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Nr: NJRE001590659


OLG München 14. Zivilsenat, Beschluss vom 18.Oktober 2024 , Az: 14 W 122/24 e

ZPO § 148 , AEUV Art 267 Abs 2 ,

Verfahrensaussetzung: Beschwerde gegen eine Aussetzungsentscheidung

Orientierungssatz

Im Verfahren der Beschwerde gegen eine Aussetzungsentscheidung, die im Ermessen des erstinstanzlichen Gerichts liegt, darf das Beschwerdegericht bei Vorliegen einer ermessensfehlerhaften Entscheidung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des erstinstanzlichen Gerichts setzen (vgl. u.a. BGH, 30. März 2005, X ZB 26/04). Daher ist eine ermessensfehlerhaft getroffene Entscheidung aufzuheben.  


Verfahrensgang

vorgehend LG Kempten 25.01.2024 31 O 828/23

Langtext

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 25.01.2024, Az. 31 O 828/23, aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Kempten (Allgäu) zurückverwiesen.

2. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 6.587,48 €.


Gründe

I.

Die Beklagte bietet auf der Homepage ... Online-Pokerspiele an. Die Beklagte beantragte im August 2021 eine Erlaubnis zur Veranstaltung von Online-Poker nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2021. Diese wurde ihr am 25.11.2022 erteilt.

Der Kläger behauptet, im Zeitraum vom 24.05.2020 bis 24.11.2022 bei Online-Pokerspielen auf der o.g. Homepage Beträge in Höhe von insgesamt 32.937,38 € verloren zu haben.

Er hat mit der Klageschrift vom 13.06.2023 Klage mit folgenden Anträgen erhoben:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 32.937,38 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank pro Jahr seit dem auf den 10.01.2023 folgenden Tag zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.346,80 € freizustellen.

Die Beklagte behauptet, sie betreibe die o.g. Homepage erst seit dem 15.10.2020. Im Zeitraum zuvor habe der Kläger Online-Poker auf der Website ... gespielt. Diese sei nicht von der Beklagten, sondern der ... betrieben worden. Am 15.10.2020 hätten deutsche Kunden der Website ... die Möglichkeit erhalten, ihr Konto auf die Website ... zu transferieren und eine neue Vereinbarung abzuschließen, was der Kläger am 30.10.2020 um 13:44:19 Uhr getan habe.

Sie - die Beklagte - behalte von den Einzahlungen der Spieler 6 % als Gebühr ein und leite die übrigen Einzahlungen an den jeweiligen Gewinner der Pokerrunde weiter.

Am 14.07.2023 hat das maltesische Zivilgericht Prim' Awla tal-Qorti Ċivili ein die Zulässigkeit des Angebots von Online-Automatenspielen und Online-Casino-Glücksspielen betreffendes Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof der Europäischen Union (Az.: C-440/23) eingereicht (Anlage B 7 = BeckEuRS 2023, 762871).

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 10.01.2024 (Az.: I ZR 53/23) ein Revisionsverfahren bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs im o.g. Verfahren ausgesetzt (Anlage B 10).

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 19.01.2024 beantragt,

den Rechtsstreit bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsverfahrens des Europäischen Gerichtshofs Az.: C-440/23 gemäß § 148 ZPO analog auszusetzen.

Sie ist der Ansicht, die im o.g. Verfahren behandelten Fragen seien vorgreiflich für das gegenständliche Verfahren (vgl. i.E. Schriftsatz der Beklagtenvertreterin vom 19.01.2024, Bl. 162 - 189 der Akte des erstinstanzlichen Verfahrens - im Folgenden: LGA -, dort S. 4 - 9 = Bl. 165 - 170 LGA). Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung spreche für eine Aussetzung, dass eine Vorlage bereits erfolgt sei und damit der (mutmaßlich eher geringe) Umfang der drohenden Verzögerung des gegenständlichen Rechtsstreits absehbar sei. Umgekehrt drohe eine Verzögerung auch dann, wenn die Entscheidung des Gerichtshofs nicht abgewartet würde und als Folge dessen die Notwendigkeit einer Zurückverweisung zur Klärung von aus Sicht des Unionsrechts klärungsbedürftiger Rechtstatsachen entstünde. Zudem überwiege das Interesse der Beklagten, nicht wegen Verstoßes gegen eine mit dem Primärrecht der Europäischen Union unvereinbare Norm verurteilt zu werden, das Interesse des Klägers an einer Vermeidung zumutbarer Verzögerungen. Auch der Grundsatz der Prozessökonomie sowie die Vermeidung divergierender Entscheidungen sprächen für eine Aussetzung. § 148 ZPO diene dazu, eine doppelte Prüfung derselben Frage in mehreren Verfahren zu verhindern. Der Bundesgerichtshof wäre als letztinstanzlich zuständiges nationales Gericht ohnehin nach Art. 267 Abs. 3 AEUV gezwungen, vorzulegen oder auszusetzen.

Der Kläger führt aus, die Beklagte sei hinsichtlich seines Spieleraccounts Rechtsnachfolgerin der vorigen Betreibergesellschaft und habe das Vertragsverhältnis zwischen der letzteren und ihm übernommen. Der Betreiberwechsel sei ihm nicht deutlich gemacht worden (vgl. i.E. Schriftsatz des Klägervertreters vom 22.01.2024, Bl. 191 - 206 LGA, dort S. 5 - 11, 14 = Bl. 195 - 201, 204 LGA).

Er bestreitet die Weiterreichung eingezahlter Gelder an Dritte mit Nichtwissen.

Im Übrigen ist er der Ansicht, eine entsprechende Weiterreichung ließe den zuvor entstandenen Bereicherungsanspruch nicht entfallen.

Der Kläger meint, die Beklagte lege eine Verzögerungstaktik an den Tag, die im eklatanten Widerspruch zum Beschleunigungsgrundsatz bzw. der Konzentrationsmaxime des Zivilprozesses stehe. In dem vom Bundesgerichtshof ausgesetzten Verfahren Az.: I ZR 53/23 habe der dortige Kläger in beiden vorangegangenen Instanzen vor dem Landgericht Paderborn (Az.: 4 O 323/20) und dem Oberlandesgericht Hamm (Az.: 21 U 116/21) obsiegt und halte dementsprechend eine vorläufig vollstreckbare Entscheidung in den Händen. Die Insolvenzrisiken seien bei einer Aussetzung des Verfahrens in der Rechtsmittelinstanz maßgeblich anders zu bewerten als bei einer Aussetzung in der 1. Instanz. Dies gelte umso mehr im Hinblick auf die hier erforderliche Auslandsvollstreckung.

Das Landgericht Kempten (Allgäu) hat mit Beschluss vom 25.01.2024 entschieden:

Die Verhandlung wird bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Verfahren C-440/23 über ein Vorabentscheidungsersuchen des Civil Court Malta vom 11.07.2023 analog § 148 ZPO ausgesetzt.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, es folge mit der Aussetzungsentscheidung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10.01.2024 - I ZR 53/23, die wie das gegenständliche Verfahren die Erstattung von Verlusten bei verbotenen Online-Pokerspielen betreffe. Die Beklagte habe ihren Sitz ebenfalls in M.

Der Kläger hat gegen den dem Klägervertreter am 25.01.2024 zugestellten Beschluss mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 26.01.2024 sofortige Beschwerde eingelegt und diese begründet.

Er führt aus:

1.

Ein Vorabentscheidungsverfahren vermöge die Aussetzung nicht zu rechtfertigen, wenn die aufgeworfenen Fragen nach den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen derart offenkundig zu beantworten seien, dass für vernünftige Zweifel kein Raum mehr verbleibe (“acte clair“).

Hier liege kein Aussetzungsgrund vor, da die relevanten Rechtsfragen bereits umfassend und einhellig entschieden worden seien.

Die Fragen, auf die sich die Beklagte berufe, seien dem EuGH schon 2007 vorgelegt worden. Der EuGH habe sie mit Urteil vom 08.09.2010 - C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07 beantwortet.

Auch der Bundesgerichtshof gehe von der Unionsrechtskonformität der Regelungen in § 4 Abs. 1 und 4 GlüStV aus (Urteil vom 22.07.2021 - I ZR 194/20, Rdnr. 45).

2.

Es fehle an einer Vorgreiflichkeit der Vorlagefragen.

3.

Die Dienstleistungsfreiheit werde durch Verbote des Online-Glücksspiels beschränkt (vgl. EuGH, Urteil vom 06.11.2003 - C-243/01, Rdnr. 57). Jedenfalls greife der ungeschriebene Rechtfertigungsgrund der sog. zwingenden Gründe des Allgemeininteresses ein (vgl. EuGH, Urteil vom 12.06.2014 - C-156/13, Rdnr. 23).

4.

Die Entscheidung des Landgerichts sei ermessensfehlerhaft. Das Landgericht habe bei seiner Entscheidung mehrere zu berücksichtigende Umstände außer Acht gelassen:

Dem berechtigten Interesse der Beklagten, nicht an ein Urteil gebunden zu sein, das ihrer Ansicht nach eine unionsrechtswidrige Auffassung zugrunde lege, und hierdurch zu vermeiden, dass gegen sie (jedenfalls vorläufig) vollstreckt werde, stehe das berechtigte Interesse des Klägers gegenüber, innerhalb angemessener Zeit Rechtsschutz zu erlangen.

Das Landgericht habe sich nicht dazu positioniert, dass die obergerichtliche Rechtsprechung einhellig einen Rückforderungsanspruch gegen die nicht lizenzierten Online-Casinos bejaht habe.

Es werde nicht einmal deutlich, ob das Landgericht sich des Regel-Ausnahme-Charakters der Aussetzung eines laufenden Prozesses bewusst gewesen sei.

Unberücksichtigt sei geblieben, dass die Sache ausgeschrieben gewesen sei.

Das Landgericht habe die Aussetzung des Verfahrens gerade einmal eine Woche vor der bereits terminierten mündlichen Verhandlung und damit zur Unzeit beschlossen.

Eine Beweisaufnahme wäre nicht angezeigt gewesen, weil nicht über entscheidungserhebliche Tatsachen, sondern allenfalls über (in der Rechtsprechung einhellig geklärte) Rechtsfragen gestritten worden sei.

Die Begründung des Landgerichts erschöpfe sich in einer formelhaften Bezugnahme auf die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs sei inhaltlich nicht begründet.

Das Landgericht habe außer Acht gelassen, dass das Verfahren C-440/23 erst vor wenigen Monaten beim EuGH anhängig gemacht worden sei, so dass unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Verfahrensdauer vor dem EuGH die Aussetzung den Prozess vor dem Landgericht um ca. eineinhalb Jahre verzögern werde.

Das Landgericht habe fehlerhaft die Abwägungsentscheidung in der Revisionsinstanz mit einer solchen in der Eingangsinstanz gleichgesetzt, obwohl dem Kläger im Verfahren vor dem BGH bereits ein vorläufig vollstreckbares Endurteil zur Verfügung stehe.

Angesichts der sowieso schon risikobehafteten Auslandsvollstreckung, die durch den Malta-Gaming-Act noch verschärft worden sei, drohe wegen der Aussetzung eine endgültige Vereitelung des Anspruchs. Der Beklagten bleibe genug Zeit, Vorbereitungen und Umstrukturierungen für den offensichtlichen Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens zu treffen.

Das Landgericht habe im Rahmen seiner Abwägung auch die eigene Rechtsauffassung zu dem klägerischen Anspruch sowie das Alter des Verfahrens pflichtwidrig nicht berücksichtigt (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 11.10.2023 - 8 W 32/23, BeckRS 2023, 28548).

Der Kläger beantragt:

Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 26.01.2024 wird der Beschluss des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 25.01.2024, Az.: 31 O 828/23, aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Landgericht Kempten (Allgäu) hat mit Beschluss vom 29.01.2024 unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses der sofortigen Beschwerde des Klägers nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet und hat damit Erfolg.

1.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig.

Sie ist statthaft nach § 252 ZPO. Form und Frist (§ 569 Abs. 1 und 2 ZPO) sind gewahrt.

2.

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

a) Zwar mag sich im vorliegenden Verfahren eine entscheidungserhebliche Frage i.S.d. Art. 267 Abs. 1 AEUV stellen, die bereits in einem anderen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde, was grundsätzlich die Aussetzung des Verfahrens analog § 148 ZPO rechtfertigen kann (s. BeckOK ZPO/Wendtland, 54. Ed., 01.09.2024, § 148 ZPO, Rdnr. 4.1).

b) Allerdings ist die Entscheidung des Landgerichts ermessensfehlerhaft.

Weder dem angefochtenen Beschluss - der sich zur Begründung auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10.01.2024 - I ZR 53/23 (Anlage B 10) bezieht - noch dem Nichtabhilfebeschluss lässt sich entnehmen, dass das Landgericht ein Ermessen ausgeübt hätte.

Der dem o.g. Beschluss des Bundesgerichtshofs zugrunde liegende Maßstab kann insoweit nicht auf die vom Landgericht zu treffende Entscheidung übertragen werden. Hält der Bundesgerichtshof eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Auslegung der Europäischen Verträge für erforderlich, ist er nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet, da die von ihm zu treffende Entscheidung nicht mehr mit einem Rechtsmittel des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann. Das Landgericht kann demgegenüber, sofern es die Voraussetzungen einer Vorlage an den Gerichtshof für erforderlich erachtet, diesem die Frage vorlegen (Art. 267 Abs. 2 AEUV). Da der Bundesgerichtshof auf der Grundlage seiner rechtlichen Beurteilung zur Vorlage verpflichtet war, war es ihm nicht möglich, das Revisionsverfahren weiter zu betreiben. Das Landgericht ist hingegen aufgrund des ihm zustehenden Ermessens nicht daran gehindert, sein eigenes Verfahren fortzuführen. Damit ist es zugleich verpflichtet, sowohl hinsichtlich der Frage einer Vorlage nach Art. 267 Abs. 2 AEUV als auch hinsichtlich der Frage einer Aussetzung analog § 148 ZPO sein Ermessen auszuüben.

c) Das Beschwerdegericht darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des erstinstanzlichen Gerichts setzen (BGH, Beschluss vom 30.03.2005 - X ZB 26/04, NJW 2005, 1947, 1948; BGH, Beschluss vom 25.07.2019 - I ZB 82/18, BeckRS 2019, 27613, Rdnr. 38 f.; BeckOK ZPO/Wendtland, 54. Ed., 01.07.2024, ZPO § 148 ZPO, Rdnr. 15 m.w.N.). Daher sind der ermessensfehlerhaft getroffene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

Im Rahmen seiner Ermessensentscheidung wird das Landgericht folgende Aspekte zu berücksichtigen haben:

(1) Die materiellrechtliche Lage ist durch die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs weitgehend geklärt.

aa) Die Vorlagefrage zu 1. im Verfahren des Gerichtshofs der Europäischen Union - C-440/23 lautet (BeckEuRS 2023, 762871):

„Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass der Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit durch ein generelles Verbot von Online-Automatenspielen im Mitgliedstaat des Verbrauchers (Zielsstaat) gegenüber Betreibern von Online-Casinos, die in ihrem Herkunftsstaat (M.) lizenziert sind und reguliert werden, nicht aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein kann,

- wenn der Zielmitgliedstaat gleichzeitig privaten Veranstaltern ähnliches Offline-Glücksspiel mit lizenzierten Spielautomaten in Spielhallen und Restaurants ebenso flächendeckend erlaubt wie intensiveres Glücksspiel in Offline-Casinos und lizenzierte nationale Lotterieveranstaltungen staatlicher Lotterien, die in mehr als 20.000 Vertriebsstellen an die Allgemeinheit gerichtet werden und

- er privaten Veranstaltern von Sport- und Pferdewetten sowie privaten Online-Lotterievermittlern, die die Produkte der staatseigenen Lotterien und anderer lizenzierter Lotterien vertreiben, die Veranstaltung lizenzierter Online-Glücksspiele erlaubt,

während derselbe Mitgliedstaat - entgegen den Urteilen des Gerichtshofs in den Rechtssachen D. P. (C-148/15, Rn. 35), M. S. (C-316/07) und L. (C-42/02) - offenbar keine wissenschaftlichen Belege dafür vorgelegt hat, dass von diesen Spielen spezifische Gefahren ausgingen, die erheblich zur Erreichung der mit ihrer Regulierung verfolgten Ziele relevant wären, insbesondere zur Verhinderung problematischen Glücksspiels,

und die Beschränkung des Verbots von Online-Automatenspielen in Anbetracht dieser Gefahren - im Gegensatz zu all den Glücksspielangeboten, die für Online- und Offline-Spielautomaten erlaubt sind - als geeignet, zwingend und verhältnismäßig angesehen werden kann, um die Regelungsziele zu erreichen?“

Diese Frage ist bereits beantwortet.

Der Gerichtshof hat die gesteigerte Gefährlichkeit gerade derjenigen Glücksspiele anerkannt, die online angeboten werden, verlangt bei Eingriffen in die Dienstleistungsfreiheit im Glücksspielsektor keine wissenschaftlichen Nachweise und räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein. Die Prüfung der Vereinbarkeit mitgliedstaatlicher Maßnahmen mit dem Unionsrecht fällt weitgehend in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte.

- Der Gerichtshof hat die gesteigerte Gefährlichkeit gerade derjenigen Glücksspiele anerkannt, die online angeboten werden.

Über das Internet angebotene Glücksspiele bergen verglichen mit den herkömmlichen Glücksspielmärkten wegen des fehlenden unmittelbaren Kontakts zwischen dem Verbraucher und dem Anbieter andersgeartete und größere Gefahren in sich, dass die Verbraucher eventuell von den Anbietern betrogen werden. Desgleichen können sich die Besonderheiten des Angebots von Glücksspielen im Internet verglichen mit den herkömmlichen Glücksspielmärkten als Quelle von andersgearteten und größeren Gefahren für den Schutz der Verbraucher und insbesondere von Jugendlichen und Personen erweisen, die eine besonders ausgeprägte Spielneigung besitzen oder eine solche Neigung entwickeln könnten. Neben dem bereits erwähnten fehlenden unmittelbaren Kontakt zwischen Verbraucher und Anbieter stellen auch der besonders leichte und ständige Zugang zu den im Internet angebotenen Spielen sowie die potenziell große Menge und Häufigkeit eines solchen Angebots mit internationalem Charakter in einem Umfeld, das überdies durch die Isolation des Spielers, Anonymität und fehlende soziale Kontrolle gekennzeichnet ist, Faktoren dar, die die Entwicklung von Spielsucht und übermäßige Ausgaben für das Spielen begünstigen und aufgrund dessen die damit verbundenen negativen sozialen und moralischen Folgen, die in ständiger Rechtsprechung herausgestellt worden sind, vergrößern können (EuGH, Urteil vom 08.09.2010 - C-46/08 - Carmen Media Group Ltd., BeckRS 2010, 91037, Rdnr. 101 ff.).

- Restriktive nationale Maßnahmen wie Monopole mit dem Ziel der Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen und der Bekämpfung der Spielsucht sind nicht bereits deshalb unionsrechtswidrig, weil ein Mitgliedstaat keine Untersuchungen vorlegen kann, die dem Erlass der Regelung zugrunde lagen (vgl. EuGH, Urteil vom 08.09.2010 - C-316/07, C-358/07, C-359/07, C-360/07, C-409/07, C-410/07 - Stoß u.a., BeckRS 2010, 91035, Rdnr. 70 ff.; vgl. zu der im Zusammenhang mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 erfolgten Studie a.a.O., Rdnr. 44).

Dem Urteil des Gerichtshofs vom 19.10.2016 - C-148/15 (Deutsche Parkinson Vereinigung e.V., BeckRS 2016, 82517) kann im Hinblick auf die eindeutige Aussage des o.g. Urteils vom 08.09.2010 nichts Gegenteiliges entnommen werden, zumal der Gerichtshof die in dem Urteil vom 19.10.2016 vorgetragenen Überlegungen zur Frage einer Gefährdung der Gesundheit von Patienten, die versuchen, sich zu geringeren Preisen mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu versorgen, als „sehr allgemein[...]“ (a.a.O., Rdnr. 42) bezeichnet, die grundsätzlich gesteigerte Gefährlichkeit von Online-Glücksspielen hingegen anerkannt hat (vgl. o. unter dem 1. Spiegelstrich).

- Die Rechtfertigung innerstaatlicher Maßnahmen, mit denen der freie Dienstleistungsverkehr oder die Niederlassungsfreiheit eingeschränkt wird, ist an den Zielen zu messen, die mit den im Spiel- und Wettbereich erlassenen nationalen Vorschriften verfolgt werden. Der Schutz der Empfänger der jeweiligen Dienstleistungen und, allgemeiner, der Verbraucher und der Sozialordnung gehören als Ziele zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die Eingriffe in den freien Dienstleistungsverkehr rechtfertigen können (vgl. EuGH, Urteil vom 08.09.2010 - C-316/07, C-358/07, C-359/07, C-360/07, C-409/07, C-410/07 - Stoß u.a., BeckRS 2010, 91035, Rdnr. 74).

Der Gerichtshof hat insbesondere anerkannt, dass auf dem Gebiet der Spiele und Wetten, die, wenn im Übermaß betrieben, sozial schädliche Folgen haben, nationale Rechtsvorschriften gerechtfertigt sein können, die darauf abzielen, eine Anregung der Nachfrage zu vermeiden und vielmehr die Ausnutzung der Spielleidenschaft der Menschen zu begrenzen (a.a.O., Rdnr. 75). Dies gilt zumal deshalb, weil die sittlichen religiösen oder kulturellen Besonderheiten und die mit Spielen und Wetten einhergehenden sittlich und finanziell schädlichen Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft ein ausreichendes Ermessen der staatlichen Stellen rechtfertigen können, im Einklang mit ihrer eigenen Wertordnung festzulegen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben (a.a.O., Rdnr. 76).

- Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Beschränkungen entsprechend den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen fällt in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte (EuGH, Urteil vom 08.09.2010 - C-316/07, C-358/07, C-359/07, C-360/07, C-409/07, C-410/07 - Stoß u.a., BeckRS 2010, 91035, Rdnr. 77 f.; EuGH, Urteil vom 08.09.2010 - C-46/08 - Carmen Media Group Ltd., BeckRS 2010, 91037, Rdnr. 46).

Ein System der vorherigen behördlichen Erlaubnis, muss, um trotz des Eingriffs in eine Grundfreiheit gerechtfertigt zu sein, auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruhen, die der Ermessensausübung durch die nationalen Behörden Grenzen setzen, damit diese nicht willkürlich erfolgt. Zudem muss jedem, der von einer auf einem solchen Eingriff beruhenden einschränkenden Maßnahme betroffen ist, ein effektiver gerichtlicher Rechtsbehelf offenstehen (EuGH, Urteil vom 08.09.2010, a.a.O., Rdnr. 87).

Ein staatliches Glücksspielmonopol kann zulässig sein, wenn die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 08.09.2010 - C-316/07, C-358/07, C-359/07, C-360/07, C-409/07, C-410/07 - Stoß u.a., BeckRS 2010, 91035, Rdnr. 79). Nicht erforderlich ist insoweit, dass die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Beschränkungen einer von allen Mitgliedstaaten geteilten Auffassung entspricht (EuGH, Urteil vom 08.09.2010 - C-316/07, C-358/07, C-359/07, C-360/07, C-409/07, C-410/07 - Stoß u.a., BeckRS 2010, 91035, Rdnr. 80; EuGH, Urteil vom 08.09.2010 - C-46/08 - Carmen Media Group Ltd., BeckRS 2010, 91037, Rdnr. 104). Erforderlich ist eine kohärente und systematische Begrenzung von Wetttätigkeiten, deren Beurteilung wiederum in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte fällt (vgl. EuGH, Urteil vom 08.09.2010 - C-316/07, C-358/07, C-359/07, C-360/07, C-409/07, C-410/07 - Stoß u.a., BeckRS 2010, 91035,, Rdnrn. 88, 91, 98).

In Bezug auf das Ziel, einer Ausnutzung von Glücksspieltätigkeiten zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken vorzubeugen, kann eine Politik der kontrollierten Expansion kohärent sein, indem Spielern, die verbotenen geheimen Spiel- oder Wetttätigkeiten nachgehen, ein Anreiz gegeben wird, zu erlaubten und geregelten Tätigkeiten überzugehen. Zur Erreichung dieses Ziels ist es nämlich erforderlich, dass die Veranstalter die über eine Erlaubnis verfügen, eine verlässliche und zugleich attraktive Alternative zu verbotenen Tätigkeit darstellen, was als solches das Angebot einer breiten Palette von Spielen, einen gewissen Werbeumfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken implizieren kann (a.a.O., Rdnr. 101).

Diese Erwägungen können grundsätzlich auch dann Anwendung finden, wenn mit den innerstaatlichen beschränkenden Maßnahmen ein Ziel des Verbraucherschutzes - Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen und Bekämpfung der Spielsucht - verfolgt wird, und zwar insbesondere in dem Sinne, dass eine gewisse Werbung ggf. dazu beitragen kann, die Verbraucher zu dem Angebot des Inhabers eines staatlichen Monopols zu lenken, bei dem davon auszugehen ist, dass es gerade so eingerichtet und ausgestaltet wurde, dass das genannte Ziel wirksamer verfolgt wird (a.a.O., Rdnr. 102). Hingegen darf eine solche Werbung insbesondere nicht darauf abzielen, den natürlichen Spieltrieb der Verbraucher dadurch zu fördern, dass sie zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden, etwa indem das Spiel verharmlost oder ihm ein positives Image verliehen wird, das daran anknüpft, dass die Einnahmen für Aktivitäten im allgemeinen Interesse verwendet werden, oder indem die Anziehungskraft des Spiels durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen (EuGH, Urteil vom 08.09.2010 - C-316/07, C-358/07, C-359/07, C-360/07, C-409/07, C-410/07 - Stoß u.a., BeckRS 2010, 91035, Rdnr. 103 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 14.10.2010, BeckRS 2010, 91248, Rdnr. 2).

Die Prüfung der Frage, ob die in Werbekampagnen herausgestellte Verwendung von Einnahmen für die Finanzierung uneigennütziger oder im Allgemeininteresse liegender Aktivitäten nur eine erfreuliche Nebenfolge oder der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik ist, fällt insoweit als Teil der allgemeinen Prüfung der Kohärenz einer beschränkenden Maßnahme in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte (vgl. EuGH, Urteil vom 08.09.2010 - C-316/07, C-358/07, C-359/07, C-360/07, C-409/07, C-410/07 - Stoß u.a., BeckRS 2010, 91035, Rdnrn. 77 f., 104 ff.).

Insgesamt kann eine Maßnahme, mit der jedes Anbieten von Glücksspielen über das Internet verboten wird, grundsätzlich als geeignet angesehen werden, die legitimen Ziele der Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen und der Bekämpfung der Spielsucht sowie des Jugendschutzes zu verfolgen, auch wenn das Anbieten solcher Spiele über herkömmlichere Kanäle zulässig bleibt (EuGH, Urteil vom 08.09.2010 - C-46/08 - Carmen Media Group Ltd., BeckRS 2010, 91037, Rdnr. 105). Die Kohärenz der in einem Bundesland eines föderal strukturierten Staates zur Anwendung kommenden Regelung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass in einem anderen Bundesland weniger strenge Regelungen zur Anwendung kommen (vgl. EuGH, Urteil vom 12.06.2014 - C-156/13 - Digibet Ltd. u.a., BeckRS 2014, 80976, Rdnrn. 35 ff.).

bb) Die Vorlagefrage zu 2. im Verfahren des Gerichtshofs der Europäischen Union - C-440/23 lautet (BeckEuRS 2023, 762871):

„Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass er der Anwendung eines in § 4 Abs. 1 und 4 des deutschen Staatsvertrags zum Glücksspielwesen (GlüStV) enthaltenen generellen Verbots von Online-Casino-Glücksspiel entgegensteht, wenn die deutsche Glücksspielregelung (Glücksspielstaatsvertrag, GlüStV) in ihrem § 1 nicht auf ein generelles Glücksspielverbot abzielt, sondern darauf, „den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken“ und eine beträchtliche Nachfrage von Spielern nach Online-Automatenspielen besteht?“

Diese Frage ist ebenfalls bereits beantwortet (vgl. o. unter Punkt aa)).

cc) Die Vorlagefrage zu 3. im Verfahren des Gerichtshofs der Europäischen Union - C-440/23 lautet (BeckEuRS 2023, 762871):

„Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass ein generelles Verbot von Online-Casino-Angeboten nicht angewandt werden darf, wenn

- sich die Regierungen aller Bundesländer dieses Mitgliedstaats bereits darauf geeinigt haben, dass die von solchen Online-Glücksspiel-Angeboten ausgehenden Gefahren wirksamer durch ein System der vorherigen behördlichen Erlaubnis als durch ein generelles Verbot bekämpft werden können und

- sie mit einem entsprechenden Staatsvertrag einen künftigen Regelungsrahmen erarbeitet haben, der das generelle Verbot durch ein System der vorherigen Erlaubnis ersetzt

- und in Erwartung dieser zukünftigen Regelung entscheiden, entsprechende Glücksspielangebote ohne eine deutsche Erlaubnis vorbehaltlich der Einhaltung bestimmter Anforderungen zu akzeptieren, bis solche deutschen Lizenzen ausgestellt werden,

obwohl nach der Rechtssache Winner Wetten (C-409/06) Unionsrecht nicht übergangsweise ausgesetzt werden darf?“

Auch im Hinblick auf diese Frage erscheint eine Aussetzung nach § 148 ZPO weder sach- noch ermessensgerecht. Es ist bereits hinreichend geklärt, dass das Verbot von Internet-Glücksspielen (§ 4 Abs. 4 GlüStV-2012) nicht gegen Unionsrecht verstößt.

Art. 56 AEUV verbietet im Ausgangspunkt Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten „nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen“. Es folgt u.a. in Art. 62 AEUV die Verweisung auf Art. 52 Abs. 1 AEUV, der bestimmt, dass Sonderregelungen für Ausländer aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sein können.

Hierzu hat der Gerichtshof bereits mit Urteil vom 08.09.2010 - C-46/08 (BeckRS 2010, 91037 - Carmen Media Group Ltd.) mit Blick auf die damalige Regelung des Art. 49 EGV (heute Art. 56 AEUV) entschieden, dass „eine nationale Regelung, die das Veranstalten und das Vermitteln von Glücksspielen im Internet untersagt, um übermäßige Ausgaben für das Spielen zu vermeiden, die Spielsucht zu bekämpfen und die Jugendlichen zu schützen, grundsätzlich als zur Verfolgung solcher legitimer Ziele geeignet angesehen werden kann, auch wenn das Anbieten solcher Spiele über herkömmlichere Kanäle zulässig bleibt“ (a.a.O., Leitsatz Nr. 4).

Dies begründet der Gerichtshof wie folgt:

„Die Besonderheiten des Angebots von Glücksspielen im Internet können sich nämlich als Quelle von, verglichen mit den herkömmlichen Glücksspielmärkten, anders gearteten und größeren Gefahren für den Schutz der Verbraucher und insbesondere von Jugendlichen und Personen erweisen, die eine besonders ausgeprägte Spielneigung besitzen oder eine solche Neigung entwickeln könnten. Neben dem fehlenden unmittelbaren Kontakt zwischen Verbraucher und Anbieter stellen auch der besonders leichte und ständige Zugang zu den im Internet angebotenen Spielen sowie die potenziell große Menge und Häufigkeit eines solchen Angebots mit internationalem Charakter in einem Umfeld, das überdies durch die Isolation des Spielers, durch Anonymität und durch fehlende soziale Kontrolle gekennzeichnet ist, Faktoren dar, die die Entwicklung von Spielsucht und übermäßige Ausgaben für das Spielen begünstigen und aufgrund dessen die damit verbundenen negativen sozialen und moralischen Folgen vergrößern können“ (ebd.).

Die Gesetzeslage nach Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags 2021 ist für das vorliegende Verfahren ohne Relevanz. Die streitgegenständlichen Glücksspiele fanden unter Geltung des Glücksspielstaatsvertrags 2012 statt, der sie verbot. Der Gerichtshof hält es in ständiger Rechtsprechung für die Sache jedes Mitgliedstaats, zu beurteilen, ob ein Totalverbot, ein Teilverbot oder „mehr oder weniger strenge Kontrollformen“ vorgesehen werden sollen (EuGH, Urteil vom 08.09.2010 - C 46/08 - Carmen Media Group Ltd., BeckRS 2010, 91037, Rdnr. 46 m.w.N.). Damit bleibt es auch die Entscheidung des einzelnen Mitgliedstaats, zu entscheiden, ob und ggf. wie lange er ein Totalverbot in Kraft belässt und ab wann er es durch ein anderes System (z.B. Konzessionsvergabe) ersetzt. Solange der Mitgliedstaat eine Umstellung lediglich plant, lässt das die Wirksamkeit des Totalverbots unberührt.

Gesetz war im hier interessierenden Zeitraum allein der Glücksspielstaatsvertrag 2012. Anderes hatten die Länder in ihrer Eigenschaft als Gesetzgeber bzw. Parteien des Staatsvertrages nicht vereinbart. Soweit die Behörden der Länder davon abgesehen haben, das Verbot des § 4 Abs. 4 GlüStV-2012 durchzusetzen, macht dieser unterbliebene Gesetzesvollzug das Verbot nicht unionsrechtswidrig, denn dieses bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 56 AEUV bzw. Art. 49 EGV gerechtfertigt.

dd) Die Vorlagefragen zu 4. bis 6. im Verfahren des Gerichtshofs der Europäischen Union Az.: C-440/23 lauten (BeckEuRS 2023, 762871):

„4.

Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass ein (Ziel-) Mitgliedstaat eine nationale Regelung nicht mit zwingenden Gründen des Allgemeinwohls rechtfertigen kann, wenn

- diese Regelung es Verbrauchern verbietet, in einem anderen (Herkunfts-) Mitgliedstaat lizenzierte grenzüberschreitende Wetten auf lizenzierte Lotterien im Zielmitgliedstaat abzugeben, die dort erlaubt und reguliert sind,

- die Lotterien im Zielmitgliedstaat lizenziert sind und die Regelung dem Spieler- und Jugendschutz dient

- und wenn die Regulierung von lizenzierten Wetten auf Lotterien im Herkunftsmitgliedstaat ebenfalls dem Spieler- und Jugendschutz dient und das gleiche Schutzniveau wie dasjenige der Regulierung von Lotterien im Zielmitgliedstaat gewährleistet?

5.

Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass diese Vorschrift der Rückforderung bei der Teilnahme an (Zweit-) Lotterien verlorener Einsätze entgegensteht, die auf die behauptete Rechtswidrigkeit der Transaktionen wegen des Fehlens einer Lizenz im Mitgliedstaat des Verbrauchers gestützt wird, wenn

- eine solche Lizenz für private (Zweit-) Lotterien von Rechts wegen ausgeschlossen ist

- und dieser Ausschluss von den nationalen Gerichten mit einem angeblichen Unterschied zwischen der Abgabe eines Tipps auf den Ausgang einer Lotterie bei einem staatlichen Veranstalter und einer Wette auf den Ausgang einer staatlichen Lotterie bei einem privaten Veranstalter gerechtfertigt wird?

6.

Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass er der Rückforderungen bei der Teilnahme an (Zweit-) Lotterien verlorener Einsätze entgegensteht, die auf die behauptete Rechtswidrigkeit der Transaktionen wegen des Fehlens einer Lizenz im Mitgliedstaat des Verbrauchers gestützt wird, wenn

- von Rechts wegen ein Ausschluss einer solchen Lizenz für private (Zweit-) Lotterien besteht

- und wenn dieser Ausschluss zugunsten staatlicher Lotterieveranstalter von den nationalen Gerichten mit einem angeblichen Unterschied zwischen der Abgabe eines Tipps auf den Ausgang einer vom Staat veranstalteten Lotterie bei einem staatlichen Veranstalter und einer Wette auf den Ausgang derselben staatlichen Lotterie bei einem privaten Veranstalter gerechtfertigt wird?“

Diese Vorlagefragen sind ohne Inzidenz für das vorliegende Verfahren, da dieses keine Lotterien betrifft.

ee) Die Vorlagefrage zu 7. im Verfahren des Gerichtshofs der Europäischen Union Az.: C-440/23 lautet (BeckEuRS 2023, 762871):

„Sind Art. 56 AEUV und das Verbot des Rechtsmissbrauchs (Rechtssache Niels Kratzer [C-423/15]) dahin auszulegen, dass sie einer auf die Erstattung verlorener Einsätze gerichteten Forderung entgegenstehen, die auf das Fehlen einer deutschen Lizenz und auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützt wird, wenn der Veranstalter von den Behörden in einem anderen Mitgliedstaat lizenziert ist und überwacht wird und die Mittel des Spielers sowie seine Zahlungsansprüche durch das Recht des Mitgliedstaats, in dem der Veranstalter niedergelassen ist, gesichert werden?“

Diese Vorlagefrage ist ebenfalls ohne Inzidenz für das vorliegende Verfahren. Im Hinblick auf die Regelung des Art. 56 a des maltesischen Gaming Act, nach der maltesische Gerichte die Anerkennung und / oder Vollstreckung ausländischer Entscheidungen im Zusammenhang mit Glücksspielen unter den dort genannten Voraussetzungen zu verweigern haben (vgl. dazu Quarch/von Randow, VuR 2024, 3, 9 ff.), kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass unterstellte Zahlungsansprüche des Klägers durch das maltesische Recht gesichert wären.

(2) Der Kläger hat ein erhebliches Interesse daran, den Rechtsstreit fortzuführen, um zumindest ein vorläufig vollstreckbares Urteil zu erlangen. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass bei der Vollstreckung eines Titels mit weiteren Schwierigkeiten und Verzögerungen zu rechnen ist (vgl. o. unter Punkt (1) ee)).

3.

Eine Kostenentscheidung ergeht nicht.

Das durch die Ausgangsentscheidung des Landgerichts über die Aussetzung des Verfahrens als verfahrensleitenden Beschluss ausgelöste Beschwerdeverfahren stellt nur einen Bestandteil des Hauptverfahrens dar. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens, die durch eine Aussetzungsentscheidung ausgelöst werden, bilden einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens die nach §§ 91 ff. ZPO in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat (BGH, Beschluss vom 01.06.2006 - IX ZB 33/04, BeckRS 2006, 8636, Rdnr. 2; BGH, Beschluss vom 25.07.2019 - I ZB 82/18, BeckRS 2019, 27613, Rdnr. 46).

4.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens entspricht 1/5 des sich auf 32.937,38 € belaufenden Streitwerts (§ 3 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 05.11.2015 - III ZB 69/14, BGHZ 207, 306 = BeckRS 2015, 19551, Rdnr. 26; BGH, Beschluss vom 30.04.2019 - XI ZB 13/18, BGHZ 222, 15 = BeckRS 2019, 17221, Rdnr. 37, BeckOK KostR/Toussaint, 46. Ed., 01.07.2024, § 48 GKG, Rdnr. 57 a).



Sachgebiete

Vorabentscheidungsverfahren
Beschwerdeverfahren und -entscheidung
Dienstleistungsfreiheit

Schlagworte

Aufhebung
Aussetzung
Aussetzungsentscheidung
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