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Nr: NJRE001591244


OLG Frankfurt 5. Zivilsenat, Urteil vom 15.Mai 2024 , Az: 5 U 133/22

ZPO § 539 Abs 2

Keine Abweisung der Klage als im Urkundenprozess unstatthaft bei Verstoß gegen § 593 Abs. 2 S. 2 ZPO

Leitsatz

1. Werden Urkunden entgegen § 593 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt, ist auf Rüge des Prozessgegners zu vertagen und nicht die Klage als in der gewählten Prozessart unstatthaft abzuweisen.

2. Ein Vertrag zur Implementierung eines auf Standardsoftware basierenden Enterprise-Resource-Planning-Systems ist regelmäßig ein gemischter Vertrag, der werk- und dienstvertragliche Elemente aufweist.

Sonstiger Kurztext

Ein Rechtsmittel ist nicht bekannt geworden.


Verfahrensgang

vorgehend LG Frankfurt 12.07.2022 3-14 O 70/20

Langtext

Tenor

Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin gegen das am 12. Juli 2022 verkündete Urteil der 14. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main (Az. 3-14 O 70/20) werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Dieses und das mit der Berufung angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Wertstufe bis zu 230.000 € festgesetzt.


Gründe

I.

Die Parteien streiten im Urkundenverfahren um die Rückzahlung von Lizenz- und Beratungskosten im Rahmen der Implementierung eines Enterprise-Resource-Planning-Systems (im Folgenden: ERP-System).

Ein ERP-System ist eine Computersoftware, mit welcher der Ressourceneinsatz eines Unternehmens geplant und gesteuert wird. Es basiert auf einer Standardsoftware, auf deren Grundlage verschiedene Funktionsmodule betrieben werden. Um verwendet werden zu können, muss das ERP-System an die betrieblichen Gegebenheiten angepasst werden, damit sichergestellt ist, dass es die betrieblichen Abläufe korrekt erfasst und mit anderen im Betrieb verwendeten Computerprogrammen und Ressourcen störungsfrei interagiert. Diese Anpassung wird als Implementierung bezeichnet. Das von der Beklagten angebotene „H Enterprise Management“ ist ein solches ERP-System.

Die Parteien schlossen am 28. September 2018 einen Projektvertrag über die Einführung des H Enterprise Management nebst Partnerprodukten (Anlage K6 im Anlagenband, im Folgenden: Projektvertrag) bei der Klägerin. Die Einführung sollte in sechs Phasen - Initiierung, Analyse, Konzeption, Implementierung, Test und Echtstart - erfolgen. Die 2. Phase (Analyse) schloss die Installation der Standardsoftware mit einer vereinbarten Grundkonfiguration ein.

Als Bestandteil des Projektvertrags sind in seiner Ziff. 1 die System Requirements Specifications (im Folgenden: SRS-Dokument) der Klägerin vom 21. September 2018 genannt. Dieses Dokument diente als Grundlage für die von der Klägerin durchgeführten Ausschreibung des ERP-Systems. Es beschreibt einzelne Anforderungen der Klägerin, deren Akzeptanz die Beklagte mit „ja“ oder deren Ablehnung sie mit „nein“ kennzeichnen konnte. Zudem konnte die Beklagte zu jeder Anforderung einen Kommentar hinterlegen. In mehreren Kommentarfeldern findet sich ein von der Beklagten angebrachter Vermerk „Kein Werk(lieferungs)vertrag“. Für den Inhalt des SRS-Dokuments wird im Übrigen auf die Akte (Anlage K4 im Anlagenband) Bezug genommen.

Der Projektvertrag sah in Ziff. 1 den Vorrang der Regeln des Projektvertrags vor dem SRS-Dokument vor. Im Projektvertrag sind unter Ziff 5. Abweichungen vom SRS-Dokument geregelt.  So ist in Ziff 6.1 der Ziff. 5 des Projektvertrags unter der Überschrift „Abgrenzung des Liefer- und Leistungsumfangs“ vorgesehen, dass Vertragsgegenstand das spezifizierte ERP-System sein solle. Beinhaltet seien die Installation sowie Unterstützungsdienstleistungen zur Einrichtung des ERP-Systems, die Anbindung selektierter Fremdsysteme an das ERP-System gemäß den Vorgaben des Auftraggebers und die Unterstützung durch Individualentwicklung bei der Einrichtung und Pflege der Schnittstellen zur Datenübertragung sowie die Einräumung dauerhafter Nutzungsrecht von näher genannter Standardsoftware. Darüber hinaus seien die Mitarbeiter der Klägerin zu schulen. Die Funktionalitäten der Standardsoftware und die an sie zu stellenden Anforderungen seien dem beigefügten SRS-Dokument zu entnehmen; diese Funktionalitäten und Anforderungen gälten als Beschaffenheit, soweit auf die Standardsoftware anwendbar.

In Ziff. 7 der Ziff. 5 des Projektvertrags ist vorgesehen, dass die Erreichung der Projektziele an der Erfüllung der Anforderungen aus dem SRS-Dokument gemessen werde.

In Ziff. 9 der Ziff. 5 des Projektvertrags mit der Überschrift „Auslegungshinweis“ ist festgehalten, dass zum Vertragsabschluss wesentliche Elemente des finalen ERP-Systems noch unklar seien. Deshalb seien sich die Parteien ungeachtet der Formulierungen im Vertrag und seinen Anlagen einig, dass für die genannten Leistungen „keine [sic] Werklieferungsvertrag beabsichtigt ist bzw. [die Beklagte] keine Ergebnisverantwortung in Bezug auf das ERP-System insgesamt hat“.

Gemäß Ziff. 1 des Projektvertrags waren auch die Geschäftsbedingungen der Beklagten über Lieferungen und Leistungen (Anlage K8 im Anlagenband, im Folgenden: Beklagten-AGB) mit nach dem Projektvertrag und dem SRS-Dokument nachrangiger Geltung Vertragsbestandteil. In Ziff. 6 des Projektvertrags sind dort näher ausgeführte Änderungen der Beklagten-AGB vereinbart.

Unter Ziff. 1.1 der Beklagten-AGB ist ausgeführt, dass die Beklagte Waren (einschließlich Software) nur auf Grundlage der AGB verkaufe, erstelle, liefere und installiere. Nach Ziff. 6.2 S. 2 der Beklagten-AGB gelten Lieferfristen als eingehalten, wenn die Erstellung und/oder Installation, je nach vereinbartem Leistungsgegenstand, innerhalb der vereinbarten Frist erfolgt. Nach Ziff. 3 der Beklagten-AGB konnte die Klägerin bei Verzug der Beklagten mit einer Teillieferung nur vom Vertrag insgesamt zurücktreten, wenn die übrigen Liefer- und Leistungsteile für sich alleine wirtschaftlich nicht sinnvoll nutzbar waren. Zu Sach- und Rechtsmängeln ist in Ziff. 7.6 der Beklagten-AGB geregelt, dass die Klägerin im Falle eines Sach- oder Rechtsmangels bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen unter anderem vom Vertrag zurücktreten könne, wenn eine Nacherfüllung binnen einer von der Klägerin gesetzten, angemessenen Frist nicht gelinge oder die Fristsetzung entbehrlich oder unzumutbar sei.

Nach der ursprünglichen zeitlichen Planung sollten die 4. Phase (Implementierung) Ende September 2019 und die 6. Phase (Echtstart) im Januar 2020 abgeschlossen sein.

Nachdem Verzögerungen eingetreten waren, vereinbarten die Parteien einen neuen Projektplan, der unter anderem die Lieferung und Installation der Standardsoftware am 30. August 2019 zum Gegenstand hatte.

In einer Besprechung am 22. Oktober 2019 wurde von Seiten der Klägerin auf die erneute Nichteinhaltung von Terminen hingewiesen und ein unkalkulierbarer finanzieller Aufwand befürchtet. Herr A, ein Vorstand der Klägerin, erklärte einen Projektstopp.

Mit Schreiben vom 23. Oktober 2019 (Anlage K45 im Anlagenband) führte Herr A unter dem Betreff „Letzte Fristsetzung“ aus, dass die Beklagte zahlreiche Pflichten aus dem Projektvertrag und/oder dem am 30. August 2019 verabschiedeten Projektplan nicht oder nur sehr schlecht erfüllt habe. Das „Konzept: Freigabe HR Schnittstelle X3" sei bis zum 24. September 2019 fertigzustellen gewesen. Insofern in der Vergangenheit vorgelegte Dokumente seien unzureichend gewesen und als solche gerügt worden. Das „Konzept: Freigabe Konzept Konfigurator/Webshop" sei bis zum 7. Oktober 2019 zu liefern gewesen. Auch insofern seien in der Vergangenheit vorgelegte Dokumente unzureichend gewesen und als solche gerügt worden. Für das „Konzept: Freigabe Konzept Anbindung Tankstelle" seien Dokumente vorgelegt worden, die bereits im Ansatz keinen Konzeptcharakter aufgewiesen hätten, jedenfalls aber aufgrund von Unzulänglichkeiten unbrauchbar gewesen seien. Auch dies sei durch die Klägerin gerügt worden. Bis zum 10. September 2019 sollten sämtliche Systeme bereits installiert gewesen sein. Dies sei ebenfalls nicht geschehen. Insbesondere sei die Software „ProcessWeaver“ - bei der es sich nach übereinstimmender Erläuterung der Parteien im Senatstermin am 2. Mai 2024 um einen Teil der Standardsoftware handelt - noch nicht installiert. Die Klägerin setzte der Beklagten eine Frist bis zum 4. Oktober 2019, um die drei genannten Konzepte vollständig und freigabefähig vorzulegen und die Installation ordnungsgemäß durchzuführen. Etwaige Anfragen wegen benötigter Informationen oder Mitwirkungshandlungen sollten an den klägerischen Mitarbeiter Herrn C per E-Mail gerichtet werden. Für den weiteren Inhalt des Schreibens wird auf die Anlage K45 (im Anlagenband) Bezug genommen.

Mit E-Mail vom 24. Oktober 2019 (Anlage K47 im Anlagenband) teilte Herr E, ein Prokurist der Beklagten, Herrn A mit, dass die Prüfung und Beratung des Schreibens bis Ende der Folgewoche erfolgen werde. Zudem seien - wie von der Klägerin gewünscht - der Projektverlauf unterbrochen und alle projektbezogenen Aktivitäten und Termine bis dahin ausgesetzt.

In einer E-Mail vom selben Tag (Anlage K48 im Anlagenband) führte Herr A aus, dass das Schreiben vom 23. Oktober 2019 der Beklagten die letztmalige Möglichkeit einräume, ein Scheitern des Projekts abzuwenden. Dafür sei es erforderlich, dass die Beklagte die in dem Schreiben dargestellten Leistungen binnen der gesetzten Frist erfülle. Diese Frist werde durch die von der Beklagten angekündigte Beantwortung des Schreibens nicht berührt, und die Aufforderung zur Leistungserbringung werde aufrechterhalten.

Mit E-Mail vom 28. Oktober 2019 (Teil der Anlage K49 im Anlagenband) teilte der Mitarbeiter der Beklagten Herr B dem Mitarbeiter der Klägerin Herrn C einen Terminplan mit, der die Installation der Software ProcessWeaver für den 4. und 5. November 2019 und die Finalisierung der Konzepte bis zum 18. November 2019 vorsah. In einer E-Mail vom 29. Oktober 2019 (Anlage B7 im Anlagenband I) teilte Herr B Herrn C mit, dass die Installation am Montag, den 4. November 2019, fertiggestellt wäre, wenn am vorherigen Donnerstag, dem 31. Oktober 2019, mit ihr begonnen würde.

In einer E-Mail vom 29. Oktober 2019 (Anlage K50 im Anlagenband), verfasst von Herrn A und gerichtet an die Herren E und D von der Beklagten, nahm Herr A auf die E-Mail des Herrn B vom 28. Oktober 2019 Bezug und stellte fest, dass es „auf Arbeitsebene“ bei der Beklagten eine Einschätzung des Zeitplans gegeben habe, die nicht mit der gesetzten Frist in Einklang stehe. Herr A bat um umgehende Rückmeldung, ob die Beklagte bereit und in der Lage sei, die im Schreiben vom 23. Oktober 2019 gesetzte Frist zu erfüllen. Diese E-Mail versandte Herr A rund drei Stunden nach dem Zeitpunkt, zu dem Herr B die vorstehende genannte E-Mail an Herrn C (Anlage B7 im Anlagenband I) versandt hatte.

Mit Schreiben vom 1. November 2019 (Anlage K52) widersprach die Beklagte der Fristsetzung im Schreiben vom 23. Oktober 2019. Sie vertrat die Ansicht, bei den Konzepten handele es sich nicht um Werkleistungen. Vielmehr müssten die Ergebnisse gemeinsam erarbeitet werden. Die bisher erbrachten Leistungen erfüllten die vertraglichen Bedingungen. Die eingetretenen Verzögerungen hätten ihren Grund insbesondere darin, dass der Mitarbeiter Herr C der Klägerin seiner Aufgabe als Projektleiter nicht hinreichend nachkomme. Die Beklagte bot an, die drei Konzepte und die Installation der ProcessWeaver-Software bis zum 22. November 2019 zur Zufriedenheit der Klägerin abzuschließen. Voraussetzungen seien - neben weiteren genannten -, dass der Projektstopp aufgehoben werde und bestehende und zukünftig auftauchende Fragen unter genauer genannten Bedingungen beantwortet würden. Für den Fall, dass die drei Konzepte und die Softwareinstallation nicht bis zum genannten Datum zur Zufriedenheit der Klägerin abgeschlossen würden, bot die Beklagte die Zahlung einer Vertragsstrafe von 50.000 € an.

Mit Schreiben vom 4. November 2019 (Anlage K53 im Anlagenband) wies die Klägerin die Verantwortlichkeit für die Verzögerungen zurück. Der Projektstopp habe sich spätestens aufgrund der Fristsetzung und der nachfolgenden Korrespondenz erledigt. Einer Fristverlängerung bis zum 22. November 2019 werde nicht zugestimmt.

In einer E-Mail vom 4. November 2019 (Teil der Anlage K51 im Anlagenband) teilte der Mitarbeiter B von der Beklagten Herrn C von der Klägerin mit, dass er für den Nachmittag die weitere Vorgehensweise bzw. das endgültige Ausfüllen des Fragebogens mit der Klägerin und den „Leuten von ProcessWeaver“ eingeplant habe. Zudem stellte Herr B die Frage, ob an der „Grundstruktur“ der Konzepte „Tankstelle“ und „HR Schnittstelle X3“ weitergearbeitet werden solle, da für das Konzept „Konfi/Webshop“ Feedback vom Fachbereich benötigt werde. Mit E-Mail vom 5. November 2019 (Anlage K51 im Anlagenband) fragte Herr B Herrn C, ob es etwas Neues gebe, da er keine Antwort erhalten habe. Die Kollegen von ProcessWeaver seien auf unbestimmte Zeit vertröstet worden. An den drei Konzepten werde weitergearbeitet, soweit dies ohne Rücksprache mit den Fachbereichen möglich sei.

Mit E-Mail vom 5. November 2019 rügte Herr B gegenüber Herrn J die „fehlende Erbringung der Mitwirkungspflicht“. Aufgrund des am 22. Oktober 2019 verkündeten Projektstopps seien eine Vielzahl von Fragen durch die Klägerin nicht beantwortet worden und sonstige Mitwirkungspflichten seien nicht erbracht worden. Gerügt wurden unter anderem fehlende Antworten auf Fragen zum Konzept „Konfigurator/Webshop“, die seit dem 29. Oktober 2019 offen seien. Auch der Fragebogen zur Software ProcessWeaver müsse ausgefüllt werden.

Mit Schreiben vom 6. November 2019 erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Projektvertrag und forderte die Rückzahlung bereits im Zusammenhang mit dem Vertrag an die Beklagte geleisteter 244.379,15 € bis zum 15. November 2019.

Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe die vereinbarte Standardsoftware nicht geliefert und - unstreitig - nicht installiert. Die als Voraussetzung für den Beginn der konkreten Implementierung des ERP-Systems zu erstellenden Konzepte hätte die Beklagte trotz vielfacher Abstimmungen nicht in brauchbarer Form geliefert. Die Konzepte seien nicht über Entwurfsstadien, die weder final noch brauchbar gewesen seien, hinausgekommen. Da die Standardsoftware noch nicht vollständig installiert gewesen sei, habe die Beklagte nach ihrer Methode noch nicht einmal mit der Erstellung der Konzepte, welche für die Implementierung notwendig gewesen seien, beginnen können.

Der am 22. Oktober 2019 erklärte Projektstopp habe nur weitere Eigenleistungen der Klägerin betreffen können und sei nicht als „Leistungshindernis" für die Beklagte zu instrumentalisieren.

Innerhalb der gesetzten Nachfrist sei nur am 1. November 2019 ein Konzept „HR Schnittstelle X3“ übermittelt worden, das allein Kommentare der Klägerin beantwortet oder gegenkommentiert hätte.

Die Beklagte habe Zahlungen von insgesamt 205.360,63 € für Lizenzen und Beratung zu erstatten. Außerdem habe sie als Schadensersatz neben und statt der Leistung außergerichtliche Anwaltskosten i. H. v. 7.693,40 €, nämlich eine 1,8-fache Gebühr aus einem Gegenstandswert von 824.209,70 € nebst Auslagenpauschale von 20,00 € zu erstatten. Die Gebühr sei nicht unbillig festgesetzt.

Die Klägerin hatte ursprünglich im Urkundenverfahren auf Zahlung von 824.209,70 € nebst außergerichtlichen Anwaltskosten von 7.693,40 €, jeweils zuzüglich Prozesszinsen, und auf Feststellung geklagt, dass die Beklagte der Klägerin sämtliche weitergehenden Schäden zu ersetzen habe, die aufgrund des Projektvertrages und seiner Beendigung künftig entstünden.

Die Klägerin hat nach Klageänderungen und teilweiser Abstandnahme vom Urkundenprozess zuletzt beantragt,

die Beklagte im Urkundenprozess zu verurteilen, an die Klägerin 205.360,63 € nebst außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 7.693,40 €, jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage, zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise ihr die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorzubehalten.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Urkundenprozess sei unstatthaft. Der Rücktritt vom 6. November 2019 sei unwirksam. Die Beklagte habe die gewünschten Konzepte geliefert und die Installation der Software ProcessWeaver tatsächlich angeboten. Am 4. Oktober 2019 habe sie das fehlerfreie Konzept „Konfigurator/Webshop“, am 7. Oktober 2019 das fehlerfreie Konzept „HR Schnittstelle X3“ und am 18. Oktober 2019 das fehlerfreie Konzept „Anbindung QS/Tankstelle“ geliefert. Die Installation der Software ProcessWeaver sei mit E-Mail vom 29. Oktober 2019 dergestalt angeboten worden, dass sie in der gesetzten Frist abgeschlossen gewesen wäre.

In der öffentlichen Sitzung am 6. Mai 2022 hat die Beklagte eine Verletzung von § 593 Abs. 2 S. 2 ZPO gerügt. Sie hat geltend gemacht, dass ihr der klägerische Schriftsatz vom 22. April 2022 (Bl. 355-387 d. A.) nebst den als Anlagen beigefügten Abschriften von Urkunden erst am 2. Mai 2022 zugegangen sei. Zudem seien die ihm beigefügten Anlagen K103-106 und K108-111 keine Abschriften im Rechtssinne, da sie nicht im Original „entsprechend verkleinert worden seien und nicht lesbar [seien]“. Die Klägerin ist daraufhin teilweise vom Urkundenprozess abgestanden. Die Beklagte hat auch nach der teilweisen Abstandnahme die Rüge nach § 593 Abs. 2 ZPO aufrechterhalten. Die Klägerin hat sodann die vorstehend wiedergegebenen Anträge gestellt.

Mit am 12. Juli 2022 verkündetem Beschluss, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 438f. d. A.), hat das Landgericht die Ansprüche, hinsichtlich derer die Klägerin vom Urkundenprozess abgestanden ist, gemäß § 145 Abs. 1 S. 1 ZPO abgetrennt.

Mit am selben Tag verkündetem Urteil hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 205.360,63 € nebst Prozesszinsen verurteilt und ihr die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten. Hinsichtlich der außergerichtlichen Anwaltskosten hat es die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage zulässig sei. Dass die Beklagte die Rüge nach § 593 Abs. 2 ZPO erhoben habe, habe nicht zur Folge, dass die Klägerin auch unstreitige Umstände mit Urkunden zu belegen habe. Das unterbliebene Beifügen von Urkunden sei nur dann relevant, wenn die Urkunden beweiserheblich seien. Die Begründung ist im Wesentlichen wortgetreu aus Musielak/Voit/ders., ZPO, 19. Aufl. 2022, § 592 Rn. 11, entnommen.

Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Rückgewähr von 205.360,63 € gemäß §§ 323 Abs. 1, 346 Abs. 1 BGB zu.

Die Beklagte habe die zum 30. August 2019 fällige Leistung der Installation der Standardsoftware nicht binnen der von der Klägerin bis zum 4. November 2019 gesetzten Nachfrist erbracht. Es sei insofern der 30. August 2019 als fester Termin vereinbart gewesen; dieser sei von der Beklagten nicht eingehalten worden. Mit Schreiben vom 23. Oktober 2019 (Anlage K45) sei unter anderem für diese Leistung eine Frist bis zum 4. November 2019 gesetzt worden. Die Software sei auch binnen dieser Nachfrist nicht installiert worden.

Der Einwand der Beklagten, sie habe die Installation in Annahmeverzug begründender Weise angeboten, greife nicht durch. Soweit die Beklagte unter dem 28. Oktober 2019 und dem 29. Oktober 2019 um einen Ansprechpartner gebeten habe, um die Installation bis Freitag, 1. November 2019, fertigstellen zu können, sei die hierauf unterbliebene Reaktion der Klägerin ohne Bedeutung. Denn am 28. Oktober 2019 sei die Installation für den 4. November 2019 und den 5. November 2019 angekündigt worden und habe zudem von der Verfügbarkeit von ProcessWeaver Consultants abgehangen. Soweit in der E-Mail des Herrn B vom 29. Oktober 2019 (Anlage B7 im Anlagenband I) eine Installation bis zum 4. November 2019 unter der Bedingung in Aussicht gestellt worden sei, dass die Klägerin spätestens bis zum 31. Oktober 2019 erforderliche Mitwirkungshandlungen erbringe, sei dies der Klägerin nicht zuzumuten gewesen. Denn die Klägerin habe mit E-Mail vom 29. Oktober 2019 (Anlage K50 im Anlagenband) um umgehende Rückmeldung gebeten, ob die Beklagte in der Lage und bereit gewesen sei, die ihr gesetzte Frist zu erfüllen. Hierauf hab die Klägerin keine Antwort erhalten.

Unerheblich sei, ob die vorgelegten Konzepte abnahmefähig gewesen seien. Die Beklagte habe sich insofern zu einer Nachbesserung bereit erklärt, weshalb die Klägerin davon habe ausgehen dürfen, dass auch die Beklagte die Konzepte für nachbesserungsbedürftig gehalten habe. Vor diesem Hintergrund habe die Klägerin davon ausgehen müssen, dass die beklagtenseits geforderte Mitwirkung angesichts des Umstands, dass die Beklagte die zur Nachbesserung gesetzte Frist nicht einhalten werde, obsolet gewesen sei.

Die auf 12 Tagen bemessene Nachfrist sei angemessen gewesen. Der am 22. Oktober 2019 verkündete Projektstopp sei mit der Nichteinhaltung erneut vereinbarter Termine begründet worden. Die Beklagte habe damit rechnen müssen, dass der Projektstopp sie nicht davon habe entbinden sollen, umgehend die geschuldeten Leistungen zu erbringen. Soweit die Beklagte mit der E-Mail vom 24. Oktober 2019 (Anlage K47) mitgeteilt habe, bis Ende der Folgewoche eine umfängliche Antwort zu senden und bis dahin den Projektverlauf zu unterbrechen, habe sie selbst dazu beigetragen, dass weitere Zeit ungenutzt verstrichen sei. Da der ursprüngliche Abschluss der Implementierung des Systems für Ende September 2019 und der Echtbetrieb für Januar 2020 vorgesehen gewesen sei und da noch nicht einmal die 2. Phase, die bis zum 30. August 2019 zu erbringen gewesen wäre, durchgeführt worden sei, sei eine Nachfrist von 12 Tagen nicht zu beanstanden.

Prozesszinsen seien nach §§ 291, 288 Abs. 1 BGB geschuldet.

Der Klägerin stehe jedoch kein Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu. Es sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin den begehrten Betrag an den Klägervertreter bezahlt habe und ihr der geltend gemachte Schaden überhaupt entstanden sei.

Für die weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf das landgerichtliche Urteil (Bl. 422-437 d. A.) Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Mit ihr macht die Beklagte geltend, das Landgericht habe gegen § 593 Abs. 2 ZPO verstoßen. Bei zutreffender Anwendung der Vorschrift wäre die Klage als im Urkundenprozess unstatthaft abzuweisen gewesen. Gegen die Vorschrift sei in zweifacher Hinsicht verstoßen wurden. Zum einen sei der klägerische Schriftsatz vom 22. April 2022 der Beklagten erst am 2. Mai 2022 zugestellt worden. Die mündliche Verhandlung habe bereits am 6. Mai 2022 stattgefunden. Zum anderen seien die Unterlagen K103-K106 und K108-K111 nicht lesbar gewesen und stellten deshalb keine Urkunden im Rechtssinn dar. Die Teilabstandnahme vom Urkundenprozess habe den Verstoß gegen § 593 Abs. 2 ZPO nicht zu heilen vermocht. Es handele sich um eine Regelung zur ordnungsgemäßen Ladung i. S. v. § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Ob eine Tatsache streitig oder unstreitig bleibe, ergebe sich erst aus der mündlichen Verhandlung. Bereits das Reichsgericht, Urt. v. 17.11.1919 - VI 270/19, habe dargelegt, dass die fristgemäße Zustellung vor der letzten mündlichen Verhandlung zu erfolgen habe. Die später erfolgte Prozesstrennung könne den Verstoß gegen § 593 Abs. 2 ZPO nicht heilen. Es handele sich um einen Fall der nicht ordnungsgemäßen Ladung. So wie die Ladung einheitlich erfolge, sei auch der Verstoß gegen § 593 Abs. 2 ZPO einheitlich zu bewerten. Aus § 597 Abs. 2 ZPO folge, dass bei Nichtbeachtung der einschlägigen Formvorschriften die Klage als im Urkundenprozess unstatthaft abzuweisen sei.

Die Rücktrittsvoraussetzungen lägen nicht vor. Das Landgericht habe übersehen, dass die Parteien einen Dienstvertrag geschlossen hätten. Dies sei im Projektvertrag ausdrücklich geregelt. Auch im SRS-Dokument sei wiederholt und fortlaufend festgehalten worden, dass es sich nicht um einen Werkvertrag bzw. einen Werklieferungsvertrag handele. Die Beklagte habe mithin ein pflichtgemäßes Tätigwerden, nicht jedoch einen konkreten Erfolg geschuldet.

Die Beklagte habe die von ihr geschuldeten Leistungen tatsächlich angeboten.

Mit Schreiben vom 23. Oktober 2019 (Anlage K45 im Anlagenband) sei eine Frist bis zum 4. November 2019 gesetzt worden, um vier Leistungen - nämlich die Lieferung der Konzepte HR Schnittstelle X3, Konfigurator/Webshop und Anbindung Tankstelle sowie die Installation der Software ProcessWeaver - zu erbringen. Das Landgericht sei davon ausgegangen, dass sich die Nachbesserungsbedürftigkeit der Konzepte daraus ergebe, dass sich die Beklagte zur Nachbesserung bereit erklärt habe. Die vertragsgemäße Erbringung einer Leistung sei jedoch eine objektiv zu bestimmende Tatsache. Unstreitig habe die Beklagte vor dem 4. November 2019 die Konzepte vorgelegt. Die Klägerin habe keinen substantiierten Vortrag zur angeblichen Fehlerhaftigkeit geleistet. Tatsächlich hätten die Konzepte die vorzunehmenden Tätigkeiten und Einstellungen zutreffend beschrieben. Sie könnten deshalb nicht herangezogen werden, um eine angebliche Nicht-, Fehl- oder Minderleistung zu begründen. Die Bereitschaft der Beklagten, die Konzepte weiter anzupassen, habe lediglich ihren vertraglichen Dienstverpflichtungen entsprochen. Auch das Landgericht habe konkrete Fehler der Konzepte nicht festgestellt.

Die Installation der Software ProcessWeaver sei ebenfalls ordnungsgemäß angeboten worden. Die Klägerin habe am 22. Oktober 2019 einen Projektstopp erklärt und mit Schreiben vom 23. Oktober 2019 (Anlage K45 im Anlagenband) Herrn C als Ansprechpartner für die Beklagte bis zum 4. November 2019 bindend vorgegeben. In der E-Mail vom 28. Oktober 2019 (Teil der Anlage K49 im Anlagenband) sei eine Installation am 4. und 5. November 2019 offeriert worden, und in der E-Mail vom 29. Oktober 2019 (Anlage B7 im Anlagenband I) habe Herr B Herrn C die fristgemäße Installation bis zum 4. November 2019 ordnungsgemäß angeboten. Dieses Angebot habe das vorherige Angebot, die Installation am 4. und 5. November 2019 durchzuführen, ersetzt. Dass der 1. November 2019 am Sitz der Klägerin in X ein gesetzlicher Feiertag gewesen sei, sei unerheblich, da in der E-Mail vom 29. Oktober 2019 (Anlage B7 im Anlagenband I) der Beginn der Installation bereits für den 31. Oktober 2019 vorgesehen gewesen sei. Die Klägerin habe die Installation verhindert, weil sie die für die Installation erforderlichen Informationen nicht erteilt und den notwendigen Zugriff auf Ihre Systeme nicht eröffnet habe.

Soweit das Landgericht die Auffassung vertreten habe, dass die E-Mail des Herrn B vom 29. Oktober 2019 unbeachtlich sei, da in einer E-Mail vom 29. Oktober 2019 (Anlage K50 im Anlagenband), verfasst von Herrn A und gerichtet an die Herren E und D, um umgehende Rückmeldung zur Einhaltung der gesetzten Frist gebeten worden sei, sei dies unzutreffend, da die E-Mail nicht von Herrn C - der als Ansprechpartner benannt worden sei - gestammt habe. Die Beklagte habe diesen Kommunikationsweg beachtet. Wegen des Projektstopps und der Vorgabe des Kommunikationswegs könne sich die Klägerin nicht auf die Frage zur Einhaltung der Frist aus der E-Mail vom 29. Oktober 2019 (Anlage K50 im Anlagenband) berufen.

Die landgerichtliche Auffassung, eine etwaig fehlende Mitwirkung der Klägerin ginge zulasten der Beklagten, verkenne, dass die Beklagte keine Erfolgsverantwortung trage. Sie habe ihre Tätigkeiten nur anbieten müssen. Die Herstellung der Umsetzungsfähigkeit der Installation der Software ProcessWeaver habe ausschließlich der Klägerin oblegen. Zudem sei die Zumutbarkeit gemäß § 241 Abs. 2 BGB unzutreffend bestimmt worden. Durch den Projektstopp und die Vorgabe des Kommunikationsweges habe die Klägerin alle Bestimmungen getroffen. Sie können sich deshalb nicht darauf berufen, auf einem anderen Kommunikationsweg ebenfalls eine Information zu einer Mitwirkungsleistung gefordert zu haben.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12. Juli 2022, Az. 3-14 O 70/20,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Klage als im Urkundenprozess unstatthaft abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht ordnungsgemäß begründet worden sei. Die Berufungsbegründung enthalte keine konkrete Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des Ersturteils; Rechtsverletzungen und deren Erheblichkeit für das Ersturteil würden nicht angegeben.

Ein Verstoß gegen § 593 Abs. 2 ZPO sei für das hiesige Berufungsverfahren, das nur einen abgetrennten Teil des ursprünglichen Prozesses betreffe, unerheblich. Denn durch die Prozesstrennung seien zwei selbstständige, voneinander unabhängige Verfahren entstanden. Für den vorliegenden, selbstständig gewordenen Teil des Prozesses seien alle relevanten Urkunden unstreitig rechtzeitig zugestellt und zum Teil sogar durch die Beklagte selbst eingereicht worden. Auf die Zustellung von Urkunden komme es zudem überhaupt nur an, wenn sie beweiserheblich seien. Dies sei bei den von der Berufung gerügten Urkunden in den Anlagen K103-K106 und K108-K111 für den hiesigen Streitstoff nicht der Fall.

Im Übrigen verteidigt die Klägerin das landgerichtliche Urteil im Umfang der Klagestattgabe unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Insbesondere macht sie geltend, während der gesetzten Nachfrist sei einzig das Konzept „HR Schnittstelle X3“ übergeben worden. Es habe sich jedoch auf einem Stand vor der Nachfristsetzung befunden und keine Überarbeitungen, sondern nur Kommentare der Beklagten enthalten. Während der Nachfrist habe die Beklagte allein das Konzept „Konfigurator/Webshop“ in geringem Umfang bearbeitet, ohne dass dieses Konzept jemals übergeben worden sei. An den anderen beiden Konzepten sei nicht gearbeitet worden.

Dass die Konzepte nicht endgültig, sondern nachbesserungsbedürftig gewesen seien, sei urkundlich belegt. Die Beklagte habe mit E-Mail vom 28. Oktober 2019 (Teil der Anlage K49 im Anlagenband) die Finalisierung der Konzepte bis zum 18. November 2019 - und damit nicht innerhalb der ihr bis zum 4. November 2019 gesetzten Frist - angeboten, um sodann mit Schreiben vom 1. November 2019 (Anlage K52) zu versuchen, diese Nachfrist bis zum 22. November 2019 zu „verlängern“. Die Bitte vom 29. Oktober 2019, umgehend mitzuteilen, ob die Frist bis zum 4. November 2019 eingehalten werde, sei ignoriert worden. Noch mit E-Mail vom 5. November 2019 (Anlage K51) habe die Klägerin mitgeteilt, dass an den Konzepten gearbeitet werde. Dem korrespondierend weise auch die Tätigkeitsaufstellung des Mitarbeiters F der Beklagten für den Zeitraum vom 29. Oktober 2019 bis zum 2. November 2019 aus, dass an dem Konzept „Konfiguration/Webshop“ gearbeitet worden sei.

Vor diesem Hintergrund sei das rechtliche Argument der Beklagten, es liege ein Dienstvertrag vor, nach dem kein Erfolg geschuldet sei, unbehelflich. Denn die Verpflichtung zur Fertigstellung der Konzepte sei durch die Beklagte wiederholt bestätigt und i. S. v. § 781 BGB i. V. m. § 350 HGB anerkannt worden. Unabhängig von der vertragstypologischen Einordnung des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien habe die Beklagte ihre Hauptleistungspflichten nicht erfüllt.

Auf die unterbliebene Installation der Software ProcessWeaver komme es wegen der nicht gelieferten Konzepte nicht an. Einer Nachfristsetzung habe es deshalb nicht bedurft. Die Software sei außerdem während der Nachfrist nicht geliefert und installiert worden. Auch sei ihre fristgemäße Installation nicht angeboten worden. Die in der E-Mail vom 28. Oktober 2019 (Teil der Anlage K49 im Anlagenband) am 4. und 5. November 2019 angebotene Installation sei nicht fristgerecht gewesen. Soweit in der E-Mail vom 29. Oktober 2019 (Anlage B7 im Anlagenband I) eine Installation bis zum 4. November 2019 angeboten worden sei, habe dies unter der Prämisse gestanden, dass die Klägerin der Beklagten am 1. November 2019 Zugriff auf ihre Systeme ermöglichen könnte. Der 1. November 2019 sei jedoch am Sitz der Klägerin in X ein gesetzlicher Feiertag, sodass eine Installation an diesem Tag rechtlich nicht möglich gewesen sei. Zudem habe die Klägerin am 29. Oktober 2019 die Prokuristen der Beklagten darauf hingewiesen, dass die zuvor avisierte Installation bis zum 5. November 2019 nicht der gesetzten Frist entspreche und um umgehende Rückmeldung gebeten. Diese Bitte sei ignoriert worden.

Soweit die Berufung darauf rekurriere, dass Äußerungen des Herrn A als Vorstand der Klägerin irrelevant seien, weil die Klägerin im Rahmen der Nachfristsetzung vom 23. Oktober 2019 (Anlage K45 im Anlagenband) ihren Mitarbeiter Herrn C als Ansprechpartner benannt habe, werde in dem Schreiben nur gebeten, wegen etwaig benötigter Informationen oder Mitwirkungshandlungen Herrn C zu kontaktieren. Hieraus sei nicht zu folgern, dass nur noch Herr C im Vertragsverhältnis der Parteien relevante Erklärungen für die Klägerin habe abgeben können.

Die Klägerin hat zudem Anschlussberufung eingelegt.

Sie ist der Auffassung, die außergerichtlichen Anwaltskosten seien unter Verzugsgesichtspunkten zu erstatten. Die Höhe der Anwaltskosten sei in der Klageschrift, S. 58 (Bl. 58 f. d. A.), auf Basis des zutreffenden Streitwerts berechnet. Der Ansatz einer 1,8-fachen Gebühr sei gerechtfertigt. Die Klägerin habe für die außergerichtliche Tätigkeit im Monat Februar 2020 10.409,44 € an ihre nunmehrigen Prozessbevollmächtigten bezahlt. Dies ergebe sich aus der Kostenrechnung nebst „bezahlt-Vermerk“ vom 9. April 2020 (Anlage K112 = Bl. 528 d. A.). Der Umstand, dass zuvor bereits eine andere Anwaltssozietät mit der vorprozessualen Interessenwahrnehmung beauftragt gewesen und tätig geworden sei, stehe dem nicht entgegen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12. Juli 2022 abzuändern und die Beklagte zusätzlich zu verurteilen, an die Klägerin weitere 7.693,40 € zuzüglich Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, die Klägerin habe sich bereits im Dezember 2019 durch eine andere Rechtsanwaltssozietät - Rechtsanwälte G Rechtsanwälte Part mbB - vertreten lassen. Die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, ihre anwaltliche Vertretung zu wechseln und hierfür die Kosten von der Beklagten zu verlangen. Allenfalls bestünde ein Anspruch auf Erstattung der Anwaltskosten, die durch die Beauftragung der Rechtsanwälte G Rechtsanwälte Part mbB entstanden seien.

II.

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Soweit die Beklagte eine nicht hinreichende Begründung der Berufung rügt, dringt sie nicht durch.

Nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Der Berufungskläger hat deshalb diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen er die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet (BGH, NJW-RR 2019, 937 Rn. 13 m. w. N.; vgl. auch Thomas/Putzo/Seiler, 45. Aufl. 2024, § 520 Rn. 20).

Dem wird die Berufungsbegründung der Beklagten gerecht. Sie setzt sich mit den einzelnen, die Entscheidung begründenden Argumenten des Landgerichts auseinander und legt dar, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen sie sie für unzutreffend erachtet.

2. Die Berufung ist unbegründet.

a) Zwar liegt ein Verstoß gegen § 593 Abs. 2 ZPO vor. Auf dieser Rechtsverletzung beruht jedoch das angefochten Urteil nicht.

aa) Werden im Urkundenprozess einem vorbereitenden Schriftsatz Abschriften von Urkunden beigefügt, muss gemäß § 593 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. und S. 2 i. V. m. § 274 Abs. 3 S. 1 ZPO zwischen der Zustellung des Schriftsatzes und dem Termin zur mündlichen Verhandlung ein Zeitraum von zwei Wochen liegen. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, dem Prozessgegner die Möglichkeit zu geben, die neu vorgelegten Urkunden in Bezug auf Echtheit, Inhalt und Beweiserheblichkeit sorgfältig zu prüfen (RG, Urt. v. 8.10.1926 - II 163/26, RGZ 114, 365, 371), es ihm zu ermöglichen, sich um den Gegenbeweis durch Urkunden zu bemühen (MüKo-ZPO/Braun/Heiß, 6. Aufl. 2020, § 593 Rn. 4; Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 593 Rn. 7 und 13; Wieczorek/Schütze/Olzen, 4. Aufl. 2013, § 593 Rn. 10), und sich damit darauf einstellen zu können, dass er seine Einwendungen nur in der nach § 598 ZPO statthaften Form beweisen kann (MüKo-ZPO/Braun/Heiß, 6. Aufl. 2020, § 593 Rn. 7).

Werden die Urkunden entgegen § 593 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt und rügt der Beklagte dies, ist zu vertagen (RG, RGZ 114, 365, 371; Anders/Gehle/Gehle, ZPO, 82. Aufl. 2024, § 593 Rn. 11; BeckOK-ZPO/Kratz, 51. Ed. 1.12.2023, § 593 Rn. 10; Musielak/Voit/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 593 Rn. 6; Saenger/Siebert, ZPO, 10. Aufl. 2023, § 593 Rn. 4; Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 593 Rn. 11; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 45. Aufl. 2024, § 593 Rn. 4; Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 593 Rn. 7 ebenso Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 164 Rn. 18 bei erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Urkunden).

Teilweise wird - ohne weitere inhaltliche Begründung - vertreten, dass die Klage nach § 597 Abs. 2 ZPO abzuweisen sei, wenn eine Vertagung ausscheide oder der Kläger sie nicht beantrage (MüKoZPO/Braun/Heiß, 6. Aufl. 2020, ZPO § 593 Rn. 7 (Vertagung auf „Bitten“ des Klägers); Musielak/Voit/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 593 Rn. 6 (Vertagung „in der Regel“ auf Antrag des Klägers); Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 593 Rn. 7). Es ist jedoch bereits abstrakt nicht ersichtlich ist, unter welchen Umständen eine - von Amts wegen anzuordnende - Vertagung nach § 227 ZPO nicht in Betracht kommen oder ausscheiden können soll (BeckOK-ZPO/Kratz, 52. Ed. 1.3.2024, § 593 Rn. 10) bzw. weshalb bei einer Verletzung des § 593 Abs. 2 ZPO eine Terminsänderung - die nach allgemeiner Auffassung von Amts wegen erfolgen kann (vgl. nur MüKo-ZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 227 Rn. 24) - nur im Fall eines klägerischen Antrags vorzunehmen sein soll. In einem solchen Fall erfordert zudem § 597 Abs. 2 ZPO keine Klageabweisung als unstatthaft, weil eine nicht fristgerechte Zustellung von Beweisurkunden die Statthaftigkeit des Prozesses nicht berührt. Die Fristunterschreitung hat insbesondere nicht zur Folge, dass die betreffenden Urkunden unzulässige Beweismittel wären oder der Beweis mit den nicht fristgerecht zugegangenen Urkunden nicht vollständig zu führen ist. Auch bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass die mündliche Verhandlung am 6. Mai 2022 nicht hätte vertagt werden können.

bb) Die landgerichtliche Begründung, aus § 593 Abs. 2 ZPO folge nicht, dass im Urkundenprozess unstreitige Umstände mit Urkunden zu belegen seien, trägt nicht. Denn nach Sinn und Zweck des § 593 Abs. 2 S. 2 ZPO soll die dort vorgesehene Frist es dem Beklagten ermöglichen, die vorgelegten Urkunden zu überprüfen und sein prozessuales Verhalten entsprechend einzurichten. Ob ein Umstand streitig oder unstreitig wird oder bleibt, ist Folge der prozessualen Reaktion des Beklagten auf die vorgelegten Urkunden, für die ihm der in § 593 Abs. 2 S. 2 ZPO vorgesehene Zeitraum zur Verfügung stehen soll.

cc) Die teilweise Abstandnahme vom Urkundenprozess in der Sitzung am 6. Mai 2022 hatte nicht zur Folge, dass hinsichtlich des Verfahrensteils, der im Urkundenprozess weitergeführt worden ist, § 593 Abs. 2 ZPO nicht zu beachten gewesen wäre. Denn dieser Verfahrensteil ist gerade im Urkundenprozess weitergeführt worden. Ebenso verhält es sich für die Prozesstrennung nach § 145 ZPO, die zudem erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt ist und damit die Beklagten in etwaigem Vortrag, der sich zu den ihr nicht fristgerecht übermittelten Urkunden verhielt, nach Maßgabe des § 296a ZPO beschränkt war.

dd) Auf dem Verstoß gegen § 593 Abs. 2 S. 2 ZPO als Verfahrensfehler beruht das angefochtene Urteil jedoch nicht, sodass gemäß § 513 Abs. 1 ZPO die Berufung nicht auf ihn gestützt werden kann.

Bei der Verletzung verfahrensrechtlicher Normen ist - außerhalb der hier nicht in Frage stehenden absoluten Revisionsgründe nach § 547 ZPO - für ein Beruhen der Entscheidung auf der Normverletzung die Möglichkeit erforderlich, dass das Erstgericht ohne den Verfahrensfehler zu einem anderen sachlichen Ergebnis gelangt wäre (vgl. BeckOK-ZPO/Wulf, 51. Ed. 1.12.2023, § 513 Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 5. Aufl. 2021, § 513 Rn. 13).

Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Wie dargelegt, wäre bei prozessordnungsgemäßem Vorgehen die mündliche Verhandlung am 6. Mai 2022 unter Beachtung der in § 593 Abs. 2 S. 2 ZPO enthaltenen Frist zu vertagen gewesen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass das Landgericht nach einer Vertagung und einem sodann folgenden Urteilsspruch zu einem anderen sachlichen Ergebnis gelangt wäre (vgl. Anders/Gehle/Gehle, ZPO, 82. Aufl. 2024, § 593 Rn. 8 zur regelmäßigen Nichtrevisibilität einer Verletzung des § 593 Abs. 2 ZPO mangels Beruhens). Denn die der Beklagten nicht fristgerecht zugegangenen Urkunden K103-106 und K108-111 sind im landgerichtlichen Urteil nicht verwertet worden. Das Landgericht stützt seine Entscheidung nicht auf sie. In der Berufungsinstanz ist unstreitig, dass diese Urkunden nur die abgetrennten, nicht in die Berufungsinstanz gelangten Anträge betreffen. Dem korrespondierend zeigt die Berufung auch nicht auf, welcher für das im hiesigen Berufungsverfahren relevante Vortrag oder welcher Beweisantritt, der die Möglichkeit eines anderen sachlichen Ergebnisses eröffnen würde, ihr aufgrund der Verletzung des § 593 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht möglich gewesen sein soll.

b) Die Klage ist im Umfang ihrer Stattgabe durch das Landgericht im Urkundenprozess begründet. Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 205.360,63 € nebst Prozesszinsen zu zahlen.

Dieser Anspruch ergibt sich aus §§ 323 Abs. 1, 346 Abs. 1 BGB.

aa) Soweit die Berufung geltend macht, dass die Parteien einen Dienstvertrag geschlossen hätten, trifft dies nicht zu. Das Vertragsverhältnis der Parteien ist vielmehr als gemischter Vertrag, der werk- und dienstvertragliche Elemente aufweist und der im Projektvertrag - mit seinen Bestandteilen nach Ziff. 1 des Projektvertrags - rechtlich näher ausgestaltet wurde, anzusehen. Der Vertrag beinhaltet sowohl tätigkeits- als auch erfolgsbezogene Verpflichtungen der Beklagten.

So sind etwa als werkvertragliche Elemente die Installation der Standardsoftware und ihre Einpassung in die bei der Klägerin bestehende IT-Umgebung zu nennen (vgl. BGH, Urt. v. 25. 3. 2010 - VII ZR 224/08, NJW 2010, 2200 Rn. 14 zur Anpassung einer Software an die Bedürfnisse des Kunden nebst Schnittstellenschaffung als Werkvertrag). Nach Ziff. 6.1 der Ziff. 5 des Projektvertrags waren die Funktionalitäten der Standardsoftware und die an sie zu stellenden Anforderungen dem SRS-Dokument zu entnehmen. Sie sollten, soweit auf Standardsoftware anwendbar, als Beschaffenheit gelten. Die Vereinbarung einer Beschaffenheit spricht für eine werkvertragliche Komponente. Gleiches gilt für die Einräumung von dauerhaften Nutzungsrechten an der Standardsoftware. Diesbezüglich war ein Erfolg, nämlich die Verschaffung der dauerhaften Inhaberschaft der Nutzungsrechte, geschuldet. Auch die Erstellung der Konzepte ist auf einen Erfolg gerichtet. Ersichtlich sollte die Beklagte sich nicht nur darum bemühen, diese Konzepte zu fertigen. Dem korrespondiert, dass in Ziff. 7 der Ziff. 5 des Projektvertrags festgehalten ist, dass die Erreichung der Projektziele an der Erfüllung der Anforderungen aus dem SRS-Dokument gemessen werde. Insofern handelt es sich um erfolgsbezogene Vorgaben.

Als dienstvertragliche Elemente des Projektvertrags anzusehen sind hingegen beispielsweise die Unterstützungsdienstleistungen bei der Einrichtung des ERP-Systems und die Schulungen der Mitarbeiter.

Soweit die Berufung darauf rekurriert, dass in Ziff. 9 der Ziff. 5 des Projektvertrags mit der Überschrift „Auslegungshinweis“ festgehalten ist, dass zum Vertragsabschluss wesentliche Elemente des finalen ERP-Systems noch unklar gewesen seien und sich die Parteien deshalb ungeachtet der Formulierungen im Vertrag und seinen Anlagen einig gewesen seien, dass für die genannten Leistungen „keine [sic] Werklieferungsvertrag beabsichtigt ist bzw. [die Beklagte] keine Ergebnisverantwortung in Bezug auf das ERP-System insgesamt hat“, folgt hieraus nicht, dass der Projektvertrag ein Dienstvertrag ist. Aus der Klausel lässt sich ersehen, dass die Beklagte keine Erfolgsverantwortung für das ERP-System insgesamt übernehmen wollte. Hieraus ergibt sich aber nicht, dass die gesamte vertragliche Beziehung der Parteien nur nach Dienstrecht zu beurteilen und nicht - wie es der rechtliche Charakter der einzelnen geschuldeten Leistungen erfordert - ein gemischter Vertrag mit werk- und dienstrechtlichen Elementen anzunehmen ist. Dies zeigt die Formulierung, dass kein Werklieferungsvertrag „beabsichtigt“ sei. Insofern ist durchaus erkannt, dass die Vertragsbeziehung auch werk(lieferungs)vertragliche Elemente enthalten kann, es aber nicht Absicht der Parteien war, den gesamten Vertrag dem Werklieferungsrecht zu unterstellen.

Auch die wiederholte Kommentierung einzelner Regelungen und Vorgaben im SRS-Dokument, dass kein Werk(lieferungs)vertrag vorliege, veranlasst nicht zur Annahme, dass allein Dienstrecht zur Anwendung gelangt. Die Kommentierung erschöpft sich darin, die Ablehnung dieser Regelungen und Vorgaben zu begründen, ohne dass ausgeführt wird, was anstelle der abgelehnten Regelung bzw. Vorgabe gelten soll.

Hinzu tritt, dass in den Beklagten-AGB ein auf vertraglich geschuldete Erfolge, d. h. auf werkvertragliche Leistungen, ausgerichtetes Haftungsregime enthalten ist. So gelten nach Ziff. 6.2 S. 2 der Beklagten-AGB Lieferfristen als eingehalten, wenn die Erstellung und/oder Installation, je nach vereinbartem Leistungsgegenstand, innerhalb der vereinbarten Frist erfolgt, mithin binnen eines gewissen Zeitraums ein Erfolg - nämlich die Erstellung und/oder Installation - herbeigeführt wurde. Ziff. 3 enthält ein Rücktrittsrecht im Fall von Teilleistungen.

Ziff. 7.6 der Beklagten-AGB regelt, dass die Klägerin im Falle eines Sach- oder Rechtsmangels bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen unter anderem vom Vertrag zurücktreten könne, wenn eine Nacherfüllung binnen einer von der Klägerin gesetzten, angemessenen Frist nicht gelinge oder die Fristsetzung entbehrlich oder unzumutbar sei. Ein solcher Rücktritt ist vorliegend streitgegenständlich. Zwar haben die Parteien in Ziff. 1 des Projektvertrags die nur nachrangige Geltung der Beklagte-AGB - nämlich nach den dort genannten anderen Vertragsgrundlagen - vereinbart. Jedoch sind in Ziff. 6 des Projektvertrags konkrete Änderungen der Beklagten-AGB enthalten. Ziff. 7.6 der Beklagten-AGB sind hier nicht genannt, sodass die Klausel im Vertragsverhältnis gilt.

bb) Der mit Schreiben vom 6. November 2019 erklärte Rücktritt ist wirksam. Er ist nach Ablauf einer furchtlos gesetzten, angemessenen Nachfrist zur Leistungserbringung erklärt worden.

Die Klägerin setzte der Beklagten mit Schreiben vom 23. Oktober 2019 (Anlage K45 im Anlagenband) eine Frist bis zum 4. November 2019, um vier Leistungen - nämlich die Lieferung der Konzepte HR Schnittstelle X3, Konfigurator/Webshop und Anbindung Tankstelle sowie die Installation der Software ProcessWeaver - zu erbringen. Die Beklagte zieht nicht in Zweifel, dass zum Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens bei ihr die Software ProcessWeaver noch nicht installiert war. Hinsichtlich der Konzepte macht die Beklagte zweitinstanzlich geltend, dass diese bis zum 4. November 2019 mit ordnungsgemäßem Inhalt vorgelegen hätten. Erstinstanzlich hatte die Beklagte vorgetragen, am 4. Oktober 2019 habe sie das fehlerfreie Konzept „Konfigurator/Webshop“, am 7. Oktober 2019 das fehlerfreie Konzept „HR Schnittstelle X3“ und am 18. Oktober 2019 das fehlerfreie Konzept „Anbindung QS/Tankstelle“ geliefert.

(1) Soweit sich die Berufung darauf stützt, die drei Konzepte hätten vor dem 4. November 2019 vorgelegen und die vorzunehmenden Tätigkeiten und Einstellungen zutreffend beschrieben, zumal das Landgericht konkrete Fehler der Konzepte nicht festgestellt habe, greift dies nicht durch.

Die als Beweismittel vorgelegten Urkunden gestatten zwanglos den Schluss, dass die Konzepte auch zum Ablauf des 4. November 2019 - entgegen der Behauptung der Beklagten - die vorzunehmenden Tätigkeiten und Einstellungen nicht zutreffend beschrieben. Noch mit Schreiben vom 1. November 2019 (Anlage K52 im Anlagenband) bot die Beklagte der Klägerin an, sich vertraglich zu verpflichten, bis zum 22. November 2019 die drei Konzepte zur Zufriedenheit der Klägerin zu liefern. Dieses Angebot stellte die Beklagte unter die Voraussetzung, dass die Konzepterstellung zukünftig als „iterativer Prozess“ durchgeführt werde und Herr C von der Klägerin Anmerkungen der Key-User nicht mehr filtere. Es ist nicht verständlich, weshalb die Beklagte diesen Vorschlag unterbreitete, wenn die Konzepte tatsächlich inhaltlich ordnungsgemäß bereits vorgelegen hätten. Zudem ist die Frage des Herrn B, Mitarbeiter der Beklagten, in der E-Mail vom 4. November 2019 (Teil der Anlage K51 im Anlagenband), ob an der „Grundstruktur“ der Konzepte „Tankstelle“ und „HR Schnittstelle X3“ weitergearbeitet werden solle, da für das Konzept „Konfi/Webshop“ Feedback vom Fachbereich benötigt werde, unverständlich, wenn die Konzepte tatsächlich bereits ordnungsgemäß abgeschlossen vorgelegen hätten. Die Beklagte hat diese Kommunikation ihrer Mitarbeiter auch in der Berufungsinstanz nicht plausibel zu erklären vermocht.

(2) Die Installation der Software ProcessWeaver wurde von Herrn B mit E-Mail vom 29. Oktober 2019 (Anlage B7 im Anlagenband I) bis zum 4. November 2019 und damit binnen der gesetzten Nachfrist angeboten. Zutreffend weist die Berufung darauf hin, dass damit die in der älteren E-Mail vom 28. Oktober 2019 (Teil der Anlage K49 im Anlagenband) zunächst angebotene Installation am 4. und 5. November 2019 ersetzt worden war. Jedoch hatte die ältere E-Mail vom 28. Oktober 2019 den Vorstand der Klägerin, Herrn A, bereits veranlasst, die Prokuristen der Beklagten mit E-Mail vom 29. Oktober 2019 (Anlage K50 im Anlagenband) um umgehende Rückmeldung zu bitten, ob die Beklagte bereit und in der Lage war, die gesetzte Frist einzuhalten. Die Klägerin durfte erwarten, dass sich die Beklagte hierzu verhielt.

Soweit die Berufung insofern der Auffassung ist, die E-Mail des Herrn A vom 29. Oktober 2019 (Anlage K50 im Anlagenband) sei unbeachtlich, weil die Klägerin am 22. Oktober 2019 einen Projektstopp erklärt und mit Schreiben vom 23. Oktober 2019 (Anlage K45 im Anlagenband) Herrn C als Ansprechpartner für die Beklagte bis zum 4. November 2019 bindend vorgegeben habe, greift dies nicht durch. Denn mit E-Mail vom 24. Oktober 2019 (Anlage K48 im Anlagenband) hatte Herr A klargestellt, dass mit dem Schreiben vom 23. Oktober 2019 die letztmalige Möglichkeit eingeräumt worden sei, ein Scheitern des Projekts abzuwenden, was aber erfordere, dass die Beklagte die in dem Schreiben dargestellten Leistungen binnen der gesetzten Frist erfülle. Sollte die Beklagte aufgrund des Projektstopps vom 22. Oktober 2019 dennoch der Auffassung gewesen sein, dass sie zunächst keine weiteren Leistungen mehr hätte erbringen sollen oder dürfen, ist jedenfalls durch die E-Mail vom 24. Oktober 2019 klargestellt worden, dass dem nicht so war. Die Behauptung der Beklagten, im Schreiben vom 23. Oktober 2019 (Anlage K45 im Anlagenband) sei Herr C als Ansprechpartner bindend vorgegeben worden, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Insbesondere lässt sich aus dem Schreiben nicht der Schluss ziehen, dass Anfragen der Klägerin, die ein für die Klägerin vertretungsberechtigter Vorstand stellte, ignoriert werden sollten und durften. Vielmehr verwies die Klägerin in dem Schreiben für etwaige Anfragen wegen benötigter Informationen oder Mitwirkungshandlungen an Herrn C. Dieser wurde für solche Art von Anfragen als Ansprechpartner benannt. Dass die Beklagte sich in der weiteren Kommunikation bis zum 4. November 2019 auf Herrn C beschränken wollte, sodass Fragen von Seiten der Klägerin an die Beklagte nicht mehr durch ihren Vorstand, sondern nur durch ihren Mitarbeiter Herrn C hätten erfolgen dürfen, ist dem Schreiben nicht zu entnehmen und überaus fernliegend. Es gab für die Klägerin keinerlei Anlass, den rechtlichen und tatsächlichen Handlungsspielraum ihres Vorstands gegenüber der Beklagten einzuschränken.

Zudem war in der E-Mail des Herrn B vom 29. Oktober 2019 (Anlage B7 im Anlagenband I) eine Installation am „Donnerstag und Freitag“ vorgesehen. Insofern weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass an ihrem Sitz im X am betreffenden Freitag, 1. November 2019, ein gesetzlicher Feiertag war. Dies merkte auch Herr B in einer E-Mail vom 29. Oktober 2019 mit den Worten, dass die Klägerin „am Freitag auch Feiertag“ habe, an. Nicht aufgelöst ist in der E-Mail indes das Problem, wie die Installation per Fernzugriff („remote“) am Freitag als Feiertag erfolgen sollte. Soweit die Beklagte darauf rekurriert, dass der Installationsbeginn am 31. Oktober 2019 vorgesehen gewesen sei, erklärt dies nicht, weshalb sie per Fernzugriff am 1. November 2019 hätte fortgesetzt werden können, wenn dieser Tag am Sitz der Klägerin ein Feiertag war. Zwar erforderte der Fernzugriff nicht, dass Mitarbeiter der Beklagten bei der Klägerin vor Ort waren. Jedoch war es der Klägerin jedenfalls nach den im Vertragsverhältnis aufgetretenen Störungen nicht zumutbar, der Beklagten Fernzugriff auf ihre Computersysteme einzuräumen, ohne dass sie diesen mit eigenen Leuten hätte überwachen und ggf. korrigierend Einfluss nehmen können.

(3) Nach dem Vorstehenden war die Beklagte nicht nur verpflichtet, ihre Tätigkeiten der Klägerin anzubieten, sondern trug auch - im Sinne eines gemischten Vertrags - für einzelne vertraglich geschuldete Leistungen eine Erfolgsverantwortung. Auch ist nicht ersichtlich, dass das Landgericht eine Zumutbarkeit gemäß § 241 Abs. 2 BGB unzutreffend bestimmt haben könnte. Dieses Argument der Berufung beruht auf der These, die Klägerin habe einen Kommunikationsweg über Herrn C fest vorgegeben. Dass dem jedenfalls für Fragen des Vorstands der Klägerin an die Beklagte nicht der Fall war, ist vorstehend dargelegt.

c) Die Zinsforderung ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Berufung erinnert insofern auch nichts gesondert.

3. Die Anschlussberufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Sie ist unbegründet.

a) Die Erstattung von vorprozessual entstandenen Anwaltskosten auf Grund des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs kann vom Schuldner nur insoweit verlangt werden, als die Hauptforderung diesem gegenüber besteht. Dem Erstattungsanspruch hinsichtlich der entstandenen Anwaltskosten ist somit grundsätzlich der Gegenstandswert zu Grunde zu legen, der der berechtigten Forderung entspricht (vgl. BGH, Urt. v. 7.11.2007 - VIII ZR 341/06, NJW 2008, 1888 Rn. 13 m. w. N.) Zudem ist zwischen dem Innenverhältnis des Mandanten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Mandanten zu seinem Anspruchs- und Prozessgegner zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch im geltend gemachten Umfang ist grundsätzlich, dass der Mandant im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Mandanten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (vgl. BGH, Urt. v. 22.1.2019 - VI ZR 403/17, NJOZ 2020, 463 Rn. 11 m. w. N.).

Die Klägerin ist dem Beklagtenvortrag, dass vorprozessual ein Anwaltswechsel stattgefunden habe und sie materiellrechtlich nur zum Ersatz der durch die zunächst mandatierten Anwälte verpflichtet sei, insofern entgegengetreten, dass sie den Anwaltswechsel für unerheblich hält. Zudem seien die zuvor tätigen Anwälte mit einer anderen Zielsetzung, nämlich der Begleitung von vorprozessualen Vergleichsverhandlungen, beauftragt gewesen und hätten diese geführt. Erst nach Scheitern der Vergleichsbemühungen seien die nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorprozessual beauftragt worden.

Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Wechsel in der vorprozessualen anwaltlichen Vertretung mit der Folge erforderlich und zweckmäßig gewesen sein soll, dass die Beklagte für die Tätigkeit der später mandatieren Anwälte erstattungsfähig sein soll. Ob und inwiefern eine Erstattungspflicht besteht, wenn ein konkreter Anlass für die Annahme bestand, dass der zunächst mandatierte Anwalt die Angelegenheit nicht ordentlich bearbeite (vgl. MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, § 254 Rn. 95), kann vorliegend dahinstehen. Weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass die zunächst beauftragten Rechtsanwälte das ihnen übertragene Mandat nicht ordnungsgemäß geführt hätten. Gleiches gilt für den Umstand, weshalb die zunächst beauftragten Anwälte das Verfahren nicht auch gerichtlich hätten begleiten können.

b) Zudem ist die Forderung der Höhe nach nicht schlüssig. Die Anwaltskosten i. H. v. 7.693,40 € sind klägerseits aus einem Gegenstandswert von 824.209,70 € berechnet und ursprünglich als Nebenforderung verfolgt worden. Nach teilweiser Abstandnahme vom Urkundenprozess hat sich die weiter verfolgte Hauptforderung auf 205.360,63 € reduziert. Die Berechtigung der Anwaltskosten, die sich aus einem über den Betrag von 205.360,63 € hinausgehenden Gegenstandswert ergeben, ist damit nicht Gegenstand des Hauptsacheanspruchs, der im Urkundenverfahren verfolgt wird und im vorliegenden Berufungsverfahren streitgegenständlich ist. Es mangelt insofern zudem - der Natur der Sache nach - an einer Belegung der Anspruchshöhe von 824.209,70 € durch Urkunden.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO analog i. V. m. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Bei einer Anschlussberufung mit Teilunterliegen/-obsiegen sind die Kosten nach § 92 ZPO zu verteilen (vgl. MüKo-ZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, § 524 Rn. 59). Die Beklagte unterliegt mit ihrer Berufung, die einen Wert von 205.360,63 € hat. Hinsichtlich der Anschlussberufung, deren Wert mit 7.693,40 € zu beziffern ist, unterliegt die Klägerin. Dieses Unterliegen ist jedoch im Verhältnis zum klägerischen Unterliegen geringfügig und löst keinen Gebührensprung aus.

5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.

6. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch rechtfertigt die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf Grundlage des individuell zwischen den Parteien geschlossenen Projektvertrags und seiner tatsächlichen Durchführung.

7. Der Streitwert für die Berufungsinstanz war nach § 47 Abs. 1 i. V. m. § 45 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GKG zu bestimmen.



Sachgebiete

Bürgerliches Recht

Schlagworte

Beifügung
Dienstvertrag
Enterprise-Resource-Planning-Systems
ERP-System
Frist
Implementierung
Standardsoftware
Statthaftigkeit
Urkunden
Urkundenprozess
Vertrag
Werkvertrag