Streitig ist, ob die Lieferung von sog. Milchersatzprodukten dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i.V.m. Nr. 4, 31, 33, 35 der Anlage 2 unterliegt.
Die Klägerin ist eine -mit Gesellschaftsvertrag vom XX.XX.XXXX errichtete- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die im Handelsregister des Amtsgerichts C (Nr. HRX XXX) eingetragen ist. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin sind
- [...].
Die Klägerin liefert -auch- Milchersatzprodukte bzw. Getränke mit mindestens 75% Anteil an Milchersatz zum Verzehr außer Haus. Sie ist der Ansicht, auf diese Umsätze sei der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7% anzuwenden. Hierzu trägt sie vor, im 2. Kalendervierteljahr 2023 würde sich die Umsatzsteuer auf diese Lieferungen mit XXX € wie folgt errechnen:
|
einschließlich der Umsatzsteuer
|
XXX €
|
|
abzüglich der Umsatzsteuer
|
XXX €
|
|
(streitige) Umsatzsteuer
|
XXX €
|
|
Am 09.09.2023 hatte die Klägerin die Voranmeldung für das 2. Kalendervierteljahr 2023 -ausgehend von der Rechtsansicht des Beklagten (Finanzamt -FA)- allerdings mit folgenden Angaben übermittelt:
|
|
Bemessungsgrundlage
|
Steuer
|
|
|
|
Umsatz
|
|
|
- zu 19 %
|
XXX €
|
XXX €
|
- zu 7 %
|
XXX €
|
XXX €
|
innergemeinschaftlichen Lieferungen
|
XXX €
|
|
nicht steuerbare Umsätze
|
XXX €
|
|
Zwischensumme
|
|
XXX €
|
Vorsteuer
|
|
XXX €
|
|
|
XXX €
|
Das FA stimmte mit Bescheid vom 27.09.2023 zu, allerdings mit folgendem Hinweis:
„Der Bescheid ist nach § 164 Abs. 2 AO geändert. Der Vorbehalt der Nachprüfung bleibt bestehen.“
Den Einspruch gegen den Bescheid vom 27.09.2023 wies das FA als unbegründet zurück. Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 12.01.2024 führte das FA hierzu Folgendes aus:
„Milchersatzprodukte sind aus z.B. Soja, Reis oder Hafer gewonnene Flüssigkeiten, die im allgemeinen Handel erhältlich sind und beispielsweise von Menschen, die an einer Lactose-Überempfindlichkeit oder Kuhmilcheiweißallergie leiden, oder sich vegan ernähren, verwendet werden.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Umsatzsteuer auf 7 % u. a. für Lieferungen der in der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG bezeichneten Gegenstände. In Anlage 2 wird auf den gemeinsamen Zolltarif (GZT) der EG verwiesen. Dem GZT liegt wiederum die Kombinierte Nomenklatur (KN) des Harmonisierten Systems (HS) zur Bezeichnung und Codierung der Waren zugrunde (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 2000 V R 63/99, BFH/NV 2001, 348, HFR 2001, 367). Dazu gibt es Erläuterungen, die für das HS vom Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens - Weltzollorganisation - sowie für die KN von der Europäischen Kommission ausgearbeitet wurden und ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Positionen darstellen (vgl. EuGH-Urteil vom 7. Oktober 2004 Rs. C-379/02, Imexpo Trading A/S, BFH/NV 2005, Beilage 1, 30, HFR 2005, 75, Randnr. 16; BFH-Urteil vom 3. Februar 2004 VII R 33/03, BFH/NV 2004, 849, HFR 2004, 563, unter II.2.a, jeweils m.w.N.).
Für die streitgegenständlichen Waren könnten die nachfolgenden Kategorien der
Anlage 2 in Betracht kommen:
|
Lfd.-Nr.
|
Warenbezeichnung
|
Zolltarif (Kapitel, Position, Unterposition)
|
|
|
|
4
|
Milch und Milcherzeugnisse; ...
|
aus Kap. 4
|
31
|
Zubereitungen aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch; ...
|
Kap. 19
|
33
|
Verschiedene Lebensmittelzubereitungen Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch oder
|
Kap. 21
|
35
|
Milcherzeugnissen (z. B. Molke) von mindestens 75 % des Fertigerzeugnisses
|
aus Pos. 2202
|
Die Lieferung von anderen Getränken als Milch, Milchmischgetränken und reinem Wasser sind stets mit dem allgemeinen Steuersatz zu besteuern (BFH-Urteil vom 5. November 1998 V R 20/98, BFHE 187, 340, BStBl II 1999, 326, HFR 1999, 286).
Bei der Auslegung der Nrn. 4 und 35 der Anlage zum UStG ist zu berücksichtigen, dass es sich dabei (´aus Kapitel 4` oder ´aus Position 2002`) um sog. Expositionen handelt, die nicht vollumfänglich auf eine Position der KN Bezug nehmen. In Expositionen verwendete Rechtsbegriffe sind grundsätzlich umsatzsteuerrechtlich auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 1999 V R 88/97, BFH/NV 1999, 1252, HFR 1999, 665). Dies gilt allerdings nur, soweit eine Exposition eigenständige Begriffe verwendet, die zolltariflich ohne Belang sind (vgl. BFH-Urteil vom 14. Januar 1997 VII R 47/96, BFHE 182, 466, BStBl II 1997, 481, HFR 1997, 564). Verwendet die Exposition hingegen Begriffe der KN, sind diese nach den Regeln der KN auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 20. Februar 1990 VII R 172/84, BFHE 160, 342, BStBl II 1990, 760, HFR 1990, 573).
Aus diesem Grund ist der Begriff ´Milchmischgetränk` (Nr. 35) umsatzsteuerrechtlich auszulegen, weil er der KN fremd ist, während die Begriffe ´Milch` und ´Erzeugnisse`, die in Kap. 4 und in Pos. 2202 KN verwendet werden, deshalb zolltariflich auszulegen sind.
Die vegane Milchalternativen fallen nicht unter eine der der obenstehenden Kategorien und unterliegen deshalb nicht der ermäßigten Besteuerung, denn Waren pflanzlichen Ursprungs sind keine Milch. Nach der insoweit maßgeblichen zolltariflichen Auslegung ist Milch i. S. der Nr. 4 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG i. V. m. Kap. 4 Kombinierte Nomenklatur das ´Gemelk` eines oder mehrerer Tiere (vgl. EuGH-Urteil vom 25. Mai 1989 Rs. 40/88, Slg. 1989, I-1395, HFR 1990, 461, s. auch Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a der VO Nr. 2587/97 des Rates vom 18. Dezember 1997 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse hinsichtlich Konsummilch, ABIEG Nr. L 351, 13). Dies wird durch die Überschrift des Abschn. I der KN bestätigt, die als Hinweis für die Einreihung heranzuziehen ist: Danach handelt es sich bei den Waren des Abschn. I, zu dem Kap. 4 gehört, um Waren tierischen Ursprungs (vgl. auch BMF-Schreiben vom 5. August 2004, BStBl I 2004, 638, 645).
Die vertriebenen Getränke sind auch keine begünstigten Milchmischgetränke i. S. der Nr. 35 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG. Die aus Soja, Reis oder Hafer hergestellten Getränke bzw. vegane Milchalternativen, gehören nicht zu den begünstigten Gegenständen, weil sie keinen Anteil an Milch oder Milcherzeugnissen von mindestens 75 % des Fertigerzeugnisses enthalten. Sie werden aus pflanzlichen Ressourcen hergestellt und sind keine Milcherzeugnisse tierischen Ursprungs. Sie sind deshalb in Unterpos. 2202 90 10 KN einzureihen.
Eine Einreihung in Nr. 31 oder 33 der Anlage ("Verschiedene Lebensmittelzubereitungen Kap. 21") scheidet deswegen aus, weil die allein in Betracht kommenden Pos. 1901 KN oder 2106 KN voraussetzt, dass die betreffende Lebensmittelzubereitung ´anderweit weder genannt noch inbegriffen` ist. Die streitgegenständlichen Waren sind Getränke i.S.d. Pos. 2202 KN, auf die Nr. 35 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 UStG Bezug nimmt. Nr. 35 beschränkt die Ermäßigung jedoch, wie bereits obenstehend ausgeführt, auf Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch oder Milcherzeugnissen von mindestens 75 % des Fertigerzeugnisses.
Unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG) dürfen die Mitgliedstaaten für bestimmte Kategorien in eigener Zuständigkeit einen ermäßigten Steuersatz anwenden. Bei der Ausübung dieser Zuständigkeit müssen die Mitgliedstaaten den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten. Wie aus der Rspr. des EuGH hervorgeht, verbietet es dieser Grundsatz insbesondere, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. Auf solche Waren oder Dienstleistungen ist daher ein einheitlicher Steuersatz anzuwenden (vgl. EuGH-Urteil vom 23. Oktober 2003 Rs. C-109/02, Kommission/Deutschland, Slg. 2003, I-12691, BStBl II 2004, 482, HFR 2004, 590, Randnr. 20, 25, m. w. N.).
Milchmischgetränke und Milchersatzprodukte sind nach der KN nicht gleichartig, weil sie in unterschiedliche Unterpositionen einzureihen sind. Nach diesen Maßstäben gebietet der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer nicht, vegane Milchalternativen umsatzsteuerrechtlich wie Milchmischgetränke zu behandeln. Aus der zolltariflichen Einordnung folgt zwingend die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung, dass Milchersatzprodukte nicht nach Nr. 35 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.“
Hiergegen wendet sich die Klägerin. Sie macht mit ihrer Klage -wie mit ihrem Einspruch- insbesondere geltend, dass Art. 20a des Grundgesetzes (GG) den Staat verpflichte, auch in Verantwortung für die künftigen Generationen, die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung, und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung zu schützen. Dies würde gebieten, unter „Milch und Milcherzeugnisse“ i.S. der Nr. 4 der Anlage 2 auch Milchersatzprodukte pflanzlichen Ursprungs zu verstehen.
Im rechnerischen Ergebnis sei die Steuer für das 2. Kalendervierteljahr 2023 um XXX € zu mindern. Diesen Betrag errechnet die Klägerin wie folgt:
|
|
Bemessungsgrundlage
|
Steuer
|
Umsatz
|
|
|
- zu 19 %
|
XXX €
|
XXX €
|
- zu 7 %
|
XXX €
|
XXX €
|
innergemeinschaftlichen Lieferungen
|
XXX €
|
|
nicht steuerbare Umsätze
|
XXX €
|
|
Zwischensumme
|
|
XXX €
|
Vorsteuer
|
|
XXX €
|
|
|
XXX €
|
bisher
|
|
XXX €
|
weniger
|
|
XXX €
|
Die Klägerin beantragt,
die mit der Steueranmeldung für das zweite Kalendervierteljahr 2023 vom 09.09.2023 bewirkte Steuerfestsetzung in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.01.2024 zu ändern und die Umsatzsteuer auf XXX € festzusetzen.
Das FA verweist auf seine Einspruchsentscheidung vom 12.01.2024 und beantragt,
die Klage abzuweisen.