LG Mühlhausen 6. Zivilkammer, Urteil vom
11.Juli 2024 , Az: 6 O 257/23
Langtext
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagte im Wege der Stufenklage Auskunftsansprüche im Zusammenhang mit der Teilnahme an Online-Glücksspielen geltend.
Die Beklagte mit Sitz in V. (Malta) ist Betreiberin von Online-Casinos bzw. Online-Glücksspielen und bot Online-Glücksspiele über ihre deutschsprachige Website im Internet an, die insbesondere ohne Einschaltung eines VPNs, „Regionen-Wechsler“ oder sonstiger technischer Hilfsmittel aufgerufen werden konnte. Die Klagepartei war bei der Beklagten registriert und nahm am von der Beklagten angebotenen Glücksspiel von ihrem Wohnort in Heilbad Heiligenstadt teil. Im hier verfahrensgegenständlichen Zeitraum verfügte die Beklagte über eine nach maltesischem Recht wirksame Erlaubnis/Lizenz, Online-Glücksspiel anzubieten; über eine Glücksspiellizenz nach deutschem Recht bzw. nach den deutschen landesrechtlichen Vorgaben verfügte die Beklagte nicht.
Die Klagepartei forderte mit anwaltlichem Schreiben vom 21.02.2023 von der Beklagten erfolglos zunächst eine Datenauskunft äquivalent zum Klageantrag auf erster Stufe zu 1.) binnen Monatsfrist.
Der Kläger behauptet, unter Verwendung des erstellten Spielprofils habe er einen erheblichen Geldbetrag an die Beklagte geleistet und verloren. Zum Zeitpunkt der Teilnahme am Glücksspiel sei er davon ausgegangen, dass das Angebot der Beklagten legal sei. Die Rechtswidrigkeit des Angebots habe er erst durch die anwaltliche Tätigkeit sowie das Medienangebot seines Prozessbevollmächtigten erkannt. Der Kläger ist der Ansicht, der Auskunftsanspruch gegen die Beklagte ergebe sich aus der DSGVO. Der geltend gemachte Auskunftsanspruch diene ausschließlich der konkreten Bezifferung des auf zweiter Stufe folgenden Zahlungsanspruchs.
Der Kläger beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Auskunft zu erteilen über die im Rahmen der Kundenbeziehung verarbeiteten Daten, insbesondere zu den nachfolgenden Fragen:
a) Welche personenbezogenen Daten der Klagepartei verarbeitet die Beklagte?
b) Zu welchem Zweck (welchen Zwecken) verarbeitet die Beklagte diese Daten?
c) Woher stammen diese Daten?
d) Hat die Beklagte diese Daten an Dritte übermittelt oder plant die Beklagte, diese an Dritte zu übermitteln? Wenn ja, an wen, wann und zu welchem Zweck?
e) Die vollständige Zahlungs- und Spielhistorie aller Spielkonten der Klagepartei sind maschinenlesbaren Excel-Format bereitzustellen.
f) Wie lange wird die Beklagte die Daten verarbeiten?
g) Hat die Beklagte hinsichtlich der Klagepartei ein Profil angelegt? Falls ja, mit welchem Inhalt und in welcher Art und Weise ist dieses Profil zustande gekommen?
2. Die Beklagte wird auf zweiter Stufe der Klage verurteilt, an die Klagepartei einen sich aus der Auskunft ergebenden und noch zu beziffernden Betrag zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hilfsweise beantragt die Beklagte,
das Verfahren im Hinblick auf das vor dem EuGH unter dem Az. C-440/23 geführte Verfahren gemäß § 148 ZPO analog auszusetzen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Stufenklage sei bereits unzulässig. Insbesondere sei der mit der Klage verfolgte Antrag nicht darauf gerichtet, die Höhe eines Anspruchs gegen die Beklagte zu beziffern. Vielmehr handele es sich dabei um eine unzulässige Ausforschung, ob überhaupt ein Anspruch dem Grunde nach bestehe. Die Klagepartei führe in diesem Zusammenhang lediglich an, dass sie bei der Beklagten registriert gewesen sei und in einem nicht näher definierten Zeitraum einen Geldbetrag an die Beklagte geleistet und verloren habe. Somit trage die Klagepartei noch nicht einmal die einfachen, in ihrer Sphäre liegenden und vorzutragenden Umstände, wie beispielsweise den Registrierungszeitpunkt, die Spieldauer, Informationen zum Spielerkonto und Art und Umfang der Ein- und Auszahlungen vor. Im Übrigen stehe der Klagepartei auch kein materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch zu. Art. 15 DSGVO diene nicht dazu, Beweise für einen Zivilprozess gegen die Beklagte zu sammeln und die Beklagte damit „auszuforschen“. Dieses Vorgehen sei rechtsmissbräuchlich und unzulässig und nicht vom Normzweck des Art. 15 DSGVO gedeckt. Die Ansprüche des Klägers seien verjährt. Auch habe sich der Klägervertreter hinsichtlich seines vorgerichtlichen Auskunftsverlangens nicht hinreichend legitimiert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet.
I. Die Klage ist teilweise zulässig.
1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich aus Art. 79 Abs. 2 DSGVO. Nach dieser Bestimmung hat der Betroffene das Wahlrecht, ob er die Gerichte am Ort der Niederlassung des Datenverarbeiters oder diejenigen am eigenen Wohnort in Anspruch nimmt.
2. Der unbezifferte Leistungsantrag zu 2) ist unzulässig, da es bereits an einem bestimmten Klageantrag im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO fehlt.
Dieser Antrag ist auch nicht im Wege der Stufenklage gemäß § 254 ZPO zulässig. Eine solche ist von vornherein nur dann zulässig und verschafft somit die Möglichkeit, das Leistungsbegehren zunächst unbeziffert zu lassen, wenn die Auskunft der Bestimmung des Leistungsanspruchs dient. Sie ist hingegen unzulässig, wenn die Auskunft nicht dem Zweck einer Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs dient, sondern dem Kläger sonstige mit der Bestimmbarkeit als solcher nicht in Zusammenhang stehende Informationen über seine Rechtsverfolgung verschaffen soll (vgl. BGH, Urteil vom 18.04.2002 - VII ZR 260/01; BGH, Urteil vom 29.03.2011 - VI ZR 117/10; BGH, Urteil vom 02.03.2000 - III ZR 65/99; OLG Hamm, Beschluss vom 15.11.2021 – I-20 U 269/21; OLG Köln, Urteil vom 26.07.2019 - 20 U 75/18; LG Wuppertal, Urteil vom 29.07.2021 - 4 O 409/20; BeckOK ZPO/Bacher, 42. Ed. § 254 Rn. 4; Zöller/Greger, ZPO 33. Aufl., § 254 Rn. 2).
Gemessen an diesen Voraussetzungen ist die Stufenklage hier unzulässig. Dem Kläger geht es vorliegend nicht um die Bezifferung eines sich aus einer Rechnungslegung ohne weiteres ergebenden Anspruchs. Vielmehr dient die begehrte Auskunft allein der Beweisbeschaffung, um eine Leistungsklage überhaupt zu begründen und inhaltlich schlüssig zu machen. Der erforderliche Zusammenhang zwischen Auskunfts- und Leistungsbegehren fehlt insbesondere deshalb, weil die Auskunft dem Kläger die Beurteilung ermöglichen soll, ob ihm dem Grunde nach ein Anspruch zusteht. Der Kläger führt in diesem Zusammenhang lediglich an, dass er bei der Beklagten registriert gewesen sei und in einem nicht näher definierten Zeitraum einen Geldbetrag an die Beklagte geleistet und verloren habe. Er trägt mithin noch nicht einmal die in seiner Sphäre liegenden und vorzutragenden Umstände, wie beispielsweise den Registrierungszeitpunkt, die Spieldauer, Informationen zum Spielerkonto und Art und Umfang der Ein- und Auszahlungen vor. All dies stellt für den Kläger jedoch einfach vorzutragende Tatsachen im Sinne der allgemeinen Bestimmtheitserfordernisse nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO dar. Denn auch im Rahmen einer Stufenklage gilt, dass nur die Feststellung, ob überhaupt Spielverluste eingetreten sind und wie sich diese konkret berechnen (Darstellung der Einzahlungen der Klagepartei an die Beklagte, Auszahlungen der Beklagten an die Klagepartei, Berechnung des Differenzbetrags = Verlust), die Grundlage für den späteren Leistungsantrag bilden können.
II. Der Klageantrag zu 1) ist zulässig, aber unbegründet.
Ein Anspruch ergibt sich nicht aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO. Denn der Beklagten steht gegenüber einem etwaigen Anspruch jedenfalls ein Weigerungsrecht aus Art. 12 Abs. 5 Satz 2 lit. b) DSGVO zu, da dem Antrag der sich aus § 242 BGB ergebende Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegensteht.
Nach Art. 12 Abs. 5 Satz 2 lit. B) DSGVO kann ein Verantwortlicher eine Auskunft verweigern wenn der Auskunftsanspruch offenkundig unbegründet ist oder exzessiv geltend gemacht wird. Die Vorschrift führt zwar lediglich die häufige Wiederholung als Beispiel für einen „exzessiven" Antrag auf. Die Verwendung des Wortes „insbesondere" macht aber deutlich, dass die Vorschrift auch andere rechtsmissbräuchliche Anträge erfassen will (vgl. Heckmann/Paschke, in Ehlmann/Selmayr, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Auflage, Art. 12 Rn. 43).
Bei der Auslegung, was in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich ist, ist der Schutzzweck der DSGVO zu berücksichtigen. Wie sich aus dem Erwägungsgrund 63 der DSGVO ergibt, ist Sinn und Zweck des in Art. 15 DSGVO normierten Auskunftsrechts, es der betroffenen Person problemlos und in angemessenen Abständen zu ermöglichen, sich der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten bewusst zu werden und die Rechtmäßigkeit dieser Verarbeitung überprüfen zu können (so auch BGH, Urteil vom 15.06.2021 - VI ZR 576/19; OLG Hamm, Beschluss vom 15.11.2021 – I-20 U 269/21). Der Betroffene soll insbesondere den Umfang und Inhalt der gespeicherten Daten beurteilen können. Die Auskünfte sollen auch dazu dienen, der betroffenen Person die weiteren Rechte auf Berichtigung, Löschung und Einschränkung der Verarbeitung (Art. 16, 17 und 18 DSGVO) zu ermöglichen.
Um ein solches Bewusstwerden zum Zweck einer Überprüfung der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten geht es dem Kläger nach seinem eigenen Klagevorbringen hingegen nicht. Der Kläger macht keines der vorgenannten Interessen geltend. Sinn und Zweck der von ihm begehrten Auskunftserteilung ist vielmehr – wie sich aus der Verbindung mit dem im Wege der Stufenklage verfolgten unbezifferten Antrag auf Zahlung zweifelsfrei ergibt – ausschließlich die Verfolgung sich aus den Wetteinsätzen möglicherweise ergebender Leistungsansprüche. Es geht ihm mithin einzig allein um die Überprüfung etwaiger geldwerter Ansprüche gegen die Beklagte. Eine solche datenschutzfremden Zwecken dienende Vorgehensweise ist vom Schutzzweck der DSGVO jedoch nicht umfasst (vgl. OLG Hamm, a.a.O., m.w.N.). Es betrifft noch nicht einmal den mit der Verordnung als solchem verfolgten Datenschutz. Ein sich derart von dem Regelungsgehalt der Rechtsgrundlage entferntes Begehren ist nicht schützenswert.
Nach alledem steht fest, dass die Klagepartei vorliegend versucht, über das Instrument der DSGVO einen Ausforschungsbeweis im Zivilprozess zu konstruieren, welcher so von der ZPO gerade explizit nicht vorgesehen ist. Denn würde Art. 15 DSGVO dem Betroffenen Zugang zu sämtlichen Informationen in der Sphäre der Gegenseite geben, würde dies den allgemeinen Beibringungsgrundsatz des deutschen Prozessrechts unterlaufen und umkehren. Dies ist abzulehnen.
Vielmehr obliegt es der Klagepartei, die für die Begründung ihrer Ansprüche erforderlichen Tatsachen substantiiert vorzutragen und entsprechend geeignete Beweis anzuführen. Dies ist ihr gerade im Hinblick auf die Ein- und Auszahlungen auf ein Spielerkonto auch zweifelsohne zumutbar und möglich, da sich die Klagepartei selbst in erster Linie über ihre eigenen Vermögenszuwächse und -abflüsse im Klaren sein muss und geeignete Nachweise, wie beispielsweise Kontoauszüge oder Abbuchungsbelege besitzt oder jedenfalls anfordern kann.
Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
III. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.