OLG Hamburg 7. Zivilsenat, Urteil vom
6.Mai 2024 , Az: 7 U 6/24
NDRStVtr HA § 13
Fundstellen
AfP 2024, 437-439 (ST)
Verfahrensgang
vorgehend LG Hamburg 08.09.2023 324 O 91/23
Langtext
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8.9.2023 (Az. 324 O 91/23) abgeändert.
Die einstweilige Verfügung vom 29.3.2023 wird aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen hat der Antragsteller zu tragen.
Gründe
Gründe gemäß §§ 540 I, II, 313a ZPO:
I.
Die Parteien streiten über den Bestand der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 29.3.2023, mit der die Antragsgegnerin zur Ausstrahlung der folgenden Gegendarstellung verpflichtet worden ist:
Gegendarstellung
In der Fernsehsendung „Reschke Fernsehen" mit dem Titel „J. R. und die Frauen: ,Bumsen, belügen, wegwerfen`“, ausgestrahlt am 16.2.2023 im Programm Das Erste der ARD, verbreiteten Sie in Bezug auf mich nachfolgende, von anonym bleibenden Personen aufgestellte Behauptungen:
1. „J. R. hat mich für einen Job eingestellt, Für den ich eigentlich nicht wirklich qualifiziert war. Zu einem überhöhten Gehalt. Ich habe erst später verstanden, dass der Grund sein privates Interesse an mir war. "
Hierzu stelle ich fest: Ich habe keine Person aus privatem Interesse eingestellt.
2. „Um 2 Uhr morgens schickte R. eine Nachricht und sagte, ich solle sofort in sein Hotelzimmer kommen."
Hierzu stelle ich fest: Ich habe keiner Person um zwei Uhr morgens eine Nachricht geschickt, in der ich diese Person aufforderte, sofort in mein Hotelzimmer zu kommen.
3. „Ich wurde während der Untersuchung vielfach von R. Jüngern angerufen, mit Vorschlägen, was ich aussagen soll. Vertrauliche Gespräche landeten plötzlich bei ihm."
Hierzu stelle ich fest: Ich hatte während der Untersuchung der gegen mich erhobenen Vorwürfe keinerlei Zugang zu den Inhalten vertraulicher Gespräche.
4. „Ich habe gegen J. R. ausgesagt und wurde anschließend, als er von seiner Beurlaubung zurückkam, subtil aus meinem Job befördert."
Hierzu stelle ich fest: Es wurde keine Person aufgrund gegen mich getätigter Aussagen ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit enthoben.
5. „Auch ich war so naiv zu glauben, ich könne mich vertraulich an interne Ansprechpartner wenden. Aber natürlich landete auch das direkt bei ihm, und ich war wenig später meinen Job los."
Hierzu stelle ich fest: Ich habe keine Kenntnis von Informationen erlangt, die eine Person Dritten anvertraut hat und diese Person wurde hieraufhin auch nicht ihrer beruflichen Tätigkeit enthoben.
Berlin, den 14.03.2023
J. R.
Das Landgericht hat die einstweilige Verfügung mit dem angegriffenen Urteil bestätigt. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Berufung. Im laufenden Berufungsverfahren hat der Antragsteller unter dem 19.3.2024 eine weitere Fassung der Gegendarstellung an die Antragsgegnerin zugeleitet
Die Antragsgegnerin beantragt,
das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8.9.2023 abzuändern und die einstweilige Verfügung vom 29.3.2023 in der Form des Berichtigungsbeschlusses vom 3.4.2023 aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Berufung der Antragsgegnerin und Berufungsklägerin (nachfolgend: Antragsgegnerin) gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8.9.2023, Az. 324 O 91/23, zurückzuweisen,
hilfsweise im Wege der Anschlussberufung,
die Antragsgegnerin auf die Anschlussberufung zu verurteilen, die nachstehende Gegendarstellung unentgeltlich ohne Einschaltungen und Weglassungen innerhalb desselben Programms und desselben Sendeangebots in der nächsten Ausgabe der Sendung „Reschke Fernsehen“ zu verbreiten. Ist dies nicht möglich, ist die Gegendarstellung in einer vergleichbaren Sendung sowie zu einer angemessenen Sendezeit zu verbreiten. Ist dies ebenfalls nicht möglich, muss die Gegendarstellung in sonstiger angemessener Art und Weise erfolgen.
Gegendarstellung
In der Fernsehsendung „Reschke Fernsehen" mit dem Titel „J. R. und die Frauen: ,Bumsen, belügen, wegwerfen`“, ausgestrahlt am 16.2.2023 im Programm Das Erste der ARD, verbreiteten Sie in Bezug auf mich nachfolgende, von anonym bleibenden Personen aufgestellte Behauptungen:
1. „J. R. hat mich für einen Job eingestellt, Für den ich eigentlich nicht wirklich qualifiziert war. Zu einem überhöhten Gehalt. Ich habe erst später verstanden, dass der Grund sein privates Interesse an mir war. "
Hierzu stelle ich fest: Ich habe keine Person aus privatem Interesse eingestellt.
2. „Um 2 Uhr morgens schickte R. eine Nachricht und sagte, ich solle sofort in sein Hotelzimmer kommen."
Hierzu stelle ich fest: Ich habe nicht dazu aufgefordert, sofort in mein Hotelzimmer zu kommen.
3. „Ich habe gegen J. R. ausgesagt und wurde anschließend, als er von seiner Beurlaubung zurückkam, subtil aus meinem Job befördert."
Hierzu stelle ich fest: Es wurde keine Person aufgrund gegen mich getätigter Aussagen ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit enthoben.
4. „Auch ich war so naiv zu glauben, ich könne mich vertraulich an interne Ansprechpartner wenden. Aber natürlich landete auch das direkt bei ihm, und ich war wenig später meinen Job los."
Hierzu stelle ich fest: Ich habe keine Kenntnis von Informationen erlangt, die eine Person Dritten anvertraut hat und diese Person hat hieraufhin auch nicht ihren Job verloren.
Berlin, den 19.3.2024
J. R.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Anspruch auf Abdruck einer Gegendarstellung nicht zu; dies gilt auch für die nunmehr hilfsweise geltend gemachte Fassung.
1. Der Senat hat im Beschluss vom 7.3.2024, mit dem die Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Hamburg eingestellt wurde, in Bezug auf die Ausgangsfassung der Gegendarstellung zu deren Ziffern 2. und 3. Folgendes ausgeführt:
a. Die Gegendarstellung, zu deren Veröffentlichung die Antragsgegnerin durch die angegriffene einstweilige Verfügung verpflichtet worden ist, entspricht schon deshalb nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 13 NDR-Staatsvertrag, weil die Entgegnung zu Ziffer 2 irreführend ist. Eine Veröffentlichungspflicht besteht indes nicht, wenn die Erwiderung offensichtlich unwahr oder offensichtlich irreführend ist; „offensichtlich“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Entgegnung im Streitfall nach prozessualen Grundsätzen unstreitig unwahr oder irreführend ist (Meyer in HH-Ko/MedienR, 4. Aufl., 39. Abschn. Rz.28). Dies ist hier der Fall.
Die Entgegnung des Antragstellers zu dieser Ziffer ist mehrdeutig, weil sich die Negierung auf verschiedene Elemente beziehen kann: Hiermit kann lediglich die Uhrzeit („zwei Uhr morgens“) negiert werden sollen, es kann negiert werden sollen, dass der Antragsteller überhaupt eine Nachricht geschickt habe, es kann aber auch negiert werden sollen, dass die Nachricht eine Aufforderung enthalten habe, dass diese Aufforderung „sofort“ habe erfüllt werden sollen oder dass es der Inhalt dieser Aufforderung gewesen sei, in das Hotelzimmer des Antragstellers zu kommen. Die Entgegnung lässt zudem die Möglichkeit offen, dass mehrere dieser Komponenten negiert werden sollen, wobei für den Zuschauer ebenfalls unklar bleibt, welche genau dies wären. Die Entgegnung kann daher vom Zuschauer unter anderem so verstanden werden, dass der Antragsteller sagen will, dass es überhaupt keinen Austausch von Nachrichten über ein Aufsuchen seines Hotelzimmers gegeben habe oder dass ein solcher Austausch nicht in der Zeit nach Mitternacht stattgefunden habe oder dass es nicht um sein Hotelzimmer gegangen sei.
Alle diese Verständnismöglichkeiten wären indes nach dem unstreitigen Sachverhalt unzutreffend, denn nach dem von den Parteien übereinstimmend vorgetragenen Nachrichtenverlauf gab es in der fraglichen Nacht bis 02:06 Uhr einen regen Austausch von Nachrichten zwischen dem Antragsteller und Frau G. über das Zustandekommen eines Treffens der beiden im Hotelzimmer des Antragstellers in Wien (vgl. Anl ASt 15).
b. Die Gegendarstellung entspricht zudem jedenfalls auch deshalb nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 13 NDR-Staatsvertrag, weil das auf „Gespräche“ bezogene Adjektiv „vertraulich“ in Ziffer 3 per se und im Kontext der Berichterstattung eine Meinungsäußerung darstellt. Der Begriff „vertraulich“ enthält bereits aus sich heraus wertende Elemente. Ob ein Vorgang, namentlich – wie hier – ein Gespräch als „vertraulich“ angesehen wird, hängt zu einem nicht geringen Teil von den Maßstäben ab, die der Äußernde anlegt. So mag man es im vorliegenden Fall bereits als „vertraulich“ ansehen, wenn Gespräche nicht ausdrücklich dem Zweck einer späteren Veröffentlichung dienten. Andererseits wird es aber auch Äußernde geben, die von „vertraulich“ erst dann sprechen, wenn sämtliche Inhalte eines Gesprächs einer strengen Verschwiegenheitsverpflichtung unterliegen. Dieser Wertungsspielraum wird auch im Kontext der Berichterstattung nicht derart eingeengt, dass sich dieses Adjektiv auf einen Tatsachenkern reduzieren ließe, vielmehr bleibt auch für den Zuschauer des inkriminierten Beitrags mangels jeglicher Konkretisierung offen, welchen genauen Charakter die so bezeichneten Gespräche im Rahmen der genannten „Untersuchung“ haben sollten. Diese wertende Äußerung ist in der Wiedergabe der Erstmitteilung zu finden, ebenso wie in der Entgegnung des Antragstellers. Auf Meinungsäußerungen in der Erstmitteilung darf indes nicht entgegnet werden; ebenso wenig darf die Entgegnung Meinungsäußerungen enthalten (Meyer in HH-Ko/MedienR, 4. Aufl., 39. Abschn. Rz.22).
Hieran hält der Senat nach erneuter Beratung auch im Lichte des weiteren Vorbringens des Antragstellers fest. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass in der Entgegnung zu Ziffer 2 durch die Wendung „in der“ keineswegs verdeutlicht wird, dass es sich nur um eine Entgegnung zum Inhalt der Nachricht handeln könne. Doch selbst wenn man dieser Ansicht des Antragstellers folgen wollte, bliebe die Entgegnung immer noch mehrdeutig, denn dann bliebe zumindest offen, ob negiert werden solle, dass die Nachricht eine Aufforderung enthalten habe (wobei dieser Begriff selbst auch wertende Elemente enthält), dass diese Aufforderung sofort habe erfüllt werden sollen oder dass es der Inhalt dieser Aufforderung gewesen sei, gerade in das Hotelzimmer des Antragstellers zu kommen. Die Entgegnung lässt zudem auch insoweit die Möglichkeit offen, dass mehrere dieser Komponenten negiert werden sollen, wobei für den Zuschauer ebenfalls unklar bleibt, welche genau dies wären. Auch hat der Senat im Einstellungsbeschluss in Bezug auf die Ziffer 3 der ursprünglichen Gegendarstellung keineswegs die Ansicht vertreten, dass auf die subjektive Sicht des Äußernden abzustellen sei, sondern auf den Verständnishorizont eines verständigen Durchschnittszuschauers.
2. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Ausstrahlung der hilfsweise verfolgten Fassung der Gegendarstellung.
Einem Anspruch des Antragstellers auf Ausstrahlung der Hilfsfassung der Gegendarstellung steht schon die absolute Ausschlussfrist gemäß § 13 NDR-Staatsvertrag entgegen; die Hilfsfassung der Gegendarstellung wurde der Antragsgegnerin erstmals im März 2024 zugeleitet, mithin über ein Jahr noch der Erstausstrahlung der Sendung und deren Veröffentlichung im Onlinedienst der Antragsgegnerin.
Entgegen der Ansicht des Antragstellers stellt die geltend gemachte Hilfsfassung der Gegendarstellung hier einen neuen Streitgegenstand dar, für den die Ausschlussfrist des § 13 NDR-Staatsvertrag gilt. Im vorliegenden Fall kann daher dahinstehen, ob der vom Antragsteller angeführten Ansicht zu folgen ist, dass die Ausschlussfrist gewahrt sei, wenn in einem gerichtlichen Verfahren eine leicht abgewandelte Gegendarstellung gefordert und diese inhaltlich von der bisher geltend gemachten Fassung mitumfasst sei (s. Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 11, Rz.158 mit weiteren Nachweisen). Denn auch nach dieser Ansicht ist die Ausschlussfrist für die Zuleitung eines Gegendarstellungsverlangens zu beachten, es sei denn, dass es sich um „selbständige Kürzungen“ handele, weil es dann um ein bloßes Minus gehe (Wenzel aaO). Denn die Hilfsfassung der Gegendarstellung ist hier nicht nur um eine Ziffer gekürzt (i.e. Ziffer 3), sondern in gleich zwei weiteren Ziffern nicht nur leicht abgewandelt worden:
In Ziffer 2 heißt es in der Entgegnung anstelle von „Ich habe keiner Person um zwei Uhr morgens eine Nachricht geschickt, in der ich diese Person aufforderte, sofort in mein Hotelzimmer zu kommen“ nunmehr: „Ich habe nicht dazu aufgefordert, sofort in mein Hotelzimmer zu kommen.“ Mit der umformulierten Entgegnung erwidert der Antragsteller auf eine andere Aussage als bisher, indem er ausdrücklich allein den Inhalt der ihm zugeschriebenen Aufforderung in Abrede nimmt und nicht den gesamten Kommunikationsvorgang.
In Ziffer 4 der Neufassung der Gegendarstellung heißt es in der Entgegnung nunmehr „Ich habe keine Kenntnis von Informationen erlangt, die eine Person Dritten anvertraut hat und diese Person hat hieraufhin auch nicht ihren Job verloren“, während es in der Ziffer 5 der Ausgangsfassung der Gegendarstellung geheißen hatte „Ich habe keine Kenntnis von Informationen erlangt, die eine Person Dritten anvertraut hat und diese Person wurde hieraufhin auch nicht ihrer beruflichen Tätigkeit enthoben.“ (Unterstreichungen durch den Senat). Hierdurch wurde eine weitere Umformulierung der Gegendarstellung vorgenommen, die sich nicht auf eine bloße Streichung oder die Ersetzung eines Begriffs durch ein Synonym beschränkt. Vielmehr wird hinsichtlich der – in Abrede genommenen – Kausalitätskette ein in gewisser Weise modifizierter Schwerpunkt gesetzt, indem nunmehr statt eines zielgerichteten Eingriffs einer (nicht näher benannten) Person oder Institution (der beruflichen Tätigkeit enthoben) nunmehr ein bloßes Ereignis (Verlust des Jobs) in Abrede genommen wird. Damit stellt sich diese Umformulierung ebenfalls nicht als bloßes Minus gegenüber der Ausgangsfassung dar.
Eine derart mehrfach modifizierte Gegendarstellung kann in keinem Fall den gleichen Streitgegenstand darstellen und ist auch nicht im Sinne eines „Minus“ in der Ausgangs-Gegendarstellung enthalten. Daher sieht sich der Senat auch nicht im Widerspruch zu der vom Antragsteller angeführten Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. (U. v. 3.7.2003 - 16 U 40/03 - BeckRS 2003, 7075). Zwar hat das OLG Frankfurt a.M. in dieser Entscheidung ausgeführt, dass die dort hilfsweise geltend gemachten Gegendarstellungen neue Streitgegenstände bildeten, dass die darin liegenden Klagänderungen aber gemäß § 533 Nr. 1 und 2 ZPO zulässig seien, da die neuen Gegendarstellungen sich nur mit Teilen des ursprünglichen Streitgegenstandes befassten; dass sie teilweise Abweichungen im Wortlaut enthielten, ändere daran nichts. Es lässt sich aber bereits nicht feststellen, welche konkreten Unterschiede im von OLG Frankfurt entschieden Fall hinsichtlich ursprünglicher und neuer Gegendarstellungen bestanden. Hinzu kommt, dass sich jener Entscheidung auch keine Aussage zur Einhaltung der Ausschlussfrist für die Geltendmachung einer Gegendarstellung entnehmen lässt.