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Nr: NJRE001590586


LG Erfurt 9. Zivilkammer, Urteil vom 31.August 2024 , Az: 9 O 941/24

GG Art 3 , GG Art 5 Abs 1 , BGB § 826 , BGB § 1004 ,


Fundstellen

AfP 2024, 459-461 (ST)

Langtext

Tenor

1. Die einstweilige Verfügung vom 21.08.2024 bleibt aufrechterhalten.

2. Der Verfügungsbeklagte trägt die weiteren Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.


Tatbestand

Die Verfügungskläger begehren im Wege der einstweiligen Verfügung den Zugang zu einer Veranstaltung des Verfügungsbeklagten.

Der Verfügungskläger zu 2) wandte sich per E-Mail bzw. per SMS an den Pressesprecher des Verfügungsbeklagten, Herrn L, um eine Akkreditierung zu der Veranstaltung des Verfügungsbeklagten am 01.09.2024 anlässlich der Landtagswahlen in Thüringen zu erhalten. Der Pressesprecher beantwortete diese Anfrage wie folgt:

„Es handelt sich um eine geschlossene Veranstaltung, zu der Sie keine Einladung erhalten haben. Worauf gründet denn Ihr Anspruch, an der Veranstaltung teilzunehmen? Lassen Sie das meinetwegen von Ihrer Rechtsabteilung prüfen. Und wenn Sie unbedingt einen Grund erfahren müssen: Es sind schlicht die räumlichen Kapazitäten des Veranstaltungslokals, die eine Teilnahme aller interessierten M nicht zulassen. Deshalb mussten wir, das ist richtig, verschiedene Akkreditierungsersuchen ablehnen. Sie werden Verständnis dafür aufbringen müssen, dass an einer Wahlparty vielleicht auch einige Parteimitglieder und -funktionäre teilnehmen sollen und nicht nur Pressevertreter. Ich wünsche Ihnen noch einen wunderbaren Tag!

XXX“

Ein förmliches Akkreditierungsverfahren gab es nicht. Andere M häuser (z.B. N) und Agenturen wurden zu der Veranstaltung zugelassen.

Mit Schreiben vom 19.08.2024 (Anlage A4) forderte der Verfahrensbevollmächtigte der Verfügungskläger den Verfügungsbeklagten letztmalig auf, den Verfügungsklägern Zugang zu der Wahlveranstaltung am Abend der Landtagswahl in Thüringen am 01.09.2024 zu gewähren. Der Verfügungsbeklagte reagiert hierauf nicht.

Die Verfügungskläger sind der Ansicht, dass sie einen Anspruch auf Zugang zu der Wahlveranstaltung des Verfügungsbeklagten am 01.09.2024 haben. Denn die Verfügungskläger hätten einen Anspruch auf gleiche Teilhabe an der Wahlveranstaltung des Verfügungsbeklagten wie andere Journalisten auch. Zwar obliege dem Verfügungsbeklagten das Hausrecht, weshalb er grundsätzlich den Zugang zu seiner Veranstaltung regeln und Personen bzw. M vertretern den Zugang verweigern könne. Allerdings sei bei der Ausübung des Hausrechts einer politischen Partei in besonderem Maße die Drittwirkung der Grundrechte – hier vor allem der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG (und der damit korrespondierenden Informationsfreiheit der Bürger) – zu beachten, sodass der Veranstalter bei der Ausübung des Hausrechts diejenigen, die eine Berichterstattung beabsichtigen, gleich behandeln müsse und keine sachfremden Differenzierungen vornehmen dürfe.

Vorliegend habe der Verfügungsbeklagte eine sachfremde Differenzierung vorgenommen, indem er ohne sachlichen Grund insbesondere Vertretern von O den Zugang zu seiner Veranstaltung verwehrt habe.

Die Behauptung des Verfügungsbeklagten, aus räumlichen Kapazitätsgründen die Verfügungskläger nicht zu der Wahlveranstaltung zuzulassen, sei weder glaubhaft noch glaubhaft gemacht. Unabhängig davon hätte der Verfügungsbeklagte aufgrund der Drittwirkung von Art. 5 Abs. 1 GG ein ordnungsgemäßes Akkreditierungsverfahren einrichten müssen, das die Chancengleichheit für Pressevertreter gewährleiste.

Die Verfügungskläger haben beantragt,

1. den Antragstellern zu 1 bis zu 6 in gleichem Umfang wie anderen M vertretern, Zugang zu der Wahlveranstaltung des Antragsgegners am Tag der Landtagswahl in Thüringen am 1. September 2024 zu gewähren, der Antragstellerin zu 1) mit der Maßgabe, dass jeweils einem Journalisten ihrer C, insbesondere den Antragstellern zu 2 und zu 3 Zugang zu gewähren.

2. dem Vorstand des Antragsgegners, Herrn P und Herrn Q, für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 250.000,00 Euro – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 21.08.2024 - ohne Anhörung der Verfügungsbeklagten - die beantragte einstweilige Verfügung erlassen. Die Verfügungskläger haben der Verfügungsbeklagten den Beschluss am 27.08.2024 zugestellt.

Gegen diese Entscheidung hat der Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 29.08.2024, eingegangen bei Gericht am gleichen Tage, Widerspruch eingelegt.

Der Verfügungsbeklagte beantragt:

Die einstweilige Verfügung aufzuheben und den zugrundeliegenden Antrag zurückzuweisen.

Die Verfügungskläger beantragen,

die einstweilige Verfügung aufrecht zu erhalten.

Zur Begründung hat der Verfügungsbeklagte in der mündlichen Verhandlung am 31.08.2024 vorgetragen, dass der Verfügungsbeklagte in den Veranstaltungsräumlichkeiten, die sich in dem Restaurant „R“ in E befänden, keine ausreichenden räumlichen Kapazitäten habe, um die Verfügungskläger zuzulassen. Das Restaurant weise eine Grundfläche von 20 m² x 30 m² auf. Es seien 200 Gäste zu der Veranstaltung eingeladen worden. Für jeden der Gäste werde eine Raumkapazität von 1 1/2 m² benötigt. Auch die Terrassenflächen böten keinen ausreichenden Platz. Die Parkplätze seien für Fahrzeuge und nicht für die geladenen Gäste vorgesehen (siehe Anlagen: Google-Map-Luftbild, etc.).

Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Veranstaltung am 01.09.2024 um keine „Wahlveranstaltung“ handele, sondern um eine Wahlparty, bei der es darum gehe, den Parteifreunden ein Dankeschön zu übermitteln.

Zu der Veranstaltung habe es 147 Anfragen von M vertretern gegeben, von denen 55 eine Zusage zu der Wahlparty bekommen hätten. Auf die übrigen Anfragen habe der Verfügungsbeklagte - teilweise - noch nicht geantwortet.


Entscheidungsgründe

Die einstweilige Verfügung vom 21.08.2024 war aufrechtzuerhalten.

1. Zwar hätte das Landgericht vor Erlass des Beschlusses den Verfügungsbeklagten anhören müssen. Als Ausfluss des Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist, ist es grundsätzlich geboten, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen. Entbehrlich ist eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen. Voraussetzung der Verweisung auf eine nachträgliche Anhörung ist, da sonst der Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereitelt werden würde (BVerfG, einstweilige Anordnung vom 03. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 16, juris Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 14 bis 16 juris). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht erkennbar. Allerdings ist dieser Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dann geheilt, wenn das rechtliche Gehör im Rechtsmittelzuge gewährt wird (statt aller Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 81. Lieferung 09.2020, Art. 103 GG, Rn. 416). So liegt der Fall hier. Vor Erlass des Verfügungsurteils vom 31.08.2024 ist dem Verfügungsbeklagten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hinreichend Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden, von der dieser in der mündlichen Verhandlung auch umfassend Gebrauch gemacht hat. Die Einräumung einer weiter gehenden Stellungnahmefrist zu der einstweiligen Verfügung war wegen der bereits am 01.09.2024 stattfindenden Wahlveranstaltung ausgeschlossen.

2. Die einstweilige Verfügung war aufrechtzuerhalten.

a) Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus §§ 826, 1004 BGB i. V. m. den Art. 3, 5 GG. Hiernach haben die Verfügungskläger einen Anspruch gegen den Verfügungsbeklagten auf gleiche Teilhabe an Informationsmöglichkeiten über ihre öffentlichen Parteitage wie andere Journalisten auch (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 07.03.2000, Az.: 16 W 8/2000, Rn. 18).

Bei bei der Ausübung des Hausrechts einer politischen Partei kommt in besonderem Maße die Drittwirkung der Grundrechte zum Tragen, insbesondere der Berichterstattungsfreiheit von Presse und Rundfunk aus Art. 5 Abs. 1 S.2 GG sowie des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 GG.

Daraus folgt, dass Veranstalter bei der Ausübung des Hausrechts diejenigen M, die eine Berichterstattung beabsichtigen, gleich behandeln müssen. Das bedeutet, dass bei der Auswahl von M, die unter Umständen aus Platzgründen vorgenommen werden muss, nicht sachfremd differenziert werden darf. Eine solche sachfremde Differenzierung liegt aber vor, wenn einzelne M, die dem Veranstalter nicht genehm sind, von einer Versammlung ausgeschlossen werden. So dürfen gerade und insbesondere politische Parteien nicht differenzieren, die nach § 1 PartG mit ihrer Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes eine öffentliche Aufgabe erfüllen. Die politische Willensbildung ist aber nur möglich und setzt voraus, wenn eine Berichterstattung aller M unabhängig von ihrer jeweiligen Tendenz stattfinden kann, weil nur so sichergestellt ist, dass im öffentlichen Diskussionsprozess alle relevanten Stimmen zu Wort kommen können und gehört werden.

Eine Partei, die sich dazu entschließt, M für eine Berichterstattung über ihre Versammlungen zuzulassen, darf das nicht willkürlich und vor allem nicht nach Kriterien tun, die es ihr ermöglichen, die öffentliche Meinungsbildung zu manipulieren. Ließe man es zu, einer Partei den Ausschluss von nur solchen Journalisten zu gestatten, von denen sie eine kritische Berichterstattung erwartet, kann das dazu führen, dass M künftig nicht mehr wagen, über diese Partei frei zu berichten, nur um den Zugang zu Veranstaltungen der Partei nicht zu verlieren. Das wäre eine nicht hinnehmbare Beschränkung des Meinungsbildungsprozesses.

Vorliegend hat der Verfügungsbeklagte den Verfügungsklägern ohne sachlichen Grund den Zugang zu der Wahlveranstaltung am 01.09.2024 versagt. Nachdem der Verfügungsbeklagte auch andere M und Agenturen zu der Wahlveranstaltung zugelassen hatte, gab es keinen vernünftigen, nachvollziehbaren Grund, den Verfügungsklägern, bei denen es sich um Vertreter von O handelt, den Zugang zu verwehren.

Soweit der Verfügungsbeklagte behauptet, dass es an den räumlichen Kapazitäten des Veranstaltungslokals fehle, um auch die Verfügungskläger zu der Veranstaltung zuzulassen, mangelt es zunächst an substantiiertem Sachvortrag sowie an einer entsprechenden Glaubhaftmachung. So wurde von den Verfügungsklägern bestritten, dass es sich bei den Räumlichkeiten, in denen die Veranstaltung stattfinden soll, tatsächlich um das Restaurant „R handelt. Auch die Angaben zu den Ausmaßen des Restaurants wurden von den Verfügungsklägern in Abrede gestellt. Ausführungen zu den Außenflächen (insbes. Terrasse) fehlen vollständig.

Darüber hinaus reicht auch die vom Verfügungsbeklagten vorgelegte M liste (Anlage: „M gruppe“) nicht aus, um den von den Verfügungsklägern bestrittenen Vortrag glaubhaft zu machen, dass es von insgesamt 147 M vertreter beim Verfügungsbeklagten eine Anfrage auf Zugang zu der Veranstaltung geben soll, von denen nur 55 M vertreten eine Zusage habe erteilt werden können.

Selbst wenn es aber an den Raumkapazitäten fehlen sollte, hätte der Verfügungsbeklagte aufgrund der Drittwirkung des Art. 5 Abs. 1 GG ein ordnungsgemäßes Akkreditierungsverfahren einrichten müssen, das die Chancengleichheit für die Pressevertreter gewährleistet, um dann ggf. den Verfügungsklägern den zu Zugang zu der Veranstaltung zu versagen. Ein solches Akkreditierungsverfahren muss unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Anspruchs der Presse auf Zugang für eine freie Berichterstattung sachlich ausgestaltet sein und dem subjektiven Recht der M vertreter auf gleiche Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 80, 124 [133 f.]; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. März 2008 - 1 BvR 282/01 -, NJW-RR 2008, S. 1069 [1071]). Danach ist zwar grundsätzlich auch der Rückgriff auf das Prioritätsprinzip möglich (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30. Oktober 2002 - 1 BvR 1932/02 -, NJW 2003, S. 500). Allerdings bedarf auch dieses Prinzip einer Ausgestaltung, die die Chancengleichheit realitätsnah gewährleistet. Bei der verfahrensrechtlichen Umsetzung ist insoweit die tatsächliche Situation der vorhersehbar Interessierten hinreichend zu berücksichtigen. Nicht geklärt, aber auch nicht ausgeschlossen ist, ob in bestimmten Situationen eine Differenzierung zwischen verschiedenen M vertretern verfassungsrechtlich zulässig oder geboten ist (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30. Oktober 2002 - 1 BvR 1932/02 -, NJW 2003, S. 500 [501); BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. April 2013 - 1 BvR 990/13 -, Rn. 19 zu sitzungspolizeilichen Verfügungen über die Zugänglichkeit von Gerichtsverhandlungen).

Von einem förmlichen Akkreditierungsverfahren hat der Verfügungsbeklagte hier indessen keinen Gebrauch gemacht.

Die Veranstaltung am 01.09.2024 ist auch eine Wahlveranstaltung in dem Sinne, dass die geladenen M vertreter auf den Meinungsbildungsprozess Einfluss nehmen sollen. Denn es geht dem Verfügungsbeklagten nicht allein darum, sich anlässlich dieser als Party ausgestalteten Veranstaltung bei ihren Parteifreunden zu bedanken. Vielmehr sollen anlässlich einer solchen Veranstaltung von den M vertretern Stimmungen und Stimmen eingefangen werden sowie aufgrund der üblichen Interviews von der Partei nahestehenden Personen auf den Meinungsbildungsprozess der M nutzer Einfluss genommen werden.

b) Es liegt ein Verfügungsgrund vor. Die Sache ist eilbedürftig, da die Wahlveranstaltung des Antragsgegners bereits am 01.09.2024 stattfindet (§ 935 ZPO).

c) Die Androhung der Zwangsmaßnahme folgt aus § 890 Abs. 2 ZPO. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 60.000,00 EUR festgesetzt.