LArbG Berlin-Brandenburg 5. Kammer, Urteil vom
4.April 2024 , Az: 5 Sa 894/23
Fristlose Kündigung eines Redakteurs der Deutschen Welle wegen antisemitischer Äußerungen in den Sozialen Medien - Meinungsfreiheit und Tendenzschutz - Personalratsbeteiligung
Leitsatz
1. Ein in der arabischen Redaktion der Deutschen Welle beschäftigter gehobener Redakteur übt eine tendenzbezogene Tätigkeit aus. Er ist deshalb verpflichtet, sowohl bei seiner Arbeitsleistung als auch im außerbetrieblichen Bereich nicht gegen die Tendenz, das heißt die grundsätzlichen Zielsetzungen der Deutschen Welle, zu verstoßen. Zu diesen gehören, das Existenzrecht Israels nicht in Frage zu stellen und sich gegen Antisemitismus und jegliche Versuche, diese zu verbreiten, einzusetzen. Bei schwerwiegenden Verstößen gegen diese Grundsätze kommt eine fristlose Kündigung in Betracht.
2. Veröffentlicht ein Redakteur der Deutschen Welle auf Sozialen Medien privat Äußerungen, die bei Zugrundelegung der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) antisemitischen Charakter haben und das Existenzrecht Israels in Abrede stellen, liegt ein zur fristlosen Kündigung berechtigender wichtiger Grund im Sinne von § 626 Absatz 1 BGB vor.
3. Da der Redakteur aufgrund der Rundfunkfreiheit der Deutschen Welle gemäß Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz gehalten ist, die Tendenz der Deutschen Welle zu wahren, kann er sich für antisemitische und das Existenzrecht Israels leugnende Äußerungen auch nicht mit Erfolg auf seine Meinungsfreiheit (Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz) berufen.
4. Von dem Redakteur zum Zeitpunkt seiner Tätigkeit im Rahmen eines freien Mitarbeiterverhältnisses veröffentlichte Äußerungen antisemitischen Charakters wirken sich auch nach der anschließenden Begründung eines Arbeitsverhältnisses als zur Rufschädigung der Deutschen Welle geeignet und damit als Pflichtverletzungen aus, wenn sie weiterhin öffentlich abrufbar sind.
5. Eine vor Ablauf der Frist nach § 86 Satz 3 BPersVG ausgesprochene außerordentliche Kündigung ist nicht unwirksam, wenn zu diesem Zeitpunkt eine abschließende Stellungnahme des Personalrates vorliegt.
Orientierungssatz
(Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt unter dem Aktenzeichen 6 AZN 396/24)
Fundstellen
NZA-RR 2024, 351-357 (ST) NZA 2024, 987 (S)
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Berlin 24.02.2023 56 Ca 2087/22
nachgehend BAG 01.01.+1000000000 6 AZN 396/24
Langtext
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. Februar 2023 – 56 Ca 2087/22 – abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision des Klägers wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten vornehmlich über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses sowie die vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers.
Die Beklagte, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, bietet für das Ausland Rundfunk (Hörfunk, Fernsehen) und Telemedien an (§ 3 Absatz 1 Deutsche-Welle-Gesetz). Gemäß § 5 Absatz 3 Satz 1 des Deutsche-Welle-Gesetzes soll die Berichterstattung der Beklagten umfassend, wahrheitsgetreu und sachlich sein sowie in dem Bewusstsein erfolgen, dass die Sendungen der Deutschen Welle die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu ausländischen Staaten berühren. Die Beklagte bietet Fernsehen, Radio und einen Internetauftritt an. Die Sie beschäftigt in der Regel – ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten – mehr als zehn Arbeitnehmer/innen (in Vollzeit). Bei ihr ist ein Personalrat gebildet.
Die Beklagte stellt auf dem Internetportal der Chefredakteurin sog. "Positionspapiere" bereit. Erstmals im Jahr 2020 veröffentlichte sie dort ein Positionspapier mit dem Titel "…". In diesem heißt es u.a., dass Deutschland wegen seiner Vergangenheit als Verursacher des Holocaust eine besondere Verantwortung für Israel habe. Das Vermächtnis des Holocaust und die deutsche Vergangenheitsbewältigung seien Eckpfeiler der deutschen Verfassung und Leitlinien der deutschen Politik. Weiter heißt es dort zur Position der Beklagten:
"Als Deutsche Welle stellen wir das Existenzrecht Israels nicht in Frage und erlauben dies auch niemand anderem in unserer Berichterstattung. Wir setzen uns gegen Antisemitismus und jegliche Versuche ein, diesen zu verbreiten (...). Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass es keine Kritik an der Politik Israels geben kann. Wir bleiben der Verpflichtung treu, unparteilich und mit einer angemessenen Gewichtung zu berichten (...)."
Wegen des weiteren Inhalts des Positionspapiers wird auf Anlage B2 Bezug genommen (Blatt 83 - 85 der Akte).
Ein weiteres im Intranet abrufbares Positionspapier der Beklagten, ebenfalls aus dem Jahr 2020, trägt den Titel "…". Hierin heißt es in der aktuellen Fassung:
"Kritik an Israel wird jedoch zu Antisemitismus, wenn sie das Ziel hat, Jüdinnen und Juden als Volk zu verunglimpfen, den jüdischen Glauben und die jüdische Kultur zu diskreditieren oder dem israelischen Staat seine Legitimität abzusprechen.
Sie wird darüber hinaus antisemitisch, wenn im Zusammenhang mit Israel antisemitische Bilder, Stereotype oder Adjektive wie "blutrünstig" oder "gierig" verwendet werden."
Der am … 1973 geborene Kläger ist seit Februar 2005 bei der Beklagten als Redakteur in freier Mitarbeit tätig, ab 2009 mit einem Rahmenvertrag, der jährlich verlängert wurde. Seit dem 1. November 2017 war er auf der Grundlage eines unbefristeten Honorarrahmenvertrages vom 5. Juli 2017 als Programmitarbeiter bei der Beklagten beschäftigt (Blatt 11 ff der Akte). Seit dem 1. Juli 2021 ist er am Standort B. als gehobener Redakteur aufgrund Arbeitsvertrages vom 23. Juni 2021 bei der Beklagten tätig (Blatt 14 ff der Akte). Der Arbeitsvertrag ist bis zum 30. Juni 2023 befristet. In § 9 des Vertrages ist bestimmt, dass der Honorar-Rahmenvertrag und das arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis während der Laufzeit des befristeten Arbeitsvertrags ruhen.
Zuletzt bezog der Kläger von der Beklagten eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von …Euro.
Der Kläger verfasste verschiedene Beiträge auf seinem öffentlich einsehbaren A-Profil und seinem öffentlichen B Account, zum Teil in deutscher und zum Teil in arabischer Sprache, die sich mit dem Thema Israel und Nahostkonflikt beschäftigten. Auf dem A Account waren am 17. Oktober 2023 Beiträge seit 2017 einsehbar, auf dem B Account waren am 17. Oktober 2023 Beiträge seit 2012 einsehbar.
Soweit die Beklagte Äußerungen des Klägers in diesen Medien zur Rechtfertigung der streitgegenständlichen Kündigungen heranzieht, stammen diese Veröffentlichungen auf A vom 30. Juli 2014 (am 17. Oktober 2023 nicht mehr einsehbar): "#C …" (Schriftsatz der Beklagten vom 16. Juni 2022, Seite 14; Blatt 57 der Akte), 08. Juli 2018: "Liebe Palästinenser in der Diaspora, packt eure Taschen ein und bucht die Tickets des Rückkehrs. Die Fronten in Palästina sind auf jeder Ecke beschäftigt. Es scheint so, dass der Befreiungskrieg begonnen hat." (deutsche Übersetzung, Anlage BB 6; Blatt 424 der Akte), 18. Juli 2018 (am 17. Oktober 2023 nicht mehr einsehbar): "Früher rechtfertigten wir die Voreingenommenheit der globalen Medienlandschaft zugunsten Israels mit der Kontrolle der zionistischen Lobby über die fünf größten internationalen Nachrichtenagenturen. Heute, nachdem wir die Schlüssel zu den Medien haben, bestehen wir immer noch darauf, das israelische Narrativ zu übertragen und uns auf diejenigen Themen zu konzentrieren, auf die Israel möchte, dass wir uns konzentrieren. Wir alle singen 2 von den Errungenschaften und Heldentaten des Drachensteigens; wir haben allerdings das tägliche Töten der Palästinenser vergessen… Die Siedlungspolitik, die Frage von Jerusalem, die Belagerung und Verhungerung Gazas, die Beschlagnahmung von Land, die Schlacht von D, die Gefangenen, der Hungerstreik der Gefangenen. Möge Gott euch belohnen!!" (Schriftsatz der Beklagten vom 16. Juni 2022, Seite 9 f; Blatt 52 f der Akte) und 18. August 2018: "Nero starb, doch Rom starb nicht. Ja … ihr werdet sterben und Palästina wird bleiben." (deutsche Übersetzung, Anlage BB 5; Blatt 423 der Akte) und auf B vom 19. November 2012: "Wenn es um Palästina geht, dann sehen wir nur Zerstörung, aber wenn es um Israel geht, dann sehen wir Menschen und Opfer… ist das die neue deutsche/Spiegel Neutralität?" (Anlage BB 8; Blatt 426 der Akte), 18. Juli 2014: "Wie lange noch müssen deutsche Medien solche Lügen der israelischen Armee weiterverbreiten? Israel hat gestern ein Krankenhaus bombardiert und bis jetzt 22 Menschen das Leben gekostet! Deutsche Journalisten in Palästina und Israel bekommen Infos ausschließlich aus der israelischen Armee, deshalb sehen wir solche Titel." (Anlage BB 7; Blatt 425 der Akte), 20. Juli 2014 (am 17. Oktober 2023 nicht mehr einsehbar): "…!" (Schriftsatz der Beklagten vom 16. Juni 2022, Seite 13; Blatt 56 der Akte), 14. Juli 2018: "#..." (Anlage BB 4; Blatt 422 der Akte) und 30. Juni 2019: "…." (deutsche Übersetzung, Anlage BB 9; Blatt 427 der Akte). Ferner wird der Kläger in dem Online News Portal "E" in einem auf den 22. Juni 2018 datierten Artikel auszugsweise wie folgt zitiert: "... Diese beschleunigten Maßnahmen haben Befürchtungen in Deutschland verstärkt, dass die Antisemitismusgesetze, die durch den Druck der jüdischen Lobby im Land zustande kamen, ausgenutzt werden, um die Nägel von Kritikern der Politik des israelischen Besatzungsstaates zu kürzen..." und "...das Eindringen der jüdischen Lobby in diesem Land, ihre Kontrolle über viele deutsche Institutionen und ihr Versuch, jede Handlung, die kritisch gegenüber Israel ist, mit Antisemitismus in Verbindung zu bringen; und genau hier liegt die Gefahr. Aber wenn es sich nur um eine Art Kontrolle (oder: Beobachtung) handelt, dann ist das nicht schlecht..." (Schriftsatz der Beklagten vom 16. Juni 2022, Seite 10 f; Blatt 53 f der Akte).
Ab November 2021 berichteten verschiedene Medien darüber, dass bei der Beklagten Mitarbeitende tätig seien, die sich antisemitisch geäußert hätten. Auf die Darstellung der Beiträge in der F, dem online-Magazin G, in H, in I und J im Schriftsatz der Beklagten vom 16. Juni 2022 auf Seite 17 fortfolgende (Blatt 60 fortfolgende der Akte) wird verwiesen. Die Beklagte beauftragte daraufhin Herrn K, einen deutsch-israelischen Psychologen und Autor, sowie Frau L, Justizministerin a.D., am 14. Dezember 2021 mit der Durchführung einer externen Untersuchung. Am 19. Januar 2022 nahm der Kläger auf Einladung gegenüber Herrn K zu ihm vorgehaltenen Äußerungen Stellung. Eine Fassung des Prüfungsberichts wurde am 6. Februar 2022 veröffentlicht (Anlage BB 10; Blatt 363 ff der Akte).
2022, als es zu der Untersuchung kam, löschte der Kläger einige der beanstandeten Beiträge.
Am 3. Februar 2022 kontaktierte ein Redakteur der I den Kläger per E-Mail und bat um Rückmeldung zu Äußerungen des Klägers im Jahr 2014 auf B und A und zu Zitaten in einem Artikel der arabischsprachigen Nachrichtenseite "E". Der Kläger leitete die E-Mail an den Pressesprecher der Beklagten, den Nachrichtenchef der arabischen Redaktion und den Redaktionsleiter weiter (Anlage K 11; Blatt 178 f der Akte).
Am 7. Februar 2022 gab die Beklagte dem Kläger Gelegenheit, bis zum 9. Februar 2022 zu den genannten Äußerungen/Beiträgen Stellung zu nehmen. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass weitere rechtliche Schritte bis hin zur außerordentlichen Kündigung vorbehalten blieben.
Der Kläger nahm mit Schreiben vom 9. Februar 2022 Stellung. Darin erklärt er ausdrücklich, dass er sich vollumfänglich mit den Zielen und der Mission der Deutschen Welle und ihrem Einstehen für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und Antirassismus identifiziere. Darüber hinaus erklärt der Kläger unter anderem, dass er für die Zweistaatenlösung Israels und Palästina eintrete, das Existenzrecht Israels vollumfänglich anerkenne und der Holocaust ein einzigartiges Menschenrechtsverbrechen darstelle, dessen Verharmlosung für ihn in keiner Weise akzeptabel sei. Wegen des Inhalts der Stellungnahme des Klägers im Einzelnen wird auf die Anlage B 5 (Blatt 96 ff der Akte) Bezug genommen.
Mit dem Vorsitzenden des bei ihr gebildeten Personalrates am 16. Februar 2022 zugegangenem Schreiben vom 14. Februar 2022, auf dessen Inhalt verwiesen wird (Anlage B 6, Blatt 99 ff der Akte), teilte die Beklagte mit, sie beabsichtige, das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich verhaltensbedingt zu kündigen. Am 16. Februar 2022 erklärte der Personalratsvorsitzende gegenüber der Beklagten per E-Mail: "...Wir werden auch zur Kündigung von M keine Einwände erheben... (Blatt 269 der Akte).
Mit Schreiben vom 18. Februar 2022, welches der Kläger am gleichen Tag erhielt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2022, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin (Blatt 19 der Akte).
Der Kläger wies die Kündigung mit am gleichen Tag zugegangenem Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 2. März 2022 gemäß §§ 174 Satz 1, 180 BGB zurück (Anlage B 7, Blatt 110 der Akte).
Mit der am 2. März 2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 17. März 2022 zugestellten Klage, die er im Laufe des Rechtsstreits erweitert hat, hat sich der Kläger unter anderem gegen die Kündigungen gewendet und seine Weiterbeschäftigung begehrt. Er hat vorgetragen, dass er im Rahmen seiner freien Mitarbeit für die Beklagte kein Tendenzträger gewesen sei. Seine Äußerungen und Beiträge aus den Jahren 2012 und 2014 lägen circa 8 beziehungsweise10 Jahre zurück. Es sei rechtsmissbräuchlich, sie als Kündigungsgrund heranzuziehen. Er habe sich von diesen Posts distanziert und tue dies erneut. Er bestreite die Richtigkeit der Übersetzung der arabischsprachigen Posts seitens der Beklagten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Übersetzung den Inhalt nicht richtig erfasse. Der Kläger meint, seine Tweets seien nicht antisemitisch oder israelfeindlich. Er benutze häufig das Stilmittel der Ironie, um auf Missstände hinzuweisen beziehungsweise Kritik zu üben. Mit dem Post vom 19. November 2012 kritisiere er die Berichterstattung des N zum Gaza-Konflikt. Bei der Äußerung vom 18. Juli 2014 handele es sich um eine Richtigstellung in Richtung des N, der davon berichtet habe, dass Israel einen Hamas-Tunnel bombardiert habe. Er, der Kläger, habe dagegen davon berichtet, dass bei dem Angriff ein Krankenhaus getroffen worden sei und mehr als 20 Menschen den Tod gefunden hätten. Den Post am 20. Juli 2014 auf B habe er im Zustand höchster Emotionalität vor dem Hintergrund immer wiederkehrender Angriffe von israelischer Seite auf palästinensischem Gebiet abgegeben. Er sei damals vor Ort gewesen. Er stelle klar, dass seine Ausdrucksweise und sein Vergleich zum Holocaust ein immenser Fehler sei, der nicht gerechtfertigt werde könne. Insoweit bitte er ausdrücklich um Entschuldigung. Seine Posts vom 30. Juli 2014 auf A seien eine satirische und überspitzt formulierte Aufforderung zu einer Diskussion über die Äußerungen des damaligen israelischen Ministerpräsidenten gewesen, der kurz zuvor die Existenzberechtigung Palästinas abgelehnt und bekundet habe, dass es unter ihm keinen palästinensischen Staat geben werde. Für die konkrete Formulierung entschuldige er sich. Hintergrund des Posts vom 14. Juli 2018 sei der Einsatz von Gasgranaten im Dorf O durch israelische Soldaten gewesen. Dies habe er als Betroffener miterlebt, da er sich zu der Zeit mit seinen Kindern zu Besuch bei seiner Familie in diesem Dorf befunden habe. In seinem Tweet vom 18. August 2018 kritisiere er auf ironische Weise die palästinensische Autonomiebehörde, nachdem ein junger Palästinenser durch palästinensische Sicherheitskräfte der Autonomiebehörde im Gefängnis durch Folter getötet worden sei. Auch der Tweet vom 18. Juli 2018 sei ironisch gemeint. Er, der Kläger, kritisiere ausdrücklich das Vorgehen der Palästinenser ("… wir haben allerdings das tägliche Töten der Palästinenser vergessen …"). Im Anschluss daran rufe er die Palästinenser auf, sich in ernsthafter Art und Weise mit den Problemen zu befassen, die sich im Rahmen des Israel-Konflikts ergäben. Hinsichtlich der wiedergegebenen Zitate im Online News Portal "E" sei zu berücksichtigen, dass er hier lediglich über verschiedene Artikel beziehungsweise Analysen berichte, die sich mit der Thematik auseinandergesetzt hätten. Mit dem Post vom 30. Juni 2019 habe er nicht das Existenzrecht Israels in Frage gestellt. Es sei zu berücksichtigen, dass er nach Veröffentlichung der Positionspapiere der Beklagten im Jahr 2020 keinerlei Äußerungen zum Thema Israel und Palästina abgegeben habe. Auch seien alle strittigen Äußerungen von seinen Social-Media-Profilen inzwischen entfernt worden. Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei nicht eingehalten. Die Beklagte müsse vor dem 4. Februar 2022 bereits Kenntnis vom Kündigungssachverhalt gehabt haben.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das mit Vertrag vom 23.06.2021 begründete Anstellungsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 18.02.2022, zugegangen am 18.02.2022, nicht aufgelöst worden ist;
2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Anstellungsverhältnis auch durch die fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 18.02.2022, zugegangen am 18.02.2022, nicht aufgelöst worden ist;
3. festzustellen, dass das Anstellungsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endete, sondern über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus andauert;
a) für den Fall des Obsiegens mit dem Klageantrag zu Ziff. 1, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 30.06.2022 als gehobenen Redakteur zu einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von … Euro weiter zu beschäftigen;
b) für den Fall des Obsiegens mit dem Klageantrag zu Ziff. 2, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 18.02.2022 als gehobenen Redakteur zu einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von … Euro bis zum 30.06.2023 weiter zu beschäftigen;
c) kommt die Beklagte der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Klägers nicht innerhalb einer Frist von einer Woche nach Zustellung der Entscheidung nach, wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch …Euro nicht unterschreiten sollte;
4. festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 04.03.2022, jedenfalls jedoch seit dem 14.03.2022, im Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die Klage sei unzulässig, weil ein gesetzlicher Vertreter der Beklagten in der Klageschrift nicht bezeichnet worden sei, weshalb sie sich gegen eine nicht prozessfähige Partei richte und zudem nicht innerhalb der Klagefrist zugestellt worden sei. Ferner habe der Kläger die Kündigung nicht unverzüglich zurückgewiesen. Ein wichtiger Grund zur Kündigung habe vorgelegen. Dem Kläger habe die Haltung der Beklagten zu Antisemitismus und insbesondere dem Bekenntnis zum Existenzrecht Israels bekannt sein müssen. Der Kläger sei verpflichtet gewesen, dieser Haltung der Beklagten in ihrem Wirken zu entsprechen. Das ergebe sich auch aus der Eigenschaft der Beklagten als Tendenzunternehmen und der Tendenzträgereigenschaft des Klägers. Der Kläger habe sich dem zuwider in seinem A-Profil und auf B antisemitisch geäußert und das Existenzrecht Israels in Frage gestellt. Die Posts seien öffentlich einsehbar gewesen. Der Kläger habe sich auch im Nachhinein in seiner Stellungnahme vom 9. Februar 2022 nicht inhaltlich von den Äußerungen distanziert. Eine vorherige Abmahnung sei nicht erforderlich gewesen. Eine Weiterbeschäftigung auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei aufgrund der Schwere der Verletzung der Tendenztreue unzumutbar. Die Aufdeckung der klägerischen Äußerungen habe zu einem erheblichen Vertrauensverlust geführt. Die Zweiwochenfrist des § 626 Absatz 2 BGB sei gewahrt. Am 4. Februar 2022 hätten die mit der Untersuchung Beauftragten dem Intendanten einen Bericht mit namentlichen Angaben zu weiteren, bislang unbekannten Äußerungen von Beschäftigten der arabischen Redaktion zugeleitet, darunter die des Klägers. Der Kläger sei sodann zeitnah angehört worden und die Kündigung binnen der Zweiwochenfrist des § 626 Absatz 2 BGB zugegangen. Jedenfalls sei die hilfsweise ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt. Der Personalrat sei zu beiden Kündigungen ordnungsgemäß beteiligt worden.
Mit am 24. Februar 2023 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als gehobenen Redakteur weiter zu beschäftigen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die außerordentliche Kündigung sei unwirksam, weil ihr kein wichtiger Grund zugrunde liege. Sämtliche dem Kläger vorgeworfenen Äußerungen und Posts stammten aus einem Zeitraum vor dem Beginn des Arbeitsverhältnisses und seien nach dem Vortrag der Beklagten vom Kläger nach dem Rundschreiben der Chefredaktion und vor Beginn des Arbeitsverhältnisses entfernt worden. Eine personenbedingte Kündigung, welche durch die Äußerungen des Klägers gegebenenfalls gerechtfertigt sein könne, habe die Beklagte nicht ausgesprochen. Zudem stellten die Äußerungen mit Ausnahme derjenigen vom 20. Juli 2014 auf B und vom 30. Juli 2014 auf A keine antisemitischen beziehungsweise das Existenzrecht Israels leugnende Äußerungen dar und seien von seiner Meinungsfreiheit gedeckt. Für die Äußerungen vom 20. und 30. Juli 2014 habe sich der Kläger ausdrücklich entschuldigt und in seiner Stellungnahme vom 9. Februar 2022 klargestellt, dass er sich mit den Werten der Deutschen Welle und ihrer Position zu Israel vollumfänglich identifiziere, so dass es der Beklagten nicht unzumutbar sei, den Kläger auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Aus diesem Grund sei der Beklagten auch zuzumuten gewesen, an Stelle der hilfsweisen ordentlichen Kündigung auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen. Zudem habe die Beklagte diese Kündigung vor Ablauf der Frist für die Stellungnahme des Personalrates nach § 81 Absatz 2 Satz 1 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) ausgesprochen. Die behauptete Äußerung des Personalratsvorsitzenden vom 16. Februar 2022 sei als Ankündigung zu verstehen gewesen, binnen der gesetzlichen Frist keine Zustimmungsverweigerungsgründe geltend zu machen. Schließlich könne der Kläger auch die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses verlangen. Überwiegende schutzwerte Interessen der Beklagten stünden dem nicht entgegen.
Gegen dieses der Beklagten am 27. Juli 2023 zugestellte Urteil richtet sich die am 22. August 2023 eingegangene und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23. Oktober 2023 am 23. Oktober 2023 begründete Berufung. Sie trägt vor, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe vorgetragen, der Kläger habe die streitgegenständlichen Beiträge nach einem Rundschreiben der Chefredaktion entfernt. Unabhängig von den Positionspapieren der Beklagten müsse der Kläger die Vorgaben der Beklagten zu den Themen Antisemitismus und Israelkritik kennen. Die veröffentlichten Beiträge erfüllten die Definition des Antisemitismus der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken. Auch vor Beginn des Arbeitsverhältnisses getätigte und während des Arbeitsverhältnisses beibehaltene Beiträge könnten als Kündigungsgrund herangezogen werden. Die unabhängig von seiner Stellung als freier Mitarbeiter oder Arbeitnehmer bestehenden und sich auch auf das außerbetriebliche Verhalten des Klägers auswirkenden Loyalitätspflichten habe dieser schwerwiegend verletzt. Durch die Äußerungen habe der Kläger die Gefahr eines massiven Reputationsverlustes der Beklagten herbeigeführt, die sich aufgrund von Äußerungen anderer Beschäftigter der arabischen Redaktion bereits realisiert habe. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts seien alle Beiträge nicht vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Die Repräsentanz der Haltung der Beklagten zu Themen wie Antisemitismus sei eine zentrale Aufgabe des Klägers. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei zudem in der E-Mail des Personalratsvorsitzenden vom 16. Februar 2022 eine abschließende Äußerung zu den beabsichtigten Kündigungen zu sehen.
Die Beklagte beantragt,
Das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24.02.2023 – Aktenzeichen 56 Ca 2087/22 – wird teilweise geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger trägt vor, es sei festzuhalten, dass sämtliche strittigen Äußerungen des Klägers zeitlich weit vor der Veröffentlichung des Positionspapiers der Beklagten aus 2020 in sozialen Netzwerken gepostet worden seien. Die Beklagte habe auch kein Verbot unparteiischer Kritik an israelischer Politik ausgesprochen. Die Beiträge entbehrten des antisemitischen oder israelfeindlichen Charakters und bedienten sich teilweise des Stilmittels der Ironie. Der Beitrag vom 20. Juli 2024 sei in einem Zeitpunkt höchster Emotionalität verfasst worden, für ihn habe er sich entschuldigt. Die Beklagte habe zudem bereits vor dem 04. Februar 2022 von den streitgegenständlichen. Äußerungen des Klägers Kenntnis erlangt, da regelmäßig Zwischenergebnisse übermittelt worden seien. Schließlich sei das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Personalrat am 16. Februar 2022 keine Zustimmung zu den beabsichtigten Kündigungen erklärt habe.
Wegen des weiteren Vortrages der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze und Anlagen der Beklagten vom 23. Oktober 2023 (Blatt 326 bis 427 der Akte) und vom 16. Januar 2024 (Blatt 455 bis 470 der Akte), des Klägers vom 22. Dezember 2023 (Blatt 438 bis 453 der Akte) und vom 29. Februar 2024 (Blatt 547 bis 548 der Akte) sowie auf die Protokolle dem mündlichen Verhandlungen vom 25. Januar 2024 (Blatt 535 bis 537 der Akte) und vom 4. April 2024 (Blatt 554 bis 556 der Akte) verwiesen.
Die Kammer hat Beweiserhoben durch Vernehmung des Zeugen P. Wegen des Beweisbeschlusses wird auf das Protokoll des Verkündungstermins vom 22. Februar 2024 (Blatt 542 der Akte) und wegen des Beweisergebnisses auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4. April 2024 (Blatt 554 bis 558 der Akte) verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist gemäß §§ 8 Absatz 2, 64 Absatz 2 Buchstabe c) und Absatz 6, 66 Absatz 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), 519 Zivilprozessordnung (ZPO) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden.
1. Die Frist für die Berufung gegen das am 24. Februar 2023 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts begann gemäß § 66 Absatz 1 Satz 2 Alternative 2 ArbGG am 24. Juli 2023 zu laufen, bevor sie am 24. August 2023 ablief ging die Berufungsschrift vom 22. August 2023 am gleichen Tag auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 46 c Absatz 4 Nummer 2 ArbGG und mit qualifizierter elektronischer Signatur der verantwortenden Person beim Landesarbeitsgericht ein. Die Berufungsbegründungsschrift ging sodann innerhalb der gemäß § 66 Absatz 1 Satz 5 ArbGG bis zum 23. Oktober 2023 verlängerten Berufungsbegründungsfrist auf gleichem Weg am 23. Oktober 2023 beim Landesarbeitsgericht ein. Diese enthält auch eine den §§ 64 Absatz 6 ArbGG, 520 Absatz 3 ZPO genügende Begründung.
2. Dass der Beklagten eine Urteilsabschrift zugestellt wurde, die auf Seite 9 an Stelle des sich im Original des Urteils befindlichen Satzes "Die Klage hat überwiegend Erfolg" den Satz "Die Klage hat lediglich Erfolg, soweit die Klägerin sich gegen die Abmahnungen vom 14. Juli 2021 und 12. November 2021 wendet" enthält, hat auf den Beginn des Laufs der Berufungsfrist keine Auswirkungen. Unbedeutende Abweichungen der Ausfertigung von der Urschrift sind kein Hinderungsgrund für die Wirksamkeit der Urteilszustellung (Musielak/Voit/Musielak, 20. Aufl. 2023, ZPO § 317 Randnummer 3). Ohnehin begann hier die Berufungsfrist unabhängig von der Urteilszustellung gemäß § 66 Absatz 1 Satz 2 Alternative 2 ArbGG bereits fünf Monate nach der Verkündung des angefochtenen Urteils zu laufen.
II. Die Berufung ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung vom 18. Februar 2022 mit dem 18. Februar 2022 aufgelöst worden. Der gegen die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 18. Februar 2022 gerichtete Klageantrag fällt nicht zur Entscheidung an, ebenso nicht die Hilfsanträge zu a) und b). Das angefochtene Urteil ist entsprechend abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
1. Die mit der Klageschrift vom 02. März 2022 erhobene Kündigungsschutzklage ist entgegen der erstinstanzlich geäußerten Rechtsauffassung der Beklagten nicht deshalb mangels eigener Prozessfähigkeit unzulässig, weil in der Klageschrift der gesetzliche Vertreter der Beklagten nicht bezeichnet worden ist. Die Beklagte ist prozessfähig im Sinne des § 51 Zivilprozessordnung (ZPO), weil sie durch ihren Intendanten gesetzlich vertreten ist und sich durch Verträge verpflichten kann (§ 52 ZPO). Dass der Kläger den gesetzlichen Vertreter der Beklagten im Rubrum der Klageschrift vom 02. März 2022 nicht bezeichnet hat, ändert an diesem objektiven Befund nichts und führt auch nicht zur Unzulässigkeit der Klage. Zwar sollen nach § 130 ZPO die gesetzlichen Vertreter der Parteien mit Namen, Stand und Wohnort in der Klageschrift zwar angegeben werden. Da das aber bloß eine Sollvorschrift ist und § 253 ZPO zur gültigen Klageerhebung die Bezeichnung zwar der Parteien, nicht aber ihrer Vertreter verlangt, kann die Angabe der Parteivertreter noch im Laufe des Rechtsstreits nachgeholt werden (BGH, Urteil vom 10. März 1960 – II ZR 56/59 –, BGHZ 32, 114-123, Randnummer 12), so wie es hier der Kläger mit seinem Schriftsatz vom 22. September 2022 getan hat.
2. Die gegen die außerordentliche Kündigung gerichtete Klage ist entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts jedoch unbegründet. Diese Kündigung ist weder nach § 626 BGB, noch aus anderen Gründen unwirksam.
a) Dem Arbeitsgericht ist allerdings darin zuzustimmen, dass die Kündigungsschutzklage vom 02. März 2022 innerhalb der Frist der §§ 13 Absatz 1 Satz 2, 4 KSchG erhoben worden und die außerordentliche Kündigung nicht bereits gemäß §§ 13 Absatz 1 Satz 2, 7 KSchG als wirksam anzusehen ist. Das beide angegriffenen Kündigungen enthaltende Kündigungsschreiben vom 18. Februar 2022 ist dem Kläger am 18. Februar 2022 zugegangen, die Klageschrift vom 02. März 2022 ging am gleichen Tag als gemäß § 46 c Absatz 3 ArbGG am 02. März 2022 auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 46 c Absatz 4 Nummer 2 ArbGG und mit qualifizierter elektronischer Signatur der verantwortenden Person übersendetes elektronisches Dokument beim Arbeitsgericht ein und wurde der Beklagten am 17. März 2022 und damit gemäß § 167 ZPO "demnächst" zugestellt. Dass die Klageschrift den gesetzlichen Vertreter der Beklagten nicht auswies und auch nicht durch Übergabe an diesen erfolgte, ist auch insoweit unerheblich. Die Zustellung erfolgte vorliegend mit Behändigungsschein, der am 17. März 2022 von einem "Sachbearbeiter m.b.A." der Beklagten unterzeichnet wurde. Eine Übergabe der Klageschrift an den gesetzlichen Vertreter der Beklagten war nicht erforderlich, weil an den in § 173 Absatz 2 ZPO benannten Personenkreis – zu dem die Beklagte gehört – gemäß § 175 Absatz 1 ZPO gegen Empfangsbekenntnis – welches der Behändigungsschein vom 17. März 2022 enthält – zugestellt werden kann, auch wenn der gesetzliche Vertreter das Empfangsbekenntnis nicht abgibt. Welcher Bedienstete innerhalb der Behörde für die Entgegennahme von Zustellungen zuständig ist, richtet sich nach der behördeninternen Aufgabenverteilung. Der Behörde ist es dabei freigestellt, wie sie intern den Empfang von Schriftstücken organisiert und wem sie die eventuell hierbei erforderlichen Mitwirkungshandlungen überträgt. Einer nach außen hin bestehenden Vertretungsberechtigung eines Mitarbeiters muss nicht zugleich auch eine innerbehördliche Zuständigkeit folgen. Insbesondere der Behördenleiter ist nicht verpflichtet, bei der Zustellung im vereinfachten Verfahren selbst mitzuwirken und das Empfangsbekenntnis auszustellen. Diese Aufgabe kann anderen Mitarbeitern übertragen werden (BAG, Beschluss vom 2. Dezember 1994 – 4 AZB 17/94 –, Randnummer 21).
b) Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 18. Februar 2022 ist nicht gemäß §§ 86 Satz 4, 85 Absatz 3 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) unwirksam. Die Beklagte hat den bei ihr gebildeten Personalrat vor Ausspruch der Kündigung gemäß § 86 Satz 1 BPersVG angehört und die Kündigung nach dessen abschließender Stellungnahme ausgesprochen.
aa) Eine vor Fristablauf ausgesprochene außerordentliche Kündigung ist nicht unwirksam, wenn zu diesem Zeitpunkt eine abschließende Stellungnahme des Personalrates vorliegt (BAG Urteil vom 13. Juni 1996 – 2 AZR 402/95 –, Randnummer 16; zu § 102 Absatz 1 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG): BAG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 2 AZR 736/13 – Randnummer 13).
bb) Vorliegend durfte die Beklagte davon ausgehen, dass der Personalratsvorsitzende mit E-Mail vom 16. Februar 2022 eine abschließende Stellungnahme des Personalrates zu der außerordentlichen Kündigung des Klägers übermittelte. Die Beklagte hatte dem Personalrat zuvor unstreitig das Anhörungsschreiben vom 14. Februar 2022 übermittelt, mit dem sie die beabsichtigten Maßnahmen nach § 86 Satz 2 BPersVG begründete und den Personalrat nach § 66 Absatz 1 Satz 2 umfassend unterrichtete. Der Kläger hat das auch nicht in Frage gestellt. Die darauffolgende E-Mail des Personalratsvorsitzenden mit den Worten "Wir werden auch zur Kündigung von M keine Einwände erheben." stellte angesichts des Umstandes, dass die Beklagten keine anderen Personen mit diesen Initialen beschäftigte und am gleichen Tag das auf die Kündigung des Klägers bezogene Anhörungsschreiben übermittelt hatte, eine Stellungnahme des Personalrates des Inhaltes dar, dass weder mit der E-Mail des Personalratsvorsitzenden, noch zukünftig weitere Äußerungen zu den nach dem Anhörungsschreiben beabsichtigten Kündigungen erfolgen würden, insbesondere keine Bedenken im Sinne von § 86 Satz 3 BPersVG, welche die Beklagte vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung noch in Betracht zu ziehen gehabt hätte. Die Beklagte durfte daher nach Zugang der E-Mail des Personalratsvorsitzenden vom 16. Februar 2022 die außerordentliche Kündigung aussprechen, ohne den Ablauf der in § 86 Satz 3 BPersVG vorgesehenen Frist von drei Arbeitstagen abzuwarten.
c) Die außerordentliche Kündigung ist auch nicht gemäß § 174 BGB unwirksam, denn er hat diese Kündigung mit Schreiben vom 2. März 2022 nicht gemäß § 174 Satz 1 BGB unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Absatz 1 Satz 1 BGB) zurückgewiesen. Der Kläger hat die Kündigung am 18. Februar 2022 erhalten und seine Prozessbevollmächtigten unstreitig am 22. Februar 2022 mit der Kündigungsschutzklage beauftragt. Es ist nicht vorgetragen worden, welche Umstände ihn oder seine Prozessbevollmächtigten sodann daran hinderten, die Zurückweisung nach § 174 BGB vor dem Ablauf von acht Tagen gegenüber der Beklagten zu erklären. Dass der Kläger, wie er behauptet, mit der komplexen und umfangreichen deutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung – auch vor dem Hintergrund bestehender sprachlicher Barrieren – nicht vollumfänglich vertraut ist, konnte nach der Bevollmächtigung seiner Prozessbevollmächtigten keinen Grund mehr darstellen, nunmehr ohne weiteres Zuwarten die Zurückweisung zu erklären.
d) Die außerordentliche Kündigung ist auch nicht gemäß § 180 Satz 1 BGB unwirksam, selbst wenn man unterstellt, dass die Unterzeichnerin des Kündigungsschreibens von der Beklagten zu deren Ausspruch nicht wirksam bevollmächtigt worden war. Die Kündigung ist zwar ein einseitiges Rechtsgeschäft, bei dem eine Vertretung ohne Vertretungsmacht unzulässig ist (§ 180 Satz 1 BGB). Nach § 180 Satz 2 BGB findet aber § 177 Absatz 1 BGB entsprechende Anwendung, wenn der Erklärungsempfänger die vom Vertreter behauptete Vertretungsmacht nicht "bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts" beanstandet. Die Vertretungsmacht ist unverzüglich im Sinne von § 174 Satz 1, § 121 Absatz 1 Satz 1 BGB zu rügen (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 6 AZR 608/11 –, Randnummer 65). Wenn es vorliegend – was streitig ist – an einer Bevollmächtigung als solche gefehlt haben sollte, wäre die Kündigung gleichwohl nicht gemäß § 180 Satz 1 BGB unwirksam, weil der Kläger auch die Rüge nach § 180 BGB nicht unverzüglich erklärt hat. Dementsprechend wäre die Kündigung dann in entsprechender Anwendung von § 180 Satz 2, § 177 Absatz 1 BGB nur schwebend unwirksam und genehmigungsfähig gewesen. Eine solche Genehmigung kann konkludent dadurch erteilt werden, dass der Arbeitgeber im Rechtsstreit die Kündigungsbefugnis der kündigenden Person ausdrücklich behauptet und die Rechtmäßigkeit der Kündigung verteidigt (BAG, Urteil vom 16. Dezember 2010 – 2 AZR 485/08 –, Randnummer 13). Das hat vorliegend die Beklagte getan, die bereits mit Schriftsatz vom 22. März 2022 die Abweisung der Kündigungsschutzklage beantragt hat.
e) Die außerordentliche Kündigung ist auch nicht gemäß § 626 BGB unwirksam, da sie auf einem wichtigen Grund beruht und innerhalb von zwei Wochen nach dem Zeitpunkt erklärt wurde, in dem der kündigungsberechtigte Intendant der Beklagten von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangte.
aa) Der Kläger hat als gehobener Redakteur der Beklagten in schwerwiegendem Maße gegen seine Rücksichtnahmepflicht verstoßen. Der Beklagten ist deshalb die weitere Beschäftigung des Klägers auch nur bis zum Ablauf der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist nicht zuzumuten.
(1) Nach § 241 Absatz 2 BGB ist jede Partei eines Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann. Er ist danach auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Durch ein rechtswidriges außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers werden berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Der Arbeitnehmer verstößt mit einem solchen Verhalten gegen seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Absatz 2 BGB, wenn es einen Bezug zu seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder zu seiner Tätigkeit hat und dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer verletzt werden (BAG, Urteil vom 25. April 2018 – 2 AZR 611/17 –, Randnummer 44).
(2) Der Kläger ist als gehobener Redakteur der Beklagten sogenannter Tendenzträger. Zu solchen gehören Arbeitnehmer, die wie der Kläger unmittelbar für die Berichterstattung und (oder) Meinungsäußerung eines Rundfunkunternehmens tätig sind, also inhaltlich auf die Tendenzverwirklichung Einfluss nehmen, und zwar insbesondere durch eigene Veröffentlichungen oder durch Auswahl und Redigierung der Beiträge anderer (für Zeitungsunternehmen: BAG, Beschluss vom 19. Mai 1981 – 1 ABR 39/79 –, BAGE 35, 289-301, Randnummer 50). Entgegen der Auffassung des Klägers ist dabei unerheblich, ob die Tätigkeit als Tendenzträger auf der Grundlage eines freien Mitarbeiterverhältnisses oder eines Arbeitsverhältnisses erfolgt. § 241 Absatz 2 BGB gilt für beide Rechtsverhältnisse. Die tendenzbezogene Tätigkeit an sich hat für den Dienstgeber die gleiche Bedeutung für seine Interessen als Tendenzunternehmen, wie in seiner Rechtsstellung als Arbeitgeber. Grundsätzlich hat die Stellung als Tendenzträger Auswirkungen auf das vertragliche Pflichtengefüge. Es bestehen gesteigerte Rücksichtnahmepflichten für einen Tendenzträger. Er ist insbesondere verpflichtet, sowohl bei seiner Arbeitsleistung als auch im außerbetrieblichen Bereich nicht gegen die Tendenz, das heißt die grundsätzlichen Zielsetzungen des Unternehmens, zu verstoßen. Bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Tendenz, insbesondere solchen, bei denen der Tendenzträger offensichtlich und erheblich gegen die der unternehmerischen Betätigung zugrunde liegenden Grundrechts- und Verfassungswerte verstößt und deshalb nicht mit einer entsprechenden Billigung seiner Handlungen und Äußerungen durch den Tendenzarbeitgeber rechnen kann, kann eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund - auch ohne Abmahnung - in Betracht kommen (BAG, Urteil vom 23. Oktober 2008 – 2 AZR 483/07 –, Randnummern 35, 36).
(3) Die Beklagte stellt das Existenzrecht Israels nicht in Frage und erlaubt dies auch niemand anderem in ihrer Berichterstattung. Sie setzt sich gegen Antisemitismus und jegliche Versuche, diese zu verbreiten, ein. Diese grundsätzlichen Zielsetzungen, die sie 2020 in einem Positionspapier veröffentlichte, werden von ihr unstreitig nicht erst seit diesem Zeitpunkt verfolgt. Auch der Kläger wusste nach eigenem Vortrag sehr wohl von den Grundsätzen der Beklagten zum Thema "Israel und die Palästinensischen Gebiete". Einem gehobenen Redakteur müssen diese Vorgaben der Beklagten zu den gerade in der Redaktion Q zentralen Themen unabhängig von schriftlich verfassten Guidelines und Positionspapieren bekannt sein (LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Juni 2023 – 23 Sa 1107/22 –, Randnummer 54). Zudem hat der Kläger als Redakteur der Beklagten auch bei privaten Veröffentlichungen zu berücksichtigen, dass die Berichterstattung der Beklagten im Bewusstsein erfolgt, dass diese die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu ausländischen Staaten berührt (§ 5 Absatz 3 Satz 1 Deutsche-Welle-Gesetz). Insbesondere die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zum Staat Israel sind dabei aufgrund der deutschen Geschichte von ganz herausragender Bedeutung. Als Tendenzträger oblag es dem Kläger – nicht erst seit 2020 – in besonderem Maße, auf diese Grundsätze der Beklagten sowohl bei seiner Arbeitsleistung, aber auch im außerbetrieblichen Bereich, Rücksicht zu nehmen. Die Gefahr einer Rufschädigung der Beklagten besteht bei Missachtung dieser grundsätzlichen Einstellung der Beklagten auch bei Äußerungen im außerbetrieblichen Bereich, weil sie aufgrund seiner Tätigkeit als Redakteur für die Beklagte mit dieser in Zusammenhang gebracht werden können, selbst wenn vom Kläger bei der Äußerung auf diese Stellung nicht hingewiesen wird. Wie die Presseberichte zu Äußerungen anderer Beschäftigter der Beklagten von Ende 2021 zeigen, kann allein schon die Verbindung des Namens des Klägers zu tendenzwidrigen Äußerungen eine abstrakte Gefahr für den Ruf der Beklagten begründen.
(4) Kläger hat diese Interessen der Beklagten jedenfalls durch seine Äußerungen und Posts vom 20. Juli 2014, 22. Juni 2018, 08. Juli 2018, 18. Juli 2028 und 30. Juni 2019 schwerwiegend verletzt.
(a) Seine Äußerung auf B vom 20. Juli 2014 "…!" stellt keine – auch nach den Grundsätzen der Beklagten – zulässige Kritik an Handlungen des Staates Israel dar, sondern einen Angriff auf den Staat Israel als solchen, dem als "Terrorstaat" die Legitimität abgesprochen wird. Unstreitig nahm der Kläger Löschungen von Beiträgen auf B und A erst im Zusammenhang mit der Untersuchung Anfang 2022 vor, so dass die Kammer davon auszugehen hatte, dass dieser Beitrag auf der Plattform B, auf welcher im Oktober 2023 unstreitig Beiträge seit 2012 abrufbar waren, mit Ausnahme einer auf unbefugter Nutzung beruhenden kurzen Deaktivierung des Accounts im Jahr 2018, mindestens von Juli 2014 bis Anfang 2022 abrufbar war. Durch Verwendung dieses Begriffs stellt der Kläger indirekt das Existenzrecht des Staates Israel in Abrede. Die Zerstörung von Häusern und deren Bewohnern, die für sich gesehen Anlass für gerechtfertigte und gegebenenfalls auch harsche Kritik sein kann, wird durch die Gleichsetzung mit dem Holocaust, der planmäßigen und der Auslöschung eines Volkes dienenden millionenfachen Tötung von Menschen, zu einer unzulässigen Verharmlosung des Holocaust, die in Äußerungen antisemitisch eingestellter Personen oft vorzufinden ist. Die Interessen der Beklagten, das Existenzrecht Israels nicht in Frage zu stellen, die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Israel nicht zu beschädigen und auch nur den Verdacht der Nähe ihrer Berichterstattung und Berichterstatter zu antisemitischem Gedankengut auszuschließen, werden hierdurch schwerwiegend verletzt. Auch wenn der Kläger diese Äußerung zu einem Zeitpunkt höchster Emotionalität verfasste und sich nunmehr dafür entschuldigt, muss die Kammer berücksichtigen, dass dieser Beitrag auch als Äußerung im privaten Bereich objektiv und offensichtlich gegen die Interessen der Beklagten verstößt, über sieben Jahre auf dem B Account des Klägers öffentlich war und über diesen Zeitraum hinweg eine Gefahr für den Ruf der Beklagten darstellte.
(b) Die Äußerung des Klägers gegenüber dem Online News Portal E vom 22. Juni 2018 "... Diese beschleunigten Maßnahmen haben Befürchtungen in Deutschland verstärkt, dass die Antisemitismusgesetze, die durch den Druck der jüdischen Lobby im Land zustande kamen, ausgenutzt werden, um die Nägel von Kritikern der Politik des israelischen Besatzungsstaates zu kürzen..." und "...das Eindringen der jüdischen Lobby in diesem Land, ihre Kontrolle über viele deutsche Institutionen und ihr Versuch, jede Handlung, die kritisch gegenüber Israel ist, mit Antisemitismus in Verbindung zu bringen; und genau hier liegt die Gefahr. Aber wenn es sich nur um eine Art Kontrolle (oder: Beobachtung) handelt, dann ist das nicht schlecht..." benutzt gleich mehrfach den Begriff "jüdische Lobby", ein Begriff, der sich auf Jüdinnen und Juden als Kollektiv bezieht und im Zusammenhang mit als nachteilig empfundenen Entwicklungen geeignet ist, die Ablehnung und den Hass auf das jüdische Volk zu verstärken. Durch die Verwendung dieses Begriffs im Zusammenhang mit der deutschen Gesetzgebung wird unterstellt, es gebe eine kollektive Einflussnahme der Jüdinnen und Juden auf das deutsche Recht, mit der angestrebt wird, Kritik an Israel zu verhindern. Damit wird nicht bloß ein Handeln des Staates Israel oder seiner Politikerinnen und Politiker beschrieben, sondern es wird der Eindruck eines heimlichen und planmäßigen Vorgehens der Jüdinnen und Juden erweckt, mit dem diese die deutsche Gesetzgebung zu ihren Gunsten unzulässig beeinflussen wollen. Das Erwecken eines solchen Eindrucks erfüllt objektiv die Voraussetzungen der Antsemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), wonach Antisemitismus eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden darstellt, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann und sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen richtet. Unabhängig von der Frage, ob diese Definition eine solche im wissenschaftlichen Sinne darstellen kann, darf sich die Beklagte auf diese Definition, der sich die Bundesregierung mit Kabinettsbeschluss vom 20. September 2017 angeschlossen hat, berufen. Äußerungen, die von ihrem objektiven Sinngehalt her die Voraussetzungen dieser Definition erfüllen, muss Sie als für die deutsche Stimme im Ausland zuständige öffentliche Einrichtung der Bundesrepublik Deutschland nicht dulden. Durch die Verwendung des Begriffs "jüdische Lobby" in dem Interview im Zusammenhang mit von ihm als negativ empfundenen Entwicklungen der deutschen Gesetzgebung hat der Kläger seine Pflichten als Tendenzträger ebenfalls schwerwiegend verletzt.
(c) Auch durch die Äußerung vom 08. Juli 2018 auf A "Liebe Palästinenser in der Diaspora, packt eure Taschen ein und bucht die Tickets des Rückkehrs. Die Fronten in Palästina sind auf jeder Ecke beschäftigt. Es scheint so, dass der Befreiungskrieg begonnen hat." hat der Kläger seine Nebenpflichten als Tendenzträger in schwerwiegender Weise verletzt, weil er hiermit das Existenzrecht Israels in Abrede stellt. Der "Befreiungskrieg" wird hier nicht auf bestimmte Gebiete Palästinas, die nicht zum israelischen Staatsgebiet gehören, beschränkt, sondern es wird im Hinblick auf das gesamte Palästina und alle Fronten von Befreiung gesprochen, was eine illegitime Besatzung durch fremde Kräfte voraussetzt. Andere Bedeutungsinhalte dieser Äußerung sind auch im Hinblick auf den Vortrag des Klägers nicht denkbar. Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist mit Rücksicht auf die Meinungsfreiheit (Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz (GG)), dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht ausreichend. Vielmehr sind der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen. Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von ihr Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Ist eine Aussage mehrdeutig, haben die Gerichte, wollen sie die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zugrunde legen, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen (BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2019 – 1 BvQ 45/19, Randnummer 12). Der Kläger hat zwar behauptet, Ziel dieser Äußerung sei es gewesen, die Ziele der palästinensischen Kämpferinnen und Kämpfer in ironischer Weise zu hinterfragen. Dies ist jedoch eine bloße Behauptung geblieben. Tatsachen, aus denen sich ein solcher Sinngehalt zumindest als denkbar ableiten ließe, sind nicht vorgetragen worden. Die Nutzung der Begriffe "Befreiungskrieg", "Fronten in Palästina" und "Rückkehr" bieten keinerlei Anlass für die Annahme, der Kläger habe hiermit in ironischer Weise auf das Verhalten palästinensischer Kämpferinnen und Kämpfer eingehen wollen. Soweit der Kläger ferner einwendet, diese in arabischer Sprache getätigte Äußerung sei von der Beklagten unzutreffend übersetzt worden, legt er nicht dar, wie die zutreffende Übersetzung hätte lauten müssen. Dieses Tweet war auch am 17. Oktober 2023 noch öffentlich einsehbar und stellte – auch während des Arbeitsverhältnisses der Parteien – über viele Jahre hinweg eine Gefahr für den Ruf der Beklagten dar.
(d) Durch die Äußerung auf A vom 18. Juli 2018 "Früher rechtfertigten wir die Voreingenommenheit der globalen Medienlandschaft zugunsten Israels mit der Kontrolle der zionistischen Lobby über die fünf größten internationalen Nachrichtenagenturen. Heute, nachdem wir die Schlüssel zu den Medien haben, bestehen wir immer noch darauf, das israelische Narrativ zu übertragen und uns auf diejenigen Themen zu konzentrieren, auf die Israel möchte, dass wir uns konzentrieren. Wir alle singen 2 von den Errungenschaften und Heldentaten des Drachensteigens; wir haben allerdings das tägliche Töten der Palästinenser vergessen… Die Siedlungspolitik, die Frage von Jerusalem, die Belagerung und Verhungerung Gazas, die Beschlagnahmung von Land, die Schlacht von D, die Gefangenen, der Hungerstreik der Gefangenen. Möge Gott euch belohnen!!" hat der Kläger seine Pflichten als Tendenzträger der Beklagten ebenfalls in schwerwiegender Weise verletzt. Soweit der Kläger einwendet, diese in arabischer Sprache getätigte Äußerung sei von der Beklagten unzutreffend übersetzt worden, legt er nicht dar, wie die zutreffende Übersetzung hätte lauten müssen. Da der Kläger Löschungen von Beiträgen auf B und A erst im Zusammenhang mit der Untersuchung Anfang 2022 vornahm, ist auch davon auszugehen, dass dieser Beitrag auf der Plattform A, auf welcher im Oktober 2023 unstreitig Beiträge seit 2017 abrufbar waren, mit Ausnahme einer auf unbefugter Nutzung beruhenden kurzen Deaktivierung des Accounts im Jahr 2018, mindestens von Juli 2018 bis Anfang 2022 abrufbar war. Der Kläger verwendet hier den Begriff "zionistische Lobby" und spricht von deren Kontrolle über die fünf größten internationalen Nachrichtenagenturen, die "zugunsten Israels" ausgeübt wird. Ähnlich wie in der Äußerung vom 22. Juni 2018, in der von der "jüdischen Lobby" die Rede ist, ist die Verwendung des Begriffs "zionistische Lobby" – ein Begriff, der in antisemitisch eingestellten Kreisen häufig gebraucht wird – im Zusammenhang mit den Worten "Kontrolle" und "Voreingenommenheit der globalen Medienlandschaft zugunsten Israels" mehr als nur die Kritik an israelischer Politik oder an Handlungen des israelischen Staates, sondern stellt eine Äußerung dar, die sich auf "Zionisten", also das jüdische Lebens- und Existenzrecht in Israel anstrebende Jüdinnen und Juden als Kollektiv bezieht und im Zusammenhang mit als nachteilig dargestellten Entwicklungen geeignet ist, die Ablehnung und den Hass auf das jüdische Volk zu verstärken. Dass in der Äußerung möglicherweise auch das Vorgehen der Palästinenser im Hinblick auf mit Ballons geschickten Brand- und Sprengsätzen ("Drachensteigen") kritisiert wird, ändert nichts an dem objektiv antisemitischen Sinngehalt der einleitenden Sätze der Äußerung, deren Verwendung wiederum eine schwerwiegende Verletzung der Pflichten des Klägers als Tendenzträger der Beklagten darstellt.
(e) Durch die am 30. Juni 2019, auf B veröffentlichte und am 17. Oktober 2023 noch einsehbare Äußerung "Nach 20 Jahren Ablehnung darf ich das besetzte Palästina … besuchen. Zum ersten Mal seit 20 Jahren darf ich R, S, T und U besuchen." hat der Kläger erneut seine Pflichten als Tendenzträger der Beklagten schwerwiegend verletzt, weil er hiermit wiederum das Existenzrecht Israels in Abrede stellt. Soweit der Kläger einwendet, diese in arabischer Sprache getätigte Äußerung sei von der Beklagten unzutreffend übersetzt worden, legt er nicht dar, wie die zutreffende Übersetzung hätte lauten müssen. Ob der Begriff "Palästina …" verwendet wird, um sich gegen die Existenz des 1948 gegründeten Staates Israel auszusprechen oder aber an die Fluchtbewegungen von Palästinensern von 1948 zu erinnern, was zwischen den Parteien streitig ist, kann dabei dahinstehen. Der Kläger spricht hier nämlich im Zusammenhang mit auf israelischen Staatsgebiet liegenden Orten von dem "besetzten" Palästina … und unterstellt damit, dass es sich hierbei nicht um legitimes israelisches Staatsgebiet, sondern besetztes palästinensisches Gebiet handelt. Damit verstößt er offensichtlich gegen das Interesse der Beklagten, das Existenzrecht Israels nicht in Abrede zu stellen und mit derartigen Äußerungen nicht in Verbindung gebracht zu werden. Soweit der Kläger demgegenüber in Abrede stellt, mit dieser Äußerung das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen, legt er keine Tatsachen oder Äußerungen dar, die es zumindest für denkbar erscheinen lassen, dass die Verwendung der Worte "das besetzte Palästina …" einen anderen Sinngehalt hat.
(5) Entgegen der teilweisen Auffassung des Arbeitsgerichts sind alle vorgenannten Äußerungen nicht durch die Meinungsfreiheit des Klägers gedeckt.
(a) Das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 GG ist nicht schrankenlos gewährleistet, sondern gemäß Artikel 5 Absatz 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Die Verfassung gibt das Ergebnis einer solchen Abwägung nicht vor. Das gilt insbesondere dann, wenn auch auf Seiten des Arbeitgebers eine grundrechtlich geschützte Position betroffen ist. Durch Artikel 12 GG wird die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers geschützt, die durch geschäftsschädigende Äußerungen verletzt sein kann. Auch gehört § 241 Absatz 2 BGB zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (BAG, Urteil vom 5. Dezember 2019 – 2 AZR 240/19 –, Randnummer 95).
(b) Vorliegend kann sich die Beklagte nicht bloß auf die vertraglichen Pflichten des Klägers nach § 241 Absatz 2 BGB, sondern auch, das Gewicht ihrer Interessen verstärkend, auf ihre eigenen Grundrechte aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG berufen, wonach die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film gewährleistet werden. Dies gibt ihr das Recht, die bei ihr im Tendenzbereich beschäftigten Personen dazu anzuhalten, bei inner- und außerbetrieblich getätigter Meinungsäußerung die Grundsätze der Beklagten in besonderem Maße zu berücksichtigen und eine Meinung, die diesen widerspricht, jedenfalls nicht so zu äußern, dass sie auf Jahre hinaus öffentlich bleibt und mit der Beklagten in Verbindung gebracht werden kann. Der Kläger ist als Tendenzträger der Beklagten auch im Hinblick auf seine Meinungsfreiheit verpflichtet, keine Äußerungen objektiv antisemitischen oder das Existenzrecht Israels in Abrede stellenden Charakters zu verbreiten. Dies gilt auch dann, wenn der Kläger subjektiv keine antisemitische und das Existenzrecht Israels verneinende Einstellung haben sollte, was die Kammer zu seinen Gunsten unterstellt. Im Wissen um die Bedeutung dieser Themen für die Beklagte als deutsches Auslandsmedium muss er alles vermeiden, was auch nur den Anschein von Antisemitismus hervorrufen und mit der Beklagten in Verbindung bringen kann. Im Hinblick auf dieses offensichtlich schutzwürdige Interesse der Beklagten wird der Kläger nicht unzulässig in seiner Meinungsfreiheit beeinträchtigt, wenn er in der Diskussion von Palästinenserinnen und Palästinensern bezüglich den Staat Israel und sein Existenzrecht möglicherweise häufiger anzutreffende Meinungen und Begriffe so wiedergibt und verbreitet, dass sie jahrelang öffentlich sind und mit der Beklagten in Verbindung gebracht werden können.
(6) Dass alle genannten Äußerungen vor Begründung des Arbeitsverhältnisses der Parteien erfolgten, ändert entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nichts an ihrer Eignung als Kündigungsgrund. Auch vor Beginn des Arbeitsverhältnisses liegende Ereignisse oder Umstände können eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, sofern sie das Arbeitsverhältnis erheblich beeinträchtigen, und dem Kündigenden nicht schon bei Vertragsschluss bekannt waren (BAG, Urteil vom 5. April 2001 – 2 AZR 159/00 –, Randnummer 57). Dass die genannten Äußerungen der Beklagten, also den für sie handelnden Organen, bei Abschluss des Arbeitsverhältnisses am 23. Juni 2021 bekannt waren, hat der Kläger nicht vorgetragen. Die Äußerungen haben zudem auch das Arbeitsverhältnis erheblich beeinträchtigt. Sie waren nämlich nach Bekundung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2024 spätestens 2021 nach kurzfristiger, sicherheitsbedingter Deaktivierung, wieder öffentlich und wurden 2022 nur teilweise vom Kläger gelöscht. Die Posts vom 08. Juli 2018 und 30. September 2019 waren unstreitig auch im Oktober 2023 noch veröffentlicht. Mit ihrer öffentlichen Einsehbarkeit bestand also auch über den Zeitpunkt der Begründung des Arbeitsverhältnisses hinaus die damit verbundene Gefahr einer Rufschädigung der Beklagten. Der Kläger hat die Äußerungen zudem nicht zu einem Zeitpunkt getätigt, als er die Tendenzträgereigenschaft bei der Beklagten noch nicht innehatte. Vielmehr war er bereits 2014 als Redakteur bei der Beklagten tätig. Dass dies auf der Grundlage eines freien Mitarbeiterverhältnisses erfolgte, ändert nichts daran, dass der Kläger bereits seit 2014 als Tendenzträger in besonderem Maße auf die Interessen der Beklagten Rücksicht nehmen musste.
(7) In Anbetracht der besonderen Bedeutung des Existenzrechts Israels und des entschiedenen Eintretens gegen jede Art von Antisemitismus für die Beklagte als im Ausland tätiges deutsches Rundfunkunternehmen handelt es sich jeweils auch um schwerwiegende und offensichtliche Verstöße gegen die Tendenz der Beklagten. Die vorgenannten Äußerungen und deren bei Begründung des Arbeitsverhältnisses fortbestehende Veröffentlichung stellen Umstände dar, die es der Beklagten unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machten, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der in § 5 des Arbeitsvertrages vom 23. Juni 2021 vereinbarten Kündigungsfrist (Teilziffer 801.21 des Manteltarifvertrages der Deutschen Welle: sechs Wochen zum Quartalsschluss) fortzusetzen (§ 626 Absatz 1 BGB). Eine ordentliche Kündigung nach § 5 des Arbeitsvertrages hatte daher nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keinen Vorrang vor der außerordentlichen Kündigung, erst Recht nicht der Ausspruch einer Abmahnung. Die Beklagte musste auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Klägers vom 09. Februar 2022, wonach er sich vollumfänglich mit den Zielen und der Mission der Deutschen Welle und ihrem Einstehen für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und Antirassismus identifiziere und für die Zweistaatenlösung Israels und Palästina eintrete, das Existenzrecht Israels vollumfänglich anerkenne, nicht davon ausgehen, der Kläger werde, gegebenenfalls nach einer auf die genannten Äußerungen gestützten Abmahnung, keine Äußerungen im dienstlichen oder privaten Bereich veröffentlichen, die einen antisemitischen oder das Existenzrecht Israels in Abrede stellenden Sinngehalt haben. Denn dem Kläger war nach seiner Anhörung durch den von der Beklagten beauftragten Herrn K am 19. Januar 2022 bekannt, welche Äußerungen ihm vorgehalten wurden und hat diese nur teilweise gelöscht, insbesondere aber nicht die Äußerungen vom 08. Juli 2018 und vom 30. Juni 2019. Eine aus Sicht der Beklagten glaubhafte Absicht, antisemitische oder gegen das Existenzrecht Israels gerichtete Äußerungen nicht zu verbreiten, hätte ihn jedenfalls auch zur Löschung dieser am 17. Oktober 2023 noch öffentlichen Äußerungen veranlassen müssen. Da dem Kläger spätestens nach der Anhörung vom 19. Januar 2022 klar sein musste, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Raum stand, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine Abmahnung die Gefahr weiterer Äußerungen ähnlichen Inhaltes hätte ausschließen können, weil er nur teilweise Löschungen seiner immer noch veröffentlichten Äußerungen vornahm und Äußerungen, die seiner Stellungnahme vom 09. Februar 2022 klar widersprachen, unberührt ließ. Unabhängig davon hat jedoch eine Abmahnung nicht stets schon dann Vorrang vor einer außerordentlichen Kündigung, wenn eine Wiederholung des pflichtwidrigen Verhaltens aufgrund der Abmahnung nicht zu erwarten steht. Bei besonders schwerwiegenden Verstößen ist eine Abmahnung grundsätzlich entbehrlich, weil in diesen Fällen regelmäßig davon auszugehen ist, dass das pflichtwidrige Verhalten das für ein Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört hat (BAG, Urteil vom 01. Juli 1999 – 2 AZR 676/98 –, Randnummer 28). Im Hinblick darauf, dass der Kläger als gehobener Redakteur in besonderem Maße auf die Grundsätze der Beklagten Rücksicht zu nehmen hat, stellen die wiederholten und jahrelang veröffentlichten Äußerungen antisemitischen und das Existenzrecht Israels verneinenden Charakters einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht des Klägers dar, die das notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört hat. Das Interesse des zum Zeitpunkt der Kündigung 49 Jahre alten Klägers am Fortbestand des noch nicht einmal ein Jahr alten Arbeitsverhältnisses hat demgegenüber zurückzutreten.
bb) Die Beklagte hat die am 18. Februar 2022 zugegangene außerordentliche Kündigung innerhalb von zwei Wochen ausgesprochen, nachdem der unstreitig zum Ausspruch von Kündigungen berechtigte Intendant der Beklagten am 04. Februar 2022 die erforderliche Kenntnis von den maßgeblichen Kündigungsgründen erlangt hatte und die Beklagten den Kläger hierzu am 09. Februar 2022 schriftlich angehört hatte (§ 626 Absatz 2 BGB). Darauf, dass die von der Beklagten mit der Untersuchung von Äußerungen anderer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beauftragten Personen bereits vor dem 04. Februar 2022 Kenntnis von den Kündigungsgründen hatten, möglicherweise sogar andere, der Beklagten nicht zugehörige oder von ihr beauftragte Personen, kommt es nicht an.
(1) Die Ausschlussfrist des § 626 Absatz 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 23. Oktober 2008 – 2 AZR 388/07 –, Randnummer 20). Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Absatz 2 Satz 1 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur so lange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts und der Beweismittel verschaffen sollen. (BAG, Urteil vom 11. Juni 2020 – 2 AZR 442/19 –, BAGE 171, 66-83, Randnummer 40). Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen (BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 1037/12 –, Randnummer 14).
(2) Zur Kündigung berechtigt ist vorliegend gemäß § 9 der Geschäftsordnung der Beklagten unstreitig deren Intendant, nach Behauptung der Beklagten aufgrund entsprechender Vollmacht auch die Unterzeichnerin des Kündigungsschreibens vom 18. Februar 2022. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass dem Intendanten von den mit der Untersuchung von Äußerungen einiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten beauftragten Personen am 04. Februar 2022 per E-Mail ein Bericht zugeleitet wurde, der die Äußerungen des Klägers enthielt, auf welche die Beklagte die außerordentliche Kündigung stützt. Dies hat der Zeuge, der zu diesem Zeitpunkt als Leiter der Intendanz der Beklagten beschäftigt war und diesen Bericht ebenfalls erhielt, glaubhaft bekundet. Der Zeuge hat auch bekundet, dass der Untersuchungsauftrag auf Äußerungen anderer Beschäftigter beruhte, die Ende 2021 aufgrund von Presseberichten bekannt geworden waren und dass die hier maßgeblichen Äußerungen davon nicht umfasst, also auch nur im Ansatz dem Intendanten der Beklagten bekannt waren. Dass andere Personen, also die mit der Untersuchung Beauftragten, ein Journalist der Zeitung "I" oder der Pressesprecher der Beklagten sowie der Nachrichtenchef der arabischen Redaktion und der Redaktionsleiter von einigen oder allen der hier maßgeblichen Vorwürfe Kenntnis hatten, wofür einerseits die Anhörung des Klägers vom 19. Januar 2022 und andererseits die vom Kläger vorgelegte E-Mail eines Journalisten vom 03. Februar 2022 sprechen, ist mangels Kündigungsberechtigung dieser Personen unerheblich. Dass die mit der Untersuchung Beauftragten dem Intendanten bereits vor dem 04. Februar 2022 im Hinblick auf die gegen den Kläger gerichteten Vorwürfe "Zwischenergebnisse" mitteilten, hat der Kläger nicht schlüssig vorgetragen, sondern im Hinblick auf Presseberichte über Äußerungen anderer Personen und die E-Mail eines Journalisten vom 03. Februar 2022 lediglich vermutet. Der Zeuge hat es nicht bekundet. Selbst wenn aber der Intendant ohne Kenntnis des Leiters der Intendanz derartige Zwischenberichte erhalten hätte, durfte er gleichwohl das Ergebnis des abschließenden und im Hinblick auf den Untersuchungsumfang mit der gebotenen Eile erstellten Bericht zu Äußerungen von zunächst gar nicht im Blickfeld stehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abwarten, um sich ein umfassendes Bild über alle Äußerungen des Klägers machen zu können, das die Entscheidung über den Ausspruch einer Kündigung ermöglichte. Die Kammer hat deshalb auch davon abgesehen, dem Beweisantritt des Klägers im Schriftsatz vom 29. Februar 2024, welcher sich auf unstreitige Tatsachen (E-Mail vom 03. Februar 2022) und im Übrigen auf durch Vernehmung der genannten Zeugen auszuforschende Tatsachen bezieht, nachzugehen. Dass schließlich die zum Ausspruch von Kündigungen nach Behauptung der Beklagten bevollmächtigte Unterzeichnerin der außerordentlichen Kündigung vor dem 18. Februar 2022 weitergehende Kenntnisse hatte, als der Intendant, kann ausgeschlossen werden. Nach Bekundung des Zeugen war der Bericht nur ihm und dem Intendanten zugeleitet worden und waren andere Personen in den Untersuchungsvorgang nicht involviert. Die Aussage des vernommenen Zeugen war im Verhältnis zum unstreitigen Sachverhalt und in sich widerspruchsfrei und glaubhaft, der Zeuge war für die Kammer glaubwürdig. Anhaltspunkte für die Angabe falscher oder die Verheimlichung bekannter Tatsachen durch den Zeugen sind nicht ersichtlich.
(3) Nachdem der Intendant der Beklagten am 04. Februar 2022 Kenntnis vom Inhalt der Äußerungen des Klägers erhielt, auf welche die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung stützt, hat die Beklagte innerhalb einer Woche, nämlich durch Einholung der Stellungnahme des Klägers vom 09. Februar 2022, diesen angehört. Nach den vorgenannten Grundsätzen gehörte auch dies zu der mit gebotener Eile durchgeführten Aufklärung des Sachverhaltes. Selbst wenn man in Anbetracht der E-Mail des Journalisten an den Kläger vom 03. Februar 2022 unterstellen würde, die Beklagte habe bereits an diesem Tag die Kenntnis von den Kündigungsvorwürfen erlangt, wäre dies nicht anders. Nach der Einholung der Stellungnahme des Klägers hat die Beklagte innerhalb der sodann bis zum 23. Februar 2022 laufenden Frist des § 626 Absatz 2 BGB die außerordentliche Kündigung vom 18. Februar 2022 ausgesprochen.
3. Da der Kläger mit dem Antrag zu 1. unterliegt, ist über die Anträge zu 2. sowie a) und b), die nach Erklärung des Klägers unechte Hilfsanträge darstellen, nicht zu entscheiden.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Absatz 1 ZPO.
IV. Gründe im Sinne von § 72 Absatz 2 ArbGG dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.