LG Neuruppin 2. Zivilkammer, Urteil vom
10.Oktober 2024 , Az: 2 O 13/24
Langtext
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 6.800 €
Tatbestand
Der Kläger begehrt Schadensersatz und Unterlassung von der Beklagten im Zusammenhang mit behaupteten Verletzungen der DSGVO.
Die Beklagte erbringt unter der Marke O. Telekommunikationsdienstleistungen. Der Kläger schloss im Jahr 2020 einen Mobilfunkvertrag mit der Beklagten, der unter der Vertragsnummer ... geführt wird. Die Beklagte ist in diesem Zusammenhang die datenschutzrechtlich Verantwortliche.
Im Zuge des Vertragsschlusses stellte die Beklagte dem Kläger neben dem Vertragstext ihr sog. „Merkblatt zum Datenschutz“ zur Verfügung. Mit diesem Merkblatt zum Datenschutz informierte die Beklagte den Kläger über die Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten. In diesem wies die Beklagte darauf hin, dass sie personenbezogene Daten ihrer Kunden über das Zustandekommen und die Beendigung von Vertragsverhältnissen (sog. Positivdaten) an Wirtschaftsauskunfteien wie die S. Holding AG (im Folgenden: S.) übermittelt.
Die S. nutzt ein standardisiertes Verfahren, um aus gesammelten persönlichen Daten einen Bonitätswert (Score) zu berechnen. Dieser Wert dient der Prognose des individuellen Verhaltens und basiert auf einer statistischen Analyse mithilfe eines Scoring-Algorithmus. Dabei fließen sowohl Negativdaten, wie Informationen über Zahlungsrückstände, als auch Positivdaten, wie Details zur Beauftragung, Durchführung und Beendigung eines Vertrages, in die Ermittlung des Scores ein. Ziel ist es, die Zahlungsfähigkeit einer Person vorherzusagen.
Mit Schreiben vom 12.10.2023 erhielt der Kläger eine Auskunft über die bei S. gespeicherten Daten. Der Kläger stellte fest, dass der Abschluss seines Mobilfunkvertrages und die Servicekontonummer an die S. übermittelt worden war.
Am 19.10.2023 veröffentlichte die S. in einer Pressemitteilung, dass sie sich entschieden habe, Telekommunikationsdaten aus den Konten zu löschen. In diesem Zusammenhang teilte die S. mit, dass die Positivdaten in den Bonitätsscore eingeflossen sind.
Mit einem anwaltlichen Schreiben vom 28.11.2023 forderte die Prozessbevollmächtigte die Beklagte zum Ersatz des entstandenen Schadens und zur Unterlassung auf.
Der Kläger behauptet, nach Erhalt der Auskunft habe sich unmittelbar ein Gefühl des Kontrollverlustes und Sorge um die eigene Bonität eingestellt. Er lebe mit der ständigen Angst vor - mindestens - unangenehmen Rückfragen in Bezug auf die eigene Bonität, auf das allgemeine Verhalten im Wirtschaftsverkehr und vor einer Verfälschung seines S.-Scores. Er erlebe tagtäglich Stress, Unruhe und ein allgemeines Unwohlsein bis hin zu einer schieren Existenzsorge, da er nicht wisse, ob und wann eine unmittelbare oder mittelbare Konfrontation mit den Folgen des S.-Eintrags stattfinde. Er wisse nicht, welche anderen Dienstleister nun Zugriff auf seine sensiblen Informationen haben. Durch diese Sorge sei seine Schlafqualität beeinträchtigt und führe zu häufigen Gedanken darüber, ob er seinen zukünftigen finanziellen Verpflichtungen noch nachkommen kann. Da seine Familie und er vor großen finanziellen Herausforderungen ständen, sei er auf eine gute Bonität angewiesen. Die Sorgen, die die Weitergabe seiner Daten verursache, belaste ihn wöchentlich und hätten starken Einfluss auf seine Lebensbedingungen hinsichtlich finanzieller Rahmenbedingungen und Entscheidungen. Der Kläger plane einen Dispokredit umzuschulden und sei auf der Suche nach einer neuen Wohnung, die Unsicherheit über seine Bonität würde ihn belasten.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn Schadensersatz für einen immateriellen Schaden in angemessener Höhe zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch EUR 5.000,00 nebst Zinsen seit 21.02.2024 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basisprozentsatz;
2. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise an ihrem gesetzlichen Vertreter zu vollstreckende Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, Positivdaten des Klägers, also personenbezogene Daten, die keine Zahlungserfahrungen oder sonstiges nicht vertragsgemäßes Verhalten zum Inhalt haben, sondern Informationen über die Beauftragung, Durchführung und Beendigung eines Vertrags, an Kreditauskunfteien, namentlich S. Holding AG, K.-weg …, … W., zu übermitteln, ohne dass eine Einwilligung des Klägers vorliegt, also insbesondere nicht auf der Basis von Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO zur Verbesserung der Qualität der Bonitätsbewertungen oder zum Schutz der beteiligten Wirtschaftsakteure vor kreditorischen Risiken;
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle künftigen materiellen Schäden und künftigen derzeit noch nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die dem Kläger durch unbefugte Verarbeitung personenbezogener Daten entstehen;
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 713,76 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, die streitgegenständlichen Daten seien von der S. mittlerweile gelöscht worden.
Die behaupteten Sorgen und Ängste des Klägers bestreitet die Beklagte mit Nichtwissen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass bereits ein Verstoß gegen die DSGVO nicht vorliege. Die Übermittlung der Positivdaten an S. sei zur Wahrung berechtigter Interessen erfolgt und daher nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO zur Betrugs- und Überschuldungsprävention, für präzise Ausfallrisikoprognosen und die Funktionalität von Auskunfteien zulässig. Die Interessen des Klägers gegen die Übermittlung von Positivdaten würden nicht überwiegen.
Im Übrigen bestehe ein Schadensersatzanspruch nicht. Der Kläger habe weder einen Schaden erlitten noch beruhten etwaige Angstzustände und Sorgen ursächlich auf dem vermeintlichen Datenschutzverstoß der Beklagten.
Die Beklagte erhebt hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs die Einrede der Verjährung.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat im Ergebnis keinen Erfolg.
Dabei kann dahinstehen, ob der Unterlassungsantrag zu 2. hinreichend bestimmt und daher zulässig ist. Ebenso kann dahinstehen ob hinsichtlich des Klageantrages zu 3. überhaupt ein Feststellungsinteresse gegeben ist. Jedenfalls ist die Klage insgesamt unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadenersatz aus Art. 82 DSGVO. Ein solcher Anspruch setzt voraus, dass der Anspruchssteller als betroffene Person anzusehen ist, ein Verstoß gegen die DSGVO vorliegt und ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist durch beziehungsweise wegen dieses Verstoßes, also der Schaden kausal auf die Pflichtverletzung zurückzuführen ist.
Ein Verstoß gegen die DSGVO liegt nicht vor, die beanstandete Übermittlung von Positivdaten war von Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO gedeckt.
In der Rechtsprechung ist streitig, ob die von der Beklagten vorgetragenen berechtigten Interessen, namentlich Betrugsprävention, Überschuldungsprävention und Ermöglichung von Ausfallrisikoprognosen das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung überwiegen (so u.a. LG Bonn, Urteil vom 02.09.2024 – 20 O 84/24; LG Itzehoe, Urteil vom 22.08.2024 – 10 O 2/24; LG Dresden, Endurteil vom 16.08.2024 – 3 O 44/24; LG Kassel, Urteil vom 10.07.2024 – 10 O 1939/23; LG Gießen, Urteil vom 31.05.2024, 9 O 530/23; a.A. LG München, Urteil vom 25.04.2023, 33 O 5976/22, ZD 2024, 46).
Das Gericht schließt sich der Auffassung (mit näherer Begründung u.a. LG Bonn, Urteil vom 02.09.2024 – 20 O 84/24) an, wonach die Interessen der Beklagten den Vorrang haben.
Im Übrigen ist die Klage hinsichtlich des Antrages zu 1. auch deshalb unbegründet, weil dem Kläger keinen Schaden entstanden ist.
Der Begriff des Schadens i.S.d. Art. 82 Abs. 1 DSGVO ist weit zu verstehen. Er wird unionsautonom ausgelegt, somit liegt Art. 82 Abs. 1 DSGVO ein eigener Schadensbegriff zugrunde (EuGH, Urt. v. 04.05.2023 - C-300/21, Rn. 61). Es besteht weder eine Erheblichkeitsschwelle (EuGH, Urt. v. 04.05.2023 - C-300/21, Rn. 79ff.) noch eine Bagatellgrenze (EuGH, Urt. v. 14. 12. 2023 – C-456/22, Rn. 29). Der Geschädigte muss nicht nur den Verstoß gegen Bestimmungen dieser Verordnung nachweisen, sondern auch, dass ihr durch diesen Verstoß ein solcher Schaden entstanden ist (vgl. EuGH, Urt. v. 04.05.2023 - C-300/21, Rn. 42 und 50; EuGH, Urt. v. 11.04.2024 - C-741/21, Rn. 35). Die bloße Behauptung einer Befürchtung ohne nachgewiesene negative Folgen kann daher nicht zu einem Schadensersatz nach dieser Vorschrift führen.
Der Kläger hat schriftsätzlich u.a. vorgetragen, er empfinde aufgrund der Wichtigkeit des S.-Scorings für die Bonität und aufgrund der Undurchsichtigkeit der Auswirkungen der gemeldeten Positivdaten auf die S.-Bewertung einen Kontrollverlust mit großem Unwohlsein und großer Sorge. Er fühle sich in der freien Entscheidung im Hinblick auf Vertragsschlüsse behindert, was seine freie Entfaltungsmöglichkeit untergrabe. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung im Rahmen seiner persönlichen Anhörung darüber hinaus u.a. geschildert, dass er sich Sorgen um seine Bonität gemacht habe und er der Meinung sei, dass man so nicht mit seinen Daten umgehen könne. Nach der S.-Auskunft sei er „schockiert“ und „fassungslos“ gewesen. Es sei so, dass er manchmal nicht einschlafen könne. Auch seine Familie würde darunter leiden, weil er mental nicht präsent und abgelenkt sei.
Das Gericht konnte sich gleichwohl nicht davon überzeugen, dass der Kläger tatsächlich spürbare immaterielle Beeinträchtigungen erlitten hat, die kausal auf die Übermittlung der Positivdaten bei der Beklagten zurückzuführen sind. Die behaupteten Sorgen weisen keinen konkreten Bezug zur streitgegenständlichen Datenweitergabe auf. Der Kläger konnte trotz Nachfrage nicht plausibel begründen, warum er durch die schlichte Weitergabe der positiven Daten über das Bestehen eines Mobilfunkvertrages - wie ihn so ziemlich jeder hat - in Sorge um seine Bonität versetzt worden sein sollte. Dass dieser Umstand einen entscheidenden Faktor für die Verschlechterung des Scores des Klägers bei der S. dargestellt haben sollte, ist kaum vorstellbar. Dass der Kläger eine solche Vorstellung gehabt haben könnte, hat die Anhörung nicht ergeben. Soweit der Kläger lediglich über die Weitergabe der Daten an sich verärgert war, rechtfertigt dies keinen Schadensersatzanspruch. Soweit der Kläger seine Sorge unter anderem damit begründet hat, dass im Jahr 2016 ein Kredit abgelehnt worden sei, ergibt sich bereits daraus, dass die Datenweitergabe erst im Jahr 2020 stattfand, dass auch der Kläger nicht annehmen konnte, dass hier ein kausaler Zusammenhang bestehen könnte. Die Angaben des Klägers waren auch insoweit unplausibel als zum Zeitpunkt der S. - Auskunft der Score nicht - wie vom Kläger behauptet – bei ca. 90 % lag. Wie aus der Anlage K2 zur Klageschrift ersichtlich betrug der Basisscore am 06.10.2023 97,46 % von theoretisch möglichen 100 %, was eine Sorge des Klägers hinsichtlich seiner Bonität noch weniger plausibel erscheinen lässt. Nachvollziehbar ist zwar, dass den Kläger die starken Schwankungen seines Scores in der Vergangenheit irritiert haben, nicht nachvollziehbar ist allerdings die Annahme, dies könnte mit der Weitergabe der streitgegenständlichen Daten im Zusammenhang stehen bzw. der Kläger habe dies annehmen können.
Auch wenn eine Erheblichkeits- oder Bagatellschwelle nicht angenommen werden darf, genügen die klägerseits geschilderten Gefühle - auch das behauptete Gefühl des Kontrollverlustes - für sich nicht zur Bejahung einer immateriellen Beeinträchtigung. Es handelt sich um (negative) Gefühle des Ärgers, die Teil des allgemeinen Lebensrisikos und des täglichen Erlebens sind, die aber noch keine Beeinträchtigung des Seelenlebens oder der Lebensqualität darstellen, die einen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 DSGVO begründen könnten (vgl. OLG Stuttgart GRUR-RS 2023, 32883 mit Hinweis auf BGH GRUR 2023, 1724).
Die Beweislast für das Vorliegen eines materiellen oder immateriellen Schadens trägt der Kläger als Anspruchsteller. Die von einem Verstoß gegen die DSGVO betroffene Person muss den Nachweis führen, dass die geltend gemachten Folgen einen immateriellen Schaden im Sinne der Verordnung darstellen (EuGH GRUR-RS 2023, 8972; OLG Stuttgart GRUR-RS 2023, 32883). Die Nichterweislichkeit eines Schadens geht zu seinen Lasten.
Hinsichtlich des Antrages zu 2. wäre die Klage selbst bei einem Verstoß gegen die DSGVO unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Unterlassung. Aus Art. 17 DSGVO kann der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht hergeleitet werden, Ansprüche aus §§ 823, 1004 BGB sind gesperrt.
In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob und inwieweit bei einem Verstoß gegen die DS-GVO Unterlassungsansprüche bestehen können und woran diese anknüpfen (vgl. zum Sach- und Streitstand: OLG Stuttgart, GRUR-RS 2023, 32883). Es ist der differenzierten Lösung des BGH, OLG Frankfurt und OLG Stuttgart zu folgen, wonach Unterlassungsansprüche nicht auf nationales Recht, sondern lediglich auf Art. 17 DSGVO gestützt werden können (vgl. BGHZ 231, 264; BGH NJW 2022, 1098; BGHZ 226, 285, OLG Frankfurt, GRUR 2023, 904; OLG Stuttgart, GRUR-RS 2023, 32883). Im Hinblick auf die in Art. 17 DSGVO erfolgte Anknüpfung an das Löschungsrecht bezüglich personenbezogener Daten besteht nur ein Anspruch auf Unterlassung der Speicherung von Daten, es kann keine weitergehende Unterlassung begehrt werden, Daten nicht zugänglich zu machen.
Im Übrigen ist auch der Antrag zu 3. in jedem Fall unbegründet.
Der Anspruch auf Feststellung beim Schmerzensgeld als immaterieller Schaden ist begründet bei einer nicht eben entfernt liegenden Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Schadensersatzpflicht durch das Auftreten weiterer, bisher noch nicht voraussehbarer und erkennbarer Leiden oder bei einer noch nicht abschließend überschaubaren weiteren Entwicklung des Krankheitsverlaufs. Die Feststellungsklage ist bei noch nicht voraussehbaren und erkennbaren weiteren Beeinträchtigungen oder bei einer noch nicht abschließend überschaubaren weiteren Entwicklung begründet (vgl. OLG Stuttgart GRUR-RS 2023, 32883 m.w.N.). Jedenfalls im vorliegenden Einzelfall ist die Möglichkeit einer weiteren immateriellen Beeinträchtigung des Klägers weder vorgetragen noch anderweitig erkennbar, zumal die übertragenen Daten ausweislich der Pressemitteilung der S. mittlerweile gelöscht wurden und nicht mehr erhoben werden.
Auf die Frage der Verjährung kam es danach nicht mehr an.
Mangels Anspruch in der Hauptsache ist auch ein Anspruch auf Zinsen oder Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 1 GKG, ZPO. Der Klagantrag zu Ziff. 1 war mit 5.000 €, der zu 2. mit 1.000 € und der Klagantrag zu 3. mit 800 € zu bewerten.