juris



zurück zur Übersichtsliste

Nr: NJRE001590478


OLG Köln 15. Zivilsenat, Beschluss vom 11.Oktober 2024 , Az: 15 W 116/24


Langtext

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 4.10.2024 gegen den Beschluss des Landgerichts Köln vom 20.9.2024 (28 O 206/24) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.


Gründe

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg, da das Landgericht ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht zurückgewiesen hat. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht der Antragstellerin weder aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG noch aus einem anderen Rechtsgrund zu.

1. Es handelt sich bei der angegriffenen Äußerung über die Antragstellerin ("Zitat wurde entfernt") um eine Meinungsäußerung des Antragsgegners, die weder als Schmähkritik bzw. Formalbeleidigung per se unzulässig ist noch der es an einer hinreichenden Tatsachengrundlage mangelt.

a. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerdebegründung handelt es sich bei der angegriffenen Äußerung nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um eine Meinungsäußerung des Antragsgegners.

Für die Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung einzustufen ist, bedarf es nach ständiger Rechtsprechung der Ermittlung des vollständigen Aussagegehalts. Insbesondere ist die beanstandete Äußerung in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist und darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer isolierten Betrachtung zugeführt werden (vgl. BGH, Urt. v. 1.8.2023 - VI ZR 307/21, juris Rn. 10; BGH, Urt. v. 22.9.2009 - VI ZR 19/08, NJW 2009, 3580). So dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht Sätze oder Satzteile mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen und als unrichtige Tatsachenbehauptung untersagt werden, wenn die Äußerung nach ihrem zu würdigenden Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG fallen kann und in diesem Fall eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.4.2024 - 1 BvR 820/24, beck-online; BVerfG, Beschl. v. 16.3.2017 - 1 BvR 3085/15, NJW-RR 2017, 1003).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wird aus Sicht des durchschnittlichen Rezipienten des fraglichen Beitrags (Anlage K 1) mit der streitgegenständlichen Äußerung eine Meinung, nämlich die subjektive Ansicht des Antragsgegners über eine politische Haltung der Antragstellerin wiedergegeben. In dem Beitrag wird zunächst der persönliche bzw. politische Werdegang der Antragstellerin in groben Zügen nachgezeichnet. Dabei kommen unter anderem Mitglieder der Partei der Antragstellerin zu Wort, die bestimmte politische Linien derselben darstellen ("F. L. Z. ... : "Zitat wurde entfernt") und es werden Angaben über öffentliche Auftritte bzw. Äußerungen der Antragstellerin gemacht ("Zitat wurde entfernt".). Im Anschluss daran stellt der Beitrag in Form von Zitaten von F. L. Z. die Haltung der Partei der Antragstellerin zum Krieg in der Ukraine einerseits ("Zitat wurde entfernt") und zu Russland andererseits dar ("... Zitat wurde entfernt"). Nach Darstellung dieser politischen Einschätzung leitet der Artikel dazu über, dass Personen "on the liberal end of the V." entsetzt von der Vorstellung seien, künftig mit der Partei der Antragstellerin Koalitionen einzugehen, die aus ihrer Sicht entgegengesetzte Wertvorstellungen hat. In diesem Gesamtkontext wird dann der Antragsgegner, der nach dem Bericht als V.-Mitglied eine Kampagne gegen eine Annäherung an die Partei der Antragstellerin organisiert, mit seinen Äußerungen über die Antragstellerin zitiert, in denen er sie unter anderem als Person bezeichnet, "Zitat wurde entfernt".

Unter Berücksichtigung dieses Gesamtkontextes des Beitrags will der Antragsgegner aus Sicht des durchschnittlichen Lesers mit seiner Äußerung die Antragstellerin und ihre Haltung zu Russland kritisch bewerten. Gerade durch die unmittelbare Einkleidung der streitgegenständlichen Äußerung, die mit den Formulierungen "Zitat wurde entfernt" bzw. "Zitat wurde entfernt" eine deutliche Zuspitzung bzw. Steigerung der Begrifflichkeiten enthält, wird für den Leser deutlich, dass es dem Antragsgegner nicht um die Wiedergabe von Tatsachen geht, sondern vielmehr um eine - scharfe - wertende Kritik an der politischen Haltung der Antragstellerin bzw. den Ansichten ihrer Partei. Gleiches gilt für die Einleitung des vorangehenden Absatzes, in welcher mit der - ebenfalls stark dramatisierenden - Formulierung "Zitat wurde entfernt" für den Leser ein stark subjektiv gefärbtes Bild gezeichnet wird.

Soweit die Beschwerdebegründung in diesem Zusammenhang darauf abstellt, der Antragsgegner behaupte eine innere Tatsache, weil er mit seiner Äußerung die vermeintliche Haltung der Antragstellerin zu Russland wiedergebe, führt auch dies hier nicht zu einer abweichenden Einordnung. Ob jemand einen bestimmten Standpunkt vertritt, betrifft zwar eine innere und bei entsprechender - ausdrücklicher oder konkludenter - Kundgabe auch äußere Tatsache. Wer einem anderen einen Standpunkt zuschreibt, behauptet daher in Bezug auf diesen das Bestehen einer inneren Tatsache und gegebenenfalls deren Kundgabe. Da jedoch innere Tatsachen gegenüber anderen verschlossen bleiben, solange sie nicht kundgetan werden, basiert ihre Behauptung zwangsläufig auf Schlussfolgerungen aus dem Verhalten der betroffenen Person, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens des Äußernden geprägt sind. Wer behauptet, ein anderer vertrete einen bestimmten Standpunkt, äußert deshalb notwendig eine Einschätzung, in der tatsächliche und wertende Elemente miteinander vermengt sind. Als solche wird sie vom Grundrecht der Meinungsfreiheit insgesamt als Meinung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG geschützt (vgl. BVerfGE, Beschl. v. 9.11.2022 - 1 BvR 523/21, NJW 2023, 510).

b. Die streitgegenständliche Äußerung ist offenkundig keine per se unzulässige Schmähkritik oder eine Formalbeleidigung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.10.2020 - 1 BvR 2249/19, juris; BVerfG, Beschl. v. 24.7.2013 - 1 BvR 444/13, juris), weil es nicht um die reine Diffamierung der Person der Antragstellerin ohne Rücksicht auf eine (politische) sachliche Auseinandersetzung geht, sondern vielmehr um die wenn auch sehr kritische Bewertung ihrer politischen Haltung.

c. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerdebegründung ist die Äußerung des Antragsgegners auch nicht als unwahre Tatsachenbehauptung in Form eines Fehlzitats zu untersagen. Zwar umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht am eigenen Wort und schützt den Einzelnen davor, dass ihm Äußerungen zugeschrieben werden, die er nicht getan hat und die seine Privatsphäre oder den von ihm selbst definierten sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigen. Der grundrechtliche Schutz wirkt dabei nicht nur gegenüber Fehlzitaten, sondern auch gegenüber unrichtigen, verfälschten oder entstellten Wiedergaben einer Äußerung (vgl. BGH, Urt. v. 21.6.2011 - VI ZR 262/09, AfP 2011, 484).

Ein solches Fehlzitat zu Lasten der Antragstellerin liegt hier jedoch nicht vor. Denn weder aus der Form der Äußerung noch aus ihrem Inhalt - dies auch unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes - ist zu entnehmen, dass der Antragsteller mit der Formulierung "Zitat wurde entfernt" eine eigene Äußerung der Antragstellerin in Form eines Zitates wiedergeben will. Vielmehr ist für den durchschnittlichen Rezipienten eindeutig erkennbar, dass die streitgegenständliche Formulierung gerade ein Zitat des Antragsgegners und dessen Einschätzung der politischen Haltung der Antragstellerin darstellt. Dass die Antragstellerin seine Bewertung ihrer politischen Haltung nicht teilt, führt nicht zur Annahme eines Fehlzitats.

d. Schließlich erfolgte die Meinungsäußerung des Antragsgegners auch auf Basis einer hinreichenden Tatsachengrundlage. Zwar sind Meinungsäußerungen im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet und müssen grundsätzlich nicht begründet werden. Der Grundrechtsschutz besteht unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Innerhalb der Abwägung der kollidierenden grundrechtlichen Interessen ist jedoch von Belang, ob es sich bei der Einschätzung von Beweggründen, Absichten oder Standpunkten eines anderen um eine auf Tatsachen fußende Schlussfolgerung handelt oder um eine willkürlich aus der Luft gegriffene Wertung (vgl. BVerfGE, Beschl. v. 9.11.2022 - 1 BvR 523/21, NJW 2023, 510 m.w.N.).

Solche Tatsachen, die eine Basis für die vom Antragsgegner vorgenommene Bewertung bilden, sind hier gegeben: Dabei kommt es - insoweit entgegen dem Landgericht - nicht wesentlich darauf an, ob und zu welchem Zeitpunkt sich die Antragstellerin (öffentlich) für ein sog. Einfrieren der Frontlinie ausgesprochen hat, anstatt auf einem sofortigen Rückzug der russischen Truppen aus den besetzten Gebieten zu bestehen. Denn jedenfalls hat sich die Antragstellerin unstreitig dafür ausgesprochen, dass die nach Ansicht von Experten bestehende militärische Pattsituation in der Ukraine am Verhandlungstisch beendet werden solle, wobei - im Hinblick auf die militärische Stärke Russlands und zur Vermeidung der Gefahr einer nuklearen Auseinandersetzung - auch die Aufgabe besetzter Gebiete durch die Ukraine eine Option sein könne. Dass eine solche Haltung vom Antragsgegner dahingehend bewertet wird, dass die Antragstellerin den Krieg "akzeptiert" habe, ist vor dem Hintergrund der Maßstäbe, die für Äußerungen im politischen Meinungskampf gelten (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 26.6.1990 - 1 BvR 1165/89, juris), nicht zu beanstanden. Mit der Stellung eines Politikers in einem demokratischen Staat ist es naturgemäß verbunden, dass sich sein Wirken in ständiger Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen vollzieht und er sich daher auch scharfen Angriffen stellen muss (vgl. Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Auflage, Kap. 10 Rn. 64 m.w.N.).

Die Antragstellerin kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, dass durch die Äußerung des Antragsgegners bei den Lesern des Beitrags der zwingende Eindruck entstünde, sie habe den Angriffskrieg befürwortet oder stehe ihm in sonstiger Weise positiv gegenüber. Dabei kommt es entgegen den Ausführungen der Antragstellerin auch nicht darauf an, welchen Bedeutungsgehalt die englischsprachigen Leser des Beitrags dem Begriff "accepts" abstrakt beimessen würden. Denn gerade durch die im vorangehenden Absatz wiedergegebenen Äußerungen, wonach die Partei der Antragstellerin den Angriffskrieg verurteilt (""Zitat wurde entfernt"", "..."Zitat wurde entfernt""), wird im hier maßgeblichen Gesamtkontext deutlich, dass mit dem als Akzeptanz bewerteten Verhalten der Antragstellerin im Hinblick auf die von ihr erhobene Forderung nach Verhandlungen keine Befürwortung oder sonst positiv konnotierte Bewertung des kriegerischen Geschehens verbunden ist, sondern vielmehr nur die Akzeptanz der "hard facts of reality".

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Eine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist wegen §§ 574 Abs. 1 S. 2, 542 Abs. 2 S. 1 ZPO ausgeschlossen.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 10.000 Euro