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Nr: NJRE001594825


OLG Zweibrücken 1. Strafsenat, Urteil vom 30.September 2024 , Az: 1 ORs 1 SRs 8/24


Langtext

Tenor

1. Auf die Revision der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz wird das Urteil der 5. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 22.11.2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern zurückverwiesen.


Gründe

Das Amtsgericht Kaiserslautern hat den Angeklagten am 14.12.2022 wegen Beleidigung einer Person des politischen Lebens zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 50 EUR verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Kaiserslautern mit Urteil vom 22.11.2023 das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und das Verfahren gegen den Angeklagten nach § 260 Abs. 3 StPO eingestellt.

Hiergegen richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Das Rechtsmittel ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

I.

Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten nach § 260 Abs. 3 StPO eingestellt. Es hat folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde gelegt:

1. Der Angeklagte postete am 04.09.2021 um 11:56 Uhr auf seinem öffentlich und somit für eine unbestimmte Vielzahl von Personen einsehbaren Facebook-Profil, das er unter dem Account-Namen „…“ betreibt, den Kommentar: „Merkel im Ahrtal…daß sich die dumme Schlampe nicht schämt…“. Der Text war dabei in weißer Schriftfarbe auf braunem Untergrund geschrieben, auf dem zudem insgesamt sieben sogenannte Emoticons in Form von lächelnden Kothaufen zu sehen waren. Dieser Hintergrund war von dem Betreiber der Plattform Facebook erstellt worden und konnte von den Nutzern wie dem Angeklagten verwendet werden. Der Post wurde zweimal als „gefällt mir“ bestätigt. Das Profil des Angeklagten führt 417 Freunde auf.

Der Angeklagte handelte, um hierdurch die frühere Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihrer Ehre herabzusetzen. Anlass war ein Besuch der damaligen Bundeskanzlerin in dem von der Flutkatastrophe im Sommer 2021 betroffenen Ahrtal. Der Angeklagte hatte sich über das Auftreten von Politikern dort geärgert, weil er dies als Verhöhnung der Betroffenen empfand. Er hatte sich zudem über das – aus einer Sicht – gegebene Scheitern der Verantwortlichen geärgert und infolgedessen den oben zitierten Post abgesetzt.

Die damalige Bundeskanzlerin Dr. Merkel trat in der am 26.09.2021 stattgefundenen Wahl zum Deutschen Bundestag weder als Abgeordnete noch als Bundeskanzlerin erneut an.

Mit Schreiben vom 30.06.2022 ließ die frühere Bundeskanzlerin mitteilen, dass sie keinen Strafantrag in dieser Angelegenheit stellt. Auf entsprechende Nachfrage der Polizei erklärte sie mit weiterem Schreiben vom 11.07.2022, dass sie einer Strafverfolgung von Amts wegen nicht widerspricht.

2. Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten eingestellt, weil er den Straftatbestand der Beleidigung einer Person des politischen Lebens nicht erfüllt habe und bezüglich der begangenen Beleidigung die Betroffene ausdrücklich keinen Strafantrag nach § 194 Abs. 1 S. 1 StGB gestellt hat.

Der Tatbestand des § 188 StGB sei bereits in objektiver Hinsicht nicht erfüllt. Zwar sei mit der damaligen Bundeskanzlerin eine im politischen Leben des Volkes stehende Person durch den Post des Angeklagten öffentlich beleidigt worden, allerdings sei dieser Post auf der Plattform Facebook nach Auffassung der Kammer nicht geeignet gewesen, das öffentliche Wirken der Betroffenen erheblich zu erschweren. Der Post sei weder geeignet gewesen das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität der damaligen Bundeskanzlerin zu erschüttern, noch habe er deren Einflussmöglichkeiten nachhaltig geschmälert.

Für die Frage, ob durch eine Beleidigung das politische Wirken der Betroffenen erheblich erschwert werde, sei der jeweilige Einzelfall in den Blick zu nehmen. Dies betreffe die Reichweite der jeweiligen Veröffentlichung, aber auch deren Inhalt und die Person des Betroffenen. Gerade wenn eine Formalbeleidigung vorliege, bei der eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der politischen Tätigkeit der Person deutlich in den Hintergrund trete, fehle es regelmäßig an der Eignung des Inhalts, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Lauterkeit des Betroffenen zu erschüttern bzw. dessen Einflussmöglichkeiten zu beschränken.

Zwar habe der Angeklagte vorliegend den beleidigenden Inhalt auf einer populären Internetplattform veröffentlicht und dies auch im öffentlichen Bereich, d.h. nicht beschränkt auf seine 417 andere Nutzer zählenden „Freundeskreis“. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass der Zugang zu dem Post beschränkt war auf Nutzer der Plattform Facebook. Bei dem Angeklagten handele es sich nicht um einen sog. Blogger oder Influencer, der über eine größere Anhängerschaft und damit Reichweite verfüge. Dementsprechend seien als einzige Reaktionen auf den Post zwei positive Resonanzen zu vermerken.

Weiter sei zu berücksichtigen, dass das politische Wirken der damaligen Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel zum Zeitpunkt der Tat bereits zeitlich begrenzt war, da sie für die unmittelbar bevorstehende Bundestagswahl nicht mehr als Abgeordnete oder gar Bundeskanzlerin angetreten sei und sich aus der Politik zurückzog, was damals bereits bekannt gewesen sei.

II.

Die Revision der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz ist begründet.

1. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es sich bei Frau Dr. Angela Merkel um eine im politischen Leben des Volkes stehende Person handelt, die durch den Post des Angeklagten auf der öffentlichen Plattform „Facebook“ beleidigt wurde.
Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG verlangt bei der Anwendung des § 185 StGB grundsätzlich eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Äußernden. Die Meinungsfreiheit tritt allerdings regelmäßig dann hinter den Ehrschutz zurück, wenn und soweit es sich um herabsetzende Äußerungen handelt, die eine bloße Schmähung der angegriffenen Person darstellen. Einer Abwägung mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit ist eine als bloße Schmähung zu wertende Äußerung regelmäßig nicht zugänglich (KG Berlin, Beschluss vom 12.08.2005 (4) 1 Ss 93/04, NJW 2005, 2872, 2873 m.w.N.). Zur Schmähung wird eine Meinungsäußerung allerdings nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte. Auch eine überzogene und selbst eine ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähkritik. Von einer bloßen Schmähkritik ist namentlich auszugehen, wenn ein sachlicher Anlass nur vorgegeben oder als Vorwand genutzt wird und eine Äußerung eine allein persönlich diffamierende und herabsetzende Zielrichtung hat (Fischer § 193 Rn. 18). Gleiches gilt, wenn es sich um eine Äußerung handelt, deren diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von ihrem konkreten Kontext stets als persönliche diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie es insbesondere bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter - etwa aus der Fäkalsprache - der Fall ist (sog. Formalbeleidigung, vgl.: Senat, Beschluss vom 27.09.2018 - 1 OLG 2 Ss 31/18; OLG Koblenz, Beschluss vom 07.10.2009 - 2 Ss 130/09, juris Rn. 36; OLG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2014 - 1 Ss 599/13, juris Rn. 18 mwN.).
Die Bezeichnung der damaligen Bundeskanzlerin als „dumme Schlampe“ erfüllt somit die vorbezeichneten Voraussetzungen einer Schmähkritik.

2. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht demgegenüber angenommen, dass die Tat im Sinne des § 188 StGB nicht geeignet war, das öffentliche Wirken der Betroffenen erheblich zu erschweren.

a) Teilweise wird zwar vertreten, dass bei der Beurteilung der entsprechenden Geeignetheit nicht alleine auf den Inhalt der Äußerung abgestellt werden könne, sondern auch die Umstände der „Tat“ in den Blick genommen werden müssten (Schönke/Schröder StGB § 188 Rn. 6; NK-StGB/Kargl, 6.Aufl. 2023, § 188 Rn. 14; AG Schwetzingen, Urteil vom 26.06.2023 – 2 Cs 806 Js 336/23).

Zur Begründung wird auf den Wortlaut und die Systematik Bezug genommen und damit argumentiert, dass in § 188 StGB von „Tat“ und nicht wie in § 186 StGB und § 187 StGB von „Tatsachen“ die Rede ist. Zudem würde ein fehlendes Außerachtlassen der Begleitumstände die Gefahr bergen, dass das Verhältnis zwischen Grundtatbestand aus §§ 185 bis 187 StGB zur Qualifikation in § 188 StGB in Ungleichgewicht geraten würde, denn es seien dann kaum Fälle der §§ 186 und 187 StGB denkbar, die nicht zu einer Erfüllung des Qualifikationstatbestandes führen würden, wenn die Tatsache in Bezug auf eine Person des politischen Lebens geäußert würde.

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist demgegenüber zur Beurteilung der Geeignetheit ausschließlich auf den Inhalt der Äußerung abzustellen. Sonstige Umstände, wie beispielsweise die gewählte Verbreitungsart und die Größe des Adressatenkreises bleiben dagegen unberücksichtigt. Der Inhalt der Äußerung muss somit lediglich zur Herbeiführung von erheblichen Nachteilen für den Angegriffenen abstrakt geeignet sein; die Folge selbst braucht demgegenüber nicht eingetreten sein (BGH, Urteil vom 08.01.1954 - StR 611/53; BGH, Urteil vom 06.02.1980 – 2 StR 480/79; BGH, Urteil vom 04.03.1981 – 2 StR 641/80).

c) Die letztgenannte Auffassung ist überzeugend. Grund der Straferhöhung in § 188 StGB gegenüber den §§ 185 bis 187 StGB ist, der Vergiftung des politischen Lebens durch herabsetzende Äußerungen entgegenzuwirken. Geschützt wird jedoch nicht das politische Amt, sondern der Amtsinhaber als Person (BGHSt 6, 159 <160 f.>; Schönke/Schröder StGB § 188 Rn. 1; Fischer § 188 Rn. 2; MüKoStGB/Regge/Pegel § 188 Rn. 1).

Diese Auslegung entspricht dem Willen des Gesetzgebers auch, soweit als Grunddelikt eine Beleidigung in Rede steht.

Durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.03.2021 (BGBl. 2021, 441) wurde der Anwendungsbereich der Norm nicht unerheblich erweitert, indem die Voraussetzungen des Abs. 1 S. 1 seitdem auch für Beleidigungen gem. § 185 StGB straferhöhende Merkmale darstellen; zuvor waren als Grunddelikte lediglich § 186 StGB und § 187 StGB erfasst. Zur Begründung wurde folgendes ausgeführt (BT-Drs. 19/20163, 43):

§ 188 StGB bezweckt einen verstärkten Ehrenschutz für Personen des politischen Lebens, da diese in besonderem Maß ehrverletzenden Angriffen ausgesetzt sind (vergleiche Fischer, StGB, 66. Aufl. 2019, § 188, Rn. 1). Der Vergiftung des politischen Klimas durch Diffamierungen und Verunglimpfungen soll entgegengewirkt werden (Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. 2017, § 188, Rn. 1). Der Schutzzweck der Vorschrift spricht indes dafür, ihren Anwendungsbereich nicht auf die Behauptung falscher Tatsachen zu beschränken, sondern auf Beleidigungen zu erstrecken. Auch diese sind geeignet, das öffentliche Wirken von Personen des politischen Lebens erheblich zu erschweren, wie gerade die in jüngster Zeit zunehmenden verbalen Angriffe auf Kommunalpolitiker belegen, die deren Bereitschaft zum politischen Engagement grundlegend in Frage stellen.“

Die Gegenmeinung schränkt - durch das Abstellen auf die Umstände der Tat - den Anwendungsbereich der Norm demgegenüber ein und widersetzt sich somit dem Willen des Gesetzgebers.

Diese Meinung führt für den Tatrichter auch zu kaum handhabbaren Abgrenzungsschwierigkeiten. Dieser wird regelmäßig nicht in der Lage sein, die Folgen der Äußerung für das politische Wirken der betroffenen Person verlässlich zu ermitteln; zumal das Ausmaß der Verbreitung der Äußerung im Internet kaum einzuschätzen ist, da die Verbreitungsmöglichkeiten über die sozialen Netzwerke vielfältig sind (so z.B. durch das Teilen von Beiträgen oder Erstellen oder Versenden von sog. Sticker o.Ä.).

3. Das Urteil war deshalb aufzuheben. Der Aufhebung unterliegen auch die Feststellungen, da durch die Einstellungen des Verfahrens der Angeklagte die ihn belastenden Feststellungen mit einem Rechtsmittel nicht angreifen konnte. Die Sache bedarf insoweit umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung.