LG Berlin I , Urteil vom
8.April 2024 , Az: (540 Ks) 278 Js 405/21 (2/23)
Langtext
Tenor
Der Angeklagte wird wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von 3 (drei) Jahren
verurteilt. Im Übrigen wird er freigesprochen.
Er hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, soweit er verurteilt worden ist; im Übrigen trägt die Landeskasse Berlin die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen.
Im vorliegenden Verfahren lagen dem Angeklagten ein versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie ein vollendeter Totschlag zur Last, jeweils begangen im Rahmen von ihm unterstützter Selbsttötungsversuche der Geschädigten Isabell R. im Jahr 2021, von denen der erste fehlgeschlagen ist.
Der zum Zeitpunkt der hiesigen Entscheidung 74 Jahre alte Angeklagte ist Facharzt für Innere Medizin. Er führte bis zum Jahr 2015 eine Hausarztpraxis in Berlin und befindet sich nun im Ruhestand. Weil er im Jahr 2013 eine langjährige Patientin bei ihrem Freitod unterstützt hatte, war schon einmal ein Strafverfahren gegen ihn geführt, er jedoch schließlich mit Erkenntnis des Landgerichts Berlin vom 8. März 2018 von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen worden. Der Bundesgerichtshof hatte die gegen den Freispruch gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft Berlin mit Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18 – verworfen.
Seine Erfahrungen im Rahmen des vorgenannten Verfahrens und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung (§ 217 StGB) vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 u.a. – veranlassten den Angeklagten, ab Ende 2020 / Anfang 2021 als Freitodbegleiter tätig zu werden; bis heute hat er etwa 100 Personen bei deren Suizid assistiert.
Am 12. Juni 2021 wandte sich die 37 Jahre alte Geschädigte Isabell R. an den Angeklagten. Sie litt zu dieser Zeit an einer akuten, zumindest mittelgradigen depressiven Episode einer 16 Jahre zuvor erstmals bei ihr aufgetretenen – sehr wahrscheinlich – bipolaren Störung und hegte den Wunsch zu sterben. Am 15. Juni 2021 führte der Angeklagte ein etwa 90-minütiges Gespräch mit Frau R. , aufgrund dessen er den Entschluss fasste, sie bei ihrem Suizid zu unterstützen. Am 24. Juni 2021 assistierte er ihr bei einem ersten Versuch der Selbsttötung, der indes fehlschlug und zur gerichtlichen Anordnung ihrer Unterbringung auf einer geschlossenen psychiatrischen Station eines Berliner Krankenhauses führte. Nachdem sie am 12. Juli 2021 aus dieser entlassen worden war, unterstützte er sie noch am selben Tag bei einem weiteren Versuch, sich das Leben zu nehmen, diesmal erfolgreich.
Während der Angeklagte im ersten Fall freizusprechen war, weil zu seinen Gunsten nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Geschädigte – noch – hinreichend freiverantwortlich handelte, war er wegen des Geschehens am 12. Juli 2021 wegen in mittelbarer Täterschaft begangenen Totschlags in einem minder schweren Fall zu verurteilen.
Nach der Beweisaufnahme stand insoweit zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Geschädigte bei der Tat vom 12. Juli 2021 krankheitsbedingt nicht nur erheblich in ihrer Fähigkeit zur Bildung eines freien Willens eingeschränkt war, sondern dass ihr Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, auch nicht (mehr) von der erforderlichen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit getragen war. Der Angeklagte, dem dies bewusst war, nahm zudem in unzulässiger Weise Einfluss auf ihre Entscheidung, indem er ihr – obwohl er dies tatsächlich nicht vorhatte – zusicherte, bei einem drohenden erneuten Scheitern des Suizidversuchs über die Grenzen des Erlaubten hinaus aktiv tätig zu werden und so ihren Tod sicher herbeizuführen; diese – vermeintliche – Gewissheit war für ihre abermalige Suizidentscheidung zumindest mitursächlich.
Entscheidungsgründe
I. Persönliche Verhältnisse
1. Lebenslauf
Der zur Tatzeit 72 Jahre alt gewesene, bisher unbestrafte Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger, verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Er wuchs in Berlin als Sohn zweier Ärzte auf und absolvierte im Jahr 1970 das Abitur. Anschließend studierte er an der Freien Universität Berlin Medizin, legte im Jahr 1977 das zweite medizinische Staatsexamen ab, promovierte als Dr. med. und arbeitete sodann neun Jahre in verschiedenen Berliner Krankenhäusern, wobei er im Jahr 1985 Facharzt für Innere Medizin wurde.
Im Jahr 1986 übernahm er eine Hausarztpraxis in Berlin-Steglitz, die er bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Juli 2015 als Internist führte. In dieser Zeit behandelte er auch Patienten mit Depressionen oder bipolaren Störungen; seine ärztliche Tätigkeit beschränkte sich hierbei im Wesentlichen auf eine gesprächsorientierte Betreuung auf der Grundlage von Lebenserfahrung und Menschenkenntnis, die er als psychosomatische Grundversorgung abrechnete. In einfach gelagerten Fällen verschrieb er auch Antidepressiva, ansonsten überwies er seine Patienten in fachärztliche Behandlung.
Im Jahr 2013 führte er bei einer 44-jährigen Patientin, die bei ihm bereits seit zwölf Jahren in Behandlung war und sich aufgrund eines chronischen schmerzhaften Reizdarmsyndroms suizidieren wollte, auf deren Wunsch Sterbehilfe dergestalt durch, dass er ihr das in Überdosis tödlich wirkende Medikament Luminal übergab und sie nach der – in seiner Abwesenheit – erfolgten Einnahme regelmäßig aufsuchte und ihre Vitalwerte kontrollierte, bis sie schließlich drei Tage später verstarb. Infolge des daraufhin gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens wegen des Verdachts der Tötung auf Verlangen durch Unterlassen wurde er als Suizidbegleiter in der Presse bekannt. Er nahm des Verfahrens wegen im Jahr 2015 erstmalig Kontakt zur Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) auf, um sich rechtlich beraten zu lassen; in diesem Zuge wurde er auch selbst Mitglied der DGHS. Mit Erkenntnis vom 8. März 2018 – (502 KLs) 234 Js 339/13 (1/17) – sprach ihn das Landgericht Berlin von sämtlichen Tatvorwürfen frei; die hiergegen von der Staatsanwaltschaft Berlin eingelegte Revision verwarf der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 u.a. – das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung (§ 217 StGB i.d.F. vom 3. Dezember 2015) für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklärt hatte, begann der Angeklagte Ende 2020 / Anfang 2021 als Freitodbegleiter für die DGHS zu arbeiten. Er hatte sich bereits während des gegen ihn geführten Verfahrens intensiv mit dem Thema Sterbebegleitung auseinandergesetzt und begrüßte die verfassungsgerichtliche Entscheidung, über die er wiederholt mit dem Zeugen Prof. R. diskutierte, im Ergebnis ausdrücklich; er entnahm ihr unter anderem, dass eine psychisch kranke Person das gleiche Recht habe, sich das Leben zu nehmen, wie eine körperlich erkrankte.
Im Rahmen seiner Tätigkeit bei der DGHS lernte er das zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Suizidentscheidung entwickelte strenge Prozedere kennen, unter dem die DGHS Freitodbegleitungen an ein örtlich zuständiges Team, bestehend aus einem Arzt und einem Juristen, vermittelt. Er wusste deshalb insbesondere, dass die DGHS zur juristischen und medizinischen Absicherung grundsätzlich eine Wartezeit von sechs Monaten zwischen Antragsstellung und Freitodbegleitung vorsieht und dass vor einer Vermittlung die Krankenunterlagen der Sterbewilligen angefordert und von medizinischen und juristischen Fachkräften durchgesehen werden. Ihm war, auch aufgrund seiner Kenntnis der verfassungsgerichtlichen Entscheidung, ferner bekannt, dass bei psychiatrischen Diagnosen, insbesondere depressiven Erkrankungen, rechtlich ein besonders strenger Maßstab an die Feststellung eines freien Willens anzulegen ist, und dass die DGHS deshalb in derartigen Fällen in aller Regel eine positive fachärztliche Stellungnahme verlangt und Menschen mit einer akuten Depression sowie einer ambivalenten Haltung in Bezug auf den Sterbewunsch von einem assistierten Suizid ausschließt.
Bis Februar 2024 unterstützte der Angeklagte etwa 100 Menschen bei ihrer Selbsttötung, wobei er in etwa 95 Prozent der Fälle für die DGHS tätig war. In den restlichen Fällen – darunter den beiden hiesigen – agierte er eigenständig, weil er das langwierige Procedere der DGHS für die Suizidwilligen aufgrund eines hohen Leidensdrucks für nicht zumutbar hielt. Für seine Tätigkeit rechnete er gegenüber der DGHS pauschal 1.500 Euro ab; war er selbständig tätig, vereinbarte er eine individuelle Aufwandsentschädigung mit den Sterbewilligen.
Derzeit hat der Angeklagte seine Tätigkeit als Freitodbegleiter bis auf Weiteres eingestellt, nachdem ihm das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin die Approbation als Arzt vorläufig entzogen hat.
Der Angeklagte wohnt zusammen mit seiner Ehefrau, die ebenfalls Ärztin ist, in einem Einfamilienhaus in Berlin-Zehlendorf und bestreitet seinen Lebensunterhalt überwiegend aus der Rente aus der Ärzteversorgung.
2. Haftverhältnisse
Die Kammer hat am 4. April 2023 einen Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen, ihn jedoch zugleich gegen Auflagen vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Mit dem Urteil vom 8. April 2024 hat die Kammer Haftbefehl und Haftverschonungsbeschluss aufgehoben.
II. Feststellungen
1. Leben und Krankheitsgeschichte der Geschädigten R. bis Mai 2021
a) Kindheit, Jugend und Adoleszenz in Bayern
Die Geschädigte Isabell R. wurde am 17. Februar 1984 in Schwabmünchen geboren. Da ihr Vater die Vaterschaft zunächst nicht anerkannte und keine Unterhaltszahlungen für sie leistete, zog ihre Mutter – die Zeugin R. – sie mit Unterstützung ihrer Eltern in den ersten Lebensjahren allein auf. Als die Geschädigte sieben Jahre alt war, heiratete ihre Mutter einen anderen Mann, mit dem sie zwei weitere Töchter, Anna – die Zeugin Rö. – und Sarah, bekam. Mit ihrem Stiefvater verstand sich die Geschädigte nicht; als sie 14 Jahre alt war, nahmen ihrer beider Streitigkeiten ein solches Ausmaß an, dass der Stiefvater ihrer Mutter androhte, die Familie zu verlassen, sollte sie – die Geschädigte – dort verbleiben. Aus Rücksicht auf die beiden jüngeren gemeinsamen Kinder gab die Zeugin R. die Geschädigte daraufhin zu ihren Großeltern, wo sie fortan aufwuchs und zu denen sie eine starke Bindung entwickelte. In dieser Zeit entstand auch ein gelegentlicher Kontakt zu ihrem leiblichen Vater.
Im Jahr 2003 legte die Geschädigte in Bayern das Abitur ab, absolvierte anschließend eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin und ein Studium der Medienkommunikation und arbeitete alsdann bis zum Jahr 2013 in diesen Bereichen, zumeist auf selbständiger Basis.
Im Jahr 2005 trat bei ihr im Alter von 21 Jahren erstmals eine depressive Episode auf, aufgrund derer sie stationär psychiatrisch behandelt wurde und ein Antidepressivum (Fluoxetin) verschrieben bekam. Akute depressive Schübe erlitt sie von nun an bis zum Jahr 2013 etwa zwei Mal pro Jahr. In diesen Phasen wurde sie insbesondere antriebslos sowie affektiv labil und ihre Sicht auf die Dinge verfinsterte sich dergestalt, dass sie keine Lebensfreunde mehr empfand und keinen Sinn mehr im Leben sah. In der Regel besserte sich ihr Zustand nach zwei bis drei Wochen von selbst; ihre Mutter, Großeltern, Geschwister und Freunde unterstützten sie in diesen Zeiten, so gut es ihnen möglich war. Während einer derartigen Krankheitsphase unternahm sie im Jahr 2006 einen ersten Suizidversuch, indem sie einen Fön mit in die Badewanne nahm; der erhoffte Kurzschluss mit tödlicher Wirkung blieb indes aus.
Im Jahr 2008 wurde bei der Geschädigten ein gutartiger Hirntumor (Astrozytom) entfernt; als Folge der Operation blieben eine Feinmotorikstörung und Kraftminderung der linken Hand zurück.
Im selben oder im Folgejahr kam es bei ihr nach der Einnahme psychotroper Pilze ("Magic Mushrooms") zu einer schweren manischen Episode, infolge derer sie erneut stationär behandelt wurde und nun erstmalig die Diagnose einer bipolaren affektiven Störung erhielt. Sie wurde mit dem Antiepileptikum Valproat behandelt, unter dem die Beschwerden abklangen, und das sie anschließend als Phasenprophylaktikum weiter einnahm. Im Jahr 2013 unternahm sie mittels einer Überdosis dieses Medikaments einen zweiten Suizidversuch, der indes wiederum scheiterte und eine erneute stationäre Behandlung nach sich zog. Wahrscheinlich erlitt sie in diesem Jahr auch eine weitere manische Episode.
Trotz der vorbeschriebenen Erkrankung mit ihren wiederkehrenden, vorrangig depressiven Episoden konnte die Geschädigte ihren Alltag gut bewältigen und ihren Lebensunterhalt aus ihrer Berufstätigkeit eigenständig bestreiten. Außerhalb der akuten Krankheitsphasen war sie eine lebensfrohe und sehr aktive junge Frau, die weite Reisen unternahm und zahlreiche Freundschaften, sowohl in Bayern als auch im Ausland, pflegte. Da ihr Vater jüdischen Glaubens war, befasste sie sich viel mit dieser Religion und reiste mehrmals nach Israel.
b) Zeit in Berlin vom Jahr 2013 bis Sommer 2020
Ende des Jahres 2013 zog die Geschädigte nach Berlin. Hier begab sie sich in ambulante Therapie bei der Psychiaterin Dr. W. , bei der zunächst eine Weiterbehandlung mit den Medikamenten Valproat und Fluoxetin erfolgte. Im April 2016 erfolgte eine Umstellung des Phasenprophylaktikums auf das Präparat Lamotrigin, weil dieses für Frauen im gebärfähigen Alter besser geeignet ist als das potentiell fruchtschädigende Valproat. Ende des Jahres 2015 nahm die Geschädigte ergänzend eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie bei dem Psychiater und Psychotherapeuten Dr. H. auf. Da sich ihr Zustand in den folgenden Jahren stabil zeigte, reduzierte sie in Abstimmung mit Dr. W. die Dosis des Antidepressivums und setzte es schließlich ganz ab; die medikamentöse Phasenprophylaxe führte sie fort. Gespräche mit Dr. H. fanden nun nur noch zweimal im Quartal statt. Von ihrem Umzug nach Berlin bis zum Sommer 2020 kam es unter diesem Setting zwar zu gewissen Schwankungen in der psychischen Verfassung der Geschädigten, jedoch nicht zu einer weiteren manifesten depressiven oder manischen Episode.
Im Jahr 2013 begann die Geschädigte zunächst eine Erzieherausbildung, welche sie abbrach, als sie an der Freien Universität Berlin einen Studienplatz für Veterinärmedizin erhielt. Im Jahr 2014 nahm die nun 31-jährige Geschädigte das Studium auf, stellte jedoch bald fest, dass es sie mit seinen erheblichen Anforderungen und zahlreichen Prüfungen stark belastete. In den Prüfungsphasen litt sie an ausgeprägten Schlafstörungen und Zuständen der Erschöpfung, die sich jedoch wieder legten, sobald sie einen solchen Studienabschnitt bewältigt hatte, was ihr trotz ihrer guten Intelligenz teilweise allerdings erst im letztmöglichen Wiederholungsversuch gelang. Einen zusätzlichen Druck verspürte sie dabei dadurch, dass ihre Großeltern und ihr leiblicher Vater sie finanziell unterstützten und sie diese nicht enttäuschen wollte. Sie erwog mehrfach, das Studium abzubrechen, rang sich aber immer wieder zum Weitermachen durch. Letztlich halfen ihr ihre gute Organisation und ihre Disziplin, nicht aufzugeben und die Hürden zu meistern.
Im Verlauf des Studiums hatte die Geschädigte insbesondere ein Interesse für Kühe und andere große Nutztiere entwickelt und sich entschlossen, in diesem Bereich ihren beruflichen Schwerpunkt zu setzen. Da ihr bewusst war, dass sie der motorischen Defizite ihrer linken Hand wegen weder chirurgische Eingriffe noch die körperlich anstrengende Versorgung der Großtiere würde durchführen können, wollte sie sich nach Abschluss des Studiums im Tierschutz für diese Tiere engagieren. Parallel zu ihrem Studium arbeitete sie an zwei bis drei Tagen pro Woche in einer Tierarztpraxis; die Tätigkeit bereitete ihr Freude und belastete sie nicht.
Um sich von den Anstrengungen ihres Studiums zu erholen, traf sie sich regelmäßig mit Freunden und Bekannten. Zur Entspannung diente ihr auch der regelmäßige Konsum von Marihuana. Sie freundete sich mit zahlreichen Kommilitonen an, darunter die Zeugin P. , mit der sie ab dem Jahr 2018 eine enge Freundschaft verband. Ihren Freunden gegenüber galt sie in dieser Zeit als junge, lebensfrohe und empathische Frau mit starker Persönlichkeit, die gesellig, abenteuerlustig und offen für neue Erfahrungen war, die viel von ihren Urlauben in Israel und anderen Teilen der Welt berichtete und in der Gemeinschaft ihrer Freunde gerne herzhaft lachte. Sie verbrachte zudem sehr gerne Zeit in der Natur sowie in der Gartenlaube ihres damaligen Lebensgefährten. Ihren großen Freundeskreis, der für sie eine wichtige Unterstützung im Leben darstellte, pflegte sie, wohingegen sie zu ihrer Familie – mit Ausnahme der Großeltern sowie ihrer Halbschwester Anna Rö. – weniger Kontakt hatte. Sie war konsequent und haderte mit einmal getroffenen Entscheidungen nicht, war jedoch auch fähig, diese rational zu überdenken und erforderlichenfalls zu revidieren. Ihren Freunden berichtete sie zunächst nicht von ihrer Grunderkrankung, auch weil sie in dieser Zeit keine depressiven oder manischen Episoden hatte. Von besonderer emotionaler Bedeutung war für sie auch ihr Hund B..., der nach zwei Beißattacken durch andere Hunde nur noch eingeschränkt laufen konnte, unter epileptischen Anfällen litt und mit über 15 Lebensjahren bereits ein für Hunde fortgeschrittenes Lebensalter erreicht hatte. Die tierliebe Geschädigte kümmerte sich voller Fürsorge um das Tier; die Zeugin P. unterstützte sie dabei, indem sie regelmäßig auf den Hund aufpasste, damit die Geschädigte ihren anderweitigen Verpflichtungen nachgehen konnte.
Nach Absolvierung des Physikums und des theoretischen Teils des Hauptstudiums trat sie im Jahr 2020 in die letzte Phase ihres Studiums, das praktische Jahr, ein.
c) Verschlechterung des Gesundheitszustandes ab etwa Herbst 2020
Ab dem Sommer des Jahres 2020 begannen sich die Lebensumstände der Geschädigten und in der Folge auch ihre Gemütsverfassung sukzessive zu verschlechtern. Zunächst beendete sie die Beziehung zu ihrem damaligen Lebenspartner. Während eines gemeinsamen Sommerurlaubs zerstritt sie sich zudem mit ihrer Halbschwester Sarah, zu der sie daraufhin den Kontakt abbrach. Im Herbst 2020 wurden aufgrund baulicher Maßnahmen die Fenster ihrer Einzimmerwohnung sowie deren Balkon verhängt, so dass kaum noch Licht in die Räume fiel. Aufgrund der Kontaktbeschränkungen der Covid-19-Pandemie und da sie infolge der Trennung von ihrem Lebenspartner dessen Gartenlaube nicht mehr aufsuchen konnte, verbrachte sie viel Zeit alleine in ihrer Wohnung, in der sie sich zeitweise wie eingesperrt fühlte. Sie war nun nicht mehr so fröhlich wie in den Jahren zuvor; auch aß sie aufgrund fehlenden Appetits in dieser Zeit weniger und nahm merklich ab. Große Sorgen bereitete ihr auch ein im Rahmen des praktischen Jahres zwingend zu absolvierendes Praktikum in einem Schlachtbetrieb.
Ende des Jahres 2020 wandte sie sich deshalb an ihren Psychotherapeuten Dr. H. und führte mit ihm wieder häufiger Gespräche, nämlich am 4. Januar, 16. März, 12. und 26. April, wöchentlich im Mai sowie am 10. Juni 2021.
Im Februar 2021 fuhr die Geschädigte für sechs Wochen nach Bayern, um einen Umgebungswechsel herbeizuführen und eines ihrer Pflichtpraktika zu absolvieren. Im Laufe des Praktikums verschlechterte sich ihre Verfassung noch einmal erheblich, als sie miterlebte, wie rücksichtslos dort mit den Tieren umgegangen wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt entwickelte sie zum ersten Mal seit rund acht Jahren wieder eine manifeste Depression, infolge derer sie – nun auch für ihr näheres Umfeld wahrnehmbar – gereizter wirkte und kaum noch lachte. Die Erfahrungen aus dem absolvierten Praktikum verstärkten auch ihre Angst vor dem bevorstehenden Schlachthofpraktikum; bereits die Aussicht hierauf belastete sie seelisch schwer. Sie suchte daher nach Auswegen, das Praktikum nicht durchführen zu müssen; letztlich hoffte sie, nach Erhalt einiger Absagen von Schlachtbetrieben unter Inanspruchnahme einer pandemiebedingten Sonderregelung zumindest die Präsenztage umgehen zu können; bis zuletzt gelang es ihr jedoch nicht, dieses Problem zu lösen.
Der Geschädigten wurde nun alles zu viel; sie sah sich vor einem Berg an Herausforderungen stehen, die sie nicht mehr bewältigen zu können glaubte. Auch konnte sie in dem Abschluss ihres Studiums jetzt keinen Sinn mehr erkennen. In einem Brief an ihre Psychiaterin Dr. W. , zu der sie seit dem 16. September 2020 keinen Kontakt mehr gehabt hatte, schrieb sie am 12. März 2021, dass sie sich seit ca. vier Wochen wieder in einer Depression befinde und es nicht besser werde, weshalb sie wieder ein Antidepressivum einnehmen wolle. Dr. W. übersandte ihr daraufhin ein Rezept für Lamotrigin, das Antidepressivum Fluoxetin sowie das – in der verschriebenen Dosierung – schlaffördernde Medikament Quetiapin.
Auch der Zeugin P. teilte die Geschädigte in einer Sprachnachricht am 23. März 2021 nun erstmalig mit, dass sie seit vielen Jahren mit Depressionen zu kämpfen habe und sich jetzt, nach acht Jahren Ruhe, wieder in einer depressiven Phase befinde; sie leide insbesondere unter starken Zukunftsängsten und könne sich auch ihrer Freizeit nicht mehr erfreuen. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin Anfang April 2021 vereinbarte sie bis in den Juni 2021 hinein zahlreiche Termine mit ihren Freunden, um möglichst wenig in ihrer Wohnung allein mit ihren Gedanken sein zu müssen.
Ihrem Psychotherapeuten Dr. H. teilte sie am 19. Mai 2021 erstmals mit, Suizidphantasien zu haben, die sie aber nicht in die Tat umzusetzen plane. Seinen Rat, eine Tagesklinik aufsuchen, lehnte sie ab, da sie nicht wieder fremdbestimmt sein wollte. Dr. W. versuchte unterdessen, eine Besserung der Symptomatik durch eine Umstellung der antidepressiven Medikation von Fluoxetin auf Sertralin, ein anderes Präparat derselben Wirkstoffklasse, herbeizuführen; auch sie riet der Geschädigten dringend, eine Tagesklinik aufzusuchen. Da sich nach rund einem Monat auch unter dem neuen Medikament noch keine Besserung gezeigt hatte, erfolgte Ende Mai 2021 der Versuch einer nochmaligen Medikamentenumstellung, den die Geschädigte aufgrund von Nebenwirkungen jedoch nach zwei Tagen abbrach und sich stattdessen Anfang Juni ein Rezept für ein weiteres Präparat ausstellen ließ, das ihr von Freundinnen empfohlen worden war. Etwa zur selben Zeit nahm sie Kontakt zu einer Therapeutin in München auf; mit dieser hielt sie einige Telesitzungen ab, nach denen sie sich vorübergehend besser fühlte, bevor sich ihre Sicht auf die Dinge depressionsbedingt wieder verfinsterte. Sie erwog zudem, in eine Tagesklinik zu gehen oder sich doch stationär aufnehmen zu lassen, verwarf diese Gedanken aber aus ungeklärten Gründen wieder.
Zur Vorbereitung ihres Studienabschlusses versuchte sie am 1. Juni 2021 noch einmal, das sie stark belastende Problem des Schlachthofpraktikums zu lösen. Mit einem Schlachthof in Gelsenkirchen, der pandemiebedingt eine Ableistung des Praktikums überwiegend online anbot, vereinbarte sie ein Vorstellungsgespräch für den 5. Juli 2021.
2. Suizidentschluss und Vorgespräche mit dem Angeklagten
Spätestens ab dem 3. Juni 2021 befand sich die Geschädigte in einer zumindest mittelgradigen depressiven Episode ihrer manisch-depressiven Grunderkrankung, aus der sie sich nicht mehr herauszuhelfen wusste und unter der sie erheblich litt. Sie hatte nun erstmalig seit langem wieder konkrete Suizidgedanken, die sie in die Tat umzusetzen gedachte, und begann, sich im Internet über verschiedene Suizidmethoden, insbesondere das Erhängen, sowie deren Umsetzung zu informieren. Zwar suchte sie in diesen Tagen auch nach Tageskliniken, nach der Wirksamkeit der Antidepressiva Citalopram/Escitalopram und Ketamin sowie nach alternativen Heilmethoden, z.B. mittels schamanischen Heilens oder rTMS-Neuromodulation; diese zu Beginn des Monats häufigeren Suchanfragen nahmen jedoch ab dem 9. Juni 2021 ab und wurden von ihr dann nur noch sporadisch vorgenommen. Die Geschädigte sah ihre Psychiaterin Dr. W. am 2. Juni 2021 und ihren Psychotherapeuten Dr. H. am 10. Juni 2021 zum letzten Mal, wobei beide ihr dringend zu einem Klinikaufenthalt rieten.
Am 12. Juni 2021 stieß sie während ihrer Internetrecherchen zum Suizid auf den Angeklagten. Sie suchte sodann gezielt nach der durch ihn vermittelten Suizidhilfe, nahm noch am selben Tag per E-Mail Kontakt zu ihm auf und bat ihn um ein Treffen, das sodann auf ihr Drängen bereits für den 15. Juni 2021 in ihrer Wohnung vereinbart wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte als Suizidhelfer schon 15 bis 20 Suizidbegleitungen durchgeführt, überwiegend über die DGHS und unter Verwendung des Barbiturats Thiopental.
Am 15. Juni 2021 begab sich der Angeklagte zu der ihm bis dahin unbekannten Geschädigten, die noch immer unter einer akuten, jedenfalls mittelgradigen Depression litt und die dadurch – bei weitgehend erhaltenen kognitiven Fähigkeiten – affektiv erheblich beeinträchtigt war, deren Fähigkeit zur Bildung eines freien Willens nicht ausschließbar jedoch nicht vollständig aufgehoben war. Er führte mit ihr ein etwa 90-minütiges Gespräch über ihre gesundheitliche und soziale Situation und ihren Suizidwunsch, in dessen Verlauf sie ihn auch auf einen Heizkörper in ihrem Badezimmer hinwies und erklärte, sich notfalls daran erhängen zu wollen, was den Angeklagten nachhaltig beeindruckte.
Ihr psychiatrische Erkrankung betreffende (Behandlungs-)Unterlagen legte die Geschädigte dem Angeklagten bei der Unterredung nicht vor, sondern teilte ihm auf entsprechende Nachfrage mit, dass ihr die Dokumente derzeit nicht zugänglich seien, weil sie sich in ihrer bayerischen Heimat befänden. Hiermit fand er sich ebenso ab wie mit dem Umstand, dass sie ihm eine Kontaktaufnahme mit ihren beiden Berliner Behandlern, Dr. W. und Dr. H. , nicht gestattete, weil sie Sorge vor einer Zwangsunterbringung hatte.
Der Angeklagte gelangte aufgrund der Darstellung der Geschädigten zu der Überzeugung, dass diese sich freiverantwortlich für ihren Suizid entschieden habe. Maßgebend für seine Einschätzung war, dass Isabell R. ihre Situation und ihren Wunsch zu sterben ihm gegenüber sehr bestimmt, gedanklich geordnet, reflektiert und in klarer Sprache vorgebracht und sich bei ihr keine Wahnideen gezeigt hatten. Zwar war ihm bekannt, dass eine akute Depression sowohl die Wahrnehmung als auch das Denken und Fühlen und damit die Urteils- und Entscheidungsfähigkeit eines Erkrankten erheblich beeinflussen kann. Auch wusste er aufgrund seiner Tätigkeit als Suizidbegleiter für die DGHS und der Auseinandersetzung mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 und des Bundesgerichtshofs vom 3. Juli 2019 um die rechtlichen Bedeutung der Freiverantwortlichkeit eines Suizidentschlusses und die aus einer psychischen Erkrankung resultierenden besonderen Gefahren für den freien Willen. Er sah sich aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Arzt und der dabei erworbenen Menschenkenntnis jedoch in der Lage, eine entsprechende Beurteilung eigenständig und ohne fachärztliche Expertise vorzunehmen. Er verspürte angesichts der auch von ihm selbst als rechtlich problematisch erkannten Konstellation allerdings das Bedürfnis, sein Handeln abzusichern, weshalb er der Geschädigten zur Einbindung einer Sterbehilfeorganisation riet. Dies lehnte Isabell R. mit der Begründung ab, dass sie zum einen nicht über die finanziellen Mittel verfüge, die anfallenden Bearbeitungsgebühren zu bezahlen, und zum anderen jeder weitere Tag eine Qual für sie sei und sie die übliche Frist von sechs Monaten nicht abwarten könne und wolle. Auch die von ihm alternativ vorgeschlagene Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens zur Freiverantwortlichkeit ihres Suizidwunsches kam aus diesen Gründen für sie nicht in Frage. Die Einbeziehung von Angehörigen oder Freunden verweigerte sie aus Sorge davor, dass diese ihren Suizid vereiteln könnten.
Der Angeklagte fasste daraufhin den Entschluss, auf die Einbindung der DGHS oder einer anderen Sterbehilfeorganisation und die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zu verzichten, und Isabell R. auf eigene Verantwortung bei ihrem Suizid zu unterstützen. Für den Fall der Versagung seiner Hilfe befürchtete er nicht ausschließbar, dass die Geschädigte zeitnah allein einen "Gewaltsuizid" durch Erhängen verüben würde. Er teilte ausdrücklich ihre Überzeugung, dass sie "austherapiert" sei, weil sie sich durchgehend in fachärztlicher Behandlung befunden und verschiedene Antidepressiva erhalten habe, ohne dass dies zu einer anhaltenden Besserung geführt habe, und weil er sie in Bezug auf die Behandlungsmöglichkeiten ihrer psychiatrischen Erkrankung für sehr kundig hielt. Er selbst ordnete das Krankheitsbild dabei – abweichend von der ihm von der Geschädigten mitgeteilten fachärztlichen Diagnose einer bipolaren Störung – diagnostisch als eine (rezidivierende) schwere unipolare Depression ein, weil er davon ausging, dass die stattgehabte manische Episode lediglich durch die Einnahme der "Magic Mushrooms" (drogen-)induziert gewesen sei.
Er vereinbarte mit der Geschädigten noch im Zuge des Treffens am 15. Juni 2021 den 22. Juni 2021 als Suizidtermin. Seiner Empfehlung folgend, entschied sich die Geschädigte zur Herbeiführung ihres Todes für die Einnahme des kardiotoxischen Malariamedikaments Chloroquin in Kombination mit dem Beruhigungsmittel Diazepam. Der Angeklagte befand diese Methode als vorzugswürdig gegenüber der von ihm in anderen Fällen praktizierten intravenösen Thiopental-Gabe, weil der Suizidwillige bei ihr den überwiegenden Teil der Suizidhandlungen eigenhändig ausführt und so das Geschehen weitgehend selbst steuert. Er stellte Isabell R. entsprechende Rezepte aus, wobei er die benötigten 80 Tabletten Chloroquin zu je 200 mg nachfolgend selbst beschaffte und die Geschädigte drei Flaschen mit jeweils 25 ml Diazepam – insgesamt die 75-fache Normaldosis – sowie auf seine Empfehlung zusätzlich Tabletten des Antiemetikums Metoclopramid (MCP) erwarb.
Auf der Grundlage des Gesprächs mit der Geschädigten verfasste der Angeklagte unter dem 18. Juni 2021 zudem einen 2-seitigen Entwurf eines "ärztlichen Gutachtens zur Abklärung des Freitodwunsches" und übermittelte ihn der Geschädigten zur Durchsicht. Darin heißt es unter dem Punkt "Anamnese" unter anderem: "Seit dem 21. Lebensjahr schwer depressiv. (…) Mit 22 erster Suizidversuch (…). Ständige medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung; ohne Erfolg! (…) Zweiter Suizidversuch mit Valproat (…) Seit dem 31. Lj. Tiermedizinstudium mit dem Ziel, nach der Approbation Natriumpentobarbital zur Durchführung des eigenen Suizids verschreiben zu dürfen(!). (…) Beruf und sozial: Frau R. lebt seit 13 Jahren in Berlin allein in einer sehr gepflegten kleinen Wohnung im 2. OG. Es bestehen lockere Freundschaften und Bekanntschaften. Von konkreten Suizidplänen hat sie jedoch niemandem berichtet. (…) Behandlung: Seit dem 22. Lj. nach dem ersten Suizidversuch ständige fachneurologische/psychiatrische Behandlung. Sämtliche Antidepressiva ohne Erfolg versucht (…)." Unter "Befund" ist im Wesentlichen niedergelegt: "Frau R. schildert sehr klar, ruhig und sachlich, mit kurzem emotionalem Abkippen der Stimme, ihre Krankengeschichte. Sie hat Ihre Lebens- und Krankheitssituation rational erfasst. Nach den jahrelangen frustranen Therapien hat sie keinerlei Hoffnung auf Besserung. Daher will sie um jeden Preis diese andauernde Qual beenden und sich selbstbestimmt das Leben nehmen. (…)" Unter "Diagnosen" ist sodann vermerkt: "Schwerste therapieresistente Depression" sowie "Zustand nach Astrozytom Op 2008 Feinmotorikstörung der linken Hand". Unter der Überschrift "Begründung des Wunsches nach Freitodbegleitung" führte der Angeklagte aus: "Frau R. hat die Hoffnung, dass nach 16jähriger medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung sich ihre Krankheit bessert, aufgegeben und hat resigniert. Sie fühle sich ‚wie tot, wie lebendig begraben‘. Diese Qual will sie um jeden Preis beenden. Seit mindestens 4 Monaten kreisen die Gedanken nur um die Ausführung des Suizids. Konkret denkt sie an ein Erhängen am Heizkörper im Badezimmer. Daher hat sie nach einer menschenwürdigen und friedlichen Freitodbegleitung gesucht." In einer "Epikrise" gelangte der Angeklagte schließlich zu der Einschätzung: "Die Entscheidung zum Freitod ist von Frau R. seit langer Zeit wohlerwogen und rational gut begründet. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte für geistige Einschränkungen vor und auch keine Einflussnahme von anderer Seite. Für den Unterzeichner ist der Suizidwunsch plausibel und nachvollziehbar, und daher bin ich bereit, dabei Hilfe zu leisten und diesen ‚Schrei nach Hilfe‘ nicht zu überhören. Geplant ist die Einnahme von Chloroquin und Diazepam. Dies führt zu einem sehr friedlichen und würdevollen Tod."
Die Geschädigte versah den ihr übermittelten Entwurf anschließend computertechnisch mit Anmerkungen. So ergänzte und korrigierte sie die Ausführungen unter anderem dahin, dass es "immer wieder Episoden ohne schwere Depressionen, aber nie anhaltend, zusätzlich 2 manische Phasen seit der Krankheitsgeschichte" gegeben habe. Weiter führte sie etwa aus: "Das Studium wurde begonnen, um dem Leben eine neue Richtung zu geben in der Hoffnung, die Depressionen würden aufhören mit einem sinnhaften Beruf, stark überlastet während des Studiums, schreckliche, unzumutbare Studien- & Prüfungsverhältnisse und immer wieder der Wunsch tot zu sein. Nun im letzten Studienjahr sehr schwere Depression, die auf keine Behandlung anschlägt und anstehendes 3. Staatsexamen." Weiter wies sie darauf hin, dass es "seit dem 21. Lj. teilweise Besserung unter Psychopharmaka, ab er immer wieder Rezidive trotz kontinuierlicher Einnahme" gegeben habe, und fügte hinzu: "Selbst wenn die aktuell seit 4 Monaten andauernde schwere Depression vorüberginge, ist ihr [der Geschädigten] bewusst, dass weitere Episoden kommen werden, da es sich um eine chronische Krankheit handelt, die nicht heilbar ist." Die Darstellung, dass bei ihr "lockere" Freundschaften bestünden, berichtigte sie dahingehend, dass es "gute bis sehr gute Freundschaften" seien, sie sich jedoch dennoch "sehr einsam" fühle.
Der Angeklagte übernahm die Anmerkungen der Geschädigten in sein "Gutachten"; die Diagnosen und die Epikrise ließ er unverändert.
Nachdem sie den ursprünglich vereinbarten Suizidtermin auf den 24. Juni 2021 verschoben hatte, weil sie die Betreuung ihres Hundes durch die Zeugin P. am 22. Juni nicht hatte arrangieren können, nahm die Geschädigte am 23. und 24. Juni 2021 jeweils drei Tabletten MCP ein, um für die bevorstehende Einnahme des Chloroquins und Diazepams das Risiko eines Erbrechens zu reduzieren. Am Nachmittag des 24. Juni 2021 gab sie ihren Hund bei der Zeugin, die von ihrem Vorhaben keine Kenntnis hatte, unter einem Vorwand in Obhut und überwies ihr zugleich 1.000 Euro für dessen Betreuung.
3. Gescheiterter Suizidversuch am 24. Juni 2021 (Fall 1 der Anklage)
Am 24. Juni 2021 trafen sich die zu diesem Zeitpunkt 37-jährige Geschädigte und der Angeklagte um 18:00 Uhr in deren Wohnung in der P. Str. […] in […] Berlin-Charlottenburg.
Zur Vorbereitung ihres Suizides hatte Isabell R. diverse Abschiedsbriefe, eine Patientenverfügung sowie weitere Verfügungen verfasst und zusammen mit ihrem Personalausweis und ihrer Krankenkassenkarte auf einem Tisch in ihrer Wohnung bereitgelegt. In Gegenwart des Angeklagten unterschrieb sie ferner die von ihm mitgebrachten Formulare für eine Freitoderklärung sowie für die Entbindung des Angeklagten von der Garantenpflicht.
Die Geschädigte befand sich zu diesem Zeitpunkt unverändert in der mittelgradigen depressiven Episode, die zwar ihre kognitiven Fähigkeiten weitgehend unbeeinflusst ließ, jedoch ihre Gefühlslage und damit zugleich ihr Selbstbild sowie ihre Welt- und Zukunftssicht erheblich beeinträchtigte. Sie hatte keine Hoffnung mehr auf eine Besserung ihres Leidens, sah für sich keine Zukunftsperspektiven mehr, fühlte sich kraftlos und ausgelaugt. Ihre Fähigkeit zur Bildung eines freien Willens war dadurch deutlich eingeschränkt, jedoch nicht ausschließbar nicht vollständig aufgehoben.
Wie vereinbart übergab der Angeklagte ihr nun zur Durchführung des Suizides die 80 Tabletten Chloroquin. In Kenntnis der mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlichen Wirkung des Medikaments pulverisierte die Geschädigte unter seiner Aufsicht und Anleitung die Tabletten, rührte das Pulver in Apfelmus ein und aß es anschließend, um ihr Leben zu beenden. Nach einem Toilettengang trank sie zudem die drei Flaschen Diazepam.
Die Geschädigte schlief daraufhin gegen 19:00 Uhr ein. Gegen 23:00 Uhr erbrach sie sich zum ersten Mal und gegen 01:00 Uhr des Folgetages ein zweites Mal. Infolge des Erbrechens konnte das Chloroquin seine tödliche Wirkung nicht entfalten, was der Angeklagte, der das Geschehen am Bett der Geschädigten überwachte, vermutete; er beschloss daher, ihr zunächst betreuend zur Seite zu stehen. Er war sich hierbei bewusst, nicht zu wissen, wie viel Chloroquin und Diazepam die Geschädigte vor dem Erbrechen bereits resorbiert hatte bzw. von den Restsubstanzen in ihrem Körper noch resorbieren würde und welche Gefahr die in ihren Körper gelangte Wirkmenge für ihre Gesundheit darstellte. Dennoch entschloss er sich, an ihrem geäußerten Willen, dass keine Rettungskräfte alarmiert werden dürften, festzuhalten und abzuwarten, bis sie sich erholt haben würde, um dann das weitere Vorgehen mit ihr zu besprechen.
4. Geschehen vom 25. Juni 2021
Am nächsten Morgen rief der Angeklagte gegen 10:15 Uhr die Zeugin P. an, die am selben Tag einen Abschiedsbrief per Expressbrief von der Geschädigten erhalten sollte. Er berichtete ihr von dem fehlgeschlagenen Suizidversuch der Geschädigten und dass er deren Arzt sei und bat sie, ihn für eine "Tagwache" abzulösen, da er dringend schlafen müsse.
Um 11:30 Uhr erschien die Zeugin daraufhin in der Wohnung der Geschädigten. Sie hatte bis zu dem Anruf des Angeklagten keine Kenntnis von dem Suizidwunsch der Geschädigten gehabt und erfuhr erst vor Ort, dass der Angeklagte sich als Suizidbegleiter bei dieser befand. Als die Zeugin Unsicherheit über die Rechtslage äußerte, teilte er ihr mit, dass sie sich nicht strafbar mache, wenn sie nun die Tagwache übernehme, dass es jedoch strafbar sei, wenn sie gegen den erklärten Patientenwillen der Geschädigten Behandlungsmaßnahmen einleiten würde. Über den Zustand der Geschädigten sagte er ihr, man müsse keinen Krankenwagen rufen; das Schlimmste sei vorbei und die Geschädigte müsse sich lediglich "ausschlafen". Er werde um 18:00 Uhr zurückkehren, um mit der Geschädigten zu reden und zu klären, wie diese nun weiter verfahren wolle. Danach verließ er die Wohnung und ließ die von der Situation überforderte Zeugin P. mit der Geschädigten allein.
Die Zeugin fand die ansprechbare Geschädigte auf dem Bett liegend vor. Um sie herum und unter ihr auf dem Bett waren Handtücher über Erbrochenem verteilt; Reste des Erbrochenen fanden sich zudem auf dem Boden. Im Verlauf des sich nun anschließenden Gesprächs entschuldigte sich Isabell R. zunächst bei der Zeugin und sagte ihr, dass sie nicht mehr glücklich sein könne und im Übrigen auch noch nie glücklich gewesen sei. Auf den Einwand der Zeugin, dass dies doch nicht stimme, gab sie der Zeugin recht und erklärte, dass ihr alles über den Kopf gewachsen sei: das Studium, die Wohnung, die ganze Situation in Berlin; in Bayern sei sie glücklicher gewesen. Sie versuchte sodann, ihr Bett neu zu beziehen, war hierfür aufgrund der eingenommenen Medikamente aber zu benommen, so dass die Zeugin es für sie übernahm. Von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr schlief die Geschädigte.
Als der Angeklagte gegen 18:00 Uhr in die Wohnung zurückkehrte, berichtete die Zeugin ihm von ihrem Gespräch mit der Geschädigten, dass diese den Wunsch geäußert habe, das Studium abzubrechen und nach Bayern zurückzugehen. Er erwiderte darauf, dass er das mit ihr besprechen werde und dass aufgrund ihrer mentalen Verfassung heute sowieso nichts mehr "passieren" könne. Schließlich ermahnte er die Zeugin erneut, dass sie nichts unternehmen dürfe.
Nachdem die Zeugin die Wohnung verlassen hatte, führte der Angeklagte mit der Geschädigten, die noch immer merklich unter dem Einfluss des eingenommenen Diazepams stand, ein längeres Gespräch, in dem sie ihre Verzweiflung über den missglückten Suizidversuch äußerte und auf eine Wiederholung unter Verwendung des Mittels Thiopental noch am selben Abend drängte. Beide kamen überein, am Folgetag einen zweiten Versuch zu unternehmen. Anschließend entließ die Geschädigte den Angeklagten, der daraufhin gegen 19:00 Uhr nach Hause fuhr, nachdem er sich von ihrer Gehfähigkeit überzeugt hatte. Von dort aus rief er die Zeugin P. an und teilte ihr mit, dass der Suizidwunsch der Geschädigten unverändert fortbestehe und dass sie es am nächsten Tag noch einmal versuchen würden; sie – P. – dürfe weiterhin niemanden kontaktieren.
Durch diesen Anruf und den zwischenzeitlich bei ihr eingetroffenen Abschiedsbrief der Geschädigten erlitt die Zeugin einen emotionalen Zusammenbruch, was ihr Lebensgefährte, der Zeuge B. , bemerkte. Nachdem er in groben Zügen von ihr erfahren hatte, was sich zugetragen hatte, benachrichtigte er um 20:11 Uhr die Zeugin Rö. , die daraufhin aus Augsburg die Berliner Feuerwehr zur Anschrift ihrer Halbschwester alarmierte.
Die eingesetzten Rettungskräfte, die Zeugen J. und Sch. , trafen um 20:54 Uhr vor Ort ein, verschafften sich Zugang zur Wohnung der Geschädigten und fanden diese dort tief schlafend auf ihrem Bett vor. Erst durch das mehrfache Setzen von Schmerzreizen gelang es ihnen, Isabell R. zu wecken, die noch immer einen stark somnolenten Eindruck machte und wirkte, als stehe sie unter dem Einfluss von Drogen. Die Zeugen forderten daraufhin die Polizei nach. Auf die Bitte der Geschädigten rief der Zeuge J. zudem den Angeklagten an. Dieser teilte ihm mit, dass er eine Anzeige bekommen werde, wenn er die Geschädigte gegen ihren Willen in ein Krankenhaus verbrächte, und kündigte ihm sein baldiges Kommen an. Angesichts der drohenden Konfrontation mit dem Angeklagten und des Zustandes der Geschädigten forderte der Zeuge nun noch den Notarzt nach.
Alsbald danach erschien der Angeklagte in der Wohnung der Geschädigten. Es entspann sich eine Diskussion mit den Zeugen J. und Sch. darüber, ob die Geschädigte in ein Krankenhaus verbracht werden müsse bzw. dürfe. Der Angeklagte versuchte, die Zeugen dazu zu bewegen, den Einsatz abzubrechen, und nannte ihnen Rechtsvorschriften und gerichtliche Entscheidungen, nach denen der klar geäußerte Patientenwille zu respektieren und es ihnen verboten sei, die Geschädigte in ein Krankenhaus zu verbringen. Kurze Zeit später traf auch der angeforderte Notarzt, der Zeuge Pf. , vor Ort ein. Auch ihn versuchte der Angeklagte davon zu überzeugen, dass der Einsatz abgebrochen werden müsse. Der Zeuge teilte jedoch die Auffassung der Feuerwehrbeamten, dass die Geschädigte in ein Krankenhaus verbracht werden müsse. Zur Absicherung hielt er fernmündlich Rücksprache mit dem leitenden Notarzt, der seine Auffassung bestätigte. Die Geschädigte wurde sodann wegen drohender Selbstgefährdung durch die Einsatzkräfte in das St. Gertrauden-Krankenhaus verbracht. Nachdem diese Entscheidung getroffen worden war, verhielt sich der Angeklagte kooperativ, teilte der Geschädigten vor ihrem Abtransport jedoch noch sinngemäß mit, dass sie es "beim nächsten Mal schaffen" würden.
5. Unterbringung vom 27. Juni bis 12. Juli 2021
a) Unterbringung nach dem PsychKG
Am 27. Juni 2021 wurde die Geschädigte vom St.-Gertrauden Krankenhaus auf die psychiatrische Abteilung der Friedrich von Bodelschwingh-Klinik verlegt. Da sie sich bei der Aufnahme nicht glaubhaft von einer akuten Suizidalität distanziert gezeigt hatte, erfolgte am 28. Juni 2021 die bis zum 25. Juli 2021 befristetet gerichtliche Anordnung der Unterbringung nach dem Berliner Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG). Der Angeklagte wohnte auf Wunsch der Geschädigten der gerichtlichen Anhörung bei und argumentierte rechtlich für ihre Entlassung, konnte den zuständigen Richter jedoch nicht überzeugen, der die Geschädigte auf der Grundlage der Stellungnahmen eines Psychiaters des Sozialpsychiatrischen Dienstes und der behandelnden Ärzte als nicht urteils- und entscheidungsfähig einstufte und den Suizidwunsch als Symptom ihrer Depression einordnete.
Die Geschädigte, die zu diesem Zeitpunkt noch immer unter der Wirkung des Diazepams stand, war tief verzweifelt über die gegen ihren Willen angeordnete Unterbringung. Sie machte dem Angeklagten Vorwürfe, am 24. Juni 2021 nicht "nachgeholfen" und anschließend die Zeugin P. mit hineingezogen zu haben. Auf ihre Bitte half ihr der Angeklagte sodann, eine Beschwerde gegen den Unterbringungsbeschluss zu verfassen, die sie daraufhin bei Gericht einlegte.
b) Behandlungsverlauf und Ambivalenz der Geschädigten
Nachdem die Geschädigte wegen einer Überbelegung zunächst auf einer Station für Suchterkrankungen der psychiatrischen Abteilung der Friedrich von Bodelschwingh-Klinik untergebracht war, wurde sie am 30. Juni 2021 auf die dortige Station für affektive Störungen verlegt, wo sie insbesondere durch den Zeugen F. , einen psychiatrischen Assistenzarzt, behandelt wurde, der mit ihr mehrere Gespräche pro Woche führte und dem gegenüber sie sich im Laufe ihrer Unterbringung zunehmend öffnete.
Auf ihren Wunsch wurde ihre vor der Aufnahme in die Klinik bestehende Medikation mit Lamotrigin (100 mg am Tag), das sie gut vertrug, fortgeführt; bei Angst- und Unruhezuständen hatte sie zusätzlich die Möglichkeit, das Benzodiazepin Lorazepam (Tavor) abzufordern, was sie in den folgenden Tagen auch mehrmals tat. Den dringenden Rat des Zeugen F. , zur Behandlung ihrer Depression andere und potentere Medikamente, insbesondere solche aus einer anderen Wirkstoffklasse, einzunehmen oder zumindest die – seitens der Klinik als zu gering eingeschätzte – Dosis des Lamotrigins zu erhöhen, lehnte sie aus Angst vor Nebenwirkungen und Zweifeln an der Wirksamkeit ab und war insofern auch einer Diskussion weitgehend unzugänglich. Auch gegen die ihr wiederholt aufgezeigten Möglichkeiten einer phasenprophylaktischen Behandlung ihrer bipolaren Erkrankung mit Lithium und einer Elektrokrampftherapie verschloss sie sich. Lediglich an einer Ketaminbehandlung zeigte sie sich interessiert, eine solche wurde in der Klinik damals jedoch nicht angeboten.
Im Verlauf ihrer Unterbringung schwankte die Geschädigte wiederholt und teilweise mehrfach innerhalb desselben Tages zwischen wiedergefundenem Lebensmut nebst Dankbarkeit dafür, den Suizidversuch ohne Folgeschäden überlebt zu haben, und dem Wunsch zu sterben.
Bereits nach einem längeren Gespräch mit dem Zeugen F. , der wie sie jüdische Wurzeln hat und für den sie eine kleine Schwärmerei entwickelte, besserte sich ihre Stimmung deutlich; gegenüber der Zeugin P. äußerte sie sogar den Wunsch, mit dem Arzt eine Beziehung einzugehen. Sie war zudem glücklich darüber, den Suizidversuch trotz der potentiell tödlich wirkenden Medikamente ohne Folgeschäden überlebt zu haben und erachtete dies als Zeichen, dass Gott noch eine Aufgabe für sie habe, nämlich nach Abschluss ihres Studiums als "Anwalt für die Tiere" diesen eine Stimme zu geben. Zudem fasste sie den Plan, zunächst drei Monate zu ihren Großeltern nach Bayern zu fahren, um sich dort zu erholen, anschließend ihr Studium abzuschließen und danach eine längere Pause einzulegen.
Neben diesen positiven Phasen erlebte die Geschädigte hinsichtlich ihrer Denkinhalte, Wahrnehmungen und Affekte wiederholt starke Rückfälle in die akute depressive Episode, welche sie seit Anfang Juni 2021 durchlitt. In diesen Phasen, verfinsterte sich ihr Denken erneut; depressionsbedingt war es ihr dann nicht möglich, noch Freude zu empfinden sowie realistisch auf ihre Vergangenheit und hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. In diesen Phasen kehrten auch die konkreten Suizidgedanken, die sie seit Anfang Juni 2021 hegte, zurück, wobei sie nun aber – bedingt durch den gescheiterten Versuch vom 24. Juni 2021 – erhebliche Angst vor einem erneuten Fehlschlag und daraus eventuell resultierenden körperlichen Folgeschäden sowie weiteren zwangsweisen Unterbringungen entwickelte.
Gegenüber dem Klinikpersonal und ihren Freunden – mit Ausnahme der Zeugin Hü. – verschwieg sie ihre phasenweise wiederaufkommenden Suizidgedanken. Obwohl der Zeuge F. Stimmungsschwankungen bei ihr feststellte, gelangte er – wie auch das übrige Klinikpersonal – mit fortschreitender Unterbringungsdauer zu der Einschätzung, dass sie sich hinreichend vom Suizid distanziert habe, wobei er ihre weitere stationäre Behandlung dennoch für erforderlich erachtete, was er ihr auch mitteilte. Nach anfänglich kleineren Lockerungen durfte die Geschädigte daraufhin ab dem 5. Juli 2021 unbegleitete Ausgänge außerhalb der Klinik unternehmen, wovon sie mehrmals Gebrauch machte. Die ihr eingeräumte Möglichkeit, auch eine Nacht in ihrer Wohnung zu verbringen, lehnte sie indes ab, da sie dort nicht allein sein wollte.
Während sie das Klinikpersonal über das Wiederaufkommen ihres Wunsches zu sterben im Unklaren ließ, teilte sie sowohl der Zeugin Hü. als auch dem Angeklagten einerseits mit, wenn sie hiervon abgerückt war, andererseits ließ sie es beide jedoch auch wissen, wenn sie wieder gewillt war, ihr Leben zu beenden. Der Angeklagte nahm diese Haltung als ambivalent wahr.
Am 5. Juli 2021 unterrichtete die Geschädigte ihn im Rahmen eines Telefonats, dass sie ihr Überleben als Zeichen sehe, dass sie "noch nicht gehen" solle. In einer WhatsApp-Nachricht am Morgen des Folgetages, teilte sie ihm mit, dass sie zu große Angst vor einem erneuten Fehlschlag und einem Überleben mit Folgeschäden habe.
In einer weiteren Nachricht am frühen Nachmittag desselben Tages, der sehr wahrscheinlich ein Telefonat beider vorausgegangen war, versicherte sie sich hingegen wieder seiner Unterstützung bei der Selbsttötung, wobei sie ihm das Versprechen abnahm, "gegebenenfalls alles Mögliche nachzudosieren, damit der Tod eintritt". Tatsächlich hatte der Angeklagte zwar nicht vor, diesem Wunsch zu entsprechen; er ging davon aus, dass die nunmehr ins Auge gefasste Suizidmethode der Thiopental-Infusion sicher war. Er wollte der Geschädigten durch seine Zusage aber die – aus seiner Sicht unbegründete – Angst vor einem erneuten Scheitern des Suizidversuchs nehmen. Er wusste, dass die Gewissheit des (Todes-)Erfolgs für Isabell R. von zentraler Bedeutung war. Er hielt es zumindest für möglich, dass die Aufrechterhaltung seines Unterstützungsangebots, erst recht jedoch sein – falsches – Versprechen die Entscheidung der Geschädigten beeinflussen würde.
Diese rückte gleichwohl kurz darauf wieder von ihrem Suizidvorhaben ab, was sie dem Angeklagten in einer weiteren Nachricht am frühen Abend des 6. Juli 2021 auch wissen ließ, der ihr daraufhin mitteilte, dass er ihre "ambivalenten Gefühle" sehe und erleichtert sei, dass sie sich "dem Leben wieder zuwenden" wolle.
Nachdem die Geschädigte dies in einer Nachricht in den frühen Morgenstunden des folgenden Tages bestätigte hatte, teilte sie dem Angeklagten am Morgen des 8. Juli 2021 erneut mit, dass ihr Suizidwunsch "wieder aktuell" sei, "allerdings theoretisch", und erkundigte sich bei ihm, was er tue, "wenn das Thiopental nicht ausreicht". In einer unmittelbar darauf an ihn abgesandten Sprachnachricht entschuldigte sie sich für "dieses ewige Hin und Her" und erklärte, dass es ihr großer Wunsch sei, "zu gehen". Kurz darauf teilte sie ihm mit, dass sie voraussichtlich am 9. Juli 2021 aus der Klinik entlassen werde. Der Angeklagte sagte ihr daraufhin zu, für einen weiteren Suizidversuch an diesem Tag um 18:00 Uhr zur Verfügung zu stehen. Die Geschädigte bat ihn noch einmal, alles zu tun, damit es dieses Mal "klappe", er möge bitte nachdosieren und nachspritzen, was möglich sei; zu überleben müsse "absolut vermieden werden". Am nächsten Tag unterrichtete die Geschädigte den Angeklagten dann darüber, dass sich ihre Entlassung verzögere und beide verständigten sich auf den 12. Juli 2021 als neuen Suizidtermin.
Im weiteren Fortgang teilte die Geschädigte dem Angeklagten nach einem abermaligen Sinneswandel am frühen Abend des 10. Juli 2021 per WhatsApp mit, dass sie am Leben bleiben werde und den vereinbarten Termin deswegen absagen wolle. Am späten Nachmittag des Folgetages erläuterte sie dem Angeklagten ihre Entscheidung per Sprachnachricht unter anderem dahin näher, dass sie durch den vorangegangenen Fehlschlag "extremst traumatisiert" sei; sie habe gehofft, dass er – der Angeklagte – nachhelfe, wenn das Mittel nicht funktioniere. Sie könne dies nicht noch einmal riskieren und habe zudem das "tiefste Gespür", dass der Körper "nicht gehen" wolle, wenn man so etwas überlebe; das sei "schon ein Zeichen". Sie sollten nun hoffen, dass es ihr bald besser gehe. Zugleich suchte die Geschädigte im Internet nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten für ihre Depression. In zwei weiteren WhatsApp-Nachrichten kurze Zeit später relativierte sie diese Erklärung dann allerdings wieder, indem sie dem Angeklagten mitteilte, dass sie sich nochmals bei ihm melden werde, falls sie "sich traue" ihr ursprüngliches Vorhaben in die Tat umzusetzen; zugleich bat sie ihn abermals um Entschuldigung für "das ewige Hin und Her" und teilte ihm mit, dass sie froh sei, dass er ihr "weiterhin die Möglichkeit" – zum Suizid – gebe.
Auf ihre Sprachnachricht sandte der Angeklagte der Geschädigten am 12. Juli 2021 um 07:12 Uhr eine E-Mail, in der er sein Verständnis dafür bekundete, dass sie durch den Fehlschlag traumatisiert und "in panischer Angst vor einem weiteren Desaster" sei. Zum "Vorwurf" der Geschädigten, nicht nachgeholfen zu haben, erklärte er, dass er zum einen das Material für "Plan B" – die Herbeiführung des Todes mittels Thiopental – nicht parat gehabt und zum anderen sich nicht einem Verfahren wegen Tötung auf Verlangen habe aussetzen wollen. Sie – die Geschädigte – sei am Freitagabend wieder ausreichend wach gewesen; ohne das Eingreifen des Zeugen B. , hätten sie später einen zweiten Versuch unternommen. Abschließend wünschte er der Geschädigten, dass sie wieder Lebensmut sowie Kraft und Zuversicht für einen Neubeginn fassen möge.
c) Suizidvorbereitung und Entlassung am 12. Juli 2021
Weil sie in den letzten Tagen ihrer Unterbringung weiter auf Entlassung drängte und aus Sicht der Behandler trotz weiteren Therapiebedarfs die Voraussetzungen für eine zwangsweise Unterbringung nach dem PsychKG nicht mehr vorlagen, beantragte die Klinik am 8. Juli 2021 beim Amtsgericht Charlottenburg die Aufhebung des Unterbringungsbeschlusses. Angesichts der erwarteten Entlassung buchte die Geschädigte für den Folgetag ein Zimmer im Hotel "M..." in der ...allee ... in ... Berlin, um dort mit Hilfe des Angeklagten einen zweiten Suizidversuch zu unternehmen. Nachdem sich ihre Entlassung wegen gerichtsinterner Abläufe verzögert hatte, nahm sie zunächst eine Umbuchung auf den 12. Juli 2021, den erwarteten neuen Entlassungs-Tag, vor, stornierte die Reservierung dann jedoch, nachdem sie sich am 10. Juli 2021 – vorübergehend – entschlossen hatte, am Leben zu bleiben.
Am 12. Juli 2021 schrieb die Geschädigte dem Angeklagten um 09:30 Uhr eine E-Mail. Darin brachte sie zunächst noch einmal ihr Bedauern über das Scheitern des Selbsttötungsversuchs am 24. Juni zum Ausdruck. Weiter erklärte sie unter anderem, dass gerade der Umstand, dass der ‚todsichere‘ Plan nicht funktioniert habe, ihr "eigentlich" zeige, dass sie noch weitermachen solle und müsse. Sie würde sich jedoch trotzdem freuen, Plan B weiterhin zur Verfügung zu haben. Sie sei froh, dass der Angeklagte ihre Angst vor einem weiteren, möglicherweise "noch größeren Desaster" nachvollziehen könne; leider gebe es immer wieder Fälle, in denen Betroffene auch eine Überdosis Thiopental überlebt und dann "die Hölle auf Erden" gehabt hätten.
Um 09:42 Uhr – 12 Minuten nach der vorgenannten E-Mail – sandte die Geschädigte eine WhatsApp-Nachricht an den Angeklagten, in der sie ihn auf ihre Mail hinwies, und ihm sodann mitteilte, dass sie "wieder mal hin und hergerissen" sei; er möge "das ewige Hin und Her" entschuldigen. Der Angeklagte antwortete ihr unmittelbar darauf, indem er unter Bezugnahme auf ihre Mail erklärte, dass er ihre Not verstehe, und ihr riet, erst einmal in ihre Heimat zu fahren und etwas Zeit verstreichen zu lassen. Der "andere Weg" – die Selbsttötung mit seiner Unterstützung – bleibe ihr "nicht versperrt".
Um 09:58 Uhr – 28 Minuten nach ihrer E-Mail – unterrichtete die Geschädigte den Angeklagten in einer weiteren Nachricht, dass sie "es" – den Suizid – "am liebsten" heute machen würde, da ihr Hund noch untergebracht sei; dies sei sehr wichtig für sie. Um 10:00 Uhr bestätigte der Angeklagte ihr seine Verfügbarkeit mit der Nachricht: "Ok (???)". Die Geschädigte erneuerte daraufhin telefonisch die Buchung des Hotelzimmers und bezahlte dieses für zwei Tage im Voraus. Um 10:07 Uhr erkundigte sie sich bei dem Angeklagten per WhatsApp, ob er "dieses Mal etwas zusätzlich mitnehmen [könne], falls Plan B nicht funktioniert". Nachdem der Angeklagte dies umgehend mit "Ja" bestätigt hatte, bedankte sie sich bei ihm und fragte ihn, was er dann nehme und ob er dann hoffentlich "keine Angst vor Paragraph 216" habe. Der Angeklagte ließ sie daraufhin wissen, dass er keine Angst habe. Dies begrüßend, erklärte Isabell R. in weiteren Nachrichten unter anderem, dass es dieses Mal "klappen" müsse, dass sie "für alle Etwaigkeiten gewappnet" sein müssten und dass er "nachhelfen" möge, wenn es länger dauere. Der Angeklagte reagierte hierauf jeweils mit beruhigenden Nachrichten, darunter "Es geht schnell" und "Bitte vertrauen Sie mir!!!". Beide verabredeten im Folgenden, dass die Geschädigte sich nach ihrer Entlassung direkt zum Hotel "M..." begeben und den Angeklagten von ihrem Eintreffen dort in Kenntnis setzen werde, auf dass er zu ihr stoßen könne.
Tatsächlich hatte der Angeklagte im Zeitpunkt seiner Zusage wiederum nicht vor, gegebenenfalls aktiv "nachzuhelfen", weil er auf die Zuverlässigkeit der Thiopental-Methode vertraute. Ihm war aber bewusst, dass die Geschädigte in ihrem Wunsch zu sterben schwankend geworden und dass der Ausschluss eines erneuten Fehlschlags für ihre Entscheidung weiterhin von maßgeblicher Bedeutung war. Er wusste ferner, dass Isabell R. infolge ihrer depressiven Erkrankung affektlabil war, und hatte erkannt, dass er durch seine vorbehaltlose Bereitschaft, sie bei einem erneuten Suizidversuch zu unterstützen, und seine – wahrheitswidrige – Zusicherung, erforderlichenfalls aktive Sterbehilfe zu leisten, möglicherweise Einfluss auf ihre Entscheidung nehmen würde. Er nahm dies jedoch in Kauf, weil er es vor dem Hintergrund ihres Rechts auf Selbsttötung als ein Gebot der Humanität ansah, ihr dabei durch die Gewährung von Suizidhilfe beizustehen. Er befürchtete nicht ausschließbar auch, dass sich Isabell R. ohne seine Hilfe durch Erhängen "gewaltsam" das Leben nehmen könnte. Er wusste, dass er sich mit seinem Handeln zumindest in einem rechtlichen Grenzbereich befindet, und fand sich damit ab, zumal er die von Seiten der Sterbehilfeorganisationen bei psychisch erkrankten Suizidwilligen regelmäßig geübte Zurückhaltung für unangebracht und diskriminierend hielt.
Tatsächlich war die vorbeschriebene Zusage des Angeklagten für die erneute Entscheidung Isabell R. s, aus dem Leben zu scheiden, jedenfalls mitursächlich.
Gegen 13:00 Uhr wurde die Geschädigte auf ihren eigenen Wunsch und entgegen dem Rat ihrer Behandler nach Hause entlassen. Ihre zumindest mittelgradige depressive Episode bestand zu diesem Zeitpunkt fort und wirkte sich weiter erheblich negativ auf ihre Gefühlslage und ihre Fähigkeit zur Bildung eines freien Willens aus, indem sie ihr trotz des Wissens um weitere Therapieoptionen die Hoffnung auf einen Behandlungserfolg und damit eine Besserung ihres Zustands nahm.
6. Tat vom 12. Juli 2021 (Fall 2 der Anklage)
Nach ihrer Entlassung fuhr die Geschädigte, deren psychischer Zustand und Motivationslage unverändert waren, direkt zum Hotel "M...", wo sie gegen 14:00 Uhr eintraf. Gegen 14:30 Uhr gab sie dem Angeklagten Bescheid, dass sie eingetroffen sei und dass sie den Suizid nun durchführen könnten.
Der Angeklagte begab sich daraufhin mit den vereinbarten 7 Gramm Thiopental sowie dem notwendigen Zubehör für das Legen einer Infusion zu ihr in das Hotel. Er überreichte ihr die Vordrucke einer tagesaktuellen Freitoderklärung sowie einer Entbindung von der Garantenpflicht, die sie jeweils unterschrieb. Zudem verfasste sie handschriftlich eine Erklärung zur Nichteinleitung von Entgiftungs- und Wiederbelebungsmaßnahmen und bestätigte dem Angeklagten noch einmal ausdrücklich ihren Todeswunsch, für den mitbestimmend war, dass sie aufgrund der vorbeschriebenen Zusage des Angeklagten einen erneuten Fehlschlag für ausgeschlossen hielt. Sie entzündete eine Kerze, die er auf ihren Wunsch mitgebracht hatte, machte Musik an, kniete sich auf das Bett, blickte durch das geöffnete Fenster zum Himmel und betete. Dann legte sie sich auf das Bett.
Der Angeklagte bereitete daraufhin das Infusionssystem mit zwei Beuteln Natriumchlorid vor, wobei der erste Beutel der Überprüfung der Durchlässigkeit und richtigen Platzierung des Zugangs diente. Den anderen Beutel mit Natriumchlorid modifizierte er dergestalt, dass er das Thiopental-Pulver aus jeder der sieben Fläschchen zu je 1 Gramm unter Zugabe von Natriumchlorid zu einer flüssigen Lösung verarbeitete und in den zweiten Beutel injizierte. Sodann legte er der Geschädigten in den linken Arm einen intravenösen Zugang und prüfte mit dem Natriumchlorid, ob die Nadel in der Vene saß, was der Fall war. Die Geschädigte vergewisserte sich sodann, dass sie in der Lage war, das Rädchen für die Infusion mit der rechten Hand zu öffnen. Nachdem ihr dies gelungen war und sie dem Angeklagten auf seine Nachfrage noch einmal ihren Todeswunsch bestätigt hatte, wechselte der Angeklagte das Infusionssystem auf den zweiten Beutel mit dem Thiopental. Beide wussten hierbei, dass das Medikament in dieser Konzentration für einen Menschen mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit tödlich ist, und wollten, dass es zu einer solch tödlichen Wirkung bei der Geschädigten kommt. Anschließend erkundigte sich die Geschädigte, ob sie die Infusion nun öffnen könne, sprach ein letztes kurzes Gebet und schob dann um 16:07 Uhr mit ihrem rechten Daumen das Plastikrädchen des Durchflussreglers von sich weg, so dass das Thiopental über die Infusion in ihren Blutkreislauf gelangte. Um 16:08 Uhr verlor sie das Bewusstsein, um 16:15 Uhr kam es bei ihr zu einem Atemstillstand, dem um 16:16 Uhr der Herzstillstand folgte. Sie verstarb daraufhin an der Vergiftung mit dem Narkosemittel. Während dieser Zeit saß der Angeklagte neben ihr und protokollierte den Sterbevorgang.
7. Nachtatgeschehen
Nach dem Tod der Geschädigten informierte der Angeklagte deren Wunsch entsprechend telefonisch die Zeugin Hü. über das Geschehen, wobei er ihr mitteilte, dass Isabell R. es "nun endlich geschafft" habe. Als die Zeugin daraufhin erschrocken "Nein!" ausrief, entgegnete er: "Aber doch, das ist doch etwas Positives!"
Um 17:10 Uhr füllte er den Leichenschauschein aus, wobei er als Todesart "nicht natürlicher Tod" ankreuzte, und benachrichtigte die Polizei.
Am folgenden Tag rief er den Zeugen F. in der Bodelschwingh-Klinik an und teilte auch ihm mit, dass die Geschädigte es nach einem langen Weg "endlich geschafft" habe, wobei er darauf hinwies, dass Isabell R. durch die "Zwangsunterbringung" schwer traumatisiert gewesen sei, und zu einer klinikinternen Diskussion des Falles riet. Der Zeuge war von der Mitteilung überrascht und irritiert.
III. Beweiswürdigung
Die Kammer ist aufgrund der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass sich das Geschehen wie unter II. festgestellt ereignet hat.
Der umfangreichen Einlassung des Angeklagten wegen sind die objektiven Feststellungen im Wesentlichen unstreitig geblieben. Der Angeklagte hat insbesondere den objektiven Tathergang, die ihm gegenüber erfolgten Schilderungen der Geschädigten im Vorgespräch am 15. Juni 2021 sowie das Randgeschehen, soweit es ihn betraf, berichtet. Das weitere Randgeschehen sowie der Lebens- und Krankheitsverlauf der Geschädigten ist der Kammer von den vernommenen Zeugen übereinstimmend bzw. einander ergänzend berichtet worden. Die in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunden haben die Einlassung des Angeklagten sowie die Aussagen der Zeugen bestätigt und ergänzt.
Umstritten waren in der Hauptverhandlung vor allem die subjektiven Feststellungen – insbesondere zum Vorsatz des Angeklagten sowie zur Entwicklung der Suizidentschlüsse der Geschädigten – und deren rechtliche Bewertung.
1. Einlassung des Angeklagten
Der Angeklagte hat sich zu Beginn der Hauptverhandlung sowie in deren weiteren Verlauf umfangreich persönlich zur Sache eingelassen und hierbei auch die Fragen der übrigen Prozessbeteiligten beantwortet. Hinsichtlich des objektiven Geschehens ist er, wie bereits bei seiner verantwortlichen polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren, ganz überwiegend geständig gewesen; die anschließende Beweisaufnahme hat die von ihm geschilderten objektiven Tatumstände bestätigt bzw. ergänzt.
a) Beruflicher Werdegang und Tätigkeit als Freitodbegleiter
Der Angeklagte hat sich zunächst, wie unter I. 1. festgestellt, glaubhaft zu seinem beruflichen Werdegang einschließlich seiner Tätigkeit als Freitodbegleiter eingelassen.
Zu seinen beruflichen Erfahrungen mit psychiatrischen Erkrankungen hat er insbesondere angegeben, kein Psychiater zu sein; sowohl zu Beginn seiner Laufbahn im Krankenhaus als auch in seiner anschließenden langjährigen Zeit als Hausarzt sei er als Internist tätig gewesen. Als Hausarzt habe er auch Patienten behandelt, die an Depressionen erkrankt gewesen seien. Dadurch, dass er sich für seine Patienten immer ausreichend Zeit genommen und mit diesen Gespräche geführt habe, die er als psychosomatische Grundversorgung abgerechnet habe, habe er aber eine gewisse Lebenserfahrung und Menschenkenntnis auch im Umgang mit Depressiven erlangt. Zudem habe er als Hausarzt in Fällen leichter Depressionen auch Antidepressiva verschrieben; sofern diese nicht ausreichende Linderung verschafft hätten, habe er seine Patienten aber in fachärztliche Behandlung überwiesen. Psychotherapiegespräche habe er nie geführt, allenfalls habe er seinen Patienten gelegentlich allgemeine Lebensratschläge gegeben. Auch an einer bipolaren Störung erkrankte Patienten seien bei ihm, allerdings wegen anderer Beschwerden, in Behandlung gewesen, wobei er eher die depressiven Phasen erlebt habe, da die Patienten in manischen Phasen wohl nicht zu ihm in die Praxis gekommen seien. In den rund 30 Jahren seiner Tätigkeit als Hausarzt habe er geschätzt zehn Patienten mit einer bipolaren Störung gehabt; viele dieser Patienten hätten ihm berichtet, dass sie die von ihnen absolvierte Psychotherapie als nutzlos erachteten.
b) Motivation als Sterbehelfer
aa) allgemeine Motivation als Sterbehelfer
Der Angeklagte hat sich zunächst umfangreich zu seiner allgemeinen Motivation als Sterbehelfer eingelassen. Die Menschen, die zu ihm bzw. zur DGHS kämen, befänden sich in einer existentiellen Notlage und suchten eine friedliche und würdige Lebensbeendigung. Es sei ihm ein Grundbedürfnis, diesen Menschen, soweit möglich, in ihrer Not zu helfen. Wenn das Leben nur noch Leid und Qual bedeute, liege das Heil eben in der Erlösung durch einen friedlichen Tod. Für ihn sei es ein Gebot der Humanität und auch der christlichen Nächstenliebe, Menschen in dieser Not nicht allein zu lassen.
Die Patienten brächten ihm für seine Zuwendung, seine Fürsorge und die Aussicht auf ein Ende ihrer Leiden eine große Dankbarkeit entgegen. Auch seien die Gespräche mit ihnen von großer Offenheit, Ernsthaftigkeit und Authentizität geprägt, da sie ihm als Suizidbegleiter gegenüber offen und frei reden könnten. Soweit möglich, beziehe er Angehörige bereits in die Vorgespräche mit ein; sie seien Zeugen des oft langen Leidensweges des Patienten, respektierten in der Regel den Sterbewunsch und begleiteten den Suizid dann mit. Es erleichtere auch deren Trauerarbeit erheblich, wenn sie sähen, wie friedlich der begleitete Suizid ablaufe.
Selbstverständlich müsse der Patient urteils- und entscheidungsfähig sein, damit er – der Angeklagte – den Suizidwunsch respektiere und den Freitod unterstütze. Er bespreche und durchdenke jede Freitodbegleitung gründlich und wäge sie sorgfältig ab. Jeder Fall sei einzigartig in seiner menschlichen Not, so dass dabei auch keine Routine aufkomme.
Die meisten Patienten, die über die DGHS zu ihm gefunden hätten, seien Tumorpatienten im fortgeschrittenen Stadium, hochaltrige Menschen mit Angst vor der Pflegebedürftigkeit sowie Menschen mit neurogenerativen Erkrankungen, die bei vollständiger geistiger Gesundheit körperlich immer weiter abbauten. Auch psychisch bzw. psychiatrisch Erkrankte würden mit einem Sterbewunsch bei der DGHS vorstellig; in diesen Fällen sei es aber stets sehr fraglich, ob sie von der DGHS "grünes Licht" bekämen, da die entsprechenden Gesellschaften eine "Heidenangst" hätten, sich in derartigen Fällen mit einer Suizidbegleitung angreifbar zu machen. Zu seiner "großen Empörung" seien solche Menschen häufig abgelehnt worden; diese Patienten würden dann in einen "schrecklichen Gewaltsuizid" gedrängt, was er als "ganz schlimme Diskriminierung" empfinde.
Die von ihm direkt betreuten Suizide hätten sich dadurch ausgezeichnet, dass die Sterbewilligen es sehr eilig gehabt hätten und sich die seitens der DGHS vorgeschriebene Zeitspanne – in der Regel ein halbes Jahr, bei rasch voranschreitenden Erkrankungen auch kürzer – nicht zugestünden.
In seiner bisherigen Tätigkeit als Sterbebegleiter habe er zweimal den Wunsch Sterbewilliger abgelehnt. In einem Fall sei es ein junger Mann gewesen, der einen Schlaganfall erlitten und in der Folge eine "schwere reaktive Depression" entwickelt gehabt habe. Im anderen Fall eine Studentin mit Depressionen. In beiden Fällen seien die Heilungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft gewesen. Der Mensch brauche Zeit, sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen und diese gegebenenfalls zu akzeptieren. Zur Durchführung einer Sterbebegleitung müsse er für sich nachvollziehen können, dass der Sterbewillige schon lange leide und dieses Leiden nicht mehr erdulden könne.
bb) Motivation zur Suizidbegleitung bei der Geschädigten
Auch zu seiner Motivation, die Suizidbegleitung bei der Geschädigten durchzuführen, hat sich der Angeklagte eingelassen.
So habe er insbesondere die große seelische Not der Geschädigten erkannt und sei der Überzeugung gewesen, dass sie entschlossen gewesen sei, notfalls auch einen "einsamen, brutalen Gewaltsuizid" zu verüben. Sein Gewissen und sein "moralischer Kompass" hätten nichts anderes zugelassen als ihr zu helfen, ihr Leben in einer würdigen und friedlichen Art beenden zu können.
Dieser Fall sei für ihn eine sehr schwierige Gewissensnotlage gewesen. Er hätte sich natürlich leicht zurückziehen können, als die Geschädigte ein zweites Gutachten und Zeugen bei der Freitodbegleitung verweigert habe. Auch nach dem missglückten Versuch am 24. Juni 2021 hätte er die Geschädigte "wie eine heiße Kartoffel" fallen lassen können. All das habe aber sein Gewissen und sein Wissen über ihre seelische Not nicht zugelassen. Ständig habe er die "gruselige und drohende Vorstellung" gehabt, wie sich die Geschädigte in ihrem Badezimmer am Heizkörper erhänge. Mit seiner Hilfe sei sie hingegen am 12. Juli 2021 nach Öffnen der Infusion mit Thiopental nach einer Minute eingeschlafen und nach weiteren acht Minuten sehr ruhig, friedlich und menschenwürdig gestorben.
Sie habe ihn nicht als Arzt aufgesucht, sondern ausschließlich als Sterbehelfer. Sie habe ihm den Auftrag erteilt: "Helfen sie mir beim Suizid!" Diesen Auftrag habe er für sich so akzeptiert.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung sowie das Urteil des Bundesgerichtshofs in eigener Sache seien ihm damals bekannt gewesen. Seiner Ansicht nach habe Frau R. nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts das Recht gehabt, sich das Leben zu nehmen, so wie jeder körperlich Kranke auch. Er hätte es, sowohl damals als auch rückblickend in Bezug auf das hiesige Strafverfahren, bevorzugt, wenn sie sich zur Einholung eines psychiatrischen Gutachtens bereit erklärt hätte, da er sich auf diesem Wege juristisch hätte absichern können. Wenn das Gutachten zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass der Suizidwunsch nicht freiverantwortlich sei, dann hätte er ihren Fall zu seinem Selbstschutz nicht übernommen, auch wenn er das moralisch weiterhin für falsch gehalten hätte; in einem solchen Fall wären ihm aber die Hände gebunden gewesen. Die DGHS hätte seinerzeit entweder auf einem solchen fachärztlichen Gutachten bestanden oder die Geschädigte bereits im Vorfeld direkt abgelehnt; heute würde die DGHS solche Fälle gar nicht mehr übernehmen. Rückblickend würde er sich zwar über Sterbehilfeorganisationen sowie Zweit- und Drittmeinungen besser absichern, entsprechende Fälle aber wieder übernehmen.
c) Kontaktaufnahme und Erstgespräch
Der Angeklagte hat sich zur Kontaktaufnahme der Geschädigten am 12. Juni 2021 sowie zu dem Vorgespräch vom 15. Juni 2021 wie unter II. 2. festgestellt eingelassen, weshalb hinsichtlich des Ablaufs zunächst auf die dortigen Feststellungen verwiesen wird.
Das Vorgespräch habe rund 90 Minuten gedauert, obwohl solche Vorgespräche mit Sterbewilligen in der Regel sonst eher zwei oder zweieinhalb Stunden dauerten. Dies habe hier daran gelegen, dass die Geschädigte sich sehr klar ausgedrückt und strukturiert ihren Fall dargestellt habe.
Sie habe ausdrücklich abgelehnt, dass Angehörige oder ihre behandelnden Ärzte involviert würden. Auch habe sie sich geweigert, ihm über die Behandlung ihres Astrozytoms hinausgehende Krankenunterlagen zugänglich zu machen. Das habe ihm zwar nicht gefallen, letztlich habe er sich aber damit abgefunden. Er gebe zu, dass das nicht klug von ihm gewesen sei, letztlich hätte es an der Sache aber auch nichts geändert.
Die von ihr geschilderte Erkrankung habe er abweichend von der Diagnose ihrer behandelnden Ärzte und Therapeuten nicht als bipolare Störung, sondern als schwere Depression eingestuft. Denn Isabell R. habe ihm, im Vorgespräch nach manischen Phasen befragt, lediglich eine einzige manische Episode nach dem Konsum von "Magic Mushrooms" geschildert; das sei für ihn eine drogeninduzierte Manie und nicht Ausdruck einer bipolaren Grunderkrankung. Auf die Frage der Kammer, ob es zur sachgerechten Behandlung und Einschätzung der Langzeitperspektive des Patienten nicht einen Unterschied mache, ob die Geschädigte an einer schweren Depression oder einer bipolaren Störung erkrankt sei, hat der Angeklagte – insofern im Widerspruch zu seiner von der Diagnose der Fachärzte abweichenden Einschätzung – geantwortet, dass die Geschädigte seit 16 Jahren bei kompetenten Ärzten in psychiatrischer Behandlung gewesen sei und er darauf vertraut habe, dass diese sie auch kompetent und richtig behandelt hätten. Ob die Antidepressiva in den letzten 16 Jahren auch eine Zeit lang abgesetzt worden seien, sei in dem Vorgespräch nicht erörtert worden.
Er sei zwar kein Facharzt dafür, traue sich im Ergebnis aber schon zu, psychiatrische Diagnosen beurteilen zu können. Seiner Einschätzung nach seien nahe Angehörige oder Pflegekräfte, die viel mit dem Patienten in Kontakt stünden und mit dessen Äußerungen, Emotionen, Sprache und Stimmlage vertraut seien, besser zur Beurteilung der Entscheidungsfähigkeit des Patienten geeignet, als ein Psychiater, der den Patienten nur ein paar Stunden beruflich erlebe. Auf den Vorhalt der Kammer, dass er vor dem ersten Suizidversuch am 24. Juni 2021 die Geschädigte selbst nur rund 90 Minuten lang erlebt habe, hat der Angeklagte erwidert, dass sich das Bild, dass er sich am 15. Juni 2021 von ihr gemacht habe, ja über die anschließenden Wochen gefestigt und stabilisiert habe. Er habe ihr gegenübergesessen und sie mit ihrer Persönlichkeit und ihren Lebensäußerungen wahrgenommen; ihre Angaben infrage zu stellen, würde er ihr gegenüber als "würdelos" empfinden.
Ob das Studium der Geschädigten mitursächlich für die letzte depressive Episode gewesen sei, wisse er nicht. Das Studium habe sie "wahnsinnig gebeutelt" und extrem gefordert und heruntergezogen; auch habe sie über eine unfaire Behandlung seitens einiger Professoren geklagt. Andererseits habe sie sich auch tapfer durchgekämpft, was seiner Ansicht nach ebenfalls ein Beleg für ihr Entscheidungsfreiheit sei; das harte Studium habe ihr einen Sinn gegeben und sie dadurch vor Grübeleien geschützt. Ein weiteres Problem sei das anstehende Schlachthofpraktikum gewesen, denn es habe sie bei einem früheren Praktikum traumatisiert gehabt mitanzusehen, wie Tiere geschlachtet würden; das erneut durchmachen zu müssen, habe sie als große Bedrohung empfunden.
Die Geschädigte habe ihm berichtet, dass ihre Depressionen immer wieder und in immer kürzeren Abständen kämen, dass sie dies quäle und sie es nicht länger erdulden wolle. Details hierzu habe sie ihm aber nicht genannt. Sie habe ihm lediglich gesagt, dass sie seit 16 Jahren krank sowie drei Mal in der Psychiatrie gewesen sei, wo sie nie wieder hinwolle; auch habe sie sich über Schlafstörungen beklagt. In welcher psychischen Verfassung sie seit ihrem Umzug nach Berlin im Jahr 2013 bis zum Herbst 2020 gewesen sei, habe er damals nicht gewusst; er erinnere nicht, dass sie sich dazu überhaupt geäußert habe; von Suizidgedanken in dieser Zeit habe sie ihm nicht berichtet.
Soweit ihre behandelnden Psychiater Dr. W. und Dr. H. ihr für diese Zeit eine gewisse Stabilität bescheinigt hätten, sei es seiner Auffassung nach üblich, dass Menschen mit einem Todeswunsch sowohl der Umwelt als auch ihren Behandlern gegenüber eine Fassade aufbauten. Ob die Geschädigte in den Jahren von 2013 bis zum Herbst 2020 auch nur eine Fassade aufgebaut habe, könne er nicht abschließend beurteilen; sie habe seiner Einschätzung nach aber an einer "hochfunktionellen Depression" gelitten und ihr "inneres Depressivsein" nach außen kaschiert. Zum akuten Verlauf der Depression habe ihm die Geschädigte berichtet, dass sich ihr Zustand seit Herbst 2020 sukzessiv verschlechtert habe, wobei es im Februar 2021 noch einmal eine deutliche Verschlechterung gegeben habe; seitdem habe sie seiner Auffassung nach durchgehend konkrete Suizidgedanken gehabt und auch einen entsprechenden Suizidplan entwickelt; entsprechend habe er sie zu diesem Zeitpunkt auch als "schwer depressiv" erlebt.
Nicht gefolgt ist die Kammer der Einlassung des Angeklagten, dass ein wesentlicher Punkt für die Wahl ihres Studienfaches für Isabell R. gewesen sei, dass Tierärzte Natriumpentobarbital verschreiben dürften, was als ideales Mittel für einen Suizid gelte und z.B. in der Schweiz entsprechende Verwendung finde. Diese Behauptung fand sich zwar auch in dem von dem Angeklagten erstellten Erstentwurf des Gutachtens zur Abklärung des Freitodwunsches wieder, wurde jedoch von der Geschädigten selbst in ihren Anmerkungen zu diesem richtiggestellt. Dort korrigierte sie nämlich, dass sie das Studium begonnen habe, um ihrem Leben eine neue Richtung zu geben in der Hoffnung, die Depressionen würden aufhören mit einem sinnhaften Beruf; die Bedingungen des Studiums seien jedoch schrecklich und unzumutbar gewesen und das Studium habe sie überlastet, weshalb sie immer wieder den Wunsch gehabt habe, tot zu sein; nun, im letzten Studienjahr, habe sie sehr schwere Depressionen, die auf keine Behandlung anschlügen.
Auf die Frage der Kammer, ob die Geschädigte seiner Kenntnis nach denn schon sämtliche Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft gehabt habe, hat der Angeklagte geantwortet, dass er als mögliche weitere Therapien die Lithiumtherapie, Elektrokrampftherapie und eine Ketaminbehandlung mit ihr besprochen habe. Alles habe sie abgelehnt. Zwar wäre es möglich gewesen, dass die Lithiumtherapie zu einer Besserung geführt hätte und dass die häufige Nebenwirkung eines Tremors bei der Geschädigten nicht aufgetreten wäre; sie habe diese Therapie aber nicht gewollt und er habe das akzeptieren müssen. Die Möglichkeit, die Symptome der Depression mit Ausdauersport anzugehen, habe er mit ihr nicht erörtert, da sie so fixiert auf den Weg der Lebensbeendigung gewesen sei. Was weitere alternative Behandlungsmöglichkeiten betreffe, habe er darauf vertraut, dass es keine gebe, wenn mehrere Fachärzte in einem 16 Jahre währenden Behandlungsprozess keine Lösung fänden.
Er habe noch am 15. Juni 2021 mit ihr, dies gehe auch aus seinen Behandlungsunterlagen hervor, zunächst den 22. Juni 2021 als Termin für die Sterbebegleitung vereinbart. Dieser Termin sei dann seitens der Geschädigten auf den 24. Juni 2021 verschoben worden.
d) Geschehen am 24. und 25. Juni 2021
Der Angeklagte hat auch den ersten Suizidversuch am 24. Juni 2021, soweit es die von ihm wahrgenommenen äußeren Umstände betrifft, wie unter II. 3. festgestellt geschildert. An dem äußeren Ablauf haben angesichts dessen keine Zweifel bestanden, zumal auch die Zeugen P. , Rö. und F. der Kammer berichtet haben, dass die Geschädigte ihnen gegenüber das Geschehen entsprechend geschildert habe.
Nach der Einlassung des Angeklagten sei die Geschädigte am Abend des 24. Juni 2021 zu dem Suizid fest entschlossen gewesen und habe ihm dies auch noch einmal ausdrücklich bestätigt. Zweifel an der Entschlossenheit der Geschädigten zum Suizid seien ihm bis zu diesem Zeitpunkt nicht gekommen; seit dem Erstkontakt am 12. Juni 2021 sei die Geschädigte durchgehend willens gewesen, ihr Leben zu beenden. Sie habe dann, nachdem die Formalitäten geklärt gewesen seien, gegen 19:00 Uhr die Chloroquin-Tabletten mit dem Apfelmus vermischt und dieses gegessen, wovon er eine kurze Videosequenz angefertigt habe. Nach einem Toilettengang habe sie den Inhalt der drei Flaschen Diazepam getrunken und sich dann hingelegt.
Nachdem sie am 24. Juni 2021 gegen 23:00 Uhr, vier Stunden nach Einnahme der Medikamente, erbrochen habe, sei er davon ausgegangen, dass sie überleben werde. Er habe angenommen, dass sie einen Pylorospasmus (Magenpförtnerkrampf) habe, sodass ein Großteil der Medikamente nicht in den Dünndarm gelangt sei, und dass in der Folge das Risiko schwerer Folgeschäden gering sei; sicher gewusst habe er dies aber nicht. Auch vor dem Hintergrund des gescheiterten Versuchs und der Gefahr schwerer Folgeschäden habe er ihren Wunsch, dass keine Rettungsmaßnahmen eingeleitet werden sollen, weiter als verpflichtend erachtet. Ihm sei es in den folgenden Stunden darum gegangen, dass ihr ein menschlicher Ansprechpartner zur Seite stehe und sie in diesem Moment nicht allein sei. Ab dem Morgen des 25. Juni 2021 habe er keine vitale Gefährdung mehr bei ihr gesehen; ein so niedriger Blutdruck, wie ihn die Rettungskräfte bei der Geschädigten festgestellt hätten, sei nach der Einnahme solcher Mengen Diazepam für ihn kein Notfall.
Auch den frühen Abend und die Nacht des 25 Juni 2021 hat der Angeklagte, soweit es ihn betraf, wie festgestellt geschildert. Lediglich hinsichtlich der Vereinbarung eines erneuten Suizidversuchs am frühen Abend des 25. Juni 2021 für den Folgetag, ist die Kammer seiner Einlassung nicht gefolgt. Der Angeklagte hat insoweit angegeben, dass die Geschädigte bei dem gemeinsamen Gespräch am frühen Abend des 25. Juni 2021 über den missglückten Suizidversuch verzweifelt gewesen sei und auf baldige Wiederholung gedrängt habe. Ihre Gedanken und ihre Sprache seien geordnet gewesen und hätten keine kognitiven Einschränkungen gezeigt. Er habe bei diesem Treffen nicht mit ihr vereinbart, einen weiteren Suizidversuch am kommenden Tag zu unternehmen, da sie und auch er Zeit gebraucht hätten, erstmal zur Ruhe zu kommen und sich zu besinnen. Diese Einlassung ist durch die Beweisaufnahme widerlegt worden. Die festgestellte Verabredung eines erneuten Suizidversuchs am Folgetag hat sich zweifelsfrei ergeben aus der handschriftlichen Dokumentation des Angeklagten zum 25. Juni 2021 (wörtlich heißt es dort: "langes Gespr. mit R.: möglichst bald 2. Versuch mit Thio; am liebsten heute. -> morgen Abend."), seiner E-Mail an die Geschädigte vom 12. Juli 2021 um 07:12 Uhr ("Sie waren am Freitag Abend wieder ausreichend wach und wir hätten später den zweiten Weg beschritten, wenn Herr B. …….") sowie aus der Aussage der Zeugin P. , die bekundet hat, dass der Angeklagte ihr am Abend des 25. Juni 2021 von einem für den Folgetag geplanten weiteren Suizidversuch berichtet habe.
e) Verlauf der Unterbringung in der Bodelschwingh-Klinik
Der Angeklagte hat ferner die objektiven Umstände der Unterbringung der Geschädigten, soweit es ihn bzw. seine Gespräche mit ihr betraf wie unter II. 5. festgestellt – und durch die weiteren Beweismittel bestätigt – beschrieben.
Zunächst habe er Isabell R. auf ihre Bitte beraten, wie sie gegen den Unterbringungsbeschluss vorgehen könne, und sie zu der Anhörung vor dem Amtsrichter begleitet. Zu weiteren persönlichen Treffen in der Klinik sei es nicht gekommen, weil er Hausverbot erhalten habe.
Er habe anschließend aber intensiven telefonischen Kontakt sowie Kontakt über WhatsApp und E-Mail mit ihr unterhalten. Als sie ihm in einer dieser Nachrichten mitgeteilt habe, dass sie sich wieder für das Leben entschieden habe, sei er sehr erfreut und entlastet gewesen. Er habe ihr gratuliert und sie in diesem Entschluss bestärkt, habe gehofft, dass sie nun von ihren Suizidplänen Abstand nehme und erst einmal zur Ruhe komme. Auch in einigen während der Unterbringung geführten Telefonaten mit ihm habe sie sich gegen den Suizid ausgesprochen, wobei er sie bestärkt und ihr gesagt habe, dass er es "prima" fände, wie sie sich wieder dem Leben zuwende. Wie viele solcher Telefonate es gegeben habe, könne er nicht sagen. Diese Phasen der Ambivalenz hätten jedoch jeweils nicht lange gehalten; kurz darauf habe sie ihn dann wieder um Assistenz bei einem erneuten Suizidversuch gebeten.
Sie habe seiner Ansicht nach die Rückzieher von einem zweiten Suizidversuch auch gemacht, weil sie Angst gehabt habe, dass ein zweiter Versuch erneut fehlschlagen könnte; von dieser Angst habe sie ihm in vielen der Nachrichten berichtet. Sie sei "extremst traumatisiert, hin und hergerissen" gewesen und habe Angst vor einem noch größeren Desaster gehabt. Er habe versucht, ihr diese Angst zu nehmen, und ihr versichert, dass die andere Methode mittels Thiopental sehr sicher sei.
Nachdem sich der Angeklagte zunächst dahingehend eingelassen hatte, zu keinem Zeitpunkt mit der Geschädigten vereinbart zu haben, dass er im Fall eines Fehlschlags eines erneuten Suizidversuchs nachdosieren oder anderweitig nachhelfen werde, hat er auf Vorhalt des WhatsApp-Austausches vom 6. Juli 2021 (Isabell R. : "Sie versprechen mir wie gesagt gegebenenfalls alles mögliche nachzudosieren damit der Tod eintritt oder auch wenn es zeitaufwändiger ist....Danke", "Da man ja in meinem speziellen Fall nie weiß wie ein junger gesünder Körper funktioniert"; Angeklagter: "Versprochen !!!") erklärt, dass er sie damit nur habe beruhigen wollen, da sie immer diese Angst vor einem Scheitern eines weiteren Versuchs gehabt habe. Er habe nie im Sinn gehabt, tatsächlich nachzudosieren. Die Kammer hat hierin das Eingeständnis des Angeklagten gesehen, dass er die Geschädigte hinsichtlich des für sie bestehenden (Rest-)Risikos des zweiten Suizidversuchs mit Thiopental getäuscht hat, um ihr die Entscheidung für einen solchen zu erleichtern. Dabei mag er selbst zwar tatsächlich an die Zuverlässigkeit der Methode mittels Thiopental geglaubt haben; die Geschädigte war von dieser Methode jedoch – trotz seiner entsprechenden Beteuerungen – ersichtlich nicht überzeugt. Die ihr von dem Angeklagten vermittelte – vermeintliche – absolute Sicherheit war für sie (mit) entscheidungserheblich. Dies war dem Angeklagten angesichts der wiederholten eindeutigen Erklärungen der Geschädigten zur Überzeugung der Kammer auch bewusst.
Auf die Frage der Kammer, welche Schlussfolgerungen er aus der nach dem ersten Suizidversuch erkennbar gewordenen Ambivalenz der Geschädigten in Bezug auf die innere Festigkeit und Dauerhaftigkeit ihres Suizidwunsches gezogen habe, hat der Angeklagte erklärt, dass er ihre Nachrichten quantitativ abgewogen habe, und dabei hätten die Nachrichten "pro Suizid" "95 zu 5" überwogen. Diese zahlenmäßige Abwägung habe er im Kern damals schon angestellt gehabt, auch wenn er die Nachrichten erst später ausgezählt habe. Letzten Endes sei es auch das Recht der Geschädigten gewesen, sich mal so und mal so zu entscheiden. Ein Mensch habe auch darüber die Entscheidungshoheit und dürfe insofern nicht entmündigt werden. Es stehe ihm nicht zu, dies zu kritisieren. Weiter hat er eingeräumt, dass es bei den Fällen, die ihm über die DGHS zugeführt worden seien, vergleichbare Ambivalenzen der Suizidenten nicht gegeben habe; dort wäre es dann schon vorher zu einem Abbruch der Vermittlung einer Suizidbegleitung gekommen. Auf Vorhalt der hinsichtlich des Sterbewunsches konträren WhatsApp-Nachrichten der Geschädigten hat der Angeklagte erklärt, dass er gehofft habe, dass "die Sache" "sich auflöse" und die Geschädigte sich wieder dem Leben zuwende, nachdem sie ihm mitgeteilt gehabt habe, dass sie weiterleben wolle. Dass es hin und her gegangen sei, habe ihn belastet. Er habe jedoch damit gerechnet, dass der Wille weiterzuleben "keine Kontinuität" haben werde, weil Isabell R. in der Anfangsphase so stringent aufgetreten sei.
Schließlich hat der Angeklagte noch angegeben, mit Isabell R. vereinbart zu haben, den Suizid nach ihrer Entlassung mittels einer vielfachen Überdosis des Barbiturats Thiopental durchzuführen. Als Termin hätten sie zunächst den 9. Juli 2021 besprochen; ihre Entlassung habe sich dann aber auf den 12. Juli 2021 verzögert.
f) Tat vom 12. Juli 2021
Schließlich hat sich der Angeklagte sich auch zu dem objektiven Tatgeschehen am 12. Juli 2021 umfassend geständig eingelassen.
Am Morgen des 12. Juli 2021 habe ihm die Geschädigte noch einmal geschrieben, dass sie von dem Suizid Abstand nehmen wolle, kurz darauf habe sie das wieder revidiert. Er habe ihr daraufhin noch einmal dringend geraten, zunächst in ihre Heimat nach Bayern zu fahren und Zeit vergehen zu lassen; sie müsse erstmal wieder zu sich kommen und solle zu ihren Eltern fahren, damit eine gewisse Zeit vergehe und sie wieder zur Besinnung komme. Doch sie habe seine Ratschläge nunmehr entschieden abgelehnt.
Vor dem Hintergrund des aus seiner Sicht drohenden alternativen "Gewaltsuizids" durch Erhängen sowie ihrer in seinen Augen bestehenden Urteils- und Entscheidungsfähigkeit habe er ihr schließlich "das Grundrecht eines selbstbestimmten Todes nicht verweigern" können. Daher habe er sich erneut bereit erklärt, ihr noch am selben Tag bei der Selbsttötung zu assistieren. Hinsichtlich des fehlgeschlagenen ersten Versuchs sei er betroffen und mitfühlend mit ihr gewesen; er habe am 12. Juli 2021 jedoch nicht aufgrund eines schlechten Gewissens ihr gegenüber gehandelt.
Zu dem dann folgenden objektiven Tatgeschehen hat sich der Angeklagte umfassend geständig eingelassen. Er hat den äußeren Tatablauf – insbesondere das gemeinsame Treffen in dem Hotel, die erneute Bestätigung des Todeswunsches und die Unterzeichnung der Erklärungen durch die Geschädigte, die Vorbereitung und Testung der Infusion sowie das Umstecken auf die Thiopental-Lösung durch ihn und das Öffnen der Infusion durch die Geschädigte – wie unter II. 6. festgestellt und durch die weitere Beweisaufnahme bestätigt geschildert, so dass auch insofern auf die dortigen Feststellungen verwiesen wird.
g) Einlassung des Angeklagten in Bezug auf die Freiverantwortlichkeit der Geschädigten
Dazu, wie er die Freiverantwortlichkeit der Geschädigten eingeschätzt hat, hat sich der Angeklagte im Laufe des Prozesses wiederholt eingelassen. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen zu seiner Motivation unter lit. b) verwiesen.
Er hat weiter angegeben, er sei der festen Überzeugung gewesen, dass der Suizidwunsch Isabell R.s durchgängig freiverantwortet gewesen sei. Zu keinem Zeitpunkt habe er Zweifel an ihrer Urteils- und Geschäftsfähigkeit gehabt, weshalb er sich der "Herausforderung" ihrer Freitodbegleitung auch nicht habe entziehen dürfen. Die Geschädigte habe auf ihn sehr überzeugend, entschlossen und zielgerichtet gewirkt. Sie sei ruhig und klar in ihren Formulierungen gewesen, habe folgerichtige, plausible Gedankengänge gehabt, sei nicht abgeschweift und habe sich nicht ständig wiederholt. Ihre große seelische Not habe er sehr deutlich gesehen und auch nachvollziehen können. Sie habe ihr Leben äußerlich im Griff gehabt, sei gepflegt gewesen, mit einer hübschen, ordentlichen Wohnung. Das habe alles "Hand und Fuß" gehabt, "da zweifle [er] doch nicht an der Urteils- und Entscheidungsfähigkeit". Auch Wahnideen, das für ihn wesentliche Ausschlusskriterium eines freien Willens, hätten sich bei ihr nicht gezeigt. Bei den persönlichen Treffen am 15. und 24. Juni sowie am 12. Juli 2021 habe sie keine Schwankungen in ihrem Suizidwunsch gehabt, sondern sei stets zielgerichtet "pro Suizid" gewesen; auch dies sei entscheidend für seine Einschätzung gewesen, dass sie die Hoheit über ihr Handeln gehabt habe. Am 12. Juli 2021 habe sie ihm gegenüber lediglich die Sorge geäußert, dass der Versuch erneut nicht gelinge.
Auch während ihrer Unterbringung von Ende Juni bis zum 12. Juli 2021 habe sie auf ihn in ihren Gedanken und Worten "immer völlig klar" gewirkt. Zielgerichtet habe sie ihren Plan für eine möglichst baldige Entlassung aus der Psychiatrie umgesetzt. Es sei für ihn hierbei offensichtlich, dass sie die dortige Belegschaft gezielt darüber getäuscht habe, sich von ihrem Suizidplan distanziert zu haben. Dass er selbst von der Geschädigten getäuscht worden sei, könne er ausschließen; sie habe auf ihn authentisch gewirkt und ihm gesagt, dass er der erste sei, mit dem sie so offen über ihren Suizidwunsch reden könne; so etwas höre er häufig von seinen Patienten.
Er räume aber ein, dass Suizidgedanken Teil des Krankheitsbildes einer Depression seien und dass ein an einer Depression Erkrankter, wenn eine akute depressive Phase vorüber sei, diesen Todeswunsch womöglich nicht mehr habe. In den schlechten Phasen des Lebens sehe man halt überwiegend das Negative.
2. Bestätigung der Einlassung zum objektiven Geschehen
Das von dem Angeklagten geschilderte, in den ganz überwiegenden Punkten unstreitige objektive Geschehen ist in der Hauptverhandlung durch zahlreiche Beweismittel bestätigt worden.
Aus der in Stichpunkten geführten Dokumentation des Angeklagten zum Ablauf der Sterbebegleitung haben sich wesentliche Eckdaten zum Geschehen im Zeitraum vom 15. Juni bis zum 13. Juli 2021 ergeben. Die – unter II. 2. weitgehend wiedergegebenen – beiden Entwürfe sowie die finale Version des ärztlichen Gutachtens zur Abklärung des Freitodwunsches vom 18. Juni 2021 haben die festgestellten Schilderungen der Geschädigten gegenüber dem Angeklagten am 15. Juni 2021 bestätigt.
Dass sie am Abend des 24. Juni 2021 einen Todeswunsch hatte, hat sich neben den Abschiedsbriefen an ihre Mutter sowie ihre Freundinnen "D. " und "N. " aus den von ihr unterschriebenen Erklärungen anlässlich der Freitodbegleitung – namentlich der unterschriebenen Formulare "Einleitung meines Freitods / Freistellung von der Garantenpflicht" sowie der "Freitodverfügung" vom 24. Juni 2021 ergeben. Ferner hat die Kammer hierzu das 2-sekündige Video in Augenschein genommen, das der Angeklagte am 24. Juni 2021 von der Geschädigten zu Beweiszwecken aufgenommen hat, während diese die in Apfelmus verrührten zerstoßenen Tabletten aß. Darauf zu sehen ist die Geschädigte, die mit ernster Miene in einem hellen Raum an einem Tisch sitzt und einen hellen Brei isst; vor ihr auf dem Tisch sind mehrere Dokumente ausgebreitet, darunter ein Schreiben mit der Unterschrift "Ihr Organspendeausweis".
Der toxikologische Sachverständige Dr. H. hat in seinem Gutachten zur Untersuchung der bei der Sektion der Geschädigten am 16. Juli 2021 zurückbehaltenen Organproben, Beigaben, Körperflüssigkeiten und Haare berichtet, dass er im Leber- und Nierengewebe Chloroquin nachgewiesen habe. Aufgrund der langen Halbwertszeit des Chloroquins in diesen Organen sei dieser Befund mit einer Einnahme einer höheren Dosierung am 24. Juni 2021 vereinbar. 80 handelsübliche Tabletten des kardiotoxischen Chloroquins seien durchaus geeignet, zum Tod durch Herzstillstand zu führen, wenn sie vollständig resorbiert würden. Im Falle eines Erbrechens der Tabletten vier Stunden nach oraler Einnahme sei von außen betrachtet nicht erkennbar, welche Mengen der Körper schon resorbiert habe bzw. bei einem teilweisen Verbleib im Körper noch resorbieren werde. Medizinisch betrachtet sei es daher klar indiziert gewesen, die Person zur umgehenden Entgiftung, weiteren Beobachtung und gegebenenfalls Sicherung der Vitalfunktionen – insbesondere auch der Herzfrequenz – stationär aufzunehmen.
Die Einlassungen des Angeklagten zum Geschehen am 25. Juni 2021 sind insbesondere durch die Aussagen der Zeugen P. , B. , Pf. , Sch. und J. bestätigt worden, die den Ablauf, einander bestätigend und ergänzend, wie unter II. 4. dargestellt beschrieben haben.
Der von dem Angeklagten berichtete formale Ablauf der Unterbringung der Geschädigten ist neben den Aussagen der Ärzte der Bodelschwingh-Klinik, Dr. Sch. und F. , durch zahlreiche Dokumente bestätigt worden, namentlich den vorläufigen Arztbrief vom 27. Juni 2021, den Unterbringungsbeschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 28. Juni 2021, die von der Geschädigten verfasste Beschwerde gegen diesen, das ärztliche Zeugnis der Bodelschwingh-Klinik über den Wegfall der Voraussetzung en der Unterbringung nach dem PsychKG vom 8. Juli 2021 sowie den die Unterbringung aufhebenden Beschluss des Landgerichts Berlin vom 12. Juli 2021.
Die Einlassung zum objektiven Tatgeschehen vom 12. Juli 2021 ist zunächst durch das 11-sekündige Video bestätigt worden, das der Angeklagte an diesem Nachmittag zu Beweiszwecken aufgezeichnete, während die Geschädigte die Infusion mit dem Thiopental in Gang setzte. In dem Video ist Isabell R. zu sehen, die mit dunkler Hose und dunklem Hemd bekleidet auf einem Bett liegt und mit der rechten Hand das Rädchen einer Infusion, die an ihren linken Arm angeschlossen ist, nach oben schiebt. Sie spricht dabei die Worte: "Soll ich aufmachen, ja?", "Lieber Gott, nimm mich bitte auf." sowie – nach Öffnung der Infusion – "Ok. Ich hab‘s ganz auf." Im Hintergrund ist eine Version des Liedes "Halleluja" zu hören. Ihre Stimme klingt dabei leicht bedrückt, aber klar; Anhaltspunkte für kognitive Beeinträchtigungen haben sich für die Kammer daraus nicht ergeben.
Ferner sind in dem Hotelzimmer von der Geschädigten unterschriebene Erklärungen anlässlich der Freitodbegleitung – nämlich sowohl die unterschriebenen Formulare "Einleitung meines Freitods / Freistellung von der Garantenpflicht" und "Freitodverfügung" vom 12. Juli 2021 als auch eine handschriftliche Erklärung zur Nichteinleitung von Entgiftungs- und Wiederbelebungsmaßnahmen von diesem Tag – sichergestellt worden. Das objektive Tatgeschehen zum 12. Juli 2021 ist weiter belegt durch das von dem Angeklagten erstellte Protokoll über einen assistierten Freitod vom 12. Juli 2021, die Aussage des Tatortbeamten KOK P. zur Auffindesituation, die Lichtbilder vom Tatort, die aufgefundenen Tatmittel – das Infusionssystem, zwei Infusionsbeutel sowie sieben leere Flaschen Thiopental – sowie durch die Rechnung für Zimmer der Geschädigten im Hotel "M..." nebst Zahlungsbelegs vom 12. Juli 2021, 13:54 Uhr.
Die Einlassung des Angeklagten, dass die Geschädigte an dem Thiopental verstorben sei, ist durch die Sachverständigen des Instituts der Rechtsmedizin der Charité Berlin, Dr. O. und Dr. H. , bestätigt worden. Der Sachverständige Dr. O. hat in seinem Gutachten insbesondere ausgeführt, am 16. Juli 2021 die Obduktion der Geschädigten durchgeführt zu haben. Ihr Leichnam habe insbesondere Zeichen eines akuten todesursächlichen Herzmuskelpumpversagens mit Blutfüllung der Lungen (hämorrhagisches Lungenödem) aufgewiesen; es habe der Verdacht auf eine Intoxikation bestanden. Die Geschädigte habe mit einer Körpergröße von 1,72 Meter sowie einem Gewicht von 55 kg einen schlanken Ernährungs- sowie einen unauffälligen Pflegezustand aufgewiesen. Ferner habe ihr Schädel einen Zustand nach neurochirurgischer Kraniotomie (Eröffnung des Schädelknochens) nach Entfernung eines Gehirntumors (Astrozytom) aufgewiesen; da dieser Eingriff auf der rechten Hirnseite in einem zentralen Bereich des Gehirns stattgefunden habe, könne er Feinmotorikstörungen in der linken Hand der Geschädigten nach sich gezogen haben. Der Sachverständige Dr. H. hat in seinem toxikologischen Gutachten berichtet, dass er im Venenblut und Mageninhalt der Geschädigten große Mengen an Thiopental nachgewiesen habe, die todesursächlich gewesen seien könnten. 7 g Thiopental stellten – bezogen auf eine hypothetische Narkoseeinleitung bei der Geschädigten – eine 25-fache Überdosierung dar.
Dass der Angeklagte im Anschluss an das Versterben der Geschädigten die Polizei angefordert hat, ist durch die Audioaufzeichnung des entsprechenden 110-Notrufs bestätigt worden.
Die Feststellungen zur Tätigkeit des Angeklagten bei der DGHS sowie zu deren Sicherheits- und Sorgfaltskriterien bei der Vermittlung der Freitodbegleitungen beruht auf der Einlassung des Angeklagten sowie auf der diese bestätigenden Aussage des Zeugen Rechtsanwalt Prof. R. , des Präsidenten der DGHS.
Der Zeuge Prof. R. hat der Kammer im Detail das strenge Prozedere geschildert, nach dem die DGHS Freitodbegleitungen durchführt. Insgesamt befassten sich – so der Zeuge – vor der Durchführung einer Freitodbegleitung drei Mediziner und zwei Juristen der DGHS mit dem Fall und müssten ihre Zustimmung hierzu geben; bei Anhaltspunkten für eine psychiatrische Erkrankung würden entsprechende Fachärzte zugezogen. Die Wartezeit nach Beginn der Mitgliedschaft betrage grundsätzlich mindestens sechs Monate; lediglich bei schweren Erkrankungen im Endstadium oder bei sehr hoher körperlicher Schmerzsymptomatik gebe es Ausnahmen, wohingegen Fälle mit hohem psychischen Leidensdruck von der DGHS abgelehnt würden.
Sobald Ambivalenzen hinsichtlich der Freitodentscheidung aufträten, werde ein Fall entweder seitens der Geschäftsstelle nicht an das den Suizid begleitende Freitodbegleiter-Team, welches aus einem Arzt und einem Juristen bestehe, weitergereicht oder gegebenenfalls vor Ort von dem Team abgebrochen. Solche Ambivalenzen lägen vor, sobald der Klient mit seinem Entschluss, sich das Leben zu nehmen, hadere oder es diesbezüglich anderweitige Unsicherheiten gebe, z.B. den Wunsch, doch noch einmal eine neue Therapie zu versuchen. Nach einem solchen Abbruch nähmen die DGHS bzw. das Freitodbegleiter-Team dann auch keinen Kontakt mehr mit dem Klienten auf; dieser müsse sich, nachdem er sich gefestigt habe, von sich aus wieder melden. Für die Prüfung der Freiverantwortlichkeit eines Suizidwunsches gebe es jedoch keine medizinischen Leitlinien. Das Problem der Dauerhaftigkeit eines Suizidwunsches stelle sich bei der DGHS aufgrund der langen Verfahrensdauer nicht. Wichtig sei insofern, dass man bezüglich des Suizidwunsches nicht mehr von einem Affekt sprechen könne. Eine Karenzzeit von mindestens zehn Tagen, wie sie einer der Gesetzesentwürfe zur Regelung der Sterbehilfe aus dem Jahr 2023 vorgesehen habe, erscheine ihm – dem Zeugen – insofern plausibel.
Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen würden von der DGHS nicht per se abgewiesen werden. Bei chronischen Depressionen werde zunächst geschaut, ob die Depression Folge einer schweren somatischen Erkrankung sei; in diesem Fall stellten sich in der Regel keine Probleme. Bei primären Depressionen sei die Lage anders; hier fordere die DGHS zunächst das Attest des behandelnden Facharztes an, ob die Urteils- und Entscheidungsfähigkeit gegeben sei, und gegebenenfalls noch ein ergänzendes psychiatrisches Gutachten. Fälle akuter Depressionen akzeptiere die DGHS hingegen nicht bzw. breche sie nach Bekanntwerden ab. Auch die Geschädigte wäre – so der Zeuge Prof. R. – im vorliegenden Fall von der DGHS sicher abgelehnt worden.
Dieses Prozedere wende die DGHS seit Mitte des Jahres 2020 an; es habe sich bis heute im Wesentlichen nicht geändert. Der Angeklagte sei seit Anfang des Jahres 2021 bei der DGHS als Freitodbegleiter tätig, die seitdem bis Ende 2023 etwa 85 Fälle an ihn vermittelt habe. In zehn dieser Fälle habe er – Prof. R. – selbst mit dem Angeklagten, mit dem er auch wiederholt über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 diskutiert habe, als Freitodbegleiter zusammengearbeitet.
Die Kammer hat bei ihrer Entscheidung bedacht, dass das Prozedere der DGHS danach in Teilen strengere Anforderungen aufstellt, als es die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs erfordert. Sie hat dieses Prozedere insofern nicht als Maßstab für die rechtliche Zu- bzw. Unzulässigkeit des Handelns des Angeklagten genommen. Der Angeklagte hatte zur Überzeugung der Kammer durch seine streng reglementierte Tätigkeit für die DGHS und seine Auseinandersetzung mit den Grundlagen für deren Tätigkeit jedoch ein geschärftes Bewusstsein dafür gewonnen, welche medizinischen und rechtlichen Anforderungen an sein Handeln gestellt werden und welche Risiken dieses insoweit birgt.
Der Angeklagte sei ihm – so der Zeuge Prof. R. weiter – durch seine ruhige Verhaltensweise, reflektierende und sorgfältige Art sowie durch seine starke Empathie mit den Patienten positiv aufgefallen; er habe einen hohen ethischen Anspruch an sich und lasse sein Handeln sehr stark davon leiten.
Diesen Eindruck des Zeugen Prof. R. bezüglich des Angeklagten haben auch die auf Anregung der Verteidigung vernommenen Zeugen M. , Bl. und A. bestätigt. Die Zeugin M. , eine 42-jährige Frau mit posttraumatischer Belastungsstörung, schweren Depressionen und seit über einem Jahrzehnt bestehendem Suizidwunsch, hat berichtet, dass sie im Dezember 2022 den Angeklagten im Rahmen einer akuten Krise kontaktiert und mit erheblichem emotionalem Nachdruck um eine schnelle Suizidhilfe ersucht habe. Er habe ihr zugehört, sie ernst genommen und von einem unmittelbar bevorstehenden "Gewaltsuizid" – die Zeugin befand sich während des Telefonats mit dem Angeklagten in einem Auto auf der Autobahn und hatte ihm angekündigt, gegen den nächsten Pfeiler fahren zu wollen – abgebracht. Die Sterbebegleitung mit seiner Unterstützung habe aufgrund eines fehlenden psychiatrischen Gutachtens zum Vorliegen der Eigenverantwortlichkeit sowie nunmehr aufgrund des laufenden hiesigen Strafprozesses noch nicht stattfinden können; obwohl ihr Suizidwunsch weiterhin bestehe, sei sie froh, sich damals nicht suizidiert zu haben. Die Zeugin Bl. und der Zeuge A. haben insbesondere ausgesagt, dass der Angeklagte bei der Freitodbegleitung ihrer Angehörigen über die DGHS – im Fall der Zeugin Bl. deren 86 Jahre alter, an Krebs erkrankter Vater, im Fall des Zeugen A. dessen an einem Glioblastom erkrankter 40-jährige Sohn – ruhig, professionell und mit großer Empathie vorgegangen sei, wobei er in beiden Fällen wegen der Dringlichkeit des Suizidwunsches aufgrund der starken somatischen Beschwerden die von der DGHS vorgesehene Wartefrist verkürzt habe.
3. Leben und Erkrankung der Geschädigten
Die Kammer ist aufgrund der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass die Geschädigte seit rund 16 Jahren wahrscheinlich unter einer bipolaren affektiven Störung mit im Tatzeitraum gegenwärtiger mittelgradiger depressiver Episode (ICD-10 F31.3) litt; differentialdiagnostisch hat sie aber auch das Vorliegen einer rezidivierenden depressiven Störung mit im Tatzeitraum gegenwärtiger mittelgradiger Episode (ICD-10 F33.1) nicht vollständig ausschließen können. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden Diagnosen war für hiesigen Schuld- und Rechtsfolgenfragen nicht erheblich. Zudem hat die Kammer einen langjährigen schädlichen Gebrauch von Cannabinoiden (ICD-10 F12.1) festgestellt, der für die hiesigen Schuld- und Rechtsfolgenfragen ebenfalls nicht erheblich war.
a) Lebensweg und allgemeine Krankheitsgeschichte
Die Feststellungen zu dem Leben und der Krankheitsgeschichte der Geschädigten bis Ende Mai 2021, zu denen die Einlassung des Angeklagten mangels Kenntnis der Geschädigten bis zu diesem Zeitpunkt wenig beigetragen hat, beruhen insbesondere auf den Angaben ihrer Mutter, der Zeugin R. , ihrer Halbschwester Anna Rö. , ihrer Studienfreundin N. P. , ihres Jugendfreundes Simon Ma. sowie auf den Angaben der ermittelnden Kriminalbeamtinnen KHK’in W. und KK’in L. , die über den Inhalt der Zeugenvernehmungen der behandelnden Psychiater der Geschädigten Dr. W. und Dr. H. berichtet haben. Die vorgenannten Beweismittel haben insgesamt ein schlüssiges Bild des Lebens der Geschädigten sowie ihrer Krankheitsgeschichte gezeichnet.
Die Kammer ist danach zu der Überzeugung gelangt, dass die psychische Verfassung der Geschädigten von 2013 bis jedenfalls etwa Mitte 2020 stabil war. Dies ergibt sich ausdrücklich aus den Behandlungsunterlagen und Angaben von Frau Dr. W. und folgt auch aus dem Verhalten der Geschädigten; diese hatte sich nach dem Wiederauftreten der depressiven Symptome im Herbst 2020 umgehend und wiederholt hilfesuchend an ihre beiden Behandler Dr. W. und Dr. H. gewandt, während sie in der Zeit davor nur in größeren Abständen Kontakt zu ihnen gehalten hatte, wobei das von ihr neben dem Phasenprophylaktikum (Lamotrigin) eingenommene Antidepressivum (Fluoxetin) Ende 2016 auf ihren Wunsch zunächst reduziert und dann vollständig abgesetzt worden war, weil es – wie Frau Dr. W. der Vernehmungsbeamtin L. berichtet hat – "weiter gut ging" und ein zusätzliches Antidepressivum deshalb neben der Phasenprophylaxe nicht nötig erschien.
Die Zeugen R. , Rö. , P. und Ma. haben zunächst übereinstimmend die Geschädigte als grundsätzlich freundliche und lebensfrohe Frau beschrieben, die tierlieb, empathisch sowie sozial aktiv gewesen sei; eine selbstorganisierte, zielstrebige Frau, die gewusst habe, was sie wollte, gern in der freien Natur gewesen und vereist sei und die gerne und herzhaft gelacht habe.
Die Zeugin R. hat der Kammer weiter die Kindheit, Jugend und Adoleszenz der Geschädigten sowie den Verlauf von deren depressiven und – wohl – manischen Phasen bis zum Jahr 2013 einschließlich des zweiten Suizidversuchs mit Valproat wie festgestellt geschildert. Nach dem Umzug nach Berlin habe sie weniger Kontakt mit ihrer Tochter gehabt, sie hätten aber telefoniert und sich bei deren Besuchen in Bayern wiedergesehen. Während der Unterbringung Ende Juni 2021 sei sie zwar zu ihr nach Berlin gefahren, die Geschädigte habe sie jedoch nicht sehen wollen; den Grund dafür wisse sie nicht.
Die Zeugin Rö. hat zunächst die Angaben ihrer Mutter zu der gemeinsamen Kindheit und Jugend mit der Geschädigten bestätigt und weiter unter anderem ausgesagt, dass sie wegen des Wegzugs der Geschädigten zu den Großeltern zunächst keinen engen Kontakt zu ihrer Halbschwester gehabt habe; dieser habe sich erst später, als sie beide bereits erwachsen gewesen seien, ergeben. Die Jahre des Studiums hätten die Geschädigte stark belastet und sie habe häufiger von Überforderungen und Zukunftsängsten berichtet. So schlimm, wie es ihr in den Monaten vor dem 24. Juni 2021 ergangen sei, sei es aber zuvor während ihres Studiums nie gewesen. Kurz vor dem Suizidversuch am 24. Juni 2021 habe ihr die Geschädigte berichtet, dass sie nicht einmal ihr Hund noch glücklich mache, was die Zeugin als sehr ernstes Warnsignal verstanden habe.
Der Zeuge Ma. , ein ehemaliger Schulfreund der Geschädigten, der sie seit der sechsten Klasse kannte und der auch nach dem Abitur den Kontakt zu ihr hielt, hat zunächst berichtet, bis zum gemeinsamen Abitur im Jahr 2003 in der Schule fast täglichen Kontakt zu ihr gehabt zu haben. Danach hätten sie – zuletzt insbesondere über WhatsApp – ca. einmal im Monat miteinander geschrieben oder telefoniert und sich gelegentlich bei Besuchen der Geschädigten in Bayern oder seinen Besuchen in Berlin getroffen. Im Jahr vor ihrem Tod habe sich der Kontakt intensiviert, da sie mehr Redebedarf gehabt habe. In ihren Teenagerjahren habe sie eine "wildere Phase" gehabt und in München mehrere Drogen "mal durchprobiert", zuletzt habe sie nur noch zur Beruhigung Cannabis geraucht, wobei dieses seiner Einschätzung nach bei ihr keine Änderungen im Charakter oder Gemütszustand bewirkt habe. Stimmungsschwankungen habe er bei ihr nicht festgestellt, auch nicht in der Lockdownphase des Jahres 2020, als sie einmal zehn Tage in Folge bei ihm gewohnt habe. Der Zeuge hat die Geschädigte grundsätzlich als lebensfrohe, selbstorganisierte, zielstrebige und starke Frau beschrieben. Rund sechs Monate vor Ihrem Tod hätten die depressiven Symptome bei ihr begonnen; von anderen Erkrankungen, wie z.B. einer Manie, habe er hingegen nie etwas erfahren. Zuletzt habe er sie als ausgelaugt erlebt, was ein "krasser Kontrast" zu ihrem früheren Selbst gewesen sei. Der "Kipppunkt" für diese Verschlechterung sei seiner Ansicht nach das anstehende Schlachthofpraktikum gewesen. Der Termin hierzu sei immer näher gerückt und sie habe sich immer mehr Sorgen gemacht und versucht, das Praktikum zu umgehen. Ihre Sorge habe er für berechtigt gehalten; da sie ein sehr tierlieber und sensibler Mensch gewesen sei, wäre es schwierig und unter Umständen traumatisierend für sie geworden und hätte im schlimmsten Fall bleibende Schäden bei ihr verursacht. Die Geschädigte habe ihm zudem von einem belastenden Streit mit einer ihrer Schwestern sowie von erheblichen Schlafproblemen berichtet.
Auf der Aussage der Zeugin P. beruhen insbesondere die Feststellungen der Kammer zur Studienzeit der Geschädigten. Die Zeugin hat den Verlauf des Studiums und die Freizeitgestaltung der Geschädigten in Berlin wie unter II. 1. lit. b) festgestellt beschrieben. Seit dem Jahr 2018 habe sie eine sehr intensive Freundschaft mit der Geschädigten geführt. Da sie eine der wenigen Personen sei, denen auch der Hund B... der Geschädigten vertraut habe, habe sie auf deren Wunsch gelegentlich auf ihn aufgepasst, so auch am 24. Juni 2021. Die Geschädigte habe erheblich unter dem Studium gelitten; in den Belastungsphasen der Klausuren hätten sie insbesondere Schlafstörungen geplagt. Von der Depression habe ihr die Geschädigte erstmalig in einer Sprachnachricht am 23. März 2021 berichtet; zuvor habe sie bei der Geschädigten keine Depressionen wahrgenommen, wobei sich ihre Stimmung seit dem Herbst 2020 jedoch sukzessiv erheblich verschlechtert gehabt habe.
Der Zeuge B. hat angegeben, er habe die Geschädigte über die Zeugin P. , seine Lebensgefährtin, kennengelernt. Die beiden Frauen seien eng miteinander befreundet gewesen und so habe auch er die Geschädigte regelmäßig, d.h. über mehrere Jahre mindestens zweimal im Monat, bei gemeinsamen Freizeitaktivitäten getroffen. Die Geschädigte sei viel in der Welt umhergereist und habe gerne neue Erfahrungen gemacht. Gesundheitliche oder psychische Probleme seien ihm bei ihr in der Zeit vor dem 25. Juni 2021 nicht aufgefallen; sie habe lediglich einmal berichtet, vor langer Zeit eine Psychotherapie gemacht zu haben, Details dazu seien ihm aber nicht bekannt. Auch habe er von ihrer lange zurückliegenden Operation wegen des Gehirntumors gewusst. Hinweise auf eine Depression, wie Antriebsarmut oder Freudlosigkeit, habe er damals, auch bei ihrem letzten Treffen ca. einen Monat vor dem 24. Juni 2021, nicht bei ihr gesehen. Sie habe aber, genauso wie seine Lebensgefährtin, unter dem Stress des Studiums gelitten, zumal sie mit einem der Professoren, der ihr gegenüber sexistisch und benachteiligend gewesen sei, Probleme gehabt habe. Da ihm die Krankheitsgeschichte der Geschädigten bis dahin nicht bekannt gewesen sei, seien die Ereignisse vom 24. und 25. Juni 2021 für ihn ein "krasser Bruch" in seiner Vorstellung von der Geschädigten gewesen.
Die Zeugin KHK’in W. hat in der Hauptverhandlung über die Angaben des langjährigen Psychotherapeuten der Geschädigten Dr. H. berichtet, die dieser ihr gegenüber in der polizeilichen Vernehmung am 9. September 2021 gemacht hat. Dr. H. habe ihr insbesondere den Krankheitsverlauf in der Zeit von Ende 2015 bis Anfang Juni 2021 geschildert. Demnach sei die Geschädigte bis zu Beginn des Jahres 2020 – trotz teilweise erheblicher Belastungen durch ihr Studium, eine als schwierig erlebte Partnerschaft, Ärger mit Professoren, die Trennung von ihrem Partner, den Streit mit ihrer Schwester Sarah sowie einer gewissen Vereinsamung durch die Einschränkungen in der Covid-19-Pandemie – "stabil" geblieben. Seit April oder Mai 2021 habe sie – so Dr. H. – eine depressive Episode gehabt; sie habe unter Schlaflosigkeit und Antriebslosigkeit gelitten, habe ihre Körperhygiene sowie die Ordnung in ihrer Wohnung vernachlässigt und habe sich partiell nicht mehr motivieren können, ihre Wohnung zu verlassen, z.B. um einkaufen zu gehen. Er habe die Gefahr, in der sie geschwebt habe, erkannt und ihr dringend geraten, in eine Tagesklinik oder in die Bodelschwingh-Klinik zu gehen; die Geschädigte habe diese Ratschläge aber abgeblockt. Er sei dann Mitte Juni in einen zweiwöchigen Urlaub gefahren und habe erst danach von ihrem Suizidversuch am 24. Juni 2021 erfahren.
Die Zeugin KK’in L. hat in der Hauptverhandlung über die Angaben der behandelnden Psychiaterin der Geschädigten Dr. W. zum Verlauf insbesondere der medikamentösen Therapie berichtet, die diese ihr gegenüber in der polizeilichen Vernehmung am 14. September 2021 machte; zum Inhalt der Angaben wird auf die ihnen entsprechenden Feststellungen unter II. verwiesen. Weiter hat die Zeugin die Angaben der Psychiaterin unter anderem dahin wiedergegeben, dass nach der fachlichen Einschätzung von Frau Dr. W. die Geschädigte keinesfalls "austherapiert" gewesen sei; etwas Derartiges sei zwischen ihnen – der Geschädigten und Dr. W. – auch nie besprochen worden. Es sei – so Dr. W. – aber bekannt, dass Patienten in schweren depressiven Phasen entsprechende Gedankengänge entwickeln könnten. Die Chance, dass die damalige schwere depressive Phase bei der Geschädigten wieder abgeklungen wäre, habe – so Dr. W. weiter – bei "quasi 100 %" gelegen.
b) Krankheitsverlauf vom 1. bis 24. Juni 2021
Dass sich ab etwa Juni 2021 die depressive Symptomatik der Geschädigten weiter verstärkt hatte, folgt zunächst aus den Angaben der Geschädigten gegenüber ihrem Behandler in der Bodelschwingh-Klinik, dem Zeugen F. . Dieser hat unter anderem ausgesagt, dass Isabell R. ihm berichtet habe, seit Anfang des Jahres an einer anhaltenden depressiven Stimmung gelitten zu haben, die sich in den Wochen vor dem (ersten) Suizidversuch weiter verschlechtert habe. Entsprechendes hat der Zeuge auch in dem von ihm verfassten Arztbrief vom 27. Juni 2021 vermerkt.
Bestätigung fand dies in dem Suchverlauf des Mobiltelefons der Geschädigten, das von der Zeugin KHK’in W. ausgewertet worden ist. Aus diesem ließen sich die Web-Suchen der Geschädigten rekonstruieren, wobei sich die Auswertung allerdings auf den Zeitraum ab Juni 2021 beschränkte. Danach suchte Isabell R. ab dem 3. Juni 2021 wiederholt nach Suizidmöglichkeiten, zunächst durch Erhängen mittels Gürtels. In den kommenden Tagen folgten zahlreiche Anfragen zu Suizidformen, insbesondere zum Erhängen, aber auch zu Liquid Ecstasy- und GBL-Überdosierungen, Brückenstürzen, Beschaffung von Pentobarbital über das Darknet sowie Chloroquin. Am 12. Juni 2021 stieß die Geschädigte bei ihren Recherchen erstmals auf den Angeklagten. Ab dem 16. Juni 2021, einen Tag nach dem Erstgespräch mit ihm, suchte sie verstärkt nach der Suizidmethode mittels Chloroquin. Zugleich suchte sie in diesem Zeitraum zwar auch nach Behandlungsmöglichkeiten gegen ihre Depression, insbesondere nach den Medikamenten Citalopram, Escitalopram (Cipralex) und Ketamin, nach einer schamanischen Behandlung durch rituelles Heilen in Berlin sowie einer Depressionsbehandlung mittels rTMS-Neuromodulation; diese Suchanfragen nahmen jedoch im Verlauf des Monats ab, ab dem 9. Juni 2021 überwogen die auf eine Suizidbegehung ausgerichteten Anfragen deutlich.
Die Kammer hat insbesondere aufgrund dieser Suchanfragen nicht ausschließen können, dass der Suizidwunsch der Geschädigten spätestens ab dem 9. Juni 2021 bis einschließlich zum ersten Suizidversuch am 24. Juni 2021 ernstlich gefasst und beibehalten worden war. Sie hat die Suchverläufe auch zum Anlass genommen, der Einlassung des Angeklagten zu folgen, die Geschädigte habe ihr bei seinem Besuch am 15. Juni 2021 den Heizkörper im Badezimmer gezeigt, an dem sich erhängen würde, denn dies haben ihre zahlreichen Suchanfragen zum Erhängen nahegelegt. Die Geschädigte hatte sich zumindest gedanklich mit einem solchen "Gewaltsuizid" beschäftigt, weshalb die Kammer auch der weiteren Einlassung des Angeklagten gefolgt ist, dass er ernsthaft befürchtet habe, dass die Geschädigte sich alternativ allein in ihrem Badezimmer erhängen würde. Ob sich die Geschädigte hingegen auch ohne seine Hilfe tatsächlich "gewaltsam" das Leben genommen hätte, war als hypothetischer Verlauf nicht aufklärbar und letztlich für die rechtliche Würdigung auch nicht von Bedeutung. Die Kammer hatte hieran allerdings Zweifel, da die Geschädigte hierzu nach Einschätzung ihrer Halbschwester, der Zeugin Rö. , nicht in der Lage gewesen wäre. Dies hat Isabell R. im Übrigen auch der – in der Hauptverhandlung erkrankungsbedingt nicht gehörten – Zeugin Hü. gegenüber ausdrücklich erklärt, der sie – wie die polizeiliche Vernehmerin der Zeugin, KHK’in W. , berichtet hat – noch während ihr Unterbringung in der Bodelschwingh-Klinik mitgeteilt hat, dass sie, wenn es den Angeklagten nicht gäbe, "am Leben bleiben müsste", weil sie sich "nicht traue, sich vor einen Zug zu schmeißen".
Zu ihren Gefühlen in diesem Zeitraum hatte sich die Geschädigte insbesondere der Zeugin Rö. offenbart. Nach deren Aussage habe die Geschädigte ihr im Krankenhaus zu dem Suizidversuch vom 24. Juni 2021 berichtet, dass sie keine Hoffnung und Zukunftsperspektive mehr gesehen habe, dass "alles dunkel und schwarz gewesen" sei; sie habe keine Kraft mehr gehabt, sich "wie ausgelaugt gefühlt" und "nichts Positives" mehr gesehen. In einer Sprachnachricht an die Zeugin P. am 2. Juli 2021, 17:44 Uhr, berichtete die Geschädigte dieser zudem, dass sie "maximal verzweifelt" gewesen sei, trotz aller Hilfe, die sie in Anspruch genommen habe; dass sie sich gesagt habe, sie könne so nicht mehr weiterleben. Insbesondere die Aussage der Zeugin Rö. hat maßgeblich zu der Überzeugung der Kammer beigetragen, dass sich die bestehende depressive Episode spätestens seit Anfang Juni 2021 erheblich auf das emotionale Erleben der Geschädigten ausgewirkt hat und dass der Suizidwunsch ein Symptom der akuten Depression war.
Den Angaben der Psychiater Dr. W. und Dr. H. zufolge haben diese die Geschädigte zuletzt am 2. Juni 2021 (Dr. W. ) bzw. am 10. Juni 2021 (Dr. H. ) gesehen. Beide Ärzte haben die Geschädigte ausweislich ihrer Angaben in ihren polizeilichen Vernehmungen auf den ihrer Ansicht nach dringend erforderlichen Klinikaufenthalt hinwiesen. Dr. H. beschrieb die Geschädigte in seinen Unterlagen zum 10. Juni 2021 als wortkarg, ratlos und unverändert im Stimmungstief; seinen bevorstehenden Urlaub erlebe sie so, dass sie wieder jemand im Stich lasse.
c) Krankheitsverlauf nach dem 24. Juni 2021
Die Feststellungen der Kammer zu dem allgemeinen Krankheitsverlauf der Geschädigten nach dem 24. Juni 2021 beruhen insbesondere auf den Angaben der Zeugen Hü. (über KHK’in W. ), F. , Rö. und P. .
Die Angaben der Zeugin Hü. , einer Kommilitonin und engen Freundin der Geschädigten R. , die die Zeugin in ihrer polizeilichen Vernehmung am 1. September 2021 tätigte, sind in der Hauptverhandlung von der Vernehmungsbeamtin KHK’in W. wie folgt berichtet worden: Ihrer – der Zeugin Hü. – Erinnerung nach habe sich der Zustand der Geschädigten seit etwa Oktober 2020 verschlechtert; dies habe sich insbesondere in Niedergeschlagenheit, Traurigkeit, Antriebslosigkeit sowie einer gewissen Verzweiflung geäußert. Von Suizidgedanken habe ihr die Geschädigte zunächst aber noch nicht berichtet. In den anschließenden Monaten bis Mitte Juni 2021 hätten sie nicht so viel Kontakt miteinander gehabt.
Sie – die Zeugin Hü. – habe die Geschädigte dann aber während der Unterbringung im Juni 2021 mehrmals in der Klinik besucht, täglich mit ihr telefoniert sowie über Chats und Sprachnachrichten kommuniziert. Sie habe in früherer Zeit ebenfalls unter Depressionen gelitten und bereits einen fehlgeschlagenen Suizidversuch hinter sich, daher habe die Geschädigte ihr vertraut und ihr auch von einem weiteren Suizidplan, dem "Plan B", mit Hilfe des Angeklagten unter Verwendung des Barbiturats Thiopental berichtet. Sie habe die Suizidwünsche der Geschädigten nicht unterstützt und versucht, ihr diese indirekt auszureden, ohne sie dabei zu verschrecken. Sie habe immer wieder die Risiken eines zweiten Fehlschlages und etwaiger Spätfolgen betont, zumindest temporär sei es ihr so auch gelungen, die hin- und hergerissene Geschädigte von einem zweiten Versuch abzubringen. Die Frage der Geschädigten, ob sie ihr für einen Suizid Natriumpentobarbital beschaffen könne, habe sie verneint. Auch habe die Geschädigte ihr gegenüber erwähnt, sich in der Klinik an einem Heizkörper zu erhängen, falls sie noch länger untergebracht bleibe. Sie habe überlegt, dies der Klinik zu melden, es letztlich aber nicht getan, damit sich die Geschädigte nicht von ihr distanziere.
Der Zustand der Geschädigten in der Klinik sei "labil" und "sehr, sehr instabil" gewesen. Die Geschädigte habe Zweifel gehabt, ob sie einen erneuten Suizidversuch unternehmen wolle. Die Äußerungen der Geschädigten für und gegen den Suizid hätten stark geschwankt; mitunter hätten die entsprechenden Phasen nur einen halben Tag oder sogar nur wenige Stunden angehalten und sich ihre Absichten in Bezug auf ein Weiterleben bzw. einen Suizid dann wieder geändert. In guten Phasen habe die Geschädigte ihr zum Beispiel berichtet, dass sie wieder ihre Periode bekommen habe und dies als Zeichen deute, dass ihr Körper leben wolle; auch das Finden eines vierblättrigen Kleeblatts im Hof der Klinik habe sie als entsprechendes Zeichen gewertet. Sie – die Zeugin Hü. – habe nicht gewusst, dass die Geschädigte am 12. Juli 2021 entlassen werden sollte, ansonsten hätte sie sich an das Klinikpersonal gewandt und dieses über die Suizidpläne der Geschädigten aufgeklärt.
Der Zeuge F. hat als behandelnder Arzt der Geschädigten in der Bodelschwingh-Klinik umfangreiche Angaben zum Behandlungsverlauf auf der Station für affektive Störungen gemacht. Zu Beginn der Unterbringung habe die Geschädigte ihm misstrauisch und gereizt gegenübergestanden; ihre Stimmung sei stark gedrückt gewesen und sie habe die Ansicht gehabt, man könne ihr in der Psychiatrie nicht helfen. Ihren Suizidversuch vom 24. Juni 2021 habe sie bagatellisiert und es bereut, dass er nicht erfolgreich gewesen sei. Sie sei ihrer Ansicht nach "austherapiert", nichts könne ihr mehr helfen.
Im Verlauf der Unterbringung sei sie in ihrer Stimmung dann deutlich aufgehellt gewesen und habe sich ihm gegenüber in Gesprächen zunehmend geöffnet. Es habe in dem Verlauf der zwei Wochen aber auch immer wieder Phasen gegeben, in denen sie sich vermehrt zurückgezogen habe – zur Überzeugung der Kammer waren dies die Phasen, die von den Zeuginnen Rö. , P. und Hü. als Rückfall der Geschädigten in die depressive Symptomatik einschließlich erneuter Suizidabsichten beschrieben wurden.
Im Verlauf der Unterbringung habe sich die Geschädigte – so der Zeuge F. weiter – mit vielen Mitpatienten angefreundet, habe sich ihm gegenüber zunehmend vom Suizid distanziert und realistische Zukunftspläne geäußert. Im Garten der Klinik habe sie auch ein Treffen mit einer Verhaltenstherapeutin gehabt. Auf der Station hätten sie dann gemeinsam beschlossen, dass sie wieder etwas Verantwortung übernehmen könne und ihr begleitete sowie ab dem 5. Juli 2021 auch unbegleitete Ausgänge erlaubt; diese habe die Geschädigte dann auch beanstandungslos wahrgenommen. Am Ende habe sie aber darauf gedrängt, dass die Unterbringung vorzeitig beendet werde. Nach Rücksprache mit seiner Oberärztin habe er hierin eingewilligt. Der Zustand der Geschädigten habe sich seiner damaligen Einschätzung nach zwar deutlich gebessert gehabt und es habe keine Eigengefährdung mehr bestanden, womit der Grund für die Unterbringung entfallen sei. Sie sei aber weiterhin nicht geheilt gewesen, weshalb er ihr angeboten und dringend nahegelegt habe, freiwillig weiter auf der Station zu bleiben und an den Gruppensitzungen teilzunehmen. Auch habe sie einer stärkeren Medikation bedurft. Sie habe all dies abgelehnt und ihm gesagt, dass sie sich selber um eine Anschlussbehandlung kümmern werde; sie wolle zunächst zu ihrer Familie nach Bayern und sich dort etwas erholen. Bei ihrer Entlassung am 12. Juli 2021 habe sie auf ihn gefasst und in guter Stimmung gewirkt.
Die Zeugin Rö. hat unter anderem ausgesagt, ihre Halbschwester Isabell R. nach dem Suizidversuch in der Zeit vom 5. bis 8. Juli 2021 täglich im Krankenhaus besucht zu haben. Ihr Zustand habe sich im Verlauf dieser Tage zwar insgesamt gebessert, sei aber auch schwankend gewesen. So habe sie, im Gegensatz zu den Monaten zuvor, auch wieder gelacht und sei erfreut gewesen, dass sie – die Zeugin Rö. – sie besuche; in diesen Phasen habe die Geschädigte recht normal gewirkt. Auch habe diese ihr gesagt, dass sie wieder ihre Tage bekommen habe, was sie als Zeichen gedeutet habe, dass es ihrem Körper wieder besser gehe. Andererseits sei die Geschädigte zu der Zeit manchmal auch "sehr down" gewesen, mal sauer, mal wütend, dann habe sie wieder gelacht; es sei "eine komplette Mischung" gewesen. Am 8. Juli 2021 sei es der Geschädigten ihrem Eindruck nach besser gegangen, sonst wäre sie – die Zeugin – auch nicht wieder zurück nach Bayern gefahren. Die Geschädigte habe ihr versprochen gehabt, keinen erneuten Suizidversuch zu unternehmen. In ihrem Abschiedsbrief an sie habe die Geschädigte sich dann dafür entschuldigt, ihr Versprechen gebrochen zu haben.
Auch die Zeugin P. hat der Kammer berichtet, dass die Stimmung der Geschädigten während der Unterbringung zahlreichen starken Schwankungen unterlegen habe, die sie – die Zeugin – sonst nicht von ihr gekannt habe. Diese Schwankungen hätten von starker Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit auf der einen Seite bis zu einem hoffnungsvollen Blick in die Zukunft auf der anderen Seite gereicht. Vor dem Suizidversuch vom 24. Juni 2021 habe sie bei den Entscheidungsprozessen der Geschädigten kein solches Hin und Her erlebt; diese habe vielmehr ihre Entscheidungen rational getroffen und sei dann grundsätzlich dabei geblieben; zugleich sei sie aber auch fähig gewesen, unkluge Entscheidungen logisch zu überdenken und gegebenenfalls zu ändern. So habe die Geschädigte, als sie einmal innerhalb ihres Wohnhauses umziehen sollte, eine Pro- und Contraliste geschrieben und sich dann rational für den Umzug entschieden. Auch emotional schmerzhafte Entscheidungen wie die Trennung von ihrem damaligen Freund im Sommer 2020 habe sie entschlossen durchgezogen.
Die vorgenannten Aussagen haben der Kammer eindrucksvoll veranschaulicht, wie stark und auf welche Weise die Stimmung, Welt- und Zukunftssicht der Geschädigten durch die depressive Episode beeinträchtigt waren und dass sie während der Unterbringung (noch immer) in einem erheblich affektlabilen Zustand war. Diese Beweisergebnisse waren mitentscheidend für die anschließenden Feststellungen der Kammer, dass sie sich zur Tatzeit in einer zumindest mittelschweren depressiven Episode befand (unten lit. e)), dass ihre Willensfreiheit im medizinisch-psychiatrischen Sinne affektiv erheblich beeinträchtigt war (unten Nr. 4 lit. c)) sowie dass ihr Todeswunsch in diesem Zeitraum nicht ernsthaft und dauerhaft war (unten Nr. 5).
Die Kammer ist darüber hinaus zu der Überzeugung gelangt, dass dieser Zustand auch dem Angeklagten nicht verborgen geblieben ist. Zwar besaß er keine Kenntnis darüber, was Isabell R. den vorgenannten Zeugen gegenüber erklärt hat; die Geschädigte hatte jedoch auch ihn wiederholt mit ihren wechselnden Suizid- bzw. Zukunfts-Plänen konfrontiert, wobei sie sich selbst als "hin- und hergerissen" bezeichnete bzw. sich ihm gegenüber wiederholt für "das ewige Hin und Her" entschuldigte. Dies hat der Angeklagte offenbar auch selbst so wahrgenommen, denn er hat in seiner Einlassung erklärt, dass es (auch) ihn belastet habe, dass es "hin und her gegangen" sei; er habe gehofft, dass die Sache sich "auflöse" und Isabell R. sich wieder dem Leben zuwende. Die Kammer ist auch überzeugt, dass der Angeklagte diese Schwankungen der Geschädigten im Willen als mögliches Symptom ihrer depressiven Erkrankung einzuordnen wusste. Er ist ein langjährig erfahrener (Haus-)Arzt und hat in seiner Einlassung selbst eingeräumt, dass ihm bekannt sei, dass Suizidgedanken Teil des Krankheitsbildes einer Depression seien und dass ein Todeswunsch nach Ende einer akuten depressiven Phase möglicherweise nicht mehr vorhanden sei; in den schlechten Phasen des Lebens sehe man halt überwiegend das Negative. Damit hat er zutreffend die Auswirkungen der affektiven Störung auf das Denken – und in der Folge möglicherweise auch das Handeln – des Erkrankten beschrieben.
d) Diagnose der Grunderkrankung
Die Kammer war insofern sachverständig beraten durch den forensischen Psychiater Dr. Hü. und ist dessen Gutachten nach der gebotenen eigenen Überprüfung gefolgt. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass für die Diagnose der bipolaren affektiven Störung insbesondere spreche, dass durch die Beweisaufnahme bekannt geworden sei, dass die Geschädigte in der Vergangenheit mindestens zwei manische Episoden erlitten habe, wobei eine im engen zeitlichen Kontext mit einer vorangegangenen Einnahme psychotroper Pilze aufgetreten sei. Die Abgrenzung zu einer unipolaren depressiven Erkrankung sei jedoch schwierig und könne ohne weitere – nicht vorliegende – Originalunterlagen nicht mit der gebotenen Sicherheit erfolgen. Sie sei weiter dadurch erschwert, dass bei der Geschädigten zudem von einem langjährigen schädlichen Gebrauch von Cannabinoiden (ICD-10 F12.1) auszugehen sei, dessen Auswirkung zu ihren Lebzeiten psychiatrisch nie erörtert worden sei, was die retrospektive Diagnose ihrer Grunderkrankung erschwere. Auch sei es nicht ausschließbar, dass es zu erheblichen Wechselwirkungen des Cannabis mit den von ihr eingenommenen Psychopharmaka gekommen sei. Die Behandlungsunterlagen von Dr. W. und Dr. H. legten insofern nahe, dass die Geschädigte ihnen diesen wichtigen Umstand nie berichtet habe. Für sein weiteres Gutachten zur Freiheit der Willensbestimmung der Geschädigten sei die Unterscheidung zwischen der bipolaren affektiven Störung und der rezidivierenden (unipolaren) depressiven Störung indes nicht von Bedeutung; relevant sei die Unterscheidung lediglich für die Frage der möglichen weiteren Therapieoptionen.
Auch die Zeugen Dr. Sch. und F. haben ausgesagt, dass die Geschädigte ihrer ärztlichen Einschätzung nach wahrscheinlich an einer bipolaren affektiven Störung gelitten habe, wobei differentialdiagnostisch eine rezidivierende depressive Störung ohne psychotische Symptomatik in Betracht komme. Der Zeuge F. hat angegeben, die Geschädigte habe ihm im Detail nur von einer manischen Episode nach dem Konsum von "Magic Mushrooms" berichtet. Eine weitere manische Phase habe es nach ihren Angaben in ihrer Jugend gegeben; er wisse insofern von ihr lediglich, dass sie einige Tage nicht geschlafen und währenddessen im Antrieb stark gesteigert gewesen sei. Hinweise auf andere manische Phasen hätten sich während der Unterbringung nicht gezeigt. Dass die Geschädigte seit über einem Jahrzehnt keine manischen Phasen aufgezeigt habe, stehe der Diagnose einer bipolaren Störung nicht entgegen, da sie in dieser Zeit durchgängig mit Phasenprophylaktika behandelt worden sei. Die entsprechende durchgehende Behandlung (mit Valproat bzw. Lamotrigin) hat die Geschädigte selbst in ihrer Sprachnachricht vom 5. Juli 2021, 19:59 Uhr, an die Zeugin Hü. berichtet. Dr. Sch. hat die Einschätzung von Dr. Hü. bestätigt, dass die Behandlung einer bipolaren Störung von einer unipolaren Depression insofern abweiche, als dass bei bipolaren Störungen mit dem Einsatz von Antidepressiva zurückhaltender verfahren werde, um keine Manien auszulösen; zudem stehe bei bipolaren Störungen die Phasenprophylaxe stärker im Vordergrund.
Für das vorliegende Verfahren war mithin nicht entscheidend, ob die Geschädigte an einer bipolaren affektiven oder an einer rezidivierenden depressiven Störung erkrankt war.
e) Zumindest mittelgradige depressive Episode im Tatzeitraum
Unabhängig von der Diagnose der Grunderkrankung stand nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Geschädigte spätestens von Anfang Juni 2021 bis einschließlich 12. Juli 2021 unter einer akuten, zumindest mittelgradigen depressiven Episode litt. Die Kammer ist auch insoweit nach der gebotenen eigenen Überzeugungsbildung dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Hü. gefolgt.
Ihm zufolge habe die Geschädigte in diesem Zeitraum zunächst sicher an einer depressiven Episode gelitten. Diese habe als allgemeine Zustandsverschlechterung mit ersten Symptomen im Herbst 2020 eingesetzt; über das Frühjahr 2021 habe sich die depressive Episode verdichtet und im Juni 2021 seien als Folge einer weiteren massiven Verschlechterung die konkreten Suizidpläne entstanden.
Bei der Bemessung des Schweregrades der depressiven Episode habe er sich an den Kriterien der ICD-10 orientiert. Die Geschädigte habe eine stark gedrückte Stimmung sowie Minderung von Freude, Interesse, Konzentrationsfähigkeit und Antrieb gehabt, sei schnell erschöpft und überfordert gewesen und habe sich in ihren Aktivitäten eingeschränkt. Die Kammer hat dies insbesondere in den eindrücklichen Schilderungen der Zeugin Rö. bestätigt gesehen, wonach die Geschädigte zu ihrem Zustand im Juni 2021 berichtet habe, dass sie keine Hoffnung und Zukunftsperspektiven mehr gesehen habe, dass "alles dunkel und schwarz gewesen" sei, dass sie keine Kraft mehr gehabt, sich "wie ausgelaugt gefühlt" und "nichts Positives" mehr gesehen habe.
Nach Auswertung der Zeugenaussagen und Krankenunterlagen hätten im Ergebnis nach der Einschätzung von Dr. Hü. alle drei Hauptsymptome der Depression – depressive Stimmung, Interessenverlust sowie verminderter Antrieb – sowie drei bis vier Nebensymptome – nämlich negative Zukunftsperspektiven, starke Suizidgedanken, erhebliche Schlafstörungen sowie verminderter Appetit – sicher vorgelegen. Somatische Symptome der Depression (wie Müdigkeit oder Kopfschmerzen) seien hingegen ebenso wenig festzustellen wie Wahnsymptome oder Anhaltspunkte für eine gemischte manisch-depressive Episode.
Somit sei nach der ICD-10 unter Berücksichtigung der Anzahl der Nebensymptome am ehesten von einer mittelschweren Episode auszugehen. Bei dem, hier vorliegenden, Auftreten einer schweren Suizidalität sei es – so der Sachverständige – psychiatrisch allerdings auch zulässig, sich von den Kriterien der ICD-10 zu lösen und in der Gesamtschau des Patienten eine schwere Depression zu diagnostizieren. Zu beachten sei ferner, dass selbst eine leichte Depression eine erstzunehmende Erkrankung sei, die für den Patienten sehr leidvoll sein könne; auch korreliere der Grad der Suizidalität nicht notwendig mit dem Schweregrad der Depression nach der ICD-10.
Dass, wie im Verlaufsbericht der Bodelschwingh-Klinik für den 28. Juni 2021 niedergelegt, zu Beginn der Unterbringung der Geschädigten nach den ICD-10 Kriterien auch eine schwergradige depressive Episode ohne psychotische Symptome vorgelegen habe, könne er zwar nicht ausschließen, er halte die Diagnose jedoch für fraglich, weil die Geschädigte zu diesem Zeitpunkt noch unter dem Einfluss der Überdosis Diazepam gestanden habe, das eine mehrtägige Halbwertszeit aufweise. Dr. Hü. hat insofern weiter angemerkt, dass für die Beurteilung der Tat vom 24. Juni 2021 nicht der Zustand Isabell R. s nach Wirkeintritt des Diazepams, sondern kurz vor bzw. zur Zeit von dessen Einnahme entscheidend sei. Die Kammer ist dieser Auffassung gefolgt und hat deshalb auch für diesen Zeitpunkt lediglich das sichere Vorliegen einer mittelschweren depressiven Episode festzustellen vermocht.
Die mittelschwere depressive Episode hat sowohl nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Hü. als auch nach den Aussagen der Ärzte der Bodelschwingh-Klinik F. und Dr. Sch. zum Entlassungszeitpunkt am 12. Juli 2021 noch fortbestanden. Die beiden Behandler haben insofern bekundet, dass die Geschädigte zum Entlassungszeitpunkt noch weit von einer Remission entfernt gewesen sei; es hätte ihrer Einschätzung nach noch ca. ein halbes Jahr der Behandlung bedurft. In dieser Zeit bewegten sich die Patienten in der Regel "auf sehr dünnem Eis". Die Entlassung aus der Unterbringung entgegen ärztlichem Rat ist nach Aussage des Zeugen F. erfolgt, da – so der Zeuge – seiner, rückblickend falschen, Einschätzung nach mangels akuter Suizidalität die Voraussetzungen der Unterbringung nach dem PsychKG nicht mehr vorgelegen hätten. Auch die Entlassungsmedikation von täglich 100 mg Lamotrigin, 100 Mikrogramm Iodid sowie 7,5 mg Mirtazapin sei bereits seiner damaligen Einschätzung nach zu gering gewesen; die Geschädigte habe aber nach wie vor andere Medikamente bzw. eine höhere Dosierung verweigert.
Eine sichere Prognose, wie sich die Erkrankung der Geschädigten bei Nichtdurchführung des Suizids am 12. Juli 2021 entwickelt hätte, konnte Dr. Hü. nicht abgeben, da es – so der Sachverständige – diesbezüglich zu viele Unsicherheitsfaktoren gebe. Er halte es aber für nachvollziehbar, dass die behandelnden Psychiater Dr. H. und Dr. W. von einer guten Prognose ausgegangen seien, zumal die Geschädigte die letzten acht Jahre ohne schwere Symptomatik gelebt habe.
f) Vorhandensein weiterer Behandlungsansätze und Wissen der Geschädigten um diese
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme standen der Geschädigten noch zahlreiche Behandlungsansätze zur Verfügung; sie war somit weder – wie sie annahm und wie es der Angeklagte ihr gegenüber bestätigte – "austherapiert" noch therapieresistent. Die Kammer hat sich auch insofern dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Hü. sowie der damit übereinstimmenden medizinisch-psychiatrischen Einschätzung des (sachverständigen) Zeugen Dr. Sch. angeschlossen.
Der Zeuge Dr. Sch. , der seit mehr als 20 Jahren als Psychiater tätig ist und zur Tatzeit leitender Oberarzt der Station 2 (affektive Erkrankungen) der Bodelschwingh-Klinik war, die Geschädigte urlaubsbedingt aber nie persönlich gesehen hat, hat ausgesagt, dass Isabell R. seiner, auf der Grundlage der Behandlungsunterlagen gebildeten, Einschätzung nach nicht unter einer therapieresistenten Depression gelitten habe und nicht "austherapiert" gewesen sei. Unter Verweis auf die nationalen Versorgungsleitlinien zur Depression aus dem Jahr 2022 gälten Patienten erst dann als therapieresistent, wenn sie auf mindestens zwei unterschiedliche, adäquat (auf)dosierte Antidepressiva aus verschiedenen Wirkstoffklassen über einen angemessenen Zeitraum nicht ansprächen. Dies sei bei der Geschädigten nicht der Fall gewesen. Zwar treffe es zu, dass diese in den 16 Jahren seit Beginn ihrer Erkrankung über einen längeren Zeitraum mit zahlreichen Medikamenten behandelt worden sei; diese hätten jedoch über Phasen gute Wirkung gezeigt und seien zudem, soweit sie eine ausreichende Zeit verabreicht worden seien, sämtlich der Wirkstoffklasse der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) zugehörig gewesen. Soweit sie Medikamente aus einer anderen Wirkstoffgruppe, wie z.B. das Lamotrigin, über einen längeren Zeitraum eingenommen habe, sei dieses mit 100 mg therapeutisch unterdosiert gewesen. Weitere Medikamente aus anderen Wirkstoffklassen, wie das dual wirksame Antidepressivum Venlafaxin, habe sie des Auftretens von Nebenwirkungen wegen schon nach wenigen Tagen abgesetzt, so dass überhaupt keine Wirkung habe eintreten können. "Austherapiert" sei demgegenüber bereits kein wissenschaftlicher Begriff; er sei beeinflussend und gefährlich und werde deshalb in der Behandlung bewusst nicht verwendet.
Auch nach dem Gutachten von Dr. Hü. hätten zahlreiche weitere Behandlungsansätze bestanden, die die Geschädigte noch nicht verfolgt gehabt habe. Zu nennen seien zunächst Maßnahmen der sozialpsychiatrischen Therapie, im Zuge derer es zunächst angezeigt gewesen wäre, die äußeren Belastungen, denen sie ausgesetzt gewesen sei, zu reduzieren, da Stress sich negativ auf die Erkrankung auswirke und die Geschädigte unter ganz erheblichen Stressfaktoren gelitten habe, die zunächst nichts mit ihrer Erkrankung zu tun gehabt hätten. Hinsichtlich des Studiums wäre etwa ein Urlaubssemester, eine temporäre Krankschreibung mit Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme sowie, als Ultima Ratio, auch die Aufgabe des Studiums in Betracht gekommen, bezüglich der Wohnform und ihrer Einsamkeit ein Wechsel in eine (gegebenenfalls therapeutische) Wohngemeinschaft. Auch ein Veränderung der Psychotherapie, entweder durch einen von ihr in Ansätzen bereits initiierten Therapeutenwechsel oder in Form eines anderen Therapieverfahrens, namentlich einer kognitiven Verhaltenstherapie, wäre vielversprechend gewesen.
Ferner führe die Elektrokrampftherapie (EKT) seiner Erfahrung nach mitunter zu erstaunlichen Verbesserungen bei depressiven Patienten und wäre daher ein vielversprechender weiterer Ansatz für die Geschädigte gewesen. Dies hat der Zeuge Dr. Sch. bestätigt, der selbst EKT-Behandlungen durchführt. Die EKT sei seiner Einschätzung nach eine der erfolgreichsten Behandlungsmethoden für Depressionen überhaupt. Viele Patienten hätten aufgrund von Filmen oder Videos aus dem Internet schreckliche Bilder zur EKT vor Augen; diese hätten mit der modernen medizinischen Praxis allerdings nichts gemein, da die Patienten heutzutage narkotisiert und muskelrelaxiert würden und von außen lediglich geringe Kontraktionen der Muskulatur zu erkennen seien.
Auf medikamentöser Ebene wären nach Dr. Hü. zur Behandlung der Depression insbesondere Medikamente aus anderen Wirkstoffgruppen als den SSRI vielversprechend gewesen; atypische Neuroleptika, die Überdosierung von Schilddrüsenhormonen oder eine sog. Off-Label-Anwendung von Medikamenten des amphetaminären Wirkkreises. Als weitere Methode zur Behandlung von bipolaren Störungen sei insbesondere die Lithiumtherapie zu nennen, welche zu einer "Beruhigung" der Nervenbahnen führe; Lithium wirke darüber hinaus auch antisuizidal.
Dr. Hü. hat weiter ausgeführt, dass bei Patienten mit starker Suizidalität kurzfristig die Gabe von Lorazepam (Tavor), 3 mg am Tag, sehr schnelle Abhilfe schaffen könne. Dies sei zwar keine Dauerlösung; der Geschädigten wäre so aber kurzfristig der Leidensdruck genommen und man hätte mit ihr dann neue Möglichkeiten besprechen können. Dieses Vorgehen habe sich bei zahlreichen hochsuizidalen Patienten von ihm in der Vergangenheit sehr bewährt. Die Kammer hat insofern aber bedacht, dass der Geschädigten nach Aussage des Zeugen F. während der Unterbringung die Möglichkeit eingeräumt worden war, Lorazepam abzufordern, und dass die Geschädigte seiner Aussage nach hiervon mehrfach Gebrauch gemacht hat. Inwiefern die wiederholte Einnahme des Lorazepam mitursächlich für die temporären Besserungen ihrer Affektivität waren, hat die Kammer nicht aufklären können.
Nach der Aussage des Zeugen Dr. Sch. seien bei der Geschädigten medikamentös, neben der mit ihr im Rahmen der Unterbringung besprochenen Lithium-, EKT- und Ketamintherapie, insbesondere noch der Einsatz atypischer Antipsychotika, eine Kombinationstherapie mit einem zweiten Antidepressivum, die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS), Monoaminoxidase-Inhibitoren (MAO-Hemmer) sowie therapeutisch der Wechsel auf eine andere Therapieform als Behandlungsalternativen in Betracht gekommen.
Die in von dem Angeklagten in seinem "ärztlichen Gutachten zur Abklärung des Freitodwunsches" getroffene Feststellung, dass die Geschädigte unter einer "schwersten therapieresistenten Depression" leide, war somit medizinisch schlicht falsch, ihre von ihm geteilte Einschätzung, sie sei "austherapiert", jedenfalls aus behandlerischer Sicht untunlich.
Soweit der Angeklagte sich in der Hauptverhandlung wiederholt darauf berufen hat, dass die Geschädigte die Einnahme anderer Medikamente verweigert habe – was die Beweisaufnahme mit Ausnahme der zuletzt von ihr gezeigten Bereitschaft, eine Behandlung mit Ketamin durchzuführen, bestätigt hat –, erkennt die Kammer zwar an, dass der Geschädigten das Recht zustand, auch sinnvolle und potentiell zielführende Behandlungen zu verweigern. Für die Beurteilung, ob sie ihren Suizidwunsch freiverantwortlich gebildet hatte und ob der Angeklagte sie bei einem Suizid als Sterbehelfer unterstützen durfte, gelten jedoch andere Maßstäbe. Denn nach der zugrunde zu legenden Rechtsprechung (vgl. im Detail unten IV. Nr. 1. lit. a)) kommt es darauf an, dass der Suizidwillige – vergleichbar den Grundsätzen bei einer Einwilligung in eine Heilbehandlung – seine Handlungsalternativen zum Suizid erkennt, die jeweiligen Folgen bewertet und seine Entscheidung in der Folge realitätsbezogen in Kenntnis aller erheblichen Umstände und Optionen trifft.
Dies war indes nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gerade nicht der Fall. Der Sachverständige Dr. Hü. hat im Rahmen seines Gutachtens hierzu ausgeführt, dass der Geschädigten zwar die grundsätzliche Möglichkeit der Behandlung mit weiteren Medikamenten und das Vorhandensein anderweitiger Therapieoptionen bekannt gewesen sei; auch habe sie intellektuell gewusst, dass sie ihr Studium hätte unter- bzw. abbrechen können. Aus medizinischer Sicht sei sie vor den beiden Suizidversuchen durch den Angeklagten über ihre Entscheidungsalternativen zum Suizid aber nicht adäquat beraten bzw. aufgeklärt worden. Es seien insbesondere wesentliche nicht-medikamentöse Ansätze von dem Angeklagten überhaupt nicht bedacht worden. Auch habe dieser auf ihren akuten Leidensdruck vorschnell akzeptiert, dass sie neuen Medikamenten kritisch gegenüberstanden habe, und habe sie aufgrund ihrer ablehnenden Haltung gegenüber weiteren Medikamenten fälschlicherweise als "austherapiert" eingestuft.
Nach Aussage des Zeugen Dr. Sch. sei das Wecken einer zunächst nicht bestehenden Therapiebereitschaft insofern wichtiger Teilerfolg einer erfolgreichen Therapie. Das Besprechen und Abwägen der Therapieoptionen sei Teil seiner täglichen Arbeit mit den Patienten; hierbei müsse er immer wieder auf Ängste und Vorbehalte eingehen und falsche Vorurteile bezüglich Nebenwirkungen ausräumen. Viele Patienten mit akuten Depressionen unterschätzten die positiven Wirkungen der Medikamente und überschätzten deren Nebenwirkungen, weil sie die Welt "durch die Brille der Depression" betrachteten, was eine typische Folge einer depressiven Kognition sei. Der Zeuge F. hat insofern bestätigt, dass die Geschädigte seiner Ansicht nach hinsichtlich weiterer Behandlungsalternativen eine Müdigkeit und Resignation entwickelt gehabt habe. Sie habe sich jeweils auf die möglichen Nebenwirkungen zu den Medikamenten versteift und sich selbst – der Einschätzung des Angeklagten folgend – als "nicht mehr therapierbar" eingestuft. Auch die Zeugin KHK’in W. hat insofern ausgesagt, dass die von ihr vernommene Zeugin Hü. berichtet habe, die Geschädigte habe "immer wieder Erklärungen gefunden", warum man ihr mit den zur Verfügung stehenden weiteren Medikamenten nicht mehr aus diesem Tief heraushelfen könne.
Die Kammer hatte keine Zweifel an der Richtigkeit der einander bestätigenden Einschätzungen der beiden behandlerisch erfahrenen Psychiater Dr. Hü. und Dr. Sch. . Dass äußere Stressoren wie etwa die Belastungen eines Studiums maßgeblichen Einfluss auf die psychische Gesundheit diesbezüglich vulnerabler Personen haben und dass die Beseitigung derartiger Faktoren deshalb ein zentraler Behandlungsansatz ist, ist im Übrigen auch allgemein bekannt.
Zur Überzeugung der Kammer waren der Geschädigten im Ergebnis zwar die noch bestehenden Therapieoptionen zumindest partiell bekannt; sie vermochte diese in Bezug auf ihre Besserungschancen und Behandlungsrisiken aber nicht mehr vollständig realitätsgerecht zu bewerten. Ihr Denken, Fühlen und Handeln war maßgeblich von ihren wechselnden Affekten beherrscht; eine nüchterne Bilanzierung – der Idealfall bei einem freiverantwortlichen Suizid – war ihr, als sie ihre Suizidentschlüsse fasste, krankheitsbedingt nicht möglich.
4. Eingeschränkte Freiheit des Suizidwunsches
Die Hauptverhandlung hat ergeben, dass die Geschädigte im Tatzeitraum, insbesondere bei den beiden Suizidversuchen am 24. Juni und 12. Juli 2021, erheblich in ihrer Willensfreiheit eingeschränkt war; nicht sicher feststellen ließ sich hingegen deren vollständiges Fehlen.
Die Kammer ist auch insoweit durch den Sachverständigen Dr. Hü. beraten gewesen und ist dessen Gutachten nach der gebotenen eigenen Würdigung gefolgt. Dr. Hü. ist insofern zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die mittelgradige depressive Episode der Geschädigten im Tatzeitraum zwar nur bedingt auf ihre kognitiven Fähigkeiten, jedoch erheblich auf ihren Affekt und ihre motivationale Steuerung ausgewirkt habe. Die akute Depression habe sich zudem sicher negativ auf ihren Lebenswillen ausgewirkt; der Wunsch zu sterben sei bei ihr Teil der Krankheitssymptomatik gewesen. Ihre Suizidentscheidungen beruhten daher nicht auf einer vollständig freien Willensbestimmung.
Die Kammer ist dem Gutachten des Sachverständigen zwar auch insoweit gefolgt, als er in der Gesamtbetrachtung darüber hinaus zu der Einschätzung gelangt ist, dass vor dem Hintergrund der weithin erhaltenen kognitiven Fähigkeiten Isabell R. s die vorliegenden Anknüpfungstatsachen nicht genügten, um aus medizinisch-psychiatrischer Sicht eine vollständige Aufhebung des freien Willens festzustellen. Hierauf kam es für die Verurteilung bezüglich der Tat vom 12. Juli 2021 aber nicht entscheidend an. Denn die Kammer hat aufgrund der sicher festgestellten erheblichen Schwankungen der Geschädigten hinsichtlich ihres Suizidwunsches sowie der von dem Angeklagten begangenen Täuschung sicher feststellen können, dass ihr Suizidwunsch am 12. Juli 2021 nicht von innerer Festigkeit und Dauerhaftigkeit in dem Sinne getragen war, wie es von der Rechtsprechung für einen freiverantwortlichen Willensentschluss vorausgesetzt wird, und dass der Angeklagte durch sein Verhalten zudem bewusst und in unzulässiger Weise Einfluss auf ihre Entscheidung zur Selbsttötung genommen hat (hierzu im Detail unter III. 5. und 6. sowie unter IV. 1. lit. a)).
a) Grundsätze des freien Willens
Bei dem freien Willen handele es sich – so Dr. Hü. – um ein Konstrukt, das selbst keiner unmittelbaren Überprüfung zugänglich und mit wissenschaftlichen Methoden auch nicht messbar sei. Der freie Wille sei, sowohl in der Medizin als auch im Recht, den Menschen qua Annahme unterstellt und werde infolge gewisser Umstände, wie z.B. starker Wahnsymptomatik, als vermindert oder aufgehoben eingestuft. Der freie Wille sei nicht binär, d.h. entweder vorhanden oder nicht vorhanden, sondern könne auch lediglich in eingeschränkter Form vorliegen.
Menschen mit einer psychiatrischen Erkrankung dürften nicht per se als zu einer freien Willensentscheidung unfähig angesehen werden. Zur medizinisch-psychiatrischen Beurteilung der Willensfreiheit der Geschädigten im Hinblick auf ihre Suizidentschlüsse seien somit auch nicht einzelne Symptome ihrer Erkrankung isoliert zu betrachten, sondern es müsse eine individuelle Gesamtbetrachtung vorgenommen werden, wobei die Hürden für die Aberkennung eines freien Willens hoch lägen. Zu bedenken sei ferner, dass Menschen auch im Zustand des freien Willens in der Lage seien, objektiv sehr unvernünftige Entscheidungen zu treffen.
Aus medizinisch-psychiatrischer Sicht sei es für die Freiheit eines Suizidwunsches, anders als bei den rechtlichen Kriterien der Ernsthaftigkeit bzw. Dauerhaftigkeit, nicht erforderlich, dass dieser über einen gewissen Zeitraum bestehe. Störungen der freien Willensbestimmung könnten, müssten aber nicht zeitlich überdauernd sein, wie das Beispiel einer akuten Intoxikation illustriere. Ein Sterbewunsch erscheine aber umso "urteilsfester", je länger er von dem Patienten konstant geäußert worden sei. Nach seinem – des Sachverständigen – Verständnis sei insofern medizinisch nur der jeweils betrachtete Zeitpunkt, also vorliegend bei Begehung der Suizidversuche am 24. Juni und 12. Juli 2021, maßgeblich. Ob hingegen die von dem Bundesverfassungsgericht und dem Bundesgerichtshof getroffenen Anforderungen zur Freiverantwortlichkeit im Rechtssinne, zur Tragfestigkeit sowie zur Dauer des Suizidwunsches erfüllt seien, sei Gegenstand der juristischen Beurteilung und mithin nicht Gegenstand seines Gutachtens.
Ausgangsfrage seiner Betrachtung sei somit gewesen, ob der Wunsch der Geschädigten zu sterben derart durch ihre Erkrankung determiniert gewesen sei, dass ihr aus medizinisch-psychiatrischer Sicht eine freie Willensentscheidung hierüber nicht bzw. nur eingeschränkt möglich gewesen sei. Eine krankheitsbedingte Aufhebung der freien Willensbildung komme entweder kognitiv im Wege einer Beeinträchtigung der Voraussetzungen der Willensbildung und Willensrealisierung oder motivational im Sinne einer affektiven Verformung und gedanklichen Einengung der Wertvorstellungen in Betracht. Während er bei der Geschädigten lediglich moderate, nicht erhebliche kognitive Einbußen festgestellt habe, sei sie in ihrem Affekt, d.h. auf motivationaler Ebene, erheblich beeinträchtigt gewesen.
b) Moderate kognitive Beeinträchtigung
In Bezug auf eine mögliche krankheitsbedingte Beeinträchtigung der Kognition Isabell R. s führte der Sachverständige im Wesentlichen aus, dass eine solche lediglich in moderatem Umfang festzustellen sei, was für sich genommen ihren freien Willen jedoch weder bestätige noch ausschließe.
Ausgehend von dem System der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie (AMDP-System) zur standardisierten Erfassung und Dokumentation eines psychopathologischen und somatischen Befundes habe er – so Dr. Hü. – im entscheidungserheblichen Zeitraum bei der Geschädigten, mit Ausnahme der durch die Einnahme des Diazepams bedingten mehrtägigen Einschränkungen ab dem 25. Juni 2021, weder schwere kognitive Defizite, Wahnzustände, Sinnestäuschungen, Ich-Störungen noch erhebliche Verformungen ihrer Persönlichkeit feststellen können. Sie sei orientiert, frei von Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen sowie nicht bewusstseinsgetrübt gewesen. Auch formale Denkstörungen wie Gehemmtheit, Verlangsamung, Grübeln oder Ideenflucht habe sie nicht gezeigt. Dies sah die Kammer durch die Behandlungsunterlagen der Bodelschwingh-Klinik bestätigt, in denen derartige Phänomene nicht beschrieben werden. Auch in ihren Audionachrichten habe er – so der Sachverständige weiter – bezüglich ihres Sprechverhaltens und der Sprechgeschwindigkeit keine Auffälligkeiten festgestellt, die für eine erhebliche krankheitsbedingte Persönlichkeitsveränderung sprechen könnten; sie sei lediglich von der Stimmlage her bedrückt gewesen, was bei depressiven Episoden aber üblich und angesichts der gegen ihren Willen erfolgten Unterbringung auch objektiv nachvollziehbar gewesen sei.
Er habe ferner nicht erkennen können, dass die Geschädigte in ihrer Willensbildung anderen Personen gegenüber willfährig gewesen sei. Gegenüber dem Angeklagten habe sie vor beiden Suizidversuchen einen starken Willen bewiesen, habe wiederholt auf eine schnelle Durchführung des Suizides gedrängt, die Suizid-Termine organisiert und ihn vor dem 12. Juli 2021 – ambivalenzbedingt, dazu sogleich – mehrmals als Sterbebegleiter ab- und wieder zubestellt. Auch gegenüber dem Zeugen F. , den sie offenbar sehr geschätzt habe, sei sie trotz guten Zuredens seinerseits bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den von ihm vorgeschlagenen weiteren Therapieoptionen, mit Ausnahme der Ketamin-Behandlung, geblieben.
Auf kognitiver Ebene sei sie durch die mittelgradige depressive Episode in ihrer Fähigkeit zur Abwägung des Für und Wider einer Selbsttötung jedoch zumindest dahingehend beeinträchtigt gewesen, dass sie gewisse Potentiale noch möglicher Heilbehandlungen entweder nicht habe erkennen können oder nicht habe erkennen wollen. So habe sie sich krankheitsbedingt, insbesondere gegenüber dem Zeugen F. , hinsichtlich der weiteren Therapieangebote verschlossen gezeigt, mögliche Nebenwirkungen der Therapieoptionen überbetont und deren Erfolgschancen unterschätzt, möglicherweise, weil sie aufgrund von Erschöpfung, Dysphorie und Antriebslosigkeit nicht die Kraft habe aufbringen können, sich auf neue Therapieformen und Behandlungsmethoden einzulassen. Sie habe dabei die Möglichkeit weiterer Behandlungsansätze kognitiv aber nicht völlig verkannt. Dies hat die Kammer auch durch die Gespräche der Geschädigten mit dem Zeugen F. sowie die entsprechenden Suchverläufe auf ihrem Mobiltelefon nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten (dazu im Einzelnen unter Nr. 5 lit. d)) bestätigt gesehen.
Aus den Abschiedsbriefen der Geschädigten, insbesondere dem letzten an ihre Halbschwester, die Zeugin Rö. , in dem sie sich für den Bruch ihres Versprechens, keinen weiteren Suizidversuch zu unternehmen, entschuldigt habe, gehe weiter hervor, dass sie sich zumindest der Tragweite des Suizides bewusst sowie zu einer Reflexion der Gefühle der Schwester fähig gewesen sei. Ein entsprechendes Reflexionsvermögen folgte aus Sicht der Kammer auch aus den Nachrichten der Geschädigten an den Angeklagten vom 8., 11. und 12. Juli 2021, in denen sie sich für ihr "ständiges Hin und Her" entschuldigte (vgl. im Detail Nr. 5 lit. a)).
Für den weitgehenden Erhalt der kognitiven Fähigkeiten Isabell R. s spreche – so der Sachverständige – auch, dass sich ausweislich der Aussage des behandelnden Arztes F. und der Verlaufsprotokolle der Bodelschwingh-Klinik nach Abklingen der Wirkung des Diazepams keine Hinweise auf entsprechende Auffälligkeiten bei der Geschädigten gezeigt hätten; insbesondere habe Herr F. am 12. Juli 2021 kurz vor ihrer Entlassung nichts Entsprechendes erkannt; lediglich zum Beginn ihrer Unterbringung auf der Station habe der Zeuge F. berichtet, dass sie sich zunächst nicht glaubhaft von ihrem Suizidwunsch distanziert gehabt habe, was auch der Grund für den Erlass des Unterbringungsbeschlusses gewesen sei. Ferner spreche die Verfahrensweise der Klinik, der Geschädigten im späteren Verlauf unbegleitete Ausgänge zu gewähren, zumindest gegen eine äußerlich erkennbare Beeinträchtigung ihrer Willensfreiheit in diesem Zeitraum.
Zwar sei nicht auszuschließen, und im Falle des letzten Gesprächs am 12. Juli 2021 mit Herrn F. sogar sicher anzunehmen, dass sie während der Unterbringung das Klinikpersonal hinsichtlich ihres zumindest partiell noch weiterbestehenden Suizidwunsches getäuscht habe, so dass die Aussagen und Unterlagen der Behandler mit Vorsicht zu betrachten seien. Auf der anderen Seite spräche gerade eine Fähigkeit, das Klinikpersonal zielgerichtet zu täuschen, für einen Erhalt erheblicher kognitiver Fähigkeiten, da die Geschädigte hierfür gedanklich die Auswirkungen ihrer Worte auf die Handlungen und Erwartungen ihrer Gesprächspartner hätte absehen müssen.
Diesem wohlerwogenen und aus der Hauptverhandlung geschöpften Zwischenergebnis des Sachverständigen Dr. Hü. hat sich die Kammer angeschlossen. Sie hat mithin auch die Einlassung des Angeklagten als glaubhaft angesehen, dass die Geschädigte ihm im Vorgespräch am 15. Juni 2021 sowie bei dem ersten Suizidversuch am 24. Juni 2021 mit klaren und prägnanten Worten den Suizidwunsch geschildert habe; ein entsprechendes kognitives Leistungsvermögen hatte sie insbesondere in der anschließenden Phase ihrer Unterbringung unter Beweis gestellt. Während der Angeklagte zu diesen Zeitpunkten jedoch mangels gegenteiliger Erkenntnisse noch davon ausgehen konnte, dass der Wunsch Isabell R. s zu sterben auch dauerhaft und gefestigt war, hatte er am 12. Juli 2021 aus ihren Text- und Sprachnachrichten sowie den Telefonaten mit ihr (vgl. Nr. 5 lit. a)) positive Kenntnis des Gegenteils und wusste um ihre affektive Labilität.
c) Erhebliche affektive Beeinträchtigung
Nach der Beweisaufnahme sowie in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Hü. hat die Kammer eine erhebliche Beeinträchtigung der Geschädigten in ihrer Affektivität festgestellt. Der gutachterlichen Einschätzung nach war die Beeinträchtigung ihrer Affektivität, insbesondere ihre Ambivalenz und Affektschwankungen, das stärkste Argument gegen eine Freiverantwortlichkeit ihres Suizidwunsches, ohne dass sich dessen (vollständige) Unfreiheit im medizinisch-psychiatrischen Sinne im Ergebnis jedoch hat feststellen lassen.
Ausgehend von dem AMDP-System habe die Geschädigte – so Dr. Hü. – zahlreiche Kriterien erfüllt, die Aufschluss auf eine Störung ihrer Affektivität gäben. Zunächst sei sie sicher deprimiert sowie hoffnungslos gewesen und habe Insuffizienzgefühle gehabt. Weiter habe sie an einer "Störung der Vitalgefühle" gelitten, was sich in fehlender Motivation und dem Verlust an Freude für Dinge, die ihr früher Spaß gemacht hätten, geäußert habe. Eindrückliches Beispiel hierfür ist aus Sicht der Kammer ihr Hund B..., der für sie zuvor von überragender emotionaler Bedeutung war, sie zuletzt aber auch nicht mehr glücklich gemacht hatte. Die Geschädigte sei – so der Sachverständige weiter – in erhöhtem Maße und insbesondere hinsichtlich ihres Todeswunsches ambivalent gewesen und, wenn man – wie die Kammer, vgl. unten Nr. 6 – annehme, dass sie das Personal und ihre Freunde nicht durchgehend über ihren wiedergefundenen Lebenswillen getäuscht habe, auch erheblich affektlabil. Eine innerliche Unruhe bei ihr sei fraglich; möglicherweise lasse sich diese in dem partiell drängenden Suizidwunsch sowie dem drängenden Entlassungswunsch aus der Klink erkennen.
Auch der Zeuge Dr. Sch. hat diese Einschätzung dahingehend geteilt, dass entsprechende Verzerrungen seiner klinischen Erfahrung nach das wichtigste und auch hartnäckigste Symptom der Depression darstellten. Die Patienten sähen und bewerteten die Welt "durch die Brille der Depression"; sie nähmen sich selbst negativ und die Welt als bedrohlich wahr, das Selbstwertgefühl sei stark eingeschränkt, Fehler wögen unglaublich schwer, Erfolge würden mangels positiver Gefühle nicht mehr wertgeschätzt werden. Dementsprechend düster seien sowohl der Blick in die Vergangenheit als auch der in die Zukunft. Eine solche schwere Beeinträchtigung der Wahrnehmung der Geschädigten hat auch die Zeugin Rö. beschrieben; ihr habe ihre Halbschwester während der Unterbringung zu dem Suizidversuch vom 24. Juni 2021 berichtet, dass sie keine Hoffnung und Zukunftsperspektive mehr gesehen habe, dass "alles dunkel und schwarz" gewesen sei; sie habe keine Kraft mehr gehabt, sich "wie ausgelaugt gefühlt" und "nichts Positives" mehr gesehen. Die Zeugin P. hat berichtet, die Geschädigte habe ihr am 25. Juni 2021 als Grund für den Suizidversuch genannt, dass sie nicht mehr glücklich sein könne und im Übrigen auch noch nie in ihrem Leben glücklich gewesen sei; erst auf den Einwand der Zeugin, dass dies nicht stimme und sie an die schönen gemeinsamen Zeiten zurückdenken solle, revidierte die Geschädigte dies dahingehend, dass ihr das Studium, die Wohnung und die ganze Situation in Berlin über den Kopf gewachsen seien. Ähnlich hat auch der Zeuge F. bekundet, die Geschädigte habe ihm bei einem Gespräch zu Beginn der Unterbringung geschildert, dass sie "austherapiert" sei; sie habe alles Mögliche versucht, aber nichts habe ihr geholfen.
Dass sie nun erstmalig seit rund acht Jahren wieder eine schwere depressive Episode erlitten und – ausweislich der Aussagen ihrer Freunde – in dieser Zeit auch viel Lebensfreude gehabt, mithin wahrscheinlich erheblich von den Behandlungen profitiert hatte, hat die Geschädigte in diesem Moment offensichtlich nicht erkannt. Insbesondere diese Beispiele und der allgemein unter Nr. 3 lit. c) und e) beschriebene Zustand der Geschädigten im Unterbringungszeitraum haben der Kammer verdeutlicht, wie sehr die akute Depression die Sicht Isabell R. s auf ihr Leben, ihre Vergangenheit und ihre Zukunftsaussichten verändert hatte.
Die Kammer hat in diesen affektiven Denkverzerrungen, die sich während der Unterbringung der Geschädigten immer wieder Bahn brachen und ihr Fühlen, ihre Zukunftssicht und mithin auch ihre Urteils- und Entschlussfähigkeit erheblich beeinflussten, auch den Grund für die wiederholten Schwankungen hinsichtlich des Suizidwunsches gesehen. Insoweit hat Dr. Hü. auf die Frage, wie und wann eine solche depressive Episode ende, ausgeführt, dass dies, wie auch ihre Entstehung, in der Regel ein Prozess sei, der sich über einen gewissen Zeitraum erstrecke und nicht spontan erfolge. Einen genauen Verlauf könne er nicht angeben, da dieser bei verschiedenen Patienten stark variiere. Nachvollziehbar sei jedoch, dass der Wille der Geschädigten in diesem Prozess erheblichen Schwankungen, auch innerhalb eines Tages, unterlegen habe. Solche Tagesschwankungen seien eher bei der bipolaren Störung anzutreffen und sprächen insofern für die entsprechende Diagnose. Auch der Zeuge Dr. Sch. hat insoweit ausgeführt, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass im Verlauf der Behandlung eines depressiven Patienten solche Denkmuster immer wieder durchbrächen; bei einer adäquaten medikamentösen Behandlung dauere es in der Regel zwei bis vier Wochen, bis eine nennenswerte Besserung eintrete.
Schließlich ist auch dem Angeklagten durch die entsprechenden Nachrichten der Geschädigten (dazu im Detail unter Nr. 5. lit. a)) diese Ambivalenz der Geschädigten nicht verborgen geblieben. In seiner Nachricht an sie vom 6. Juli 2021, 21:15 Uhr, schrieb er wörtlich: "Ich sehe Ihre ambivalenten Gefühle."
d) Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. D.
Soweit es die Ausführungen des von dem Angeklagten gestellten weiteren psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. D. betrifft, ist die Kammer seinen pauschalen und nicht hinreichend fundierten Ausführungen, die sich schon mangels hinreichender Kenntnis der Beweisaufnahme eher als Meinungen zum Fall denn als wissenschaftliches Gutachten darstellten, nicht gefolgt, soweit sie von dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Hü. abwichen.
Prof. Dr. D. ist 75 Jahre alt und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er beschäftigt sich seit Mitte der 1970er Jahre mit der tödlich verlaufenden Erkrankung Chorea Huntington und engagiert sich nunmehr für die Sterbehilfe von Patienten mit dieser Erkrankung. Seine Sicht auf die vorliegend in Rede stehende Problematik hat er unter anderem dahingehend umrissen, dass er es für eine Diskriminierung halte, psychisch Erkrankte von einer Sterbebegleitung ausschließen; schließlich komme auch ein körperlich Erkrankter ohne seine Erkrankung nicht zu einem Suizidwunsch.
Prof. Dr. D. , der – anders als der Sachverständige Dr. Hü. – an der Hauptverhandlung im Übrigen nicht teilgenommen hat, hat angegeben, von dem Angeklagten über das hiesige Verfahren informiert worden zu sein. Seinen Kenntnisstand bezüglich des Verfahrens hat er wie folgt dargelegt:
Die Geschädigte habe seit Beginn der 2000er Jahre an Depressionen gelitten, wegen einer manischen Episode nach dem Konsum von Magic Mushrooms möglicherweise auch an einer bipolaren Störung. Im Jahr 2007 habe sie versucht, sich mit einem Fön in der Badewanne zu töten. Sie habe dann das Studium der Tiermedizin aufgenommen, um sich anschließend Pentobarbital, ein probates Suizidmittel, verschaffen zu können. In den Jahren 2013 bis 2020 habe sie in Berlin eine relativ stabile Phase gehabt, spätestens seit 2020 habe sie wieder an Depressionen gelitten und sei bei Dr. H. und Dr. W. in Behandlung gewesen. Sowohl Dr. W. als auch die Ärzte der Bodelschwingh-Klinik hätten ihr die noch nicht genutzten (medikamentösen) Möglichkeiten (EKT, Lithium- und Ketamintherapie) aufgezeigt. Die Geschädigte habe diese aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Ab Mitte Juni 2021 habe sie angefangen, sich im Internet über Suizidmöglichkeiten zu informieren. Sie habe dann erstmals Kontakt mit dem Angeklagten aufgenommen und ihm einen Haken gezeigt, mit dessen Hilfe sie sich suizidieren würde, falls er ihr nicht helfe. Der erste Suizidversuch mit Chloroquin und Benzodiazepinen sei wegen Erbrechens fehlgeschlagen. Sie sei dann in die Klinik eingewiesen und gesetzlich untergebracht worden. Seit der Kontaktaufnahme mit ihm habe es 100 bis 120 SMS und Chatnachrichten gegeben, hinsichtlich derer der Angeklagte eine Aufstellung gemacht habe, dass 115 pro Suizid und fünf (insbesondere nach dem missglückten Versuch) gegen den Suizid gerichtet gewesen seien. Nach ihrem Widerspruch habe man die Unterbringung aufgehoben und sie sei am 12. Juli entlassen worden. Der Angeklagte habe sie noch einmal gefragt, ob sie nicht erst einmal nach Hause fahren wolle. Schließlich habe sie sich dann mit seiner erneuten Hilfe suizidiert.
Im zweiten Schritt hat Prof. Dr. D. seine fachlichen Ansichten zu dem vorliegenden Fall dargelegt. Diese beschränkten sich inhaltlich ganz überwiegend auf die nachfolgend dargestellten Ausführungen: Ob die Geschädigte eine mittelschwere oder schwere Depression gehabt habe, könne er anhand der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen nicht beurteilen; mit einer schweren Depression wäre sie aber eher nicht aus dem Krankenhaus entlassen worden. Seiner Einschätzung nach habe die Geschädigte mit ihrem Suizid ein klares Ziel verfolgt und habe zu dessen Verwirklichung die Ärzte täuschen können. Dass sich ein Patient gegenüber Ärzten von Suizidideen scheinbar so überzeugend distanzieren könne wie die Geschädigte, spreche aus seiner Sicht für eine "gewisse geistige Klarheit". Das Kriterium der Dauerhaftigkeit ihres Suizidwunsches bejahe er aufgrund des zeitlichen Einsetzens der depressiven Phase und des Suizidversuchs in der Vorgeschichte. Die Geschädigte sei auch über mögliche weitere medikamentöse Behandlungen aufgeklärt gewesen, habe diese aber abgelehnt. Es sei aus seiner Sicht "menschlich und verständlich" gewesen, dass es bei Ihr "nochmal ein Hin und Her" gegeben habe. Ihre gegen einen zweiten Suizidversuch gerichteten Nachrichten hätten sich zum Teil ja auch darauf bezogen, dass der erste Versuch so schlecht gelaufen sei und es beim nächsten Mal nicht noch so einen Misserfolg geben dürfe; sie sei in diesen Nachrichten seiner Einschätzung nach also gar nicht so weit abgerückt vom Suizid. Aus dem Gesamtkontext gehe er aber davon aus, dass nicht die Krankheit die wesentliche Rolle für ihren Suizid gespielt habe, sondern ihr freiverantwortlicher Wille. Die entsprechende Unterscheidung treffe er vornehmlich anhand der Gründe, die von dem Patienten für den Suizid genannt würden.
Soweit das Gutachten eines Sachverständigen das Gericht in die Lage versetzen soll, sich bei fehlender eigener (hier: medizinisch-psychiatrischer) Fachkenntnis sachverständig beraten zu lassen, um anschließend einen entsprechenden Sachverhalt adäquat beurteilen zu können, ist dieses Ziel durch das Gutachten von Prof. Dr. D. nicht gefördert worden. Bereits die von ihm angegebene Entscheidungsgrundlage ist in wesentlichen Teilen unvollständig bzw. deckt sich nicht mit den Ergebnissen der Hauptverhandlung. Soweit Prof. Dr. D. medizinisch-psychiatrische Einschätzungen abgegeben hat, ließen diese – anders als das Gutachten des Sachverständigen Dr. Hü. – keine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Fall erkennen und beschränkten sich darauf, vermeintliche Ergebnisse zu präsentieren, statt die Kammer durch das Gutachten in die Lage zu versetzen, die Fakten nachvollziehen und selbst bewerten zu können. So gelangte Prof. Dr. D. zum Beispiel unter Bezugnahme auf einen gemessen an der Tatzeit rund 15 Jahre zurückliegenden Suizidversuch und unter Ausblendung von rund acht Jahren Lebensgeschichte ohne manische und depressive Episoden ohne nähere Erklärung zur Annahme der Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches der Geschädigten. Seine Einschätzung, dass die Geschädigte in ihren Nachrichten an den Angeklagten vom Suizid "gar nicht so weit abgerückt" sei, war für die Kammer angesichts der Inhalte einiger dieser – im Detail nachfolgend unter Nr. 5. lit. a) dargelegten – Nachrichten schlicht nicht nachvollziehbar. Auch seine Schlussfolgerung, aus dem "Gesamtkontext" davon auszugehen, dass nicht die Krankheit die wesentliche Rolle für ihren Suizid gespielt habe, sondern ihr freiverantwortlicher Wille, stellt sich ausweislich des nicht im Ansatz ausreichend dargelegten und abgewogenen "Gesamtkontexts" als zu wenig fundiert dar.
Dennoch hat die Kammer seine Ausführungen zum Anlass genommen, ihre eigenen Feststellungen und Würdigungen sowie das Gutachten des Sachverständigen Dr. Hü. kritisch zu überdenken; in der Sache haben sich hierdurch aber keine Änderungen ergeben.
5. Kein ernsthafter bzw. dauerhafter Todeswunsch der Geschädigten und Wissen des Angeklagten hierum
Die Feststellung, dass die Geschädigte während ihrer Unterbringung bis einschließlich zu ihrem Todestag am 12. Juli 2021 in ihrem Suizidwunsch erheblich schwankte, beruhte neben den unter Nr. 3. lit. c) aufgeführten Zeugenaussagen insbesondere auf den zahlreichen Text- und Sprachnachrichten, die Isabell R. mit dem Angeklagten sowie ihren Freundinnen Sophie Hü. und N. P. austauschte. Aus den Nachrichten an den Angeklagten ergab sich auch zweifelsfrei, dass dieser Kenntnis von der fehlenden Dauerhaftigkeit und Festigkeit ihres Suizidwunsches hatte. Die Kammer ist auch überzeugt, dass dem Angeklagten die Konsequenzen dessen in Gestalt des Entfallens einer im rechtlichen Sinne freiverantwortlichen Entscheidung bewusst waren.
a) Text- und Sprachnachrichten mit dem Angeklagten
Von besonderer Bedeutung für die Feststellung, dass der Suizidwunsch Isabell R. s sowohl während ihrer Unterbringung als auch am 12. Juli 2021 nicht (mehr) ernsthaft bzw. dauerhaft war und dass der Angeklagte dies wusste, sind die zahlreichen Text- sowie die 18 Sprachnachrichten der Geschädigten an den Angeklagten sowie dessen Antworten gewesen.
In den 18 Sprachnachrichten, die sie ihm über WhatsApp sandte, war Ihre Stimme grundsätzlich klar und sie sprach strukturiert und prägnant, was die Kammer im Einklang mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Hü. als Beleg für ihre erhalten gebliebenen kognitiv-sprachlichen Fähigkeiten gewertet hat (dazu im Detail unter Nr. 4. lit. b)); lediglich in zwei Sprachnachrichten am Nachmittag des 28. Juni 2021 informierte sie ihn hörbar aufgelöst und mit verweinter Stimme über ihre Unterbringung. In insgesamt neun Sprachnachrichten vom 28. Juni bis 4. Juli 2021 sowie in zahlreichen E-Mails und Textnachrichten wurde zunächst ihre Unterbringung thematisiert. In diesen fragte sie den Angeklagten insbesondere, wie sie sich dagegen wehren könne, und bat ihn um Unterstützung, die er ihr auch zukommen ließ.
Die nachfolgende Kommunikation hat der Kammer eindrucksvoll aufgezeigt, wie schwankend die Geschädigte gegenüber dem Angeklagten in Bezug auf ihren Suizidwillen war und welch ambivalenten Stimmungen sie in diesem Zeitraum unterlag.
Zunächst informierte sie – ausweislich ihrer Sprachnachricht an die Zeugin Hü. vom 5. Juli 2021 um 19.57 Uhr, in der sie dieser von ihrem Anruf berichtete – den Angeklagten in einem Telefonat am selben Tag darüber, dass sie das Studium zu Ende bringen wolle und müsse und dass sie es als Zeichen sehe, dass sie noch nicht gehen solle. Sie führte weiter aus, er habe ihr daraufhin geantwortet, dass er das gut finde; falls sie aber dennoch verzweifelt sei, hätte man die andere Methode mit Thiopental durchgeführt; er kenne nur einen einzigen Fall, bei dem die Chloroquin-Methode fehlgeschlagen sei, wobei der Mann lebend in seiner Wohnung in seinem Erbrochenen aufgefunden worden sei und schwere Folgeschäden erlitten habe. Der Angeklagte, von der Kammer auf dieses Telefonat angesprochen, hat eingeräumt, dass es seiner Erinnerung nach ein solches gegeben haben könne.
Am Morgen des 6. Juli 2021 war die Geschädigte dann gedanklich wieder mit dem Suizid befasst. Um 08:11 Uhr schrieb sie dem Angeklagten mit einem Foto der Wikipedia Seite zu Natriumthiopental per WhatsApp, dass sie zu große Angst habe, dass es wieder nicht funktioniere und sie mit Folgeschäden überlebe. Ab 13:34 Uhr schrieb sie ihm: "Sie versprechen mir wie gesagt gegebenenfalls alles mögliche nachzudosieren damit der Tod eintritt oder auch wenn es zeitaufwändiger ist….Danke" sowie "Da man ja in meinem speziellen Fall nie weiß wie ein junger gesünder Körper funktioniert." Der Angeklagte antwortete daraufhin um 15:04 Uhr über WhatsApp: "Versprochen !!!", woraufhin die Geschädigte sich bedankte und schrieb, dass es diesmal "klappen" müsse. Um 17:56 Uhr schrieb er ihr, dass ihre Sorgen unbegründet seien, da "Plan B" – also der Suizid mittels einer Überdosis Thiopental – hundertprozentig sicher sei. Sie könne ihm glauben und solle sich nicht quälen. Dennoch rate er [ihr], den Plan erstmal aufzuschieben und alles "sacken" zu lassen, aber das entscheide natürlich sie allein. Um 18:04 Uhr antwortete sie ihm, dass sie wahrscheinlich früher aus der Unterbringung rauskönne und es aber dann gerne alsbald als möglich hinter sich haben würde.
Knapp zwei Stunden später, um 19:58 Uhr, hatte sie sich erneut umentschieden und schrieb ihm: "Ich habe mich gegen die Methode entschieden, ich denke der Gott hat doch noch Pläne….nachdem der zweite heftige suizidversuch meines lebensmisdlungen ist." Der Angeklagte erkundigte sich sie daraufhin um 21:15 Uhr bei ihr: "Zürnen Sie mir? Hab ich Sie enttäuscht? Dann bitte sagen Sie es mir. Ich sehe Ihre ambivalenten Gefühle und bin erleichtert, dass Sie sich erstmal dem Leben wieder zuwenden wollen."
Am 7. Juli 2021 um 03:31 Uhr bekräftigte Sie diese Entscheidung noch einmal und schrieb ihm per WhatsApp unter anderem: "… und werde es dabei belassen und mich wieder dem Leben zuwenden. Ich habe auch keinen Redebedarf mehr. Bin unfassbar erleichtert dass ich ohne folgeschäden (außer emotionaler Art für meine liebste freundin) davongekommen bin. Alles Gute für Sie." Daraufhin teilte er ihr mit, dass das in Ordnung sei und sie ihn auf dem Laufenden halten möge.
Gut einen Tag später, am 8. Juli 2021 ab 09:45 Uhr, schrieb sie ihm, dass "es" für sie "wieder aktuell" sei, "allerdings theoretisch", und fragte ihn, was er mache, wenn das Thiopental nicht ausreiche. Nachdem sie es schon einmal überlebt habe, müsse es das zweite mal "klappen". Zugleich entschuldigte sie sich ihm gegenüber in einer Sprachnachricht für das "ewige Hin und Her". Es sei ihr großer Wunsch zu gehen; eine Heilerin habe ihr gesagt, dass sie hier schon noch Dinge zu verrichten habe, es aber auch "in Ordnung wäre" zu sterben.
Da die Geschädigte davon ausging, am 9. Juli 2021 entlassen zu werden, vereinbarten der Angeklagte und sie daraufhin, den Versuch mit Thiopental an diesem Tag um 18:00 Uhr im Hotel "M..." durchzuführen. Auf ihre Frage, ob sie noch etwas für die Polizei vorbereiten solle, schrieb er ihr, sie solle unbedingt handschriftlich aufschreiben, dass sie nach jahrelanger Überlegung selbstbestimmt aus dem Leben scheide. Erneut bat sie ihn am 8. Juli 2021 ab 16:31 Uhr, "nachzudosieren" und "nachzuspritzen", was möglich sei. Auch wenn es länger dauere, müsse er es bitte unbedingt vollenden; das zu überleben müsse im Hinblick auf die Folgeschäden "absolut vermieden" werden.
In weiteren Nachrichten am Morgen des 9. Juli 2021 bekräftigte sie ihm gegenüber den Todeswunsch und äußerte erneut die Sorge, dass es wieder nicht funktioniere. Um 10:44 Uhr sandte sie ihm die eindrückliche Nachricht: "Bitte setzen Sie von Anfang an eine höhere Dosis an, da mein Körper gesund und zäh ist. Doch so eine kranke Seele hat". Im Laufe des Tages stellte sich heraus, dass die Entlassung erst am Montag, den 12. Juli 2021, stattfinden würde; für die Geschädigte war dies ausweislich einer Sprachnachricht von 13:54 Uhr eine Katastrophe, da sie sich gewünscht habe, "heute Abend, heute Nacht schon im Jenseits" zu sein. Beide verabredeten sich daraufhin für den 12. Juli 2021, wobei der Angeklagte ihr versicherte, dass sie "Priorität vor allem anderen" habe. Um 16:01 Uhr schrieb sie ihm erneut: "Falls das Thiopental nicht ausreicht müssen sie bitte unbedingt anderweitig nachhelfen damit mir ein weiter albtraum wie dieser erspart bleibt. Danke!" Der Angeklagte erwiderte darauf um 16:05 Uhr abermals, dass die Methode absolut sicher sei und sie keine Angst zu haben brauche.
Am Abend des 10. Juli 2021 distanzierte sich Isabell R. dem Angeklagten gegenüber gleichwohl erneut von dem Suizidplan. Wörtlich schrieb sie: "Danke für Ihre Zeit. Ich werde am Leben bleiben und möchte deswegen den Termin am Montag absagen. Ein schönes Wochenende Ihnen. […] Fahre sobald ich hier raus komme in meine Heimat."
In einer Sprachnachricht an ihn am 11. Juli 2021, 17:37 Uhr, bekräftigte sie die Abstandnahme von ihrem Todeswunsch dann noch einmal. Zur Begründung gab sie an, dass sie Angst vor einem erneuten Scheitern habe. Das Scheitern des ersten Versuchs habe sie "extremst traumatisiert". Sie habe gehofft, dass er nachhelfe, wenn das Mittel nicht funktioniere. Sie sei in der Psychiatrie "gelandet" und habe ihre Freundin – gemeint ist nach dem Verständnis der Kammer die Zeugin P. – damit in ein großes Leid gestürzt, dass diese in die Aktion involviert worden sei. Für sie sei es "ganz schlimm", dass es nicht funktioniert habe, und sie könne es einfach nicht noch einmal riskieren. Im schlimmsten Fall überlebe sie es wieder und habe schwerwiegende Schäden und verbringe den Rest ihres Lebens in der Psychiatrie. Auch wenn er dies sage, könne sie sich nicht vorstellen, dass die neue Methode zu 100 % sicher sei, weil sie es ja dieses Mal schon überlebt habe. Das "tiefste Gespür" in ihr sage ihr, dass ihr Körper nicht gehen könne und wolle. Dass sie die "felsenfest sichere" Methode mit Chloroquin überlebt habe, sei ein Zeichen, dass sie leben solle, so sehr sie auch kämpfe. Sie hoffe nun, dass es mit ihr in Zukunft wieder bergauf gehen werde. Es sei schade, dass der Versuch nicht funktioniert habe. Rund eine Stunde später ergänzte sie – offenbar erneut schwankend geworden –, dass sie sich aber nochmal bei ihm melden werde, falls sie sich traue; sie sei froh, dass er ihr weiterhin "die Möglichkeit gebe" und entschuldige sich für das "ewige Hin und Her".
Der Angeklagte antwortete ihr daraufhin mit E-Mail vom 12. Juli 2021, 07:12 Uhr, zunächst, dass er verstehe, dass sie traumatisiert sei. Hätte es den "Verrat durch Herrn Büchel" – gemeint ist offenbar das Ingangsetzen der Rettungsmaßnahmen durch den Zeugen B. am 25. Juni 2021 – nicht gegeben, wäre nichts gegen ihren Willen passiert und sie hätten später den zweiten Weg beschritten. Dafür, dass sie am 24. Juni 2021 offensichtlich einen Pylorospasmus erlitten habe, könne niemand etwas. Soweit sie ihm den Vorwurf mache, nicht nachgeholfen zu haben, habe er zum einen das "Material für Plan B nicht parat" gehabt, zum anderen wäre dieses Vorgehen dann Tötung auf Verlangen gewesen und dann wäre es zu einem Strafverfahren gegen ihn gekommen; davon habe er nach fünfeinhalb Jahren Rechtsstreit als Angeklagter genug. Schließlich wünschte er ihr, dass sie wieder Lebensmut fasse und Kraft und Zuversicht für einen Neubeginn habe; er würde sich freuen, gelegentlich von ihr eine Nachricht zu erhalten.
Mit E-Mail vom 12. Juli 2021 – ihrem Todestag –, 09:30 Uhr, erwiderte Isabell R. , dass sie bedauere, dass nicht von Anfang an "Plan B" umgesetzt worden sei. Sie denke manchmal, es solle wohl doch noch weitergehen, auch wenn es hart werde. Dass der todsichere Plan nicht funktioniert habe, zeige ihr, dass sie weitermachen solle und müsse; sie würde sich aber trotzdem freuen, "Plan B" weiterhin zur Verfügung haben, "für den Fall der Fälle". Wörtlich führt sie sodann aus: "Aber ich bin froh, dass Sie nachvollziehen können, dass ich durch den Fehlschlag extrem traumatisiert bin und Angst vor einem weiteren, womöglich noch größeren Desaster habe. Es gibt leider immer wieder Fälle – auch wenn das selten ist – wo Betroffene eine Überdosis Thiopental überlebt haben, und dann wirklich die Hölle auf Erden hatten."
Um 09:42 Uhr schrieb sie dem Angeklagten dann, dass sie "mal wieder hin und her gerissen" sei und entschuldigte sich erneut für das "ewige Hin und Her". Um 09:47 Uhr schrieb er ihr, dass er soeben ihre E-Mail gelesen habe. Er verstehe ihre Not und sie solle erst einmal in die Heimat fahren und etwas Zeit verstreichen lassen solle. Der andere Weg bleibe ihr "nicht versperrt".
Hierauf entgegnete Isabell R. um 09:58 Uhr – 28 Minuten nach Ihrer letzten Distanzierung von ihrem Todeswunsch –, dass sie "es" am liebsten doch, wie ursprünglich geplant, heute machen würde, weil ihr Hund noch untergebracht sei, und fragte ihn, ob das "ok" sei. Der Angeklagte reagierte hierauf knapp zwei Minuten später mit einem: "Ok (???)". Auf ihre Frage von 10:07 Uhr, ob er dieses Mal "etwas zusätzlich mitnehmen" könne, falls "Plan B" nicht funktioniere, antwortete er umgehend mit: "Ja". Auf Ihre anschließenden Fragen, was er dann nehme und ob er dann hoffentlich "keine Angst vor Paragraph 216" habe, antwortete er ihr unmittelbar darauf, dass er keine Angst habe, was sie begrüßte ("Sehr gut.es muss dieses mal klappen"). Im weiteren Verlauf der Konversation versicherte er ihr, dass es schnell gehe, woraufhin sie ihn erneut bat, nachzuhelfen, wenn es doch länger dauere. Nachdem sie sich erkundigt hatte, ob er Fälle von jungen Menschen kenne, bei denen es nicht "geklappt" habe, erbat er noch einmal inständig ihr Vertrauen ("Bitte vertrauen sie mir !!!"). Es folgten bis 15:16 Uhr weitere Nachrichten zur anstehenden Durchführung des Suizidversuchs mit Thiopental.
Im Ergebnis lässt sich bezüglich der Ambivalenzen Isabell R. s somit festhalten, dass die Geschädigte gegenüber dem Angeklagten am 5. Juli 2021 von ihrem Todeswunsch abgerückt war, sich am Morgen des 6. Juli 2021 wieder mit einem solchen an ihn gewandt und sich noch am Abend desselben Tages erneut davon distanziert hatte, was bis zum Folgetag angehalten hatte. Am 8. und 9. Juli 2021 hatte sie dann wieder Unterstützung beim Suizid von ihm gewünscht, bevor sie vom Abend des 10. Juli 2021 bis zum Morgen des 12. Juli 2021, 09:30 Uhr, erneut von dem Wunsch zu sterben Abstand genommen und sich schließlich – nur 28 Minuten später – doch wieder für die Selbsttötung entschieden hatte, die sie sodann noch am selben Tag mit seiner Hilfe vollzogen hat.
Danach haben für die Kammer keine Zweifel bestanden, dass ihr Entschluss vom 12. Juli 2021, aus dem Leben zu scheiden, nicht – wie von der Rechtsprechung für ein freiverantwortliches Handeln vorausgesetzt – von einer "gewissen Dauerhaftigkeit" und "inneren Festigkeit" getragen war. Der Umstand, dass sie sich innerhalb des kurzen Zeitraums in dieser existentiellen Frage wiederholt diametral gegensätzlich entschied, zeigte zudem deutlich, wie labil sie emotional in dieser Phase war. Der Angeklagte wusste dies als Adressat ihrer inhaltlich wechselnden Nachrichten, die er erklärtermaßen selbst als belastend empfand, auch nur zu gut.
Die Kammer hat angesichts dessen auch der Einlassung des Angeklagten keinen Glauben geschenkt, dass er am 12. Juli 2021 noch von einem ernsthaften und dauerhaften Suizidwunsch der Geschädigten – jedenfalls im rechtlich maßgeblichen Sinne – ausgegangen sei, weil diese sich in rund 95 % der insgesamt dreistelligen Anzahl ihrer Nachrichten an ihn klar "pro Suizid" geäußert und nur in sechs Nachrichten dieses "Aufflackern in die Gegenrichtung" gezeigt habe. Die Kammer hält diese rationalisierenden Erwägungen in Anbetracht der Deutlichkeit der Zweifel Isabell R. s, die zwar einerseits in der Angst vor einem erneuten Fehlschlag und dessen möglichen Folgen, andererseits aber auch in lebensbejahenden Erwägungen begründet waren, für vorgeschoben und den bloßen Versuch einer nachträglichen Rechtfertigung seines Handelns. Sie ist überzeugt, dass dem Angeklagten, dem die rechtlichen Anforderungen an eine straflose Sterbebegleitung aufgrund seiner intensiven Befassung mit dem Thema in besonderem Maße vertraut waren, sehr wohl bewusst war, dass die von ihm – angeblich – vorgenommene Quantifizierung ungeeignet ist, um die Ernstlichkeit und Dauerhaftigkeit eines Suizidentschlusses zu ermitteln. Sie trägt ersichtlich den Besonderheiten des Einzelfalles keine Rechnung, die hier in einem – dem Angeklagten bestens bekannten – wiederholten Wechsel der Ansichten mit einer Abstandnahme vom Suizid und einem Meinungsumschwung binnen 28 Minuten am Morgen des Todestages liegen. Tatsächlich hat sich der Angeklagte zur Überzeugung der Kammer bewusst über die ihm bekannten rechtlichen Anforderungen hinweggesetzt, weil er hierin eine unzulässige Ungleichbehandlung physisch und psychisch Erkrankter sah. Dafür, dass er schlicht nicht gewillt war, den medizinischen und rechtlichen Besonderheiten derartiger Fallgestaltungen hinreichend Rechnung zu tragen, sprach auch seine in der Hauptverhandlung geäußerte Kritik an der Verfahrensweise der DGHS in Fällen psychischer Erkrankungen ("ganz schlimme Diskriminierung"), die nach Ansicht der Kammer seine, schon zur Tatzeit bestanden habende, grundlegende Haltung durchscheinen lässt.
Überdies hat die Kammer schon die Angabe des Angeklagten nicht nachvollziehen können, dass 95 % der an ihn gerichteten Nachrichten "pro Suizid" gewesen seien, denn ein signifikanter Teil der Mitteilungen hatte andere Themen zum Gegenstand, wie etwa das Bestreben Isabell R. s, schnellstmöglich aus der von ihr als außerordentlich belastend empfundenen Unterbringung entlassen zu werden.
b) Auswirkung des Suizidangebots
Nach dem – auch insoweit überzeugenden – Gutachten des Sachverständigen Dr. Hü. war die ständige Verfügbarkeit des Angeklagten sowie des von ihm unterstützten Suizids während der Unterbringung ein "sehr großer Wirkfaktor" für die Willensbildung der Geschädigten.
Seiner Erfahrung nach – so der Sachverständige – könne das Wissen, notfalls über den Suizid einen Ausweg aus der Krankheit zu finden, erleichternd auf Patienten wirken, da es ihnen die Angst vor einer schlechten Zukunft nehme. In einer affektlabilen Situation wie derjenigen, in der sich die Geschädigte befunden habe, stelle das bedingungslose Angebot des Angeklagten jedoch eine situative Versuchung dar, der der Patient quasi aus dem Affekt heraus nachgeben könne. Dies gelte umso mehr, wenn in solchen Phasen der Angeklagte als Arzt Verständnis für ihre Situation zeige und so den Suizidbeschluss zumindest indirekt bestärke.
Die Richtigkeit dieser gutachterlichen Einschätzung wird zur Überzeugung der Kammer schon durch die Erklärungen der Geschädigten selbst bestätigt; so teilte sie dem Angeklagten – wie oben dargestellt – am 11. Juli 2021 nach vorangegangener abermaliger Abstandnahme vom Suizid unter anderem mit, sich noch einmal bei ihm zu melden, falls sie sich traue, und froh zu sein, dass er ihr "weiterhin die Möglichkeit" – zum Suizid – gebe. Der Zeugin Hü. sagte sie, dass sie ohne den Angeklagten "am Leben bleiben müsste", weil sie sich nicht traue, sich gewaltsam das Leben zu nehmen ("sich vor einen Zug zu schmeißen").
Der Angeklagte hat in seinen Einlassungen hierzu wiederholt betont, dass er die Geschädigte, wenn sie ihm gegenüber von ihren Suizidwünschen Abstand genommen gehabt habe, stets ermuntert habe, sich wieder dem Leben zuzuwenden. Dies trifft nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme überwiegend zu; lediglich am 6. Juli 2021 fragte er sie auf ihre Mitteilung von 19:58 Uhr – dass sie sich gegen die Methode mit Thiopental entschieden habe, weil Gott doch noch Pläne mit ihr habe –, ob er ihr zürne und ob er sie enttäuscht habe, erklärte im Folgenden aber auch, "erleichtert" zu sein, dass sie sich "erstmal" dem Leben wieder zuwenden wolle.
Maßgebend für die Beurteilung seines Handelns ist aus Sicht der Kammer hingegen, dass er ihr in gleichem Maße auch Unterstützung zusagte, als sie sich ab dem 6. Juli 2021 wiederholt wieder den Suizidgedanken hingab, obwohl ihm ihre Ambivalenz und Instabilität nicht entgangen war. Durch dieses stetige und völlig unkritische Zurverfügungstellen des Suizids hat er ihr genau die situative Versuchung geboten, aus der sie – wie von dem Sachverständigen beschrieben – quasi aus dem Affekt heraus ihren Tod herbeiführen konnte. Dass dem Angeklagten als erfahrenem Arzt und empathischen Menschen dies nicht bewusst gewesen ist, schließt die Kammer aus.
c) Sprachnachrichten an die Zeuginnen Hü. und P.
Dass die Geschädigte sich zumindest zeitweise und deutlich von ihrem Suizidwunsch distanzierte, folgte auch aus ihren drei Sprachnachrichten an die Zeugin Hü. vom 5. Juli 2021. Hierin berichtete sie, dass sie froh sei, den Suizidversuch ohne Folgeschäden überlebt zu haben. Es gehe ihr zwar immer noch nicht gut, seit dem fehlgeschlagenen Versuch aber zum ersten Mal seit fünf Monaten wieder etwas besser. Die Geschädigte berichtete in diesen Sprachnachrichten auch von konkreten Zukunftsplänen. So wolle sie ihr Studium zu Ende führen, da sonst die letzten Jahre umsonst gewesen seien. Gott habe noch einen Plan mit ihr, und es sei ihre Aufgabe, den Tieren eine Stimme zu geben. Für das restliche Studium wolle sie nach Bayern zurückziehen und nur noch für die Prüfungen nach Berlin kommen. Anschließend wolle sie eine Kur machen, die sie dringend nötig habe. Sie habe zudem drei Absagen von Schlachthöfen gesammelt, das müsse reichen. Sie plane zudem im September ein zweiwöchiges Praktikum im LAGeSo – dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales. Sie fragte die Zeugin, ob sie in dieser Zeit mittags mit dem Hund spazieren gehen könne. Sie berichtete in diesen Nachrichten auch, ihren Sinneswandel dem Angeklagten mitgeteilt zu haben. Dieser habe das gut gefunden; zugleich habe er geäußert, dass man, falls sie dennoch verzweifelt sei, den Suizid mit Thiopental durchführen können, das sei sehr sicher. Schließlich äußerte sie der Zeugin gegenüber, dass der Freund der Zeugin P. , der Zeuge B. , ihr durch den Notruf das Leben gerettet habe. Der Angeklagte habe die Zeugin P. wohl "erpresst", damit diese nichts unternehme. Durch ihn – den Angeklagten – habe sie eine gute Freundin verloren.
Auch in zwei Sprachnachrichten an die Zeugin P. distanzierte sich die Geschädigte von ihren Suizidversuchen. In der Nachricht vom 30. Juni 2021, 14:19 Uhr, berichtete sie zunächst von der Verlegung auf die Depressionsstation der Friedrich von Bodelschwingh-Klinik sowie von ihrem zweistündigen Gespräch mit einem der dortigen Psychiater. Sie habe dem Psychiater berichtet, wie schrecklich das Studium und die Dinge seien, die sie dort gesehen habe; es sei ihr jedoch wichtig, das Studium abzuschließen, um den Tieren eine Stimme zu geben. Sie habe eine Möglichkeit gefunden, das Schlachthofpraktikum zu umgehen, und hoffe, dass der Psychiater sie dabei unterstütze. In einer weiteren Sprachnachricht vom 2. Juli 2021, 17:44 Uhr, nahm die Geschädigte auf ihre Depression Bezug. Leute ohne Depressionen könnten sich nicht vorstellen, wie sich eine Depression anfühle und wie schrecklich das Leben sei, dass man es beenden wolle. Der Versuch "hätte klappen müssen". Für sie sei es ein eindeutiges Zeichen und der Wunsch des "lieben Gottes", dass sie ihr Studium beenden und den Tieren eine Stimme gegen solle. Sie sei "maximal verzweifelt" gewesen, trotz aller Hilfe, die sie in Anspruch genommen gehabt habe, dass sie sich gesagt habe, sie könne nicht mehr weiterleben. Sie – die Zeugin P. – müsse sich aber keine Sorgen machen, dass sie es erneut versuche, wenn sie hier rauskomme. Auch ihr Hund B... spüre wohl, dass sein "Frauchen" nun wieder "auf dem aufsteigenden Ast" sei.
Zwar konnte die Kammer nicht feststellen, dass diese Nachrichten dem Angeklagten bekannt waren; dies dürfte auch fernliegen. Sie bestätigen aus Sicht der Kammer jedoch, dass die Geschädigte phasenweise tatsächlich Abstand von ihren Suizidabsichten genommen hatte, so wie sie es auch dem Angeklagten mitgeteilt hatte.
d) Internetnutzung während der Unterbringung
Ferner hat die Auswertung des Mobiltelefons der Geschädigten zu ihrer Internetnutzung durch die Zeuginnen KHK’in W. und KK’in L. bestätigt, dass ihr Todeswunsch in diesem Zeitraum nicht dauerhaft bestand, die Geschädigte insbesondere noch einen Tag vor ihrem Tod intensiver nach Alternativen zum Suizid suchte. Die Auswertung hat zunächst ergeben, dass am 25. und 26. Juni 2021 keine und am 27. Juni 2021 nur eine Internetnutzung erfolgte. Ab dem 28. Juni 2021 nutzte Isabell R. ihr Mobiltelefon dann wieder regelmäßiger für Suchanfragen; an diesem Tag suchte sie zunächst nach dem Psychotherapeuten Dr. Scheib in Berlin. Am 2. Juli 2021 besuchte sie die Plattform Tinder; zur Überzeugung der Kammer, um sich anzumelden und gemäß der Aussage der Zeugin P. dort nach dem Zeugen F. zu suchen, den sie attraktiv fand. Am 6. Juli 2021 suchte sie sowohl nach dem ihr von dem Zeugen F. empfohlenen Medikament Lithium als auch nach dem Suizidmittel Thiopental. Auch in den folgenden drei Tagen beschäftigten sich ihre Internetrecherchen überwiegend mit Thiopental und anderen Anfragen zur Sterbehilfe, was sich mit dem Inhalt ihrer Nachrichten an den Angeklagten deckt. Am 11. und 12. Juli 2021 stellte sie keine Suchanfrage pro Suizid; stattdessen suchte sie am 11. Juli 2021 nach Heilsteinen, Therapeuten und Heilpraktikern für Hypnose in Bayern sowie nach einer Angst und Panik Therapie in München und am 12. Juli 2021 nach Zahnärzten.
e) Keine grundlegende Täuschung über Lebenswillen und Zukunftspläne
Die Kammer hat schließlich auch ausgeschlossen, dass Isabell R. während ihrer Unterbringung das Klinikpersonal und ihre Freunde über die Wiedererlangung eines Lebenswillens nebst Abkehr von ihrem Suizidwunsch sowie über das Vorliegen von Zukunftsplänen für ihre Zeit nach der Entlassung grundlegend täuschte, um schneller entlassen zu werden und dann – wie letztlich geschehen – umgehend einen erneuten Suizidversuch unternehmen zu können. Die Geschädigte offenbarte sich zur Überzeugung der Kammer im Verlauf der Behandlung in der Bodelschwingh-Klinik dem Klinikpersonal gegenüber jedoch insoweit nicht vollständig, als sie ihm nicht von ihren wiederkehrenden Suizidwünschen berichtete. Den Zeugen F. belog sie zudem im Rahmen ihrer Entlassung, als sie ihm mitteilte, nach Bayern zu ihrer Familie fahren zu wollen, denn zu diesem Zeitpunkt war sie tatsächlich schon – erneut – entschlossen, sich unmittelbar darauf mit Hilfe des Angeklagten das Leben zu nehmen.
Gegen die von dem Angeklagten wiederholt geäußerte Hypothese einer umfassenden, planmäßigen Täuschung durch die Geschädigte zur alsbaldigen erneuten Durchführung eines Suizidversuchs sprach zuvörderst, dass die Geschädigte nicht nur ihren Behandlern und Freunden von ihren Zukunftsplänen berichtete, sondern sich auch gegenüber dem Angeklagten selbst mehrfach deutlich von ihrem Suizidwunsch distanzierte. Für eine Täuschung ihm gegenüber hätte es jedoch keinen Grund gegeben, da sie mit ihm offen über ihre Suizidgedanken sprechen konnte; entsprechende Angaben ihm gegenüber wären im Fall eines durchgängigen Suizidwunschs auch nicht zielführend gewesen, da der Angeklagte aufgrund dieser Nachrichten von seiner Bereitschaft, ihr bei einem zweiten Versuch zu helfen, hätte Abstand nehmen können – und nach Ansicht der Kammer auch müssen.
Auch gegenüber der Zeugin Hü. , einer engen Freundin, äußerte sie sich wiederholt ambivalent bezüglich eines Suizidwunsches. Die Zeugin litt – jedenfalls in früherer Zeit – ebenfalls unter Depressionen und hatte bereits einen fehlgeschlagenen Suizidversuch hinter sich. Sie war – wohl deshalb – neben dem Angeklagten die einzige Vertraute der Geschädigten, mit der diese sich über Suizidalität austauschte und der sie in den Phasen der Unterbringung, in denen sie wieder suizidal war, von ihrem "Plan B" berichtete. Die Kammer erachtet es als ausgeschlossen, dass die Geschädigte der Zeugin zwar von ihren weiteren Suizidplänen berichtete, sie andererseits aber über ihren Lebenswillen täuschte, zumal nach der Aussage der Zeugin die entsprechenden Erklärungen der Geschädigten mit deren häufigen Stimmungsschwankungen, die teilweise stündlich aufgetreten seien, übereinstimmten. Allerdings berichtete die Geschädigte auch ihrer Freundin nicht von dem konkreten Suizidplan am 12. Juli 2021.
Für eine Täuschung des Klinikpersonals sowie ihrer Freunde zur Durchführung des Suizids hätte schließlich auch deswegen kein Anlass bestanden, weil die Geschädigte bereits seit dem 5. Juli 2021 die ihr eingeräumte Möglichkeit der unbegleiteten Ausgänge wahrgenommen hatte und sie auch während einer dieser Ausgänge mit Hilfe des Angeklagten einen weiteren Suizidversuch hätte unternehmen können; so lehnte sie auch die ihr seitens der Klinik eingeräumte Möglichkeit, eine Nacht allein in ihrer Wohnung zu verbringen, mit der Begründung ab, dass sie sich dort nicht wohlfühlen würde.
6. Täuschung des Angeklagten über seine Bereitschaft, ggf. aktive Sterbehilfe zu leisten
Die Feststellungen, dass der Angeklagte die Geschädigte über seine Bereitschaft getäuscht hat, erforderlichenfalls auch – verbotene – aktive Sterbehilfe zu leisten, beruht sowohl auf seiner Einlassung als auch auf den betreffenden Textnachrichten zwischen ihm und der Geschädigten.
Zur Überzeugung der Kammer hat der Angeklagte durch den so bei der Geschädigten hervorgerufenen Wissensdefekt bewusst und gewollt maßgeblichen Einfluss auf ihre Entscheidung genommen, am 12. Juli 2021 einen weiteren Suizidversuch zu unternehmen. Dies begründete nach Ansicht der Kammer jedenfalls in der Gesamtschau aller festgestellten Umstände des Falles auch seine Tatherrschaft mit.
Aus den unter Nr. 5. lit. a) aufgeführten Text- und Sprachnachrichten zwischen der Geschädigten und dem Angeklagten ging insofern deutlich hervor, dass es für ihre Entscheidung von zentraler Bedeutung war, dass es zu keinem erneuten Fehlschlag kommt, und dass der Angeklagte das auch wusste. Entsprechendes folgt aus ihrem Telefonat mit ihm am 5. Juli 2021 sowie aus ihren Nachrichten vom 6. Juli 2021 (08:11 Uhr), 8. Juli 2021 (09:45 Uhr und 16:31 Uhr) sowie vom 9. Juli 2021 (10:44 Uhr und 16:01 Uhr). In ihrer E-Mail vom 12. Juli 2021 um 09:30 Uhr, wenige Stunden vor ihrem Tod, nahm sie das Scheitern des ersten Versuchs ausdrücklich zum Anlass, weiterleben zu wollen, da sie hierdurch "extrem traumatisiert" sei und Angst vor einem weiteren, "womöglich noch größeren Desaster" habe.
Ihr war es in ihren Nachrichten damit erkennbar außerordentlich wichtig, dass der Angeklagte im Fall eines erneuten Suizidversuchs bei einem sich abzeichnenden weiteren Fehlschlag "nachhilft". Damit war zur Überzeugung der Kammer nichts anderes gemeint, als das er gegebenenfalls verbotene aktive Sterbehilfe leisten sollte, was er selbst in einigen Nachrichten an sie auch entsprechend problematisierte und was auch in ihrer Bezugnahme auf "Paragraph 216" – des Strafgesetzbuches – klar zutage tritt. Es kommt im Übrigen auch bereits in den Formulierungen "nachhelfen" bzw. "nachdosieren" zum Ausdruck, die sich sprachlich nicht mehr auf das Verhalten des Suizidenten selbst beziehen, sondern auf ein Eingreifen von außen, was Isabell R. auch ausdrücklich formulierte ("Sie versprechen mir wie gesagt gegebenenfalls alles mögliche nachzudosieren damit der Tod eintritt…", "…was machen Sie wenn das Thiopental nicht ausreicht?", "Falls das Thiopental nicht ausreicht müssen sie bitte unbedingt anderweitig nachhelfen…").
Um ihr die Angst vor einem solchen erneuten Fehlschlag des Suizids zu nehmen, versprach er ihr am 6. Juli 2021 um 15:04 Uhr, gegebenenfalls alles Mögliche "nachzudosieren", damit der Tod sicher eintritt. Der Angeklagte hat in seiner Einlassung auf den Vorhalt dieser Chatnachrichten vom 6. Juli 2021 erklärt, dass er die Geschädigte mit seinen Antworten nur habe beruhigen wollen, da sie immer diese Angst vor einem Scheitern eines erneuten Versuchs gehabt habe; nie habe er im Sinn gehabt, im Fall eines drohenden erneuten Scheiterns tatsächlich nachzudosieren. Er hat mithin zugegeben, die Geschädigte in Kenntnis ihrer Furcht vor einem weiteren Fehlschlag bewusst belogen zu haben. Sein Handeln stand damit erkennbar in einem direkten Zusammenhang mit dem fortwährenden Ringen der Geschädigten um die Entscheidung für oder gegen einen weiteren Suizidversuch.
Auf diesem falschen Versprechen aufbauend, versicherte er ihr im Folgenden, dass ihre Bedenken hinsichtlich eines erneuten Fehlschlags unbegründet seien, sie sich keine Sorgen zu machen brauche und ihm vertrauen könne, vgl. die Nachrichten vom 6. Juli 2021 (17:56 Uhr) und vom 9. Juli 2021 (16:05 Uhr). Auf ihre Frage vom 12. Juli 2021 (10:07 Uhr), ob er dieses Mal "etwas zusätzlich mitnehmen könne, falls Plan B nicht funktioniere", antwortete er ebenfalls mit "Ja" und führte erneut aus, sie brauche keine Angst zu haben, es werde schnell gehen und sie solle ihm vertrauen. Dies stellt aus Sicht der Kammer eine erneute Täuschung der Geschädigten wenige Stunden vor der Tat dar, denn der Angeklagte hatte neben "Plan B", also Thiopental, keine weiteren tödlich wirkenden Mittel mitgenommen und hatte deren Einsatz gemäß seiner Einlassung auch nie beabsichtigt.
Nach alldem bestanden für die Kammer keine Zweifel, dass die Zusage aktiver Sterbehilfe zumindest mitursächlich für die Entscheidung der Geschädigten war, einen weiteren Suizidversuch zu unternehmen. Isabell R. war – wie oben dargelegt – emotional labil und – jedenfalls nach dem gescheiterten ersten Versuch – schwankend in ihrem Selbsttötungsentschluss. Grund für ihre Abstandnahme von ihrem ursprünglichen Suizidplan war erklärtermaßen zum einen ein phasenweise wiedergefundener Lebensmut, zum andern jedoch auch ihre massive Furcht vor einem erneuten Scheitern mit gravierenden gesundheitlichen und sozialen Folgen. Es liegt angesichts dessen auf der Hand, dass die – vermeintliche – Gewissheit, dass ein derartiges Risiko nicht besteht, weil der Angeklagte erforderlichenfalls zu einem aktiven Eingreifen bereit ist, entscheidenden Einfluss auf den Entschluss der Geschädigten hatte, zumal – wie ebenfalls bereits dargelegt – schon das bloße fortbestehende Angebot der Suizidhilfe ein gewichtiger Wirkfaktor für ihre Willensbildung war.
Die Kammer hatte auch keine Zweifel, dass dem Angeklagten diese Auswirkungen seines Handelns vollauf bewusst waren und von ihm gebilligt wurden. Er hatte bereits nach seiner eigenen Einlassung eine solche Fehlvorstellung begründen wollen, um die Geschädigte zu beruhigen und ihr die Angst vor einem zweiten Versuch zu nehmen. Er wollte ihr mithin die Entscheidung für den Suizid erleichtern und damit Einfluss auf ihre Willensbildung nehmen. Er wusste zum Zeitpunkt der Tat am 12. Juli 2021 auch, dass diese Fehlvorstellung noch fortwirkte.
IV. Rechtliche Würdigung
1. Totschlag in mittelbarer Täterschaft
Durch die festgestellte Tat vom 12. Juli 2021 (Fall 2 der Anklage) hat sich der Angeklagte wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft gemäß §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB strafbar gemacht. Er handelte dabei auch rechtswidrig und schuldhaft.
a) Fehlende Freiverantwortlichkeit der Geschädigten und Tatherrschaft des Angeklagten
Isabell R. litt zur Tatzeit hinsichtlich ihres Todeswunsches krankheitsbedingt an einer erheblichen affektiven Einschränkung ihrer Willensfreiheit. Sie handelte zudem nicht in Kenntnis aller für ihre Entscheidung maßgeblichen Umstände. Ihr Suizidentschluss war auch nicht (mehr) von einer hinreichenden Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit getragen. Es fehlte ihr deshalb an einem freien Willen im rechtlichen Sinne. Der Angeklagte wusste von diesem Verantwortungsdefizit und besaß zudem die von seinem Vorsatz getragene (Tat-)Herrschaft über das zum Tode der Geschädigten führende Geschehen.
aa) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs
Die Kammer ist bei der rechtlichen Würdigung zunächst von den Rechtsgrundsätzen zur Sterbehilfe ausgegangen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 u.a., BVerfGE 153, 182-310, aufgestellt hat.
Demnach beinhaltet das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als Ausdruck persönlicher Autonomie auch das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben; der Einzelne darf grundsätzlich entscheiden, sein Leben eigenhändig zu beenden, ohne dass dies weiterer Rechtfertigung bedarf (BVerfG, a.a.O., Rn. 208 ff.). Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren. Dies umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen (BVerfG, a.a.O., Rn. 212 ff.).
Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Suizidentschluss auf einen autonom gebildeten, freien Willen zurückgeht. Das ist der Fall, wenn der Einzelne seine Entscheidung auf der Grundlage einer realitätsbezogenen, am eigenen Selbstbild ausgerichteten Abwägung des Für und Wider trifft (BVerfG, a.a.O., Rn. 240). Eine freie Suizidentscheidung setzt hiernach zunächst die Fähigkeit voraus, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung bilden und nach dieser Einsicht handeln zu können (BVerfG, a.a.O., Rn. 241 m.w.N.).
Hierfür müssen dem Betroffenen alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte tatsächlich bekannt sein; er muss über sämtliche Informationen verfügen, also in der Lage sein, auf einer hinreichenden Beurteilungsgrundlage realitätsgerecht das Für und Wider abzuwägen. Eine freie Willensbildung setzt hierbei insbesondere voraus, dass der Entscheidungsträger Handlungsalternativen zum Suizid erkennt, ihre jeweiligen Folgen bewertet und seine Entscheidung in Kenntnis aller erheblichen Umstände und Optionen trifft. Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie bei einer Einwilligung in eine Heilbehandlung; auch hier müssen dem Betroffenen – um eine eigenverantwortliche und selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können – die für die Einwilligung wesentlichen Umstände, einschließlich bestehender Alternativen, bekannt sein (BVerfG, a.a.O., Rn. 242 m.w.N.).
Schließlich kann von einem freien Willen nur dann ausgegangen werden, wenn der Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, von einer gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit getragen ist. Das Kriterium der Dauerhaftigkeit ist dabei geeignet, die Ernsthaftigkeit eines Suizidwunsches nachzuvollziehen und sicherzustellen, dass er nicht etwa auf einer vorübergehenden Lebenskrise beruht. Psychische Erkrankungen bilden insofern eine erhebliche Gefahr für eine freie Suizidentscheidung (BVerfG, a.a.O., Rn. 244 f.).
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat insbesondere mit seinen beiden Urteilen vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18 sowie 5 StR 132/18, die im Einklang mit der o.g. späteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stehen, Grundsätze für das Verhältnis einer strafbaren (mittelbaren) Tötung zu einer straflosen Mitwirkung an einer eigenverantwortlich verwirklichten Selbsttötung aufgestellt.
Danach ist für diese Abgrenzung nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zunächst maßgeblich, wer in Vollzug des Gesamtplans die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen ausübt. Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines Dritten und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat der Dritte die Tatherrschaft über das Geschehen (BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, Rn. 13 m.w.N.; BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18, Rn. 17).
Notwendige Bedingung für eine Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts in mittelbarer Täterschaft in Konstellationen der Selbsttötung ist demnach, dass derjenige, der allein oder unter Mitwirkung eines Dritten Hand an sich legt, unfrei handelt. Ein Begehen der Tat durch Benutzung des Suizidenten als "Werkzeug" gegen sich selbst setzt daher voraus, dass dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat. Befindet sich der Suizident – vom "Suizidhelfer" erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden Lage, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen (BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18, Rn. 20 m.w.N.).
Nimmt dagegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe; eine solche eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbsttötung erfüllt nicht den Tatbestand eines Tötungsdelikts. Ein solcher Selbsttötungsentschluss ist freiverantwortlich, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind (BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, Rn. 13, 17 m.w.N.; BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18, Rn. 17, 21).
Für einen Ausschluss der Freiverantwortlichkeit muss das Tatgericht konkrete Umstände feststellen, wobei insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage kommen. Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht. Dasselbe gilt, wenn der Suizidwunsch einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt und mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist (BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, Rn. 17 m.w.N.).
Weitere Voraussetzung für die Annahme mittelbarer Täterschaft ist neben der Unfreiheit des "Werkzeugs" eine vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft über das zum Suizid führende Geschehen des Hintermannes; ob sie vorliegt, richtet sich nicht nach starren Regeln, sondern kann nur nach der konkreten Fallgestaltung im Einzelfall wertend ermittelt werden (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 1988 – 4 StR 352/88, juris Rn. 14).
bb) Willens- und Verantwortlichkeitsdefizit
Zur Überzeugung der Kammer befand sich die Geschädigte hinsichtlich ihres Todeswunsches im Zustand eines erheblichen Willens- und Verantwortlichkeitsdefizits, als sie am 12. Juli 2021 in die von dem Angeklagten durchgeführten Maßnahmen zur Herbeiführung ihres Todes einwilligte und schließlich die Infusion mit der Thiopental-Lösung in Gang setzte. Dies führte dazu, dass sie im rechtlichen Sinne nicht freiverantwortlich handelte. Der Angeklagte hatte von den tatsächlichen Umständen, die diese Defizite begründeten, auch Kenntnis.
Insoweit wird auf die vorangegangenen umfangreichen Ausführungen hierzu verwiesen. Insbesondere die seitens der Kammer festgestellten erheblichen affektiven Beeinträchtigungen der Geschädigten im Tatzeitraum (vgl. III. Nr. 4. lit. c)) sowie die hierdurch bedingten wiederholten erheblichen Schwankungen in ihrem Todeswunsch, auch noch am Todestag, (vgl. III. Nr. 5) zeigen deutlich, dass der Sterbewille der Geschädigten nicht (mehr) die rechtlich gebotene Dauerhaftigkeit bzw. innere Festigkeit aufwies und dass er letztlich Ausdruck einer depressiven Augenblicksstimmung im Rahmen ihrer akuten depressiven Episode war.
Dass der Sachverständige Dr. Hü. in seinem Gutachten nach Gesamtwürdigung des Zustandes der Geschädigten eine vollständige Aufhebung ihres freien Willens nicht hat feststellen können, stand dieser Bewertung nicht entgegen. Denn soweit in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten wird, dass die Freiverantwortlichkeit des Suizids nach Maßgabe der sog. Exkulpationslösung anhand der analog heranzuziehenden §§ 19, 20 und 35 StGB zu beurteilen sei (so z.B. Schneider in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage, vor § 211, Rn. 54 ff.), ist die Kammer dieser Auffassung nicht gefolgt, sondern hat, wie unter lit. aa) ausgeführt, die durch die Rechtsprechung entwickelten Kriterien zugrunde gelegt (in diesem Sinne auch: Rosenau in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, vor §§ 211 ff., Rn. 103 m.w.N.). Zudem hat der Sachverständige selbst – rechtlich zutreffend – ausgeführt, dass sein Gutachten sich lediglich auf die medizinisch-psychiatrische Sicht und nicht auf die weiteren rechtlichen Aspekte beziehe. Insofern habe er die Entscheidung über die Freiheit des Willens medizinisch-psychiatrisch lediglich für den jeweiligen Augenblick der Umsetzung des Suizidversuchs getroffen; die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien der Dauerhaftigkeit bzw. inneren Festigkeit seien für ihn dabei nicht maßgeblich gewesen.
cc) Wissensdefizit
Zudem litt die Geschädigte zum Zeitpunkt des Öffnens der Thiopental-Infusion an einem erheblichen Wissensdefizit und war infolgedessen nicht fähig, das Für und Wider ihrer Suizidentscheidung realitätsgerecht abzuwägen.
Auch insoweit wird auf die obigen umfangreichen Ausführungen verwiesen. Im Ergebnis hatte der Angeklagte somit Isabell R. über seine Bereitschaft, erforderlichenfalls auch aktive Sterbehilfe zu leisten, und damit – jedenfalls aus der maßgeblichen Sicht der Geschädigten – auch über die Risiken des Selbsttötungsversuchs mit Thiopental bewusst getäuscht, um ihre Bedenken hinsichtlich eines zweiten Suizidversuchs zu zerstreuen. Er wusste somit um ihr Wissensdefizit.
dd) Tatherrschaft
Nach der gebotenen wertenden Betrachtung im Einzelfall begründete das überlegene Wissen des Angeklagten jedenfalls im Zusammenwirken mit der krankheitsbedingt erheblichen Beeinträchtigung der Geschädigten auf motivationaler Ebene auch die objektive Tatherrschaft des Angeklagten.
Die Fähigkeit Isabell R. s zu einer rationalen Abwägung des Für und Wider eines Suizids war durch ihre affektive Erkrankung erheblich beeinflusst. Bereits das bloße Suizidangebot des Angeklagten war angesichts dessen geeignet, Einfluss auf ihre Willensbildung zu nehmen. Die Geschädigte war zudem nach dem gescheiterten ersten Suizidversuch in ihrem Selbsttötungswillen schwankend geworden; dies hatte seinen Grund maßgeblich auch in ihrer Angst vor einem erneuten Fehlschlag. Angesichts dessen war die ihr von dem Angeklagten – wahrheitswidrig – gegebene Zusage aktiver Sterbehilfe und damit eines sicheren Gelingens des Suizidplans zur Überzeugung der Kammer zumindest mitausschlaggebend für ihre Entscheidung. Das Gericht ist sich sicher, dass Isabell R. ohne die ihr vermittelte – falsche – Sicherheit einen neuen Versuch jedenfalls am 12. Juli 2021 nicht unternommen hätte.
Es kommt hinzu, dass die Geschädigte im Rahmen des Gesamtplans zwar die Herrschaft über den (aller-)letzten Schritt – das Ingangsetzen der Thiopental-Infusion – besaß, der Angeklagte jedoch zuvor zentrale Handlungsbeiträge erbracht hat, die diejenigen der Geschädigten deutlich überwogen. So hat er zunächst das todbringende Medikament beschafft, zu dem die Geschädigte selbst keinen Zugang hatte. Er hat sodann der Geschädigten den Zugang in den linken Arm gelegt und dessen Funktionsfähigkeit mittels einer Natriumchlorid-Infusion überprüft. Er hat alsdann den zweiten Infusionsbehälter mit dem Thiopental vorbereitet und anschließend an das Infusionssystem angeschlossen.
Das Verhalten der Geschädigten beschränkte sich hingegen im Wesentlichen darauf, zu Beginn die ihr von dem Angeklagten zur Verfügung gestellten Formulare zu unterschreiben, ihm noch einmal verbal den Todeswunsch zu bestätigen, das Anlegen des Infusionssystems zu gestatten und schließlich – als letzte Handlung und ihrem momentanen Todeswunsch folgend – das Rädchen des Durchflussreglers zu drehen.
Die Kammer ist schließlich auch überzeugt, dass der Angeklagte nicht nur – wie dargelegt – um seine das Geschehen (mit-)beherrschende Stellung wusste, sondern dass er diese auch für sich angenommen hatte, denn es war – wie ebenfalls bereits dargelegt – sein Ziel, Einfluss auf die Entscheidung der Geschädigten zu nehmen. Sein Handeln ist dabei nach Ansicht des Gerichts auch vor dem Hintergrund seiner – in seiner Einlassung zu seiner Motivation als Sterbehelfer deutlich zum Ausdruck kommenden – grundsätzlichen Ablehnung einer unterschiedlichen Behandlung der Suizidhilfe in Fällen schweren körperlichen Leidens einerseits und schwerer psychischer Erkrankungen andererseits zu sehen.
b) Schuldfähigkeit des Angeklagten
Der Angeklagte handelte auch schuldhaft. Nach dem sicheren Eindruck, den die Kammer in der Hauptverhandlung von dem Angeklagten gewonnen hat, der Würdigung seiner umfangreichen persönlichen Einlassung und der Zeugenaussagen zu seinem Verhalten zur Tatzeit bestanden keine Zweifel an seiner voll erhaltenen Schuldfähigkeit. Der Angeklagte erfreut sich trotz fortgeschrittenen Lebensalters einer guten körperlichen und geistigen Gesundheit.
Es lag auch kein Fall des Verbotsirrtums nach § 17 StGB vor. Dem Angeklagten fehlte nicht die Einsicht, Unrecht zu tun, da er sowohl Kenntnis von den für die Verurteilung relevanten Tatsachen als auch von der einschlägigen Rechtslage hatte. Dass er die Tat dennoch beging, lag zur Überzeugung der Kammer daran, dass er seine stark ausgeprägten ethisch-moralischen Vorstellungen bezüglich des Rechts eines Menschen, mittels Suizids aus dem Leben zu scheiden, bewusst über die geltende Rechtslage, die in seinen Augen psychiatrisch Erkrankte diskriminiert, stellte.
2. Keine Tötung auf Verlangen
Die Tat des Angeklagten stellt keine Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB dar, da er nicht durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen der Geschädigten zur Tötung bestimmt wurde. Aufgrund der unter Nr. 1 dargestellten erheblichen Einschränkungen ihrer Freiverantwortlichkeit, von denen der Angeklagte Kenntnis hatte, stellte ihr Wunsch, dass er sie bei dem Suizid unterstütze, bereits kein "ernstliches Verlangen" im Sinne des § 216 StGB dar. Denn das Fehlen von Willensmängeln ist notwendige Voraussetzung der Ernstlichkeit eines Tötungsverlangens. Ein Verlangen in depressiver Augenblicksstimmung genügt jedenfalls dann nicht, wenn es nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit, also von einer tieferen Reflexion des Tatopfers über seinen Todeswunsch getragen wird (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10; BGH, Urteil vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11).
3. Einstellungen nach § 154a Abs. 2 StPO
Soweit sich der Angeklagte mit seinem Verhalten im Tatzeitraum bis einschließlich 12. Juli 2021 durch die Abgabe der Medikamente zu anderen Zwecken als einer ärztlichen Heilbehandlung auch nach den Vorschriften des BtMG sowie des AMG strafbar gemacht haben könnte, hat die Kammer mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Berlin das Verfahren auf die weiteren Vorwürfe beschränkt.
V. Strafzumessung
Die gegen den Angeklagten zu verhängende Strafe hat die Kammer dem Strafrahmen des § 213 StGB entnommen. Die Tat stellte sich wegen der altruistischen Motivation des Angeklagten, die Geschädigte von einem leidvollen Zustand zu erlösen und damit einen aus seiner Sicht drohenden alternativen "Gewaltsuizid" ihrerseits zu verhindern, als ein sonstiger minder schwerer Fall des Totschlags dar, der vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle dieses Delikts so weit nach unten abweicht, dass die Anwendung des Regelstrafrahmens nicht schuldangemessen gewesen wäre.
Bei der Strafzumessung im engeren Sinn hat das Gericht zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft sowie bereits im Ermittlungsverfahren hinsichtlich des objektiven Tatgeschehens weitestgehend geständig war. Die Tat liegt zudem rund zwei Jahre und neun Monate zurück; der Angeklagte ist seitdem nicht erneut straffällig geworden. Das Verfahren gegen ihn läuft seit dieser Zeit und damit lang, ohne allerdings in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden zu sein. Strafmildernd hat die Kammer ferner berücksichtigt, dass der Angeklagte bereits ein hohes Lebensalter erreicht hat und somit in gesteigertem Maße haftempfindlich ist. Weiterhin hat das Gericht auch die altruistische Motivation nochmals, wenn auch mit geringerem Gewicht, zu seinen Gunsten in die Abwägung eingestellt.
Zu Lasten des Angeklagten hat die Kammer berücksichtigt, dass er bei seinem Umgang mit der Geschädigten im Zuge des Tatgeschehens die Maßstäbe, die nach dem, ihm vertrauten, geltenden Recht bei der Prüfung und Durchführung einer Suizidbegleitung an ärztliches Handeln anzulegen sind, über die bloße Tatbestandsbegehung hinaus in mehrfacher Weise und in erheblichem Maße missachtet hat.
Das Gericht hat sodann, die vorgenannten und auch alle sonstigen für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgründe abwägend, eine
Freiheitsstrafe von 3 (drei) Jahren
als insgesamt tat- und schuldangemessen, erforderlich, aber auch ausreichend zur Erfüllung aller Strafzwecke verhängt.
VI. Freispruch im Übrigen
Soweit die Staatsanwaltschaft Berlin den Angeklagten darüber hinaus angeklagt hat, sich mit der unter II. 3. festgestellten gescheiterten Suizidbegleitung vom 24. Juni 2021 des versuchten Totschlags nach § 212 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB – und gemäß dem rechtlichen Hinweis der Kammer auch nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB – strafbar gemacht zu haben (Fall 1 der Anklage), hat ihn die Kammer unter Anwendung des Zweifelssatzes aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Die Kammer hat – anders als bei der Tat vom 12. Juli 2021 – hier nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Überzeugung feststellen können, dass die Geschädigte in der Zeit vom 3. bis 24. Juni 2021 in ihrem Suizidentschluss nicht gefestigt und dieser nicht dauerhaft gewesen ist.
Zwar war die Erlebens- und Gefühlswelt der Geschädigten ab Anfang Juni 2021 durch deren depressive Episode erheblich negativ verzerrt. Insofern wird zunächst auf die Ausführungen unter III. Nr. 3. lit. b), dort insbesondere die Aussage der Zeugin Rö. , verwiesen. Dafür, dass ihr Wunsch zu sterben Teil der Krankheitssymptomatik und nicht etwa das Ergebnis einer freiverantworteten Bilanzierung war, sprach auch, dass nach der nochmaligen erheblichen Verschlechterung ab Anfang Juni 2021 ihr Suizidwunsch plötzlich sehr drängend wurde.
Jedoch hat der Sachverständige Dr. Hü. , dessen Gutachten die Kammer auch insoweit nach der gebotenen eigenen Überprüfung gefolgt ist, unter Auswertung des Sachverhalts überzeugend dargelegt, dass für den Abend des 24. Juni 2021 auf kognitiver Ebene aus medizinisch-psychiatrischer Sicht keine erheblichen Einbußen der Geschädigten feststellbar seien. Soweit solche für die Nacht des 25. Juni 2021 insbesondere von dem medizinischen Rettungspersonal J. , Sch. und Pf. berichtet worden seien, betreffe dies einen Zeitpunkt der Geschädigten nach Wirkeintritt des am 24. Juni 2021 eingenommenen Diazepams. Die Kammer stimmt dem Sachverständigen zu, dass aus dem Zustand der Geschädigten in der Nacht des 25. Juni 2021 daher nicht auf ihren Geisteszustand am Vorabend geschlossen werden könne. Auch die Auswertung des Internetverlaufs der Geschädigten legte nahe, dass ihr Suizidwunsch zumindest in der Zeit vom 9. bis zum 24. Juni 2021 durchgängig bestand. Abweichendes ist in der Hauptverhandlung auch nicht von anderer Seite bekannt geworden. Nach den Feststellungen der Kammer traten ihre erheblichen Ambivalenzen mithin erst nach dem Suizidversuch vom 24. Juni 2021 auf; auch die von dem Angeklagten begangenen Täuschungen der Geschädigten fanden zu späteren Zeitpunkten statt.
Die Kammer ist somit unter Anwendung des Zweifelssatzes davon ausgegangen, dass die Geschädigte am 24. Juni 2021 ihren Suizidentschluss hinreichend freiverantwortlich fasste und dass der Angeklagte ihr daher lediglich straflose Suizidassistenz leistete.
Mithin kam auch keine Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung, wegen versuchter Tötung durch Unterlassen sowie wegen unterlassener Hilfeleistung in Betracht (vgl. zu den Unterlassungsdelikten BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18, Rn. 29 ff., 43 ff.).
VII. Kostenentscheidung
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf §§ 464, 465 Abs. 1 Satz 1 StPO, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist; im Übrigen beruht die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten auf § 467 Abs. 1 StPO.
Inhaltsverzeichnis
I.
Persönliche Verhältnisse
1.
Lebenslauf
2.
Haftverhältnisse
II.
Feststellungen
1.
Leben und Krankheitsgeschichte der Geschädigten R. bis Mai 2021
a)
Kindheit, Jugend und Adoleszenz in Bayern
b)
Zeit in Berlin vom Jahr 2013 bis Sommer 2020
c)
Verschlechterung des Gesundheitszustandes ab etwa Herbst 2020
2.
Suizidentschluss und Vorgespräche mit dem Angeklagten
3.
Gescheiterter Suizidversuch am 24. Juni 2021 (Fall 1 der Anklage)
4.
Geschehen vom 25. Juni 2021
5.
Unterbringung vom 27. Juni bis 12. Juli 2021
a)
Unterbringung nach dem PsychKG
b)
Behandlungsverlauf und Ambivalenz der Geschädigten
c)
Suizidvorbereitung und Entlassung am 12. Juli 2021
6.
Tat vom 12. Juli 2021 (Fall 2 der Anklage)
7.
Nachtatgeschehen
III.
Beweiswürdigung
1.
Einlassung des Angeklagten
a)
Beruflicher Werdegang und Tätigkeit als Freitodbegleiter
b)
Motivation als Sterbehelfer
c)
Kontaktaufnahme und Erstgespräch
d)
Geschehen am 24. und 25. Juni 2021
e)
Verlauf der Unterbringung in der Bodelschwingh-Klinik
f)
Tat vom 12. Juli 2021
g)
Einlassung des Angeklagten in Bezug auf die Freiverantwortlichkeit der Geschädigten
2.
Bestätigung der Einlassung zum objektiven Geschehen
3.
Leben und Erkrankung der Geschädigten
a)
Lebensweg und allgemeine Krankheitsgeschichte
b)
Krankheitsverlauf vom 1. bis 24. Juni 2021
c)
Krankheitsverlauf nach dem 24. Juni 2021
d)
Diagnose der Grunderkrankung
e)
Zumindest mittelgradige depressive Episode im Tatzeitraum
f)
Vorhandensein weiterer Behandlungsansätze und Wissen der Geschädigten um diese
4.
Eingeschränkte Freiheit des Suizidwunsches
a)
Grundsätze des freien Willens
b)
Moderate kognitive Beeinträchtigung
c)
Erhebliche affektive Beeinträchtigung
d)
Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. D.
5.
Kein ernsthafter bzw. dauerhafter Todeswunsch der Geschädigten und Wissen des Angeklagten hierum
a)
Text- und Sprachnachrichten mit dem Angeklagten
b)
Auswirkung des Suizidangebots
c)
Sprachnachrichten an die Zeuginnen Hü. und P.
d)
Internetnutzung während der Unterbringung
e)
Keine grundlegende Täuschung über Lebenswillen und Zukunftspläne
6.
Täuschung des Angeklagten über seine Bereitschaft, ggf. aktive Sterbehilfe zu leisten
IV.
Rechtliche Würdigung
1.
Totschlag in mittelbarer Täterschaft
a)
Fehlende Freiverantwortlichkeit der Geschädigten und Tatherrschaft des Angeklagten