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Nr: NJRE001588621


AG Traunstein , Urteil vom 20.Juni 2024 , Az: 319 C 42/24

FernUSG § 1 , FernUSG § 7 Abs 1 , FernUSG § 12 Abs 1 S 1 , BGB § 133 , BGB § 138 Abs 1 , BGB § 157 , BGB § 812 Abs 1 S 1 ,


Fundstellen

MMR 2024, 815-818 (ST)

Langtext

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte davor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rückabwicklung eines Coachingvertrages und eines daraus herrührenden Rückzahlungsanspruchs des Klägers.

Der Kläger wurde über Social Media auf das streitgegenständliche Coaching zum Thema E-Commerce aufmerksam. Er hatte die Idee, einen Online-Shop zu eröffnen, hatte aber weder am Anfang noch später während des Kurses eine genaue Vorstellung, was für einen Online-Shop er betreiben möchte.

Der Kläger nahm Kontakt zum Beklagten auf. Diese verfügt nicht über eine Zulassung nach § 12 I 1 FernUSG. Eigentlich sollte ein Video-Call zwischen den Parteien stattfinden. Weil dies aber nicht funktionierte, wurde ein WhatsApp-Telefonat durchgeführt. Der Kläger erhielt sodann über WhatsApp einen Link, dem er folgen sollte, um den streitgegenständlichen Coaching-Vertrag abzuschließen.

Am 17.10.2021 wurde sodann über diese elektronischen Hilfsmittel ein Vertrag über die Teilnahme an dem Coaching-Programm „... zu einem Gesamthonorar von 3.570,00 € brutto abgeschlossen. Der Preis setzt sich aus 3.000 € Kosten für den Kurs und 19 % Umsatzsteuer zusammen. Es wurde bei Vertragsschluss vereinbart, dass der Betrag in drei Monatsraten vom Kläger bezahlt wird. Die erste Rate war bis spätestens 01.11.2021 zu bezahlen. Die weiteren Raten waren am 01.12.2021 und am 01.01.2022 fällig. Der Kläger hat den Gesamtbetrag bezahlt. Der wesentliche Vertragsinhalt bestand aus folgenden Leistungen:

• ... Videokurs (Zugang zum ... Mitgliederbereich mit über 250 Videos, 10 Module Videokurs zu verschiedenen Themen, insbesondere zu rechtlichen Grundlagen des E-Commerce, Produktsuche, Einrichtung Shopify-Shops, Einrichtung von sozialen Netzwerken, Pinterest-Marketing, Aufsetzen von Facebook/Instagram-Kampagnen, Funnel, Upsell, Downsells & Landingpage, E-Mail-Marketin, Automatisierung, Projektverteilung und Teamaufbau)

• Einmaliger 1:1 Coaching Call (60 Minuten)

• Individuelle Shopanalyse nach Fertigstellung des Online-Shops

• Strategien für die Händlersuche und exklusiver Händler für den Verkauf in Drittländer

• Kosmetikhersteller aus DE

• Abschlusszertifikat nach erfolgreichem Coaching

• 3 Monate Zugriff auf wöchentliche Coaching Calls, Themenbasierend mit abschließendem Q&A zu allen Themen und Fragen.

Der Vertrag enthielt folgende AGB:

„Unser Angebot richtet sich ausschließlich an gewerbliche Kunden. Mit Ihrer Beauftragung versichern Sie, dass Sie als Unternehmer im Sinne von § 14 BGB handeln. Personen, die als Verbraucher gemäß § 13 BGB handeln, dürfen unsere Leistungen nicht in Anspruch nehmen. Sie sind verpflichtet uns auf Aufforderung Unterlagen vorzulegen, die ihr unternehmerisches Tätigwerden/Ihre unternehmerische Tätigkeit nachweisen.“

Die Videos aus dem Kurs sind alle etwa 5-10 min lang. Auf diese können die Teilnehmer lebenslang zugreifen. Die Coaching-Lektionen sind im Schnitt 80 min lang und finden über 12 Wochen lang dreimal die Woche statt.

Der Kläger hat der Kurs nicht abgeschlossen, sondern nach einigen Monaten aufgehört, sich damit zu beschäftigen.

Mit Schreiben vom 13.09.2023 forderte der Kläger die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises und zum Anerkenntnis, dass der Vertrag unwirksam sei, auf. Die Beklagte widersprach dem mit Schreiben vom 15.09.2023.

Der Kläger behauptet, dass er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Chemikant gewesen sei.

Der Kläger meint, dass die Leistungen der Beklagten sowohl unter Berücksichtigung des Vereinbarten als auch unter Berücksichtigung dessen, was allgemein zu erwarten sei, ungenügend seien. Der Vertrag sei nach § 7 I FernUSG nichtig. Das FernUSG sei anwendbar. Eine Lernerfolgsüberwachung habe stattgefunden. Eine etwaige Unternehmereigenschaft des Klägers stehe der Anwendung des FernUSG nicht entgegen. Zudem sei der Vertrag nach § 138 I BGB als wucherähnliches Rechtsgeschäft nichtig. Auch sei eine Erfolgsgarantie in dem Vertrag enthalten.

Der Kläger beantragt:

I. Die Beklagtenseite wird verurteilt, an den Kläger 3.570,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

II. Die Beklagtenseite wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 453,87 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Beklagte meint, dass der Schwerpunkt des Vertrages auf dem Coaching des Klägers und nicht auf der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten liegt. Der Kläger habe zudem als Unternehmer im Rechtssinne gehandelt.

Das Amtsgericht Traunstein verhandelte am 16.05.2023 mündlich und hörte in diesem Rahmen den Kläger informatorisch an.

Verwiesen wird im Übrigen auf die Klageschrift vom 12.01.2024, die Klageerwiderung vom 06.03.2024, die Replik vom 28.03.2024, die ergänzende Stellungnahme der Beklagten vom 11.04.2024 und das Protokoll vom 16.05.2024.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I. Die Klage ist zulässig.

Das Amtsgericht Traunstein ist sachlich nach §§ 23 Nr. 1, 71 I GVG, 1 ZPO und nach §§ 26 I FernUSG örtlich ausschließlich zuständig.

Die ausschließliche örtliche Zuständigkeit ergibt sich dabei aus §§ 26 I FernUSG, 12, 13 ZPO, 7 I BGB, weil der Kläger als Teilnehmer des Kurses seinen allgemeinen Gerichtsstand wegen seines Wohnsitzes in Trostberg dort hat. Bei der Frage, ob es sich um bei dem gebuchten Kurs um einen Kurs handelt, der unter das FernUSG fällt, handelt es sich um eine doppelt-relevante Tatsache, die in der Zulässigkeit nur auf ihre Schlüssigkeit hin zu prüfen ist. Eine exakte Prüfung erfolgt erst in der Begründetheit, weil der Rechtsfrieden gefördert wird, indem eine der materiellen Rechtskraft fähige Sachentscheidung ergeht, die ggf. mit Strengbeweismitteln untermauert ist.

II. Die Klage ist unbegründet, weil der Kläger keinen Rückzahlungsanspruch gegen die Beklagte hat.

1. Ein Anspruch aus §§ 812 I 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der geleisteten Zahlung in Höhe von 3.570,00 € besteht nicht.

a. Die Beklagte hat zwar Eigentum und Besitz an den 3.570,00 € erlangt.

b. Dies geschah auch durch Leistung. Unter Leistung versteht man die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens in Erfüllung einer vermeintlichen Verbindlichkeit. Hier hat der Beklagte gemeint, aufgrund des Coachingvertrages zur Zahlung der 3.570,00 € verpflichtet zu sein.

c. Allerdings bestand in dem Coaching-Vertrag ein wirksamer Rechtsgrund.

(I) Der Coachingvertrag ist nicht nach § 7 I FernUSG nichtig, weil das FernUSG bereits nach § 1 FernUSG nicht anwendbar ist. § 1 FernUSG besagt, dass Fernunterricht im Sinne des FernUSG die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten ist, bei der der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwacht.

(1) Die Parteien haben hier unstrittig am 17.10.2021 einen Vertrag geschlossen, der eine Zahlungspflicht des Klägers in Höhe von 3.570,00 € beinhaltet hat.

(2) Allerdings wurden durch die Beklagte nicht Kenntnisse und Fähigkeiten nach § 1 I Hs. 1 FernUSG vermittelt, sondern es handelte sich schwerpunktmäßig um einen Vertrag mit coachenden Elementen (zu einem vergleichbaren Fall vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 20.02.2024, Az.: 10 U 44/23).

Der von den Parteien geschlossene Vertrag hat sowohl ein wissensvermittelndes als auch ein coachendes Element.

Wissen wird dann vermittelt, wenn es um den unmittelbaren Kenntniserwerb einer Partei geht. Vereinfacht gesagt: Eine Partei soll über den Vertrag Kenntnisse erlangen, die sie bis dato noch nicht hatte. Die Parteien haben am 17.10.2021 vereinbart, dass der Kläger Zugriff auf die ca. 250 Videos mit einer durchschnittlichen Länge von 8 - 10 min bekommt, die Informationen zum Aufbau eines Online-Shops vermitteln.

Der Vertrag hat aber auch ein coachendes Element. Dies setzt voraus, dass ein Mentoring der Parteien stattfindet. Das bedeutet, dass die eine Partei der anderen Partei hilft, sich oder etwas weiterzuentwickeln. Diese Verträge haben ein unterstützendes Element, Der Partei sollen Mittel zur Selbsthilfe an die Hand gegeben werden und es wird ihr Feedback zu ihrem Verhalten gegeben, Es erfolgt eine individuelle und persönliche Beratung und Begleitung (Lach, Anmerkung zu OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023, Az.: 3 U 85/22). Vorliegend waren dreimal wöchentlich Videocalls mit einer durchschnittlichen Länge von 80 min vorgesehen. Die Calls fanden 12 Wochen lang statt. Nach dem Aufbau des Online-Shops war zudem eine individuelle Shop-Analyse vorgesehen. Vorliegend kam es aber nicht mehr dazu, weil der Kläger sein Vorhaben bereits im Vorhinein aufgegeben hatte.

Der Schwerpunkt des Vertrages liegt vorliegend nicht auf dem wissensvermittelnden, sondern auf dem coachenden Element.

Hat ein Vertrag mehrere Bestandteile ist auf den Schwerpunkt des Vertrags abzustellen, um zu ermitteln, ob die Kriterien des § 1 I Hs. 1 FernUSG erfüllt sind. Dabei ist eine wertende Betrachtung anzustellen und eine Auslegung nach §§ 133, 157 BGB vorzunehmen. Der Wortlaut des Vertrages etwa kann ebenso einen Hinweis liefern, wie die von den Parteien verwendete Bezeichnung des Vertragsverhältnisses. Dem Wortlaut darf aber vor dem Hintergrund von §§ 133, 157 BGB auch nicht zu viel Gewicht eingeräumt werden. Mehr Rechtssicherheit bietet ein Abstellen auf den jeweiligen zeitlichen Mindestaufwand. Dieses Kriterium bietet die am griffigsten mögliche Unterscheidung, ist aber kein Alleinstellungskriterium. Auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände können zur Ermittlung des Schwerpunktes herangezogen werden.

Der Wortlaut der verwendeten Vertragsunterlagen spricht bereits für einen Schwerpunkt im Coaching- und Beratungsbereich. Vorliegend wurde der Vertrag als „... Videokurs“ bezeichnet. Diese Bezeichnung ebenso wie die detaillierte Auflistung der Videothemen im Vertrag (vgl. Anlage K1), vermittelt einen Schwerpunkt im wissensvermittelnden Bereich. Andererseits wird im Vertrag regelmäßig das Wort „Coaching“ verwendet und die Coaching-Calls werden ebenso aufgeführt. Dass deren Inhalt nicht derart detailliert geschildert wird, liegt schlicht und einfach daran, dass sich dieser nach der konkreten Vertragspartei richtet, also nicht bereits im Voraus festgelegt werden kann. Dass die Themen der Videos derart genau aufgelistet werden, hängt vermutlich auch damit zusammen, dass ein Vertragsangebot, in dem lediglich „Videos“ zugesagt werden, einen unseriösen und ungenauen Eindruck bei der anderen Vertragspartei hinterlassen würde. Für einen Schwerpunkt des Vertrages im Coaching-Bereich spricht zudem der Name der Beklagten ... und deren eigene Bezeichnung als „E-Commerce Beratungsfirma“. Diese sieht sich weder als „Lehranstalt“ noch als reine Wissensdozentin und geriert sich so auch nicht nach außen. Überdies spricht der Kläger selbst in seiner Klageschrift vom 12.01.2024 von der Rückabwicklung eines „Coaching-Vertrag“, sodass auch er von einem Vertrag mit zumindest auch coachenden Elementen ausgeht.

Auch die restlichen Umstände zeigen, dass der Vertrag seinen Schwerpunkt im Coaching-Bereich hat. Bereits der zeitliche Schwerpunkt des Vertrags liegt im Coaching-Bereich:

Die gesamte auf die Videos entfallende Zeit liegt (bei einer unterstellten Einzellänge jedes Videos von 10 min) bei 2500 min, also 42 h. Die gesamte Coaching-Session-Zeit liegt bei 48 h (80 min X 3 X 12 Wochen). Zu Recht führt der Kläger zwar an, dass man sich die Videos mehrmals ansehen kann, weil sie lebenslänglich zur Verfügung stehen und dass man sie womöglich bereits zum Verstehen mehrmals ansehen muss. Auf eine individuelle Lerngeschwindigkeit ist aber aus Gründen der Rechtssicherheit nicht abzustellen. Vielmehr ist lediglich die Mindestbearbeitungszeit anzusetzen. Überdies wäre dann nicht nur der wissensvermittelnde Zeitaufwand zu erhöhen, sondern auch der Coaching-Anteil des Vertrags: Vertraglich ist neben den Coaching-Calls auch noch eine Shop-Analyse (die zeitlich nicht begrenzt ist) und ein 60-minütiger 1:1 Coaching-Call vorgesehen.

Auch die weiteren vertraglichen Umstände zeigen auf, dass der Schwerpunkt des Vertrages im Coaching-Element liegt. Weder war - wie sich aus der Anlage K1 ergibt - im Vertrag die Rede von „Unterricht“ noch davon, dass es sich um eine Lehrveranstaltung handelt. Der Kläger legte in seiner informatorischen Befragung dar, dass er einen Shop habe gründen wollen, aber noch keine Vorstellung gehabt habe, welches Produkt er verkaufen wolle. Vorkenntnisse seien zwar nicht nötig gewesen. Die Grundlagen hierfür sollten die streitgegenständlichen Videos vermitteln. Die weiteren Schritte bauten aber maßgeblich auf der Eigeninitiative des Klägers zum Aufbau eines Shops auf. Insgesamt war nicht Ziel des Vertrages, dass der Kläger etwas lernt, sondern dass er auf dem Weg zu einem eigenen Online-Shop begleitet wird und Feedback erhält.

(3) Zudem bestand keine räumliche Trennung im Sinne des § 1 I Nr. 1 FernSUG zwischen dem Kläger und der Beklagten. Maßgeblich dafür ist, ob der Kursteilnehmer zusätzlich Anstrengungen unternehmen muss, um mit dem Lehrenden Kontakt aufzunehmen (LG Ravensburg, MMR 2024, 273, 275 f.). Das heißt, der Direktunterricht darf nicht mehr als 49,9 % des Gesamtunterrichts ausmachen (Faber/Schade, FernUSG, § 1 Rn. 13).

Hier erfolgte der überwiegende Kursanteil allerdings in der Form des Direktunterrichts ohne räumliche Trennung per Videokonferenz.

Der Kontakt über Videokonferenzen stellt Direktunterricht ohne eine räumliche Trennung im Sinne des FernUSG dar. Zwar sind die Literatur und die Rechtsprechung insofern nicht einig. Die besseren Argumente sprechen aber dafür, eine räumliche Trennung im Sinne des § 1 I Nr. 1 FernUSG bei Videokonferenzen zu verneinen:

Zwar ist richtig, dass dem Wortlaut nach Videokonferenzen während einer räumlichen Trennung der Parteien stattfinden. Der Wortlaut ist aber teleologisch zu reduzieren. Voraussetzung dafür ist, dass der Gesetzeswortlaut planwidrig zu weit gefasst ist und eine Interessenabwägung ergibt, dass bei Bedenken des Falles eine Anwendung der Norm auf den fraglichen Fall ausgeschlossen worden wäre.

Videokonferenzen fallen unter den Wortlaut des § 1 I Nr. 1 FernUSG. Planwidrigkeit liegt vor, weil der Gesetzgeber bei Erlass des FernUSG in den 70er Jahren die technische Entwicklung nicht abschätzen konnte und sich so kein Urteil bilden konnte, ob Videokonferenzen erfasst sein sollen. Eine Interessenabwägung ergibt, dass Videokonferenzen nicht unter den Telos des FernUSG fallen sollten. Telos des Erlass des FernUSG war, die Bürger vor unseriösen Anbietern zu schützen, mit denen keine Interaktion möglich ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung von 1975 (BT-Drucks. 7/4245), beruhte der negative Ruf von Fernunterricht damals auch darauf, dass mangels technischer Mittel keine unmittelbare Interaktionsmöglichkeit zwischen dem Lehrendem und dem Lernenden vorhanden war. Die Lehrangebote waren also für den Einzelnen wenig transparent, weil der Lehrende sich an einem weit entfernten Ort in der Bundesrepublik aufhalten hätte können und für den Lernenden nicht greifbar war (dies zeigt etwa BT-Drucks. 7/4245 S. 12 und S.13, wenn ausgeführt wird, dass der Fernunterrichtsteilnehmer Schwierigkeiten hat, die Qualität des Fernunterrichts alleine einzuschätzen und sich nicht vergleichbar mit einem Teilnehmer an Direktunterricht über die Eignung des Lehrgangs informieren kann). Auch aus der Gesetzesbegründung zu § 1 FernUSG (BT-Drucks. 7/4245 S. 14) ergibt sich, dass davon ausgegangen wurde, dass bei Fernunterricht charakteristischerweise keine Kommunikation zwischen Teilnehmer und Lehrendem stattfinden kann (im Gegensatz zu Direktunterricht, der damals nur ausnahmsweise via Tonübertragung in ein anderes Gebäude stattfand). Dahinter steht auch das Telos des FernUSG insgesamt: Gerade den Gefahren, die aus der Distanz zwischen Teilnehmer und Lehrendem entstehen, soll begegnet werden. Dass dabei vor inhaltlich unseriösen Angeboten geschützt werden soll, ist nur Nebenzweck. Inhaltlich unseriöse Angebote können nämlich beim Direktunterricht genauso auftreten. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass Kern des FernUSG ist, den Gefahren zu begegnen, die aus der distanzbedingt schwierigeren Kommunikation herrühren. Bei direkten Coaching-Calls besteht diese Gefahr aber gerade nicht. Deren Einordnung unter § 1 I Nr. 1 FernUSG ist also auch nach einer Interessenabwägung nicht geboten.

Unter Heranziehung dieser Ergebnisse zeigt sich, dass zwischen den Parteien während des Kurses keine räumliche Trennung im Sinne des § 1 I Nr. 1 FernUSG vorlag. Wie oben dargelegt überwiegt der Coaching-Anteil des Vertrages gegenüber dem wissensvermittelnden Anteil des Vertrages. Die Coaching-Calls finden per Video statt, sodass eine unmittelbare Interaktion zwischen der Beklagten und dem Kläger ohne weiteres möglich war.

(4) Eine Lernerfolgsüberwachung nach § 1 I Nr. 2 FernUSG fand durch die Beklagte nicht statt, weil sich eine solche weder aus dem Vertrag noch aus der Tatsache, dass ein Abschlusszertifikat erteilt wurde, oder aus den wöchentlichen Coaching-Calls ergibt.

Das Tatbestandsmerkmal ist grundsätzlich weit auszulegen (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2009, Az.: III ZR 310/08). Eine Kontrolle der Fortschritte kann auch mündlich erfolgen (OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023, Az.: 3 U 85/22). Allerdings reicht der bloße mündliche Kontakt zwischen Anbieter und Teilnehmer nicht aus. Wie das OLG Hamburg in seinem Urteil vom 20.02.2024 (Az.: 10 U 44/23) zu Recht ausführt, wohnt einer Erfolgsüberwachung ein gewisses Kontrollelement inne. Ließe man bereits den bloßen mündlichen Austausch von Anbieter und Teilnehmer dafür ausreichen, verstieße man gegen den Wortlaut des § 1 I Nr. 2 FernUSG und würde seinen Anwendungsbereich unbillig ausweiten. Ähnliches lässt sich auch bereits aus dem Gesetzesnamen herleiten („Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht“). Unterrichtende Tätigkeit weist charakteristisch eine gewisse Kontrolle oder Lernstandsüberwachung während oder am Ende des Lehrabschnitts auf.

In dem vorliegenden Vertrag wurde eine Lernerfolgskontrolle nicht ausdrücklich vereinbart. Auch wurden inhaltlich keine Prüfungen oder Ähnliches gestellt, mithilfe derer der Kläger seinen Wissensstand hätte kontrollieren können. Die verschiedenen Vertragsinhalte (Videokurse, Coaching-Calls) sind auch nicht erst dann absolvierbar, wenn vorhergehende Kurselemente erfolgreich abgeschlossen wurden. Lediglich für die Shop-Analyse ist denknotwendige Voraussetzung, dass der Teilnehmer den Shop bereits erstellt hat - alles andere wäre aber auch sinnwidrig. Auch war - wie oben aufgezeigt - nicht die Rede davon, dass es sich um einen „Lehrgang“, ein „Studium“ oder Ähnliches handelt.

Nach erfolgreichem Coaching wäre aber ein Abschlusszertifikat erteilt worden. Dies führt allerdings nicht dazu, dass darin eine Lernerfolgsüberwachung zu sehen ist. Ein Zertifikat der vorliegenden Art ist auf seinen Inhalt zu prüfen und seine Wirkung nach außen auszulegen, §§ 133, 157 BGB, um zu ermitteln, wie ein objektiver Dritter es verstehen würde.

Bereits eine Prüfung des Inhalts des Zertifikats zeigt, dass es sich dabei um keine Lernerfolgsüberwachung handelt. Die Beklagte gab an, dass der Erhalt des Zertifikats voraussetzt, dass alle Videos angesehen worden sind, aber dass keine Kontrolle dahingehend erfolgt, ob der Kunde sich auch ernsthaft damit auseinandergesetzt hat. Stattdessen wurde von der Beklagten dargelegt, dass das Zertifikat ähnlich einer „Teilnahmeurkunde“ vermitteln soll, dass man die Kurskosten bezahlt habe und alle Kursschritte durchlaufen habe.

Auch wird durch das Abschlusszertifikat für einen Dritten nicht vermittelt, dass man einen Lehrgang unter Absolvierung von Prüfungen absolviert hat. Der Begriff „Abschlusszertifikat“ ist nicht gesetzlich geschützt und bietet keine Gewährleistung für einen bestimmten Inhalt. Vielmehr ist aktuell zu beobachten, dass Zertifikate und Urkunden inflationär ausgestellt werden, sodass - wenn diese nicht von offizieller Stelle ausgestellt wurden - nicht darauf geschlossen werden kann, dass der darin Genannte besondere Leistungen erbracht oder spezielle Prüfungen absolviert hat. Das hier von der coachenden Beklagten ausgestellte Zertifikat vermittelt vor diesem Hintergrund nicht, dass der Kläger besondere Prüfungen zum Erhalt des Zertifikats durchlaufen hat. Auch der Name Abschlusszertifikat rechtfertigt kein anderes Ergebnis, weil es nichts darüber aussagt, ob der Kläger den Kurs nur abgeschlossen hat oder einen besonderen Abschluss erworben hat.

Richtigerweise zeigt der Kläger auf, dass es wöchentliche Coaching-Calls gegeben hat, in denen er zusammen mit anderen der Beklagten zugeschaltet war und Fragen stellen konnte. Allerdings ging es auch dabei nicht um Abprüfung oder Überwachung der Kenntnisse, sondern darum, dass die Teilnehmer Fragen stellen konnten. Aufgrund der Teilnehmeranzahl konnten innerhalb der 80 min aber gar nicht alle Fragen beantwortet werden, wie der Kläger in seiner informatorischen Befragung darlegte. Schon dies zeigt, dass die wöchentlichen Coaching-Calls nicht den Anspruch darauf erheben sollten, dass eine Lernerfolgsüberwachung aller Teilnehmer erfolgt. Dass eine solcher Anspruch überhaupt vertraglich geschuldet war, ist nicht ersichtlich.

Der Kläger führt zwar Fälle auf, in denen auch bei bloßen mündlichen Fragestunden das Element der Lernerfolgsüberwachung bejaht wurde, etwa BGH, Urteil vom 15.10.2009, Az.: III ZR 310/08 oder OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023, Az.: 3 U 85/22, verkennt aber dass dort die Situationen jeweils in entscheidenden Elementen anders waren. So war im Fall des BGH im Vertrag die Rede davon, dass überprüft werden solle, „ob das Erlernte richtig sitzt“. Im Fall des OLG Celle wurde vertraglich Zugang zu einer „Akademie“ erteilt und es konnten Prüfungen absolviert werden. Insofern muss jeweils eine genaue Prüfung ähnlicher Entscheidungen erfolgen, um zu ermitteln, ob es sich um Bezugsfälle handelt. Die einzelnen Kursangebote unterscheiden sich oft in Details und so kann nicht pauschal als Begründung eines Anspruchs auf sie verwiesen werden.

(5) Auf die Anwendbarkeit des FernUSG auch auf Unternehmer kommt es somit nicht mehr an, weil § 1 FernUSG ohnehin nicht erfüllt ist und damit das FernUSG in jedem Fall nicht anwendbar ist.

(II) Der Vertrag ist nicht nach § 138 I BGB wegen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts sittenwidrig und damit nichtig. Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn ein Rechtsgeschäft vorliegt, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkender verstößt. Um dieser Definition Konturen zu verleihen, wurde unter anderem Sittenwidrigkeit wegen eines wucherähnlichen Geschäfts anerkannt. Dafür ist ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung und mindestens ein weiterer Umstand nötig, der den Vertrag als sittenwidrig erscheinen lässt (BGH, Urteil vom 24.01.2014, V ZR 249/12). Derjenige, der sich auf die Sittenwidrigkeit beruft, muss diese darlegen und beweisen (BGH, NJW 2019, 676, 677).

Der Kläger legt aber nicht zur Überzeugung des Gerichts dar, dass diese Punkte vorliegend gegeben sind. Stattdessen wird weitestgehend abstrakt Rechtsprechung dargelegt, die dann als pauschal übertragbar angesehen wird. Der Kläger behauptet etwa, der Wert der Gegenleistung überschreite den marktüblichen Preis „um ein Vielfaches“, ohne dies genauer auszuführen. Der bloße Verweis auf Rechtsprechung ersetzt in diesem Zusammenhang nicht den substantiierten Vortrag des Klägers.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1, 2, 709 S. 2 ZPO.