juris



zurück zur Übersichtsliste

Nr: NJRE001590114


KG Berlin 10. Zivilsenat, Beschluss vom 15.Juli 2024 , Az: 10 W 56/24

BGB § 823 , BGB § 1004 ,

Leitsatz

Juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist zivilrechtlicher Rechtsschutz gegen herabsetzende Äußerungen lediglich in einem eingeschränkten Umfang eröffnet. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Ein Schutz darf nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, und der zudem das Recht des Staates gegenübersteht, fehlerhafte Sachdarstellungen oder diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen.


Fundstellen

GRURPrax 2024, 642 (S,K)
NJ 2024, 455-458 (LT)
AfP 2024, 421-423 (LT)

Verfahrensgang

vorgehend LG Berlin II 18.06.2024 27 O 157/24 eV

Langtext

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin II vom 18. Juni 2024, 27 O 157/24 eV, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Der Gebührenstreitwert wird auf 30.000,00 Euro festgesetzt.


Gründe

A.

Die Antragsgegnerin hat unter der URL XXX am XXX einen Beitrag mit der Überschrift „XXX“ veröffentlicht. Die Antragstellerin beantragt, der Antragsgegnerin folgende Äußerung in dem Titel des Beitrages zu untersagen (nur soweit unterstrichen): „XXX“.

Ferner hat die Antragsgegnerin am 30. Mai 2024 unter der URL XXX einen Kommentar veröffentlicht. Die Antragstellerin beantragt, der Antragsgegnerin folgende Äußerungen in diesem Kommentar zu untersagen: „XXX“ und (nur soweit unterstrichen): „XXX“

Hintergrund dieser Äußerungen ist ein bei der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung (Antidiskriminierungsstelle) geführtes Schlichtungsverfahren. Die Betreiberin eines Frauenfitnessstudios hatte einer Transfrau mit männlichen Geschlechtsmerkmalen den Zugang verwehrt. Die Transfrau wandte sich daraufhin an die Antidiskriminierungsstelle. Diese richtete im Folgenden ein Stellungnahmeersuchen an die Betreiberin. Diese wurde gebeten zu erwägen, welche Möglichkeiten und Ansatzpunkte für eine einvernehmliche Lösung der Angelegenheit von ihrer Seite bestünden. Der Betreiberin wurde beispielsweise vorschlagen, dass sie der Transfrau „eine angemessene Entschädigung in Höhe von 1000 Euro für die erlittene Persönlichkeitsverletzung“ zahlt.

Das Landgericht hat die Unterlassungsanträge mit Beschluss vom 18. Juni 2024 zurückgewiesen. Es handele sich bei den angegriffenen Äußerungen um zulässige Meinungsäußerungen. Für die Begründung im Einzelnen wird auf diesen Beschluss Bezug genommen. Gegen diese ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 19. Juni 2024 zugestellte Entscheidung hat die Antragstellerin mit einem beim Landgericht am 26. Juni 2024 eingegangenem Schriftsatz (Beschwerdeschrift) unter Verfolgung ihrer bisherigen Anträge sofortige Beschwerde eingelegt. Die beanstandeten Angaben seien „allesamt falsch“. Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung gehöre nicht zur Regierung und handele auch nicht für die Regierung, verhänge keine Bußgelder oder Strafen (erst recht nicht gegen Frauen, die nicht mit Männern duschen wollen), sei nicht direkt dem „Familienministerium“ unterstellt und könne auch nicht von der betreffenden Ministerin abgemahnt werden. Es handele sich „schlicht und einfach“ um „Fake News“. Hieran ändere der jeweilige Kontext nichts. Die Aussagen seien dazu geeignet, das Vertrauen der „Bürger*innen“ in die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle (ADS) und ihre Leiterin und deren Funktionsfähigkeit zu gefährden (sic). Für die Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift Bezug genommen.

Das Landgericht hat dieser Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Kammergericht vorgelegt.

Der Senat hat sodann mit Schreiben vom 1. Juli 2024 darauf hingewiesen, dass die sofortige Beschwerde mit der Begründung der angegriffenen Entscheidung voraussichtlich unbegründet sein dürfte. Denn die drei angegriffenen Äußerungen in den zwei Online-Veröffentlichungen der Antragsgegnerin stellten sich nach einer kontextbezogenen Sinndeutung als rechtmäßige Meinungsäußerungen dar, da es für sie es durch das Schreiben der Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung ausreichende Anknüpfungstatsachen gebe. Für den Durchschnittsleser werde sowohl beim Beitrag vom 30. Mai 2024 als auch beim Kommentar vom 30. Mai 2024 ungeachtet der jeweils skandalisierenden und irreführenden Überschriften („XXX“) bzw. („XXX“) durch den jeweiligen Kontext deutlich, dass die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung der Betreiberin des Frauen-Fitness-Studios im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens nur empfohlen habe, eine angemessene Entschädigung zu zahlen. Soweit sich die Antragstellerin ferner dagegen wende, die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung nicht „abmahnen“ zu können, bzw. erläutere, diese sei ihr nicht „unterstellt“, gelte nichts anderes. Denn der Durchschnittsleser verbinde die Rechtsbegriffe „Abmahnung“ und „Unterstellung“ nur mit der Möglichkeit der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit der Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung zu kommunizieren und dabei ihre gegebenenfalls abweichende Ansicht darzustellen. Diese Meinung dürfte vertretbar sein. Die Aussagen dürften im Übrigen schon nicht dazu geeignet sein, das Vertrauen der Bürger und Bürgerinnen in die Arbeit der Antragstellerin und deren Funktionsfähigkeit zu gefährden. Soweit die sofortige Beschwerde bei der Gefährdung auf die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung abstellt, dürfte dies ein falscher Maßstab sein. Aber selbst dann, wenn man auf die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung abstellte, dürfte deren Funktionsfähigkeit durch die angegriffenen Äußerungen nicht gefährdet sein.

Die Antragstellerin hat auf diese Hinweise mit Schriftsatz 10. Juli 2024 Stellung genommen. Sie hält dort an ihrer bisherigen Rechtsauffassung fest. Für die Einzelheiten wird auf diesen Schriftsatz Bezug genommen.

B.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist statthaft und zulässig. Insbesondere wahrt das am 26. Juni 2024 eingegangene Rechtsmittel die 2-Wochen-Frist des § 569 Absatz 1 ZPO, da diese mit der Zustellung des Beschlusses am 19. Juni 2023 zu laufen begann. Auch die Formvorschriften des § 569 Absatz 2 ZPO sind eingehalten. Die sofortige Beschwerde ist aber nicht begründet. Der Antragstellerin steht gegenüber der Antragsgegnerin kein auf §§ 823 Absatz 2, 1004 Absatz 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit §§ 185 ff., 194 StGB gestützter Unterlassungsanspruch zu.

I.

Juristische Personen des öffentlichen Rechts können im Einzelfall zivilrechtlichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in Anspruch nehmen, durch die ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt wird.

1. Zwar haben sie weder eine „persönliche” Ehre noch können sie wie eine natürliche Person Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sein; sie genießen jedoch, wie § 194 Absatz 3 StGB zeigt, im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben strafrechtlichen Ehrenschutz, der über §§ 1004, 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit §§ 185 ff. StGB zivilrechtliche Unterlassungsansprüche begründen kann (siehe nur BVerfG, Beschluss vom 11. April 2024 – 1 BvR 2290/23, juris Randnummer 29; BGH, Urteil vom 22. April 2008 – VI ZR 83/07NJW 2008, 2262, Randnummer 28 und BGH, Urteil vom 22. November 2005 – VI ZR 204/04, NJW 2006, 601 Randnummer 9; Mann, in: Himmelsbach/Mann, Presserecht, 1. Auflage 2022, § 12 Randnummer 19). Juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist zivilrechtlicher Rechtsschutz gegen herabsetzende Äußerungen allerdings lediglich in einem eingeschränkten Umfang eröffnet (BVerfG, Beschluss vom 11. April 2024 – 1 BvR 2290/23, juris Randnummer 27). Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Die Zulässigkeit von Kritik am System ist Teil des Grundrechtestaats (BVerfG, Beschluss vom 11. April 2024 – 1 BvR 2290/23, juris Randnummer 28). Ein Schutz darf nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, und der zudem das Recht des Staates gegenübersteht, fehlerhafte Sachdarstellungen oder diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen (BVerfG, Beschluss vom 11. April 2024 – 1 BvR 2290/23, juris Randnummer 29). Ein Ehrenschutz kann daher nur dann geltend gemacht werden, wenn die konkrete Äußerung geeignet ist, die juristische Person des öffentlichen Rechts schwerwiegend in ihrer Funktion zu beeinträchtigen (BGH, Urteil vom 22. April 2008 – VI ZR 83/07NJW 2008, 2262, Randnummer 29; Senat, Beschluss vom 14. November 2023 – 10 W 184/23, GRUR-RS 2023, 31814 Randnummer 6). Zu fragen ist, ob die jeweilige streitgegenständliche Äußerung geeignet ist, das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der betroffenen Behörde und deren Funktionsfähigkeit zu gefährden (BGH, Urteil vom 22. April 2008 – VI ZR 83/07, NJW 2008, 2262, Randnummer 13; Senat, Beschluss vom 14. November 2023 – 10 W 184/23, GRUR-RS 2023, 31814 Randnummer 8; OLG Celle, Beschluss vom 25. Mai 2021 – 5 U 6/21, AfP 2022, 168 unter II. 1 b).

2. So liegt es im Fall nicht einmal ansatzweise.

a) Mit der ersten Äußerung „XXX wendet sich die Antragstellerin gegen die aus ihrer Sicht unwahre Tatsachenbehauptung, gegen ein „Frauen-Fitnessstudio“ ein Bußgeld erlassen zu haben. Selbst wenn es sich dabei um eine unwahre Tatsache handeln würde, wäre die Unterstellung ersichtlich in keiner Weise geeignet, die Funktionsfähigkeit der Bundesregierung schwerwiegend zu beeinträchtigen. Es handelte sich auch angesichts der Höhe des „Bußgeldes“ um eine (behauptet) fehlerhaftes staatliches Vorgehen am untersten Rand. Solche Fälle sind Alltag und Gegenstand einer Vielzahl von verwaltungsrechtlichen, sozialrechtlichen, finanzrechtlichen, aber auch straf- und im Bereich des Verwaltungsprivatrechts zivilrechtlichen Verfahren. Eben durch diese Verfahren, die der Bürger gegen aus seiner Sicht fehlerhaftes staatliches Handeln jederzeit führen kann, zeigt sich der Rechtsstaat. Es kann ausgeschlossen werden, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Antragstellerin und deren Funktionsfähigkeit mit jedem fehlerhaften Bußgeldbescheid droht zerstört zu werden.

b) Nichts anderes gilt erkennbar für die aus Sicht der Antragstellerin unwahre Tatsachenbehauptung, dass „XXX“ Strafe zahlen sollen bzw. die aus Sicht der Antragstellerin weitere unwahre Tatsachenbehauptung, die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend solle „XXX“. Bei der zweiten „Tatsachenbehauptung“ wird nur die Einschätzung geäußert, die Bundesministerin solle, was sie angeblich könne, etwas gegen die Unabhängige Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung unternehmen. Und bei der ersten „Tatsachenbehauptung“ geht es um die Frage, ob eine Transfrau diskriminiert wird und ihr daher eine Entschädigung zusteht, wenn ihr nicht erlaubt wird, ein Fitnessstudio für Frauen zu nutzen. Es kann auch insoweit ausgeschlossen werden, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Antragstellerin und deren Funktionsfähigkeit droht zerstört zu werden

II.

Außerdem fehlt es an einem Verfügungsanspruch. Die angegriffenen Äußerungen der Antragsgegnerin sind zwar teilweise polemisch zugespitzt, aber jeweils von der Meinungsfreiheit geschützt.

1. Tatsachenbehauptungen werden durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert; Werturteile und Meinungsäußerungen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt (ständige Rechtsprechung, siehe nur BGH, Urteil vom 28. September 2022 – VIII ZR 319/20, Randnummer 35; BGH, Urteil vom 16. Januar 2018 – VI ZR 498/16, Randnummer 35). Für die Einstufung als Tatsachenbehauptung kommt es wesentlich darauf an, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist, was bei Meinungsäußerungen ausscheidet, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet werden und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (ständige Rechtsprechung, siehe nur BVerfG, Beschluss vom 9. November 2022 – 1 BvR 523/21, NJW 2023, 510 Randnummer 16).

2. Für die Abgrenzung einer Meinungsäußerung von einer Tatsachenbehauptung ist der Aussagegehalt der Äußerung zu ermitteln. Ausgehend vom Wortlaut sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittenen Äußerungen stehen, und die Begleitumstände, unter denen sie fallen, zu berücksichtigen, soweit diese für die Leser, Hörer oder Zuschauer erkennbar sind. Es ist darauf abzustellen, wie eine Äußerung unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs von einem unvoreingenommenen Durchschnittsleser verstanden wird, wobei eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig ist, sondern auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen sind (ständige Rechtsprechung, siehe nur BVerfG, Beschluss v. 11. April 2024 – 1 BvR 2290/23, juris Randnummer 31; BGH, Urteil vom 27. April 2021 – VI ZR 166/19, Randnummer 11).

3. Nach der ständigen Rechtsprechung ist die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts (siehe nur BGH, Urteil vom 1. August 2023 – VI ZR 307/21, Randnummer 10). Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, ist bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, zu berücksichtigen. Bei der Erfassung des Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (ständige Rechtsprechung, siehe nur BVerfG, Beschluss v. 11. April 2024 – 1 BvR 2290/23, juris Randnummer 30 ff.; BGH, Urteil vom 1. August 2023 – VI ZR 307/21, Randnummer 10).

4. Nach diesen Maßstäben stellen sich die drei angegriffenen Äußerungen in den zwei Online-Veröffentlichungen der Antragsgegnerin als rechtmäßige Meinungsäußerungen dar. Für den Durchschnittsleser wird sowohl beim Beitrag vom 30. Mai 2024 als auch beim Kommentar vom 30. Mai 2024 ungeachtet der jeweils skandalisierenden und auf den ersten Blick irreführenden Überschriften („XXX“) bzw. („XXX“) durch den jeweiligen Kontext ausreichend deutlich, dass die Antragsgegnerin es letztlich nur für falsch hält, dass die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung der Betreiberin des Frauen-Fitness-Studios im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens empfohlen hatte, eine als angemessen angesehene Entschädigung zu zahlen. Soweit sich die Antragstellerin dagegen wendet, sie habe die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung nicht „abmahnen“ können, bzw. erläutert, diese sei ihr nicht „unterstellt“, gilt nichts anderes. Denn der Durchschnittsleser verbindet die Rechtsbegriffe „Abmahnung“ und „Unterstellung“ nur mit der Möglichkeit der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit der Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung zu kommunizieren und dabei ihre gegebenenfalls abweichende Ansicht darzustellen.

5. Wenn sich eine der Äußerungen als Schmähung oder Schmähkritik, als Formalbeleidigung oder als Angriff auf die Menschenwürde darstellte, könnte zwar etwas anderes gelten. Eine Schmähung im verfassungsrechtlichen Sinn ist aber nur gegeben, wenn eine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Es sind dies Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen, etwa in Fällen der Privatfehde (siehe nur BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2021 – 1 BvR 1073/20, NJW 2022, 680 Randnummer 29). Davon kann im Fall keine Rede sein.

6. Ferner könnte etwas anderes gelten, wenn eine der Meinungsäußerungen einen erwiesen falschen oder bewusst unwahren Tatsachenkern enthielte (ständige Rechtsprechung, siehe nur BGH, Urteil vom 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, Randnummer 21) oder es an tatsächlichen Anknüpfungspunkten fehlte.

a) Meinungsäußerungen müssen grundsätzlich zwar nicht begründet werden (siehe nur BVerfG, Beschluss vom 9. November 2022 – 1 BvR 523/21, juris Randnummer 25). Der Grundrechtsschutz besteht unabhängig davon, ob eine Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos sei und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen liegt nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist oder wo Gründe für die geäußerte kritische Bewertung nicht gegeben werden. Meinungsäußerungen können nach einer Abwägung aber dennoch als unzulässig anzusehen sein, wenn es – gemessen an ihrer Eingriffsintensität – keine hinreichenden tatsächlichen Anknüpfungspunkte gibt. Fehlt es an einer ausreichenden tatsächlichen Grundlage für Äußerungen, die den sozialen Geltungsanspruch oder die Ehre eines anderen verletzen können, könnten mithin auch Meinungen nicht durch die Rechte aus Artikel 5 Absatz 1 GG und/oder 10 EMRK gedeckt sein (siehe nur EGMR, Urteil vom 25. Oktober 2018, 38450/12, NJOZ 2020, 105 Randnummer 16). Innerhalb der Abwägung macht es also einen Unterschied, ob es sich um eine auf Tatsachen fußende Schlussfolgerung handelt oder um eine willkürlich aus der Luft gegriffene Wertung (BVerfG, Beschluss vom 9. November 2022 – 1 BvR 523/21, juris Randnummer 28; BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 2020 – 1 BvR 704/18, juris Randnummer 23; BVerfG, Beschluss vom 4. August 2016 – 1 BvR 2619/13, Randnummer 14).

b) Im Fall gibt es indes für die Meinungsäußerungen der Antragsgegnerin in den ersten beiden Äußerungen bzw. der Bewertung des Verhaltens der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend jeweils eine ausreichende Grundlage, nämlich das Schreiben der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung an die Betreiberin des Fitnessstudios.

aa) Zwar geht es dort weder um ein Bußgeld noch um eine Strafe noch um ein Handeln der Antragstellerin. Dies wird in den Beiträgen ungeachtet der Artikelüberschriften aber auch noch ausreichend deutlich. Im Beitrag wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Bundesbeauftragte nur eine Entschädigung vorgeschlagen hat und es um kein Bußgeld geht. Um auch im überwiegend polemisch und sarkastisch gehaltenen Kommentar wird noch ausreichend deutlich, dass es um einen Vorschlag geht, freiwillige Zahlungen zu leisten. Die beiden Artikelüberschriften sind zwar polemische Zuspitzungen, die mit den Begriffen „Bußgeld“ und „Strafe“ etwas Unwahres in den Raum stellen. Die Meinungsfreiheit erlaubt es aber nicht, die Antragsgegnerin auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihr damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen (BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2019 – 1 BvR 2433/17, Randnummer 17). Die polemische oder verletzende Formulierung einer Aussage entzieht diese grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit (BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 2017 – 1 BvR 180/17, juris Randnummer 11). Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen ist. Nach diesem Maßstab kann es der Antragsgegnerin aber nicht verwehrt werden, laienhaft Rechtsbegriffe einzusetzen, solange jedenfalls im Kontext deutlich wird, dass es um keine staatlichen Maßnahmen, sondern um einen bloßen Vorschlag der Unabhängigen Bundesbeauftragten geht.

bb) Der Antragsgegnerin stand es auf Grundlage des Schreibens der Unabhängigen Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung außerdem frei, zu fordern, die Antragstellerin solle gegen diese vorgehen. Dass diese insoweit nicht handeln kann, wie sie behauptet, steht dem nicht entgegen.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO.

Die Festsetzung des Gebührenstreitwertes beruht auf § 53 Absatz 1 Nummer 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist dabei in Anlehnung an § 23 Absatz 3 Satz 2 RVG bei einer nicht-vermögensrechtlichen Streitigkeit und mangelnden genügenden Anhaltspunkten für ein höheres oder geringeres Interesse von einem Wert von 5.000,00 Euro auszugehen (siehe nur BGH, Beschluss vom 28. Januar 2021 – III ZR 162/20, Randnummer 9; BGH, Beschluss vom 26. November 2020 – III ZR 124/20, Randnummer 11; BGH, Beschluss vom 17. November 2015 – II ZB 8/14, Randnummer 13).

Für die Anträge ist nach dieser Maßgabe, der herrschenden Rechtsprechung und nach den Angaben des Antragstellers ein Wert von insgesamt 30.000,00 Euro anzusetzen.



Schlagworte

Frauen-Fitnessstudio