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Nr: NJRE001590670
LG Hamburg 22. Zivilkammer, Urteil vom
30.April 2024 , Az: 322 O 345/22
Langtext
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf EUR 15.200,00 festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung von Spielverlusten aus Online-Glücksspiel in Anspruch.
Die Klägerin wohnt in H. Die Beklagte hat ihren Sitz in M. und bietet über einen deutschsprachigen Internetauftritt unter Online-Glücksspiele an. Sie verfügt(e) über eine Glücksspiellizenz der zuständigen Behörde von M.. In der Zeit vom 6. Januar 2020 bis zum 25. Juni 2020 zahlte die Klägerin bei der Beklagten Geld ein, um an Online-Glücksspielen der Beklagten teilzunehmen. Durch Spieleinsätze erlitt sie - nach Abzug erzielter Gewinne - einen Verlust in Höhe von EUR 15.200,00.
Mit Schreiben ihrer jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 19. September 2022, Anlage K 2, machte die Klägerin gegenüber der Beklagten geltend, ihr stehe ein Anspruch auf Erstattung des vorgenannten Betrags aus ungerechtfertigter Bereicherung und aus Deliktsrecht zu. Sie forderte die Beklagte erfolglos auf, bis spätestens zum 3. Oktober 2022 EUR 15.200,00 an sie zurückzuzahlen.
Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin das Rückzahlungsbegehren weiter. Ihr stehe ein Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB und aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 und 4 GlüStV 2012 gegenüber der Beklagten zu. Außerdem habe die Beklagte sie von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten betreffend das Anwaltsschreiben vom 19. September 2022 freizustellen.
In dem oben genannten Zeitraum habe sie noch nicht gewusst, dass die Beklagte in D. keine Lizenz gehabt habe und das Glücksspiel deswegen illegal gewesen sei. Dies habe sie erst nach Abschluss der Spielvorgänge erfahren.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 15.200,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 04.10.2022 zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, sie von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 792,78 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Klage sei unzulässig, da es an der Prozessführungsbefugnis der Klägerin fehle. Es bestehe (unstreitig) ein Prozessfinanzierungsvertrag zwischen der Klägerin und einem dritten Unternehmen, aufgrund dessen die streitgegenständliche Forderung vorgerichtlich an den Prozessfinanzierer abgetreten worden sei. Hinsichtlich der Beteiligung des Prozessfinanzierers, der vorgerichtlichen Abtretung und des Inhalts des Prozessfinanzierungsvertrags bestehe eine sekundäre Darlegungslast der Klägerin. Sie (die Beklagte) bestreite vor diesem Hintergrund sowohl die Aktivlegitimation als auch die Prozessführungsbefugnis; insbesondere seien die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft vorliegend nicht gegeben. Es werde bestritten, dass die Abtretung nur zur Sicherheit erfolgt ist.
Auch ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB bestehe nicht. Verstöße gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 führten nicht gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der Glücksspielverträge. Der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz habe grundsätzlich die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nur dann zur Folge, wenn sich das Verbot gegen beide Seiten richte. Die Klägerin als Spielerin sei nicht Adressatin der Verbotsnorm des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 gewesen. Das vorliegende Verfahren sei insoweit bis zu einer Entscheidung des EuGH in dem anhängigen Verfahren C-440/23 auszusetzen.
Einem Anspruch stehe auch der Kondiktionsausschluss gemäß § 817 Satz 2 BGB entgegen. Die Klägerin habe durch die Spielteilnahmen gegen § 185 StGB verstoßen und dabei gewusst, dass die Online-Glücksspiele in D. illegal gewesen seien, bzw. sie habe sich dieser Erkenntnis zumindest leichtfertig verschlossen. Die Thematik sei im streitgegenständlichen Zeitraum in unterschiedlichsten Medien, insbesondere Internet, TV und Zeitungen, omnipräsent gewesen. Aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagte sei deutlich hervorgegangen, dass ein Spieler die Rechtslage in dem Land, von aus er teilgenommen habe, selbst habe prüfen müsse. § 817 Satz 2 BGB sei im vorliegenden Fall auch nicht teleologisch zu reduzieren.
Es bestehe auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 und 4 GlüStV 2012, § 284 StGB. Der § 4 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4, Abs. 5 GlüStV 2012 sei kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, weil die Norm allein Allgemeinwohlzwecken diene. Individualschutz werde allenfalls als Reflex erreicht.
Die Klägerin habe eigenverantwortlich und freiwillig an den Spielen teilgenommen und das damit denklogisch verbundene Verlustrisiko bewusst und ohne Täuschung in Kauf genommen. Es habe sich nur das jedem Glücksspiel immanente Risiko realisiert. Insoweit seien etwaige deliktische Ansprüche jedenfalls gemäß § 254 Abs. 1 BGB wegen eigenen Verschuldens ausgeschlossen.
Die Klägerin erwidert, soweit „die Klagepartei die Aktivlegitimation der Klagepartei“ bestreite, werde darauf hingewiesen, dass sich die Prozessbevollmächtigten der Parteien in dutzenden weiteren Verfahren gegenüberstehen (S. 2 des Schriftsatzes vom 27.03.2024). Den Prozessvertretern der Beklagten seien der Prozessfinanzierer der Klagepartei und der Prozessfinanzierungsvertrag und die daraus folgende Prozessführungsbefugnis bekannt. Das umfassende Bestreiten der Prozessführungsbefugnis mit Nichtwissen sei vor diesem Hintergrund unsubstantiiert. In gleichgelagerten Sachverhaltskonstellationen sei die Prozessführungsbefugnis der Klagepartei von anderen Gerichten anerkannt worden. Der Vortrag der Beklagten „zu einer Abtretung der Klageforderung (in Abgrenzung zu einer Sicherungsabtretung)“ sei aus der Luft gegriffen (S. 3 des Schriftsatzes vom 27.03.2024). Als Nachweis der Sicherungsabtretung sei die Erklärung des Prozessfinanzierers, der Augusta 9039 PC, ausreichend. Die Beklagte sei zudem bereits durch die Rechtswirkung dieser im Außenverhältnis offengelegten Ermächtigung hinreichend geschützt.
Das Gericht hat die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass aus ihrem Vortrag nicht nachvollziehbar ist, ob damit die Abtretung durch die Klägerin bestritten werden soll, und dass sich an manchen Stellen andeute, dass die Klägerseite jetzt vortragen wolle, auch im konkreten Fall sei eine Sicherungsabtretung erfolgt. Das Gericht hat die Klägerseite darauf hingewiesen, dass ein Prozessfinanzierungsvertrag (durch die Klägerseite als Anlage K 3 bezeichnet) nicht vorgelegt worden ist; die Anlage K 3 ist dem Schriftsatz vom 27.03.2024 nicht beigefügt worden. Auf Fragen des Gerichts, ob im konkreten Fall eine Abtretung der Forderungen der Klägerin erfolgt sei und um was für eine Abtretung es sich handle, hat die Klägerseite erklärt, die Ansprüche seien auf jeden Fall an einen Prozessfinanzierer abgetreten worden.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. März 2024 Bezug genommen. Von der Bezugnahme ausgenommen ist der neue Sachvortrag der Klägerin aus den nicht nachgelassenen Schriftsätzen vom 11. und 23. April 2024.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unzulässig.
1.
Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Hamburg folgt aus Art. 26 Abs. 1 S. 1 EuGVVO. Die Beklagte hat sich ohne Rüge internationaler Unzuständigkeit zur Sache eingelassen.
2.
Zweifel an der Zulässigkeit der Klage könnten bereits insoweit bestehen, als die Klägerin nicht eindeutig erklärt hat, ob sie die Klage auf eigenes Recht oder auf fremdes, einem Prozessfinanzierer zustehendes Recht stützt.
Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erfordert die Zulässigkeit einer Klage die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag. Es handelt sich um von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzungen (Zöller-ZPO/Greger, 35. Auflage, § 253 Rn. 7, juris). Ob aus fremdem Recht in Prozessstandschaft oder aus eigenem Recht geklagt wird, ist insoweit von Bedeutung, als im Falle der Prozessstandschaft der Gegner vor einem zweiten Prozess (des tatsächlichen Inhabers des Rechts) durch die Einrede der Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) geschützt ist und ein im Rechtsstreit eines Prozessstandschafters ergangenes Urteil auch für und gegen den Rechtsinhaber wirkt (Zöller-ZPO/Althammer, 35. Auflage, vor §§ 50-58, Rn. 51, juris).
Vorliegend hat die Klägerin zunächst zum Ausdruck gebracht, die Beklagte aus eigenem Recht in Anspruch zu nehmen. Sie hat in der Klageschrift und in der Replik geltend gemacht, ihr stünden eigene Ansprüche gegenüber der Beklagten zu. Dass die Ansprüche einem Prozessfinanzierer abgetreten sind und sie dessen Ansprüche im eigenen Namen geltend macht, hat sie nicht erwähnt. Soweit die Klägerin in dem jüngeren Schriftsatz vom 27. März 2024 (dort auf S. 2 f.) vorträgt, den Prozessvertretern der Beklagten seien der Prozessfinanzierer der Klagepartei sowie der Prozessfinanzierungsvertrag und die daraus folgende Prozessführungsbefugnis der Klagepartei bekannt und dass das Bestreiten der Prozessführungsbefugnis mit Nichtwissen deshalb unsubstantiiert sei, erzeugt dies eine Widersprüchlichkeit, indem es darauf hindeutet, dass nicht eigene Rechte, sondern fremde Rechte eines Prozessfinanzierers im Wege der Prozessstandschaft geltend gemacht werden.
Allerdings soll sich der Streitgegenstand eines Verfahrens nicht ändern, wenn bei einer stillen Sicherungszession der Zedent die Klage erhoben hat und dann im Verlauf des Rechtsstreits offenlegt, ein fremdes Recht in Prozessstandschaft geltend zu machen (BGH, Urteil vom 08.05.2007, XI ZR 278/06, Rn. 17, juris; Zöller-ZPO/Althammer, 35. Auflage, vor §§ 50-58, Rn. 50, juris). Ein solches Verfahren hat von Anfang an einen einzigen, bei dem Zedenten entstandenen Anspruch zum Gegenstand.
3.
Die vorliegende Klage ist aber deshalb unzulässig, weil die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen der gewillkürten Prozessstandschaft von der Klägerin nicht hinreichend konkret dargelegt sind.
Die Zulässigkeit einer Klage in gewillkürter Prozessstandschaft setzt voraus, dass der Kläger durch den Rechtsinhaber zur Prozessführung ermächtigt worden ist, dass an dieser Prozessführung ein schutzwürdiges rechtliches Interesse des Klägers und ein schutzwürdiges rechtliches Interesse des Rechtsinhabers besteht und dass der Beklagte durch die Prozessführung des rechtsfremden Dritten nicht unzumutbar in seinen schutzwürdigen Belangen beeinträchtigt wird (Zöller-ZPO/Althammer, 35. Auflage, vor §§ 50-58, Rn. 40, juris).
3.1.
Es fehlt insoweit an konkretem Vortrag der Klägerin, von dem Prozessfinanzierer, an den sie ihre Ansprüche wohl abgetreten hat, zur Prozessführung ermächtigt worden zu sein. Die Klägerin trägt lediglich vor, als „Nachweis der Sicherungsabtretung“ sei „die Erklärung des Prozessfinanzierers, der Augusta 9039 PC, ausreichend“, die Beklagte sei „bereits durch die Rechtswirkung dieser im Außenverhältnis offengelegten Ermächtigung hinreichend geschützt“. Dass und durch welche konkrete Erklärung und gegebenenfalls mit welchen konkreten Bedingungen verknüpft der Prozessfinanzierer ihr die Ermächtigung zur Prozessführung erteilt hat, lässt sich dem Klägervortrag nicht entnehmen. Das Gericht hat die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Prozessfinanzierungsvertrag (aus dem sich die Ermächtigung möglicherweise ergeben könnte), nicht vorgelegt worden ist. Ein Einreichen im Termin oder die Beantragung von Schriftsatznachlass oder der mündliche Vortrag des konkreten Inhalts der Vereinbarungen sind nicht erfolgt. Ob eine Ermächtigung auch für den vorliegenden Fall erteilt worden ist, ob die Ermächtigung unter Bedingungen gestellt ist und die Bedingungen erfüllt sind und ob der Prozessfinanzierungsvertrag mit der (gegebenenfalls) enthaltenen Ermächtigung wirksam ist, kann das Gericht auf dieser Grundlage nicht beurteilen.
3.2.
Auch kann auf der Grundlage dessen, was bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden ist, nicht angenommen werden, dass die Klägerin ein schutzwürdiges rechtliches Interesse an der Verfolgung des fremden Rechts im eigenen Namen hat. Bei einer Sicherungsabtretung mag ein solches schutzwürdiges rechtliches Interesse des Zedenten regelmäßig bestehen, während es bei einer „Vollabtretung“ nicht ohne Weiteres angenommen werden kann. Die insoweit in der mündlichen Verhandlung durch das Gericht an die Klägerseite gerichtete Frage, um was für eine Abtretung es sich handelt, ist unbeantwortet geblieben.
4.
Sachvortrag der Klägerin aus den Schriftsätzen vom 11. und 23. April 2024 hat unberücksichtigt zu bleiben. Die Schriftsätze sind erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung vom 27. März 2024 eingereicht worden (§ 296a ZPO). Schriftsatznachlass hat die Klägerseite nicht beantragt, obwohl das Gericht darauf hingewiesen hat, dass der behauptete Prozessfinanzierungsvertrag, Anlage K 3, noch nicht vorgelegt worden ist.
Anlass zur Wiedereröffnung der Verhandlung (§ 156 ZPO) besteht nicht. Das Gericht hat die Bedenken betreffend den Bereich der Prozessführungsbefugnis (und Aktivlegitimation) hinsichtlich des Schriftsatzes der Klägerseite vom 26. März 2024 mit den Parteivertretern in der mündlichen Verhandlung erörtert. Der (nachgelassene) Schriftsatz der Beklagtenseite vom 17. April 2024 enthält keinen für die vorliegende Entscheidung erheblichen Vortrag, so dass eine Wiedereröffnung nicht erfolgen muss, um der Klägerin hierzu rechtliches Gehör zu gewähren.
5.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist auf § 709 S. 1 und 2 ZPO gestützt.