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Nr: NJRE001590672


LG Wiesbaden 3. Zivilkammer, Urteil vom 6.Juni 2024 , Az: 3 O 278/23


Langtext

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.


Tatbestand

Der Kläger macht Ansprüche aus der Teilnahme an von der Beklagten angebotenen Online-Glücksspielen geltend. Die Beklagte bot unter der deutschsprachigen Internetdomain ... Sportwetten, Online-Casinospiele und virtuelle Automatenspiele an. Der Kläger nahm die Angebote der Beklagten in der Zeit von Oktober 2013 bis Juni 2021 in Anspruch, vornehmlich von seiner Wohnung aus.

Für das Sportwettenangebot der Beklagten lag im fraglichen Zeitraum keine deutsche Erlaubnis vor.

Der Kläger ist der Ansicht, das Gericht sei international zuständig, es finde auf die rechtliche Beziehung zur Beklagten auch deutsches Recht Anwendung.

Der Kläger hat den Widerruf der streitgegenständlichen Spielverträge erklärt. Er ist der Auffassung, es handele sich um Fernabsatzverträge, § 312 g II Nr. 12 BGB greife hier nicht ein, weil die Norm m Rahmen von gesetzlich verbotenen Spielteilnahmen nicht anwendbar sei.

Der Kläger gibt an, bei der Teilnahme davon ausgegangen zu sein, dass die von der Beklagten in Deutschland angebotenen Glücksspiele erlaubt seien. Erst nach Konsultation seines Prozessbevollmächtigten habe er davon erfahren, dass die angebotenen Online-Glücksspiele in Deutschland verboten seien. Die Verantwortlichen der Beklagten hätten dem gegenüber in dem Bewusstsein gehandelt, dass das Anbieten derartiger Spiele in Deutschland verboten sei. Die Zahlungen des Klägers an die Beklagte seien unter Verwendung des Computers oder des Smartphones über Abbuchungen von Girokonto des Klägers oder das Kreditkartenkonto vorgenommen worden. Insgesamt habe der Kläger einen Verlust in Höhe von 95.089,94 € erlitten, berechnet im Verhältnis der Einzahlungen in Höhe von insgesamt 285.399,90 € zu den Auszahlungen in Höhe von insgesamt 190.309,96 €.

Der Kläger ist weiter der Auffassung, dass sich Ansprüche aus § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB und § 823 II BGB ergeben würden.

Durch die Veranstaltung öffentlichen Glücksspiels im Internet habe die Beklagte gegen § 4 GlüStV verstoßen, die öffentliche Veranstaltung von Glücksspiel im Internet sei damit einem Totalverbot unterstellt gewesen. Damit seien die Verträge gem. § 134 BGB nichtig. Eine Ausnahme bestehe nur dann, wenn eine Erlaubnis ausdrücklich erteilt worden sei, was bezüglich der Beklagten nicht der Fall gewesen sei.

Zudem liege auch ein Verstoß gegen § 284 StGB vor, auch hierbei handele es sich um ein gesetzliches Verbot gem. § 134 BGB.

Zwar habe gem. § 10a GlüStV ab dem 01.07.2012 die theoretische Möglichkeit einer Erlaubniserteilung bestanden für Sportwetten, Lizenzen seien aber bis Oktober 2020 nicht erteilt worden. Eine Duldung im zivilrechtlichen Sinne könne dennoch nicht angenommen werden, auch wenn entsprechende Handlungen möglicherweise aus europarechtlichen Gründen nicht sanktioniert werden könnten. Selbst wenn das Konzessionsvergabeverfahren unionsrechtswidrig gewesen sei, so könne daraus allenfalls eine straf- oder verwaltungsrechtliche Ahndung erfolgen, zivilrechtlich könne dies aber keine Auswirkungen haben. Das Angebot der Beklagten sei auch nicht genehmigungsfähig gewesen, weil es gegen das Trennungsgebot des § 4 V Nr. 5 GlüStV 2012 verstoßen und zulässige Ereigniswetten i.S.v. § 21 IV GlüStV enthalten habe. Weder § 762 I S. 2 noch § 814 Alt. 1 BGB stehe einem Anspruch des Klägers entgegen. Auch § 817 S. 2 BGB könne nicht angenommen werden. Es würden allenfalls Verluste in Höhe von 1280,00 € auf Spielteilnahmen im Ausland beruhen, bezüglich der Einzelheiten wird insoweit auf die Aufstellung Blatt 216 ff der Akten verwiesen. Insoweit hat der Kläger mit Schriftsatz vom 15.12.2023 die Klage teilweise zurückgenommen. Im Übrigen ist der Kläger der Auffassung, dass sich die Beklagte nicht auf eine fehlende Passivlegitimation berufen könne, der Kläger sei insbesondere über einen Betreiberwechsel hinsichtlich des Sportwettenangebots nicht unterrichtet gewesen, die Beklagte sei auch im Impressum des streitgegenständlichen Angebots weiterhin als Betreiberin aufgeführt. Die Verwendung von AGB´s durch mehrere Verwender sei zudem rechtswidrig und unwirksam.

Der Kläger beantragt nunmehr,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 93.809,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, nicht passivlegitimiert zu sein. Die Internetseite ... sei gleichzeitig von verschiedenen Unternehmen betrieben worden. 5 verschiedene Unternehmen hätten dabei unterschiedliche Teile bzw. Spielangebote nebeneinander angeboten bzw. seien insoweit Veranstalter der dort angebotenen Glücksspiele gewesen. Dies sei auch aus den AGB, z.B. Version 2018, hervorgegangen. Die Beklagte habe hier insbesondere Sportwetten angeboten, insoweit könne die ‚Beklagte allenfalls für die Sportwetten passivlegitimiert sein.

Der Kläger habe an Sportwetten teilgenommen, d.h. das Verlustrisiko sei ihm von Anfang an bewusst gewesen. Die Spielverträge seien wirksam, da es keinen zweiseitigen Verstoß gegen ein Verbotsgesetz gebe. Insbesondere sei den Spielern ein Verstoß gegen § 285 StGB nicht nachweisbar.

Zudem habe der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum auch im Ausland an den Spielen teilgenommen, d.h. Teile der Verluste seien auch hierauf zurückzuführen. Zudem habe der Kläger Kenntnis von dem gesetzlichen Verbot gehabt oder habe sich dieser jedenfalls leichtfertig verschlossen. Auch ein Widerrufsrecht stehe dem Kläger nicht zu, da § 312 g I BGB auch für möglicherweise nichtige Verträge gelte. Zudem sei die Veranstaltung von Sportwetten in Deutschland legal gewesen. Das vorgesehenen Konzessionsverfahren sei durch das VG Wiesbaden im Mai 2015 gestoppt worden, da das Gericht die zugrundeliegenden Bestimmungen des GlüStV für verfassungs- und unionsrechtswidrig gehalten habe, was durch den VGH letztlich bestätigt worden sei. Der EuGH habe daraufhin entschieden, dass die Notwendigkeit einer inländischen Konzession und die damit verbundenen Voraussetzungen den Anbietern mit Sitz im EU Ausland nicht entgegengehalten werden könne, solange in Deutschland kein unionskonformes Verfahren zur Erteilung der Konzession etabliert worden sei. Im Anschluss daran habe auch das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass das Fehlen einer Erlaubnis einer verwaltungsrechtlichen Untersagung von Sportwetten entgegenstehe. Die entsprechenden Angebote seien folglich von den deutschen Behörden geduldet worden. Die Anbieter hätten sich insoweit auf die unionsrechtlich garantierte Dienstleistungsfreiheit berufen können.

Im Übrigen sei die Frage der Gesetzeswidrigkeit von Online-Glücksspielen im Zusammenhang mit der Neuregelung im GlüStV öffentlich in praktisch allen Medien thematisiert worden, es sei deshalb davon auszugehen, dass auch der Kläger hiervon Kenntnis gehabt habe.

Hinsichtlich der Frage der Spielteilnahme aus dem Ausland ist die Beklagte der Auffassung, dass es nicht darauf ankomme, welche Einzahlungen der Kläger in diesem Zeitraum auf sein Spielerkonto getätigt habe, sondern welche konkreten Einsätze er in der Zeit eines Auslandsaufenthaltes getätigt habe, welche konkreten Gewinne oder Verluste hierbei entstanden seien. Dies spiegele die Angabe der Einzahlungen alleine nicht wieder.

Die Beklagte hat exemplarisch ihre AGB´s mit Stand ab 29.05.2010 als Anlage B 27 ff vorgelegt. Sie ist der Auffassung, dass sie allenfalls für einen Teil der geltend gemachten Ansprüche überhaupt passivlegitimiert sei.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Wiesbaden ergibt sich aus §§ 23 Nr. 1, 71 I GVG, da der Streitwert über 5.000,00 € liegt.

Die internationale und örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Artikel 18 Abs. 1 EuGVVO.

Der Kläger hat nach seinem Vortrag einen Vertrag über die Teilnahme an Sportwetten als Verbraucher im Sinne von Art. 17 Abs. 1 c EuGVVO mit der Beklagten geschlossen. Eine Verbrauchersache ist demnach ein Vertrag, den eine Person zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit der Person zugerechnet werden kann, wenn der andere Vertragspartner in einem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder ausrichtet. An der Verbrauchereigenschaft des Klägers bestehen hier keine Zweifel, Gegenteiliges ist von der Beklagten auch nicht vorgetragen worden. Auch der Umfang der streitgegenständlichen Teilnahme an Sportwetten lässt per se nicht darauf schließen, dass der Kläger hier gewerblich gehandelt hätte.

Ein Anspruch des Klägers ist jedoch nicht begründet. Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus § 812 Abs. 1, 1. Satz, 1.Alternative BGB. Grundsätzlich findet auf das behauptete Vertragsverhältnis deutsches Recht Anwendung gem. Artikel 6 Abs. 1 I-VO, da der Kläger als Verbraucher handelte und die Beklagte ihre Tätigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland ausgerichtet hat. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus dem entsprechenden Angebot im Internet, das auch aus Deutschland abrufbar war, sowie aus der Tatsache, dass sämtliche Informationen und Werbemaßnahmen in Deutschland abrufbar waren.

Zwar ist zwischen den Parteien streitig, ob die Beklagte hier tatsächlich für alle geltend gemachten Spielbeteiligungen der richtige Ansprechpartner war, oder der Anbieter für Sportwetten im Lauf der Vertragsbeziehung zwischenzeitlich gewechselt hat. Darauf kommt es im Ergebnis aber nicht an, da die Klage bereits aus anderen Gründen abzuweisen war.

Für einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung ist es erforderlich, dass geleistete Zahlungen ohne Rechtsgrund erfolgt sind. An dieser Voraussetzung fehlt es hier, Rechtsgrund für die Zahlungen durch den Kläger bildet der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag, auf Grund dessen der Kläger überhaupt an den Wetten teilnehmen konnte.

Dieser Vertrag ist nicht gem. § 4 Abs. 1 Glücksspielstaatsvertrag 2012 und § 4 Abs. 4, 5, Glücksspielstaatsvertrag 2012 gem. § 134 BGB nichtig. Zwar lag dem Wortlaut nach ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Glücksspielstaatsvertrag i. V. m. § 10 a Abs. 2 Glücksspielstaatsvertrag 2012 vor, da die Beklagte ohne eine entsprechende Konzession im Internet Glücksspiele veranstaltet hat. Im vorliegenden Fall führt dieser formale Verstoß jedoch nicht dazu, dass die darauf basierenden Verträge unter Verstoß gem. § 134 BGB als nichtig anzusehen wären. Dass eine entsprechende Konzessionserteilung nicht möglich war, lag nicht im Einflussbereich der Beklagten, sondern beruhte auf einem Verstoß des Konzessionsvergabeverfahrens gegen das Transparenzgebot, sodass hier letztlich eine Entscheidung noch nicht getroffen werden konnte. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus der entsprechende Presseveröffentlichung des RP Darmstadt. Daraus ergibt sich allerdings auch, dass ein Vorgehen gegen Sportwettenanbieter, die zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Markt tätig waren, aufgrund der besonderen Situation hier nicht vorgesehen war. Dies entspricht auch höchstrichterlicher Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs und des EUGH. Danach darf nach dem Grundsatz des Vorranges des Unionsrechts ein Mitgliedsstaat keine strafrechtlichen Sanktionen für ein Verhalten verhängen, mit dem der Betroffene verwaltungsrechtliche Anforderungen nicht genügt hat, die ihrerseits gegen das Unionsrecht verstoßen. Insbesondere in Bezug auf die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit steht dies einer weiteren Bestrafung daher entgegen. Wenn folglich eine öffentlich-rechtliche Verbotsnorm im Ausnahmefall wegen Verstoßes gegen übergeordnetes Unionsrecht keine Wirkung entfalten kann, muss die Übertragung dieser Wertung auf das Privatrecht die Wirksamkeit des privatrechtlichen Geschäfts unberührt lassen. Wenn die Regelungen der Konzessionsvergabe als europarechtswidrig angesehen werden, weil sie unklar und intransparent sind, so kann dies nicht dazu führen, dass dann die strengere Regelung greift, dass nämlich überhaupt keine Konzession erteilt wird und das entsprechende Verhalten damit als grundsätzlich verboten eingestuft wird. Dies würde gerade der Zurückweisung der Regelungen des Konzessionsverfahrens und der Beanstandung zuwider laufen. Dies würde im Ergebnis nämlich bedeuten, dass trotz Europarechtswidrigkeit dann das Anbieten von Sportwetten unzulässig wäre und es auch so lange bleiben würde, bis eine unionskonforme Konzessionsregelung gefunden wäre, oder eben auch nie eine solche erstellt werden würde. Dies ist mit dem Grundgedanken der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit allerdings nicht in Einklang zu bringen.

Auch als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB kommt eine solche Norm unter diesen Voraussetzungen nicht in Betracht. Somit ist hier davon auszugehen, dass, da eine konkrete innerstaatliche Regelung hier noch nicht getroffen worden war, grundsätzlich die unionsrechtlichen Grundlagen ausschlaggebend waren. Die Beklagte verfügte über eine gültige Konzession in einem Mitgliedsstaat, hier in Malta. Aufgrund der Dienstleistungsfreiheit war deshalb davon auszugehen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum, d. h. aber auch unmittelbar im Rahmen des Konzessionsverfahrens, das dann gestoppt werden musste, eine Zulässigkeit hier vorgelegen hat.

Der Kläger kann sich auch nicht auf ein Widerrufsrecht gem. § 312 g BGB berufen. Zwar ist davon auszugehen, dass es sich vorliegend um einen Fernabsatzvertrag gehandelt hat, ein Widerrufsrecht ist aber deshalb nicht gegeben, weil die Ausnahme gem. § 312 g Nr. 12 BGB hier eingreift, die speziell für derartige Fälle gedacht ist. Der Vertrag war zudem wirksam, so dass die Anwendung der Norm auf diesen Fall nicht zweifelhaft ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.