Versorgung und guten Erreichbarkeit sind es die klassischen Apothekenaufgaben, die die Menschen in Deutschland schätzen. Dazu gehören das Einlösen von Rezepten, die Herstellung von Rezepturen, die Nacht- und Notdienste sowie die Beratung zu Medikamenten, Beschwerden und allgemeine Gesundheitsfragen.
(3) Der Debatte lagen konkrete tatsächliche Anknüpfungspunkte zugrunde, vor deren Hintergrund der Gesetzgeber in Ausübung der ihm in gesundheitspolitischen Fragen zustehenden weiten Einschätzungsprärogative annehmen durfte, dass die für verschreibungspflichtige Medikamente in der Gesetzlichen Krankenversicherung geltende Preisbindung ein geeignetes und angemessenes Mittel ist, die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln in Deutschland zu erhalten. Aus den vorstehend zitierten Redebeiträgen sind etwa konkrete Daten zur Ertragsrelevanz verschreibungspflichtiger Arzneimittel ersichtlich, die sich gleichermaßen aus dem für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erstellte BMWi-Gutachten ergeben (Anlage B 51, S. 44 zum Umsatzanteil der verschreibungspflichtigen Medikamente und S. 200 zum Marktanteil des Versandhandels bei verschreibungspflichtigen Medikamente). Darüber hinaus wurde im Rahmen der Gesetzgebung ein weiteres, für das Bundesministerium für Gesundheit erstelltes ökonomisches Gutachten berücksichtigt (IGES Institut und deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Gutachten für das Bundesministerium für Gesundheit vom 24.09.2020, Anlage BK 54, nachfolgend nur: IGES-Gutachten).
Auf der Grundlage des IGES-Gutachtens wurde als weitere Regulierungsalternative ferner diskutiert, ob eine Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln über die Regelung des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V hinaus auch im Bereich der Privatversicherten vorgeschrieben werden sollte. Dieser Vorschlag wurde im Rahmen der parlamentarischen Debatte von dem Abgeordneten H. wie folgt eingeführt (Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/174 vom 11.09.2020, S. 21879):
„Punkt eins: Gleichpreisigkeit auch bei Privatversicherten. Das haben wir im Gesetzentwurf bisher noch nicht vorgesehen. Aber ich glaube, wir sollten uns darüber noch mal vertieft Gedanken machen, weil es ja mit dem E-Rezept zu einer Wende im Wettbewerb gekommen ist. Das EuGH-Urteil basiert wesentlich darauf, dass man gesagt hat: Die Versandapotheker können nur über den Preis in den Wettbewerb kommen und im Wettbewerb bestehen. Mit dem E-Rezept – das hat das IGES-Gutachten auch sehr deutlich gemacht – kommt es zu einem Paradigmenwechsel. Deswegen stellt sich schon die Frage, ob man jetzt zusätzlich noch mehr Flexibilität beim Preis braucht oder ob wir vielleicht auch, was den Privatversichertenbereich angeht, für Gleichpreisigkeit sorgen können.“
Ebenfalls auf der Grundlage des IGES-Gutachtens kritisiert auch der Abgeordnete Weinberg die im Gesetzentwurf zu § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V fehlende Preisbindung im Bereich der an Privatversicherte abgegebenen Arzneimittel (Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/186 vom 29.10.2020, S. 23469):
„Zum Erhalt dieser Apotheken, die im Wettbewerb stehen mit den Onlineversandapotheken, braucht es gleich lange Spieße als unbedingte Voraussetzung. Das Prinzip hierzu ist die Gleichpreisigkeit; die haben wir aber in diesem Gesetz nicht bei Selbstzahlern und Privatversicherten. Eine Schnäppchenjagd im Internet und nur im Notfall die Apotheke vor Ort heranziehen – das führt zu einer existenziellen Bedrohung der Apotheken vor Ort. Studien belegen die katastrophalen Auswirkungen, die ein Anstieg des Onlineversandhandels hätte, auch die von Spahn in Auftrag gegebene IGES-Studie, die das E-Rezept als Gamechanger sieht. Die Kombination von E-Rezept und Onlinehandel führt genau zu einem solchen enormen Druck auf die Apotheken vor Ort, und es werden viele davon dem Druck nicht standhalten können.“
Gegenstand des IGES-Gutachtens war eine Analyse der Auswirkungen einer veränderten Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf den Apothekenmarkt in Deutschland. Methodisch wurden hierzu das Szenario eines nur für ausländische Versandapotheken möglichen Preiswettbewerbs mit dem Szenario eines für Versand- wie für Präsenzapotheken geltenden, generellen Boni-Verbotes einander gegenübergestellt. Während dem Referenzmodell nach von einem Versandhandelsanteil bei verschreibungspflichtigen Medikamenten von 1,1 Prozent auszugehen ist, ergab sich im Vergleichsszenario eines vollständigen Boni-Verbotes ein etwas geringerer Versandanteil von 1,0 Prozent. Geht man in der Modellrechnung davon aus, dass das E-Rezept bereits eingeführt ist, ergibt sich hingegen ein höherer Versandanteil von 1,4 Prozent (IGES-Gutachten, a.a.O., S. 73/77). Ungeachtet dessen, dass die ökonomisch messbaren Auswirkungen ihrem Umfang nach gering sind, belegt das Gutachten indes konkrete Anhaltspunkte, dass ein Boni-Verbot geeignet ist, die gewünschte Lenkungswirkung zur Stärkung von Präsenzapotheken zu entfalten. Zugleich ergibt die Modellierung konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass das E-Rezept die Marktzutrittsmöglichkeiten der Versandapotheken stärkt. Vor diesem Hintergrund ist aber die Entscheidung des Gesetzgebers, zur Stärkung der Präsenzapotheken ein im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung geltendes Boni-Verbot zu implementieren, im Lichte des im Gesundheitsbereich bestehenden weiten Ermessensspielraums nicht zu beanstanden.
Ob es sich hingegen bei der Preisbindung gemäß § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V um das am besten geeignete Mittel zur Stärkung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung durch Präsenzapotheken handelt, ist – wie ausgeführt – aus rechtlichen Gründen unerheblich. Dies gilt umso mehr, als nach dem Vortrag der Beklagten selbst die gesetzlichen Preisbindungsregelungen einen unmittelbaren Einfluss auf die Marktanteilsentwicklung der EU-Versandapotheken im Bereich verschreibungspflichtiger Arzneimittel haben und mithin die Wirksamkeit der streitgegenständlichen gesetzlichen Maßnahmen belegen:
Die vorstehende, auf Seite 11 des Schriftsatzes der Beklagten vom 28.02.2024 eingeblendete Grafik zeigt, dass der Marktanteil der EU-Versandapotheken nach dem Inkrafttreten des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. im Jahr 2012 tendenziell rückläufig war. Erst auf die Entscheidung des Unionsgerichtshofs in Sachen Deutsche Parkinson Vereinigung im Jahr 2016 hin, die am Markt als Zulassung eines Preiswettbewerbs gelebt wurde, konnte sich der Marktanteil der EU-Versandapotheken etwas erholen, während er mit der Einführung der Preisbindung gemäß § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V im Jahr 2020 wiederum zurückging.
(4) Ferner ist auch hinsichtlich § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V unbeachtlich, dass sich die Marktanteile der EU-Versandapotheken bislang nur im Bereich von etwa 1 Prozent bewegen. Denn insoweit gilt, dass der Gesetzgeber – wie bereits zur Preisbindung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. ausgeführt – zur Wahrung des gewünschten hohen Gesundheitsschutzniveaus nach eigenem Ermessen bestimmen darf, den bestehenden Status Quo zu schützen (siehe hierzu bereits Ziff. II.3.d.cc.(3)). Dass aber konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass weitere Apothekenschließungen drohen, wenn im Bereich der ertragsrelevanten verschreibungspflichtigen Arzneimittel zusätzlicher Preiswettbewerb zum Nachteil der Präsenzapotheken eröffnet wird, ist entsprechend den vorstehenden Ausführungen auf der Grundlage tatsächlicher Anhaltspunkte hinreichend belegt. Auch insoweit gilt zudem der allgemeine Erfahrungssatz, dass zunehmender Wettbewerb durch Online-Handelsunternehmen Verdrängungseffekte zum Nachteil kleiner und mittlerer Ladengeschäfte zur Folge haben kann, insbesondere wenn zugleich zunehmender Preiswettbewerb eröffnet wird, der bereits als solcher typischerweise Verdrängungseffekte und eine zunehmende Konzentration auf Handelsebene zur Folge haben kann (siehe hierzu bereits Ziff. II.3.d.cc(4)(c) und (d)).
Dass die der Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG a.F. zugrunde liegenden Erwägungen fortgelten, ergibt sich auch daraus, dass sich die entsprechenden tatsächlichen Umstände nicht geändert haben. Im Gegenteil stellt eine zunehmende Marktanteilsverschiebung zugunsten der EU-Versandapotheken im Hinblick auf die verbindliche Einführung des E-Rezepts zum 01.01.2024 ein realistisches Szenario dar. Angesichts der zugleich weiter anhaltend rückläufigen Zahl an Präsenzapotheken ist es insofern nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber zur Wahrung eines möglichst hohen Versorgungsniveaus die Ertragssituation der bestehenden Präsenzapotheken dadurch schützt, dass diese zumindest in dem wirtschaftlich bedeutenden Bereich der Gesetzlich Krankenversicherten nicht zusätzlichen wettbewerblichen Risiken ausgesetzt werden.
Unbehelflich ist in diesem Zusammenhang das von der Beklagten vorgelegte Evaluationsersuchen der Bundesregierung gemäß Anlage BK 60. Zum einen ergibt sich hieraus der Sache nach nicht, dass die Bundesregierung eine Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht weiter zur Sicherstellung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung für notwendig erachtet. Vielmehr erfüllt die Bundesregierung mit dem Evaluationsersuchen nur die aus § 129 Abs. 5f SGB V resultierende Pflicht, die Auswirkungen der Preisbindungsregelung gemäß § 129 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB V auf die Marktanteile von Apotheken und des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu evaluieren. Zum anderen ist für die streitgegenständliche Entscheidung die derzeit geltende Rechtslage entscheidend. Ob der Gesetzgeber künftig an der Preisbindung festhalten wird, ist für die hier zu treffende Entscheidung hingegen ohne Belang.
(5) Über die im Kern auf der Ertragsrelevanz der von Präsenzapotheken mit der Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente erzielten Umsatzerlöse basierende Rechtfertigung der Arzneimittelpreisbindung hinaus ist die Regelung des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V überdies nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt, weil sich diese ausschließlich auf die an Gesetzlich Krankenversicherte abgegebenen Medikamente beschränkt. Denn insoweit ist eine Preisbindung aufgrund des im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Sachleistungs- und Solidaritätsprinzips zulässig:
Bei dem krankenversicherungsrechtlichen Solidaritätsprinzip handelt es sich um einen unionsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrund. Aus der Regelung des Art. 4 Abs. 3 RL 2001/83/EG ergibt sich insoweit ausdrücklich, dass die Bestimmungen der Arzneimittelrichtlinie nicht die Zuständigkeiten der Behörden der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Festsetzung der Arzneimittelpreise und ihrer Einbeziehung in den Anwendungsbereich der innerstaatlichen Krankenversicherungssysteme aufgrund gesundheitlicher, wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen berühren.
Die Erwägung des Gesetzgebers, dass die Zahlung von Boni an Gesetzlich Krankenversicherte dem Solidaritätsprinzip zuwiderläuft, ist in der Sache nicht zu beanstanden. Denn die Höhe der von der Gesetzlichen Krankenversicherung zu leistenden Erstattung richtet sich nach dem Apothekenabgabepreis. Infolgedessen zahlt die Gesetzliche Krankenversicherung als Solidargemeinschaft den gebundenen Preis, während das einzelne Mitglied in den Vorzug eines ihm persönlich gewährten Bonus käme. Eine solche individuelle Begünstigung nur einzelner Mitglieder stünde aber gerade im Gegensatz zu der dem Gesamtsystem nach solidarisch konzipierten Finanzierungsstruktur. Die Apotheken sind als wesentlicher Mittler bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Gesetzlich Krankenversicherte Wesensbestandteil der solidarisch organisierten Gesetzlichen Krankenversicherung. Ist aber das Gesamtsystem der Gesetzlichen Krankenversicherung dem Solidaritätsprinzip entsprechend konzipiert, lässt sich eine solidarische Finanzierung nur sicherstellen, wenn die Apotheken als maßgebliche Absatzmittler bei der Abgabe der verschreibungspflichtigen Arzneimittel an Gesetzlich Krankenversicherte gleichwertig entlohnt werden. Die dementsprechend gebotene solidarische Entlohnung der Apotheken ist indes nicht mehr sichergestellt, wenn durch preisbezogene Anreize einzelner Apotheken die für sämtliche Apotheken zentral bedeutsame Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Gesetzlich Krankenversicherte auf bestimmte Apotheken umgelenkt wird.
Eine solche Umlenkung widerspricht auch aus dem Grund dem der Gesetzlichen Krankenversicherung inhärenten Solidarprinzip, als Preisanreize nur von bestimmten einzelnen Apotheken ausgeübt werden können, die in der Folge die Nachfrage gezielt auf sich umlenken könnten. Eine daraus folgende zunehmende Nachfragekonzentration zugunsten einzelner, finanziell in besonderem Maße potenter Apotheken würde in überproportionaler Weise kleine Apotheken schwächen und damit letzten Endes wiederum die flächendeckende Versorgung in Gefahr bringen.
5. Ferner liegt auch die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr vor. Die bloße Geschäftsaufgabe durch die Beklagte beseitigt die im Streitfall indizierte Wiederholungsgefahr nicht (BGH, Beschl. v. 26.02.2014, Az. I ZR 119/09, GRUR-RS 2014, 7401 sowie Beschl. v. 20.01.2016, Az. I ZB 102/14, GRUR 2016, 421). Eine Erklärung der Beklagten, sich an die mit Inkrafttreten des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V neue, geltende Rechtslage zu halten, ist auf den entsprechenden Hinweis des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 20.04.2021 nicht erfolgt.
6. Eine Einschränkung des landgerichtlichen Urteils war auch nicht dahingehend vorzunehmen, dass dem Kläger ein Unterlassungsanspruch im Hinblick auf die Preisbindung gemäß § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V nur insoweit zusteht, als sich die streitgegenständlichen Rabattaktionen an privatversicherte Patientinnen und Patienten richten. Die von dem Kläger angegriffene Werbung differenziert nicht zwischen privat und gesetzlich Krankenversicherten. Daher richtet sich diese jedenfalls auch an Mitglieder in der Gesetzlichen Krankenversicherung und verstößt damit insgesamt gegen § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V.
7. Soweit das Wort „insbesondere“ antragsgemäß aus Ziffer I.1. des landgerichtlichen Urteils im Tenor zu streichen war, erfolgte dies lediglich zur Sicherstellung der hinreichenden Bestimmtheit des streitgegenständlichen Unterlassungstitels.
8. Dem Kläger stehen schließlich auch die geltend gemachten Ansprüche auf Erstattung der Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung zu, § 12 Abs. 1 Satz 2, § 9 UWG a.F. Streitgegenständlich sind zwei unterschiedliche Rabattaktionen, sodass die Beklagte für jede eine gesonderte Kostenerstattung schuldet. Maßgeblich ist insoweit allein die zum Zeitpunkt des Verstoßes geltende Rechtslage.
C.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Rechtsgrundlage der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit sind § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision zum Bundesgerichtshof ist zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und ist im Hinblick auf die abweichende Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 25.04.2017, Az. I-20 U 149/13, BeckRS 2017, 109016, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) geboten.
Eine Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht, weil der Senat nicht als letztinstanzliches Gericht eines Mitgliedstaates entscheidet (vgl. EuGH EuZW 2009, 75 Rn. 76 – Cartesio; EuZW 2002, 476Rn. 16 – Lyckeskog). Dies gilt auch im Hinblick auf die von der Beklagten zuletzt beantragte Aussetzung das Verfahren bis zur Vorabentscheidung des Unionsgerichtshofs in der Rechtssache C-517/23. Auf den zugrunde liegenden Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs vom 13.07.2023, Az. I ZR 182/22, kommt es im Streitfall bereits aus dem Grund nicht an, weil die Auslegung des § 7 Abs. 1 HWG vorliegend nicht entscheidungserheblich ist. Soweit dem Senat im Hinblick auf eine mögliche inzidente Bedeutung des dem Unionsgerichtshof vorgelegten Vorabentscheidungsersuchens betreffend die Regelung des § 129 Abs. 3 SGB V ein Ermessen zusteht, wird dieses insbesondere unter Berücksichtigung der bereits erheblichen Verfahrensdauer dahingehend ausgeübt, dass von einer Vorlage abgesehen wird.