Corona & Familienrecht: Was gilt bei Unterhalt, Umgang & Co?
Die Corona-Krise hat auch erhebliche Auswirkungen im Familienrecht, die heute noch nicht abschließend bewertet werden können. Anwaltschaft und Gerichte werden vor völlig neue Herausforderungen gestellt. Offene Fragen ergeben sich vor allem im Unterhaltsrecht, im Umgangsrecht und auch beim gerichtlichen Verfahren. Wir haben Dr. Wolfram Viefhues gebeten, uns diese Fragen zu erörtern.
Der Beitrag behandelt ein wegen der sich stets verändernden Krisenlage hochaktuelles Thema. Nach Erscheinen können sich sehr schnell Änderungen der Sach- und Rechtslage ergeben. Unser Interviewpartner gibt die ihm bekannte Sach- und Rechtslage mit Stand vom 12.05.2020 wieder.
Welche finanziellen Hilfen hat der Gesetzgeber vorgesehen, wenn wegen Corona Verdienstausfälle auftreten?
Viefhues: Ich will hier nur ein paar Beispiele aufführen.
Hier sind in erster Linie die aktuellen Änderungen beim Arbeitslosengeld und beim Kurzarbeitergeld zu nennen; beim Kurzarbeitergeld sind weitere Anpassungen auf den Weg gebracht. Die Praxis hat hier schon Mühe, auf dem aktuellen Stand zu bleiben.
Eltern, die wegen der notwendigen Kinderbetreuung während einer Pandemie Verdienstausfälle erleiden, können eine Entschädigung in Anspruch nehmen. Die näheren Einzelheiten regelt 56 I 1a InfSchG.
Im Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht sind in Art. 5 einige – vorübergehend geltenden – Änderungen des § 240 EGBG erfolgt, die auch zeitweise Entlastungen für den Bürger beinhalten. So wird bei wesentlichen Dauerschuldverhältnissen dem Schuldner unter bestimmten Umständen ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht eingeräumt, ebenso wird bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine Stundung der in einem bestimmten Zeitraum fälligen Darlehensraten ermöglicht. Zudem enthält das Gesetz einen Kündigungsschutz bei bestimmten Mietrückständen.
Darf die Zahlung von Unterhalt wegen Corona verringert werden?
Viefhues: Um diese Frage zu beantworten, muss man etwas tiefer in die Systematik des Unterhaltsrechts einsteigen.
Punkt 1:
Unterhalt ist immer von der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen abhängig.
Vereinfacht ausgedrückt: Wer kein Geld hat, muss keinen Unterhalt zahlen – es sei denn, man kann ihm einen Vorwurf machen, dass er kein Geld hat. Das ist z.B. dann der Fall, wenn ein Unterhaltspflichtiger seiner Erwerbsobliegenheit nicht nachkommt und sich nach dem Verlust seiner Arbeitsstelle nicht ausreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht. Dann wird gestützt auf die allgemeinen Erfahrungswerte, dass bei ausreichend intensiven Bemühungen die Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes realistisch ist, ein fiktives Einkommen angerechnet.
Ob man einen solchen Vorwurf ganz pauschal in der heutigen Situation erheben kann, möchte ich stark bezweifeln; da muss man schon sehr genau die Umstände des Einzelfalls ansehen.
Punkt 2:
Unterhalt ist immer von der aktuellen Leistungsfähigkeit des Pflichtigen abhängig.
Vereinfacht ausgedrückt: Wer in diesem Monat kein Geld hat, muss in diesem Monat keinen Unterhalt zahlen.
Nun kann man in der familienrechtlichen Praxis nicht jeden Monat den geschuldeten Unterhalt neu ausrechnen. Daher wird üblicherweise der Unterhalt gestützt auf Durchschnittsberechnungen (i.d.R. der letzten 12 Monate) mit einem einheitlichen Betrag festgesetzt. Dabei werden aus praktischen Gründen nicht nur monatliche Einkommensschwankungen, sondern auch größere Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Steuerrückzahlungen nivelliert. Für den zukünftigen Unterhalt wird darauf eine doppelte Prognose gestützt, nämlich einmal auf den Gedanken „es läuft in der Einkommenshöhe so weiter wie bisher“, zum anderen auf die Überzeugung „da sind wir uns sicher“. Beide Komponenten dieser Prognose sind in Corona-Zeiten aber jedenfalls nicht mehr so pauschal haltbar. Denn es ist schon nicht zuverlässig vorhersehbar, wie lange die Gesundheitskrise mit den damit verbundenen Einschränkungen des privaten und wirtschaftlichen Lebens andauern wird. Und ist genauso wenig zuverlässig vorhersehbar, ob und wann nach dem Ende der Gesundheitskrise die wirtschaftliche Lage wieder das „Normalmaß“ angenommen haben wird, das wir bislang allen unterhaltsrechtlichen Überlegungen zugrunde gelegt haben.
Daher muss in dieser außergewöhnlichen Situation bereits mit dem Eintreten der finanziellen Verschlechterung ab diesem Zeitpunkt eine Neuberechnung des Unterhalts vorgenommen werden.
Dr. Wolfram Viefhues
- Weiterer Aufsicht führender Richter am Amtsgericht a.D.
- Mitglied im geschäftsführenden Vorstand des Deutschen EDV-Gerichtstag e.V. und Vorsitzender der Gemeinsamen Kommission elektronischer Rechtsverkehr
- Autor zahlreicher Fachbeiträge zum elektronischen Rechtsverkehr und zum Familienrecht
- Herausgeber des juris PraxisKommentar BGB Band 4 Familienrecht und der juris eBroschüre Elektronischer Rechtsverkehr (ERV)
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Muss bei bestehendem Unterhaltstitel eine Änderung beantragt werden?
Viefhues: Damit spielen Sie auf eine verfahrensrechtliche Frage an. Ist der Unterhalt tituliert, kann in der titulierten Höhe vollstreckt werden, auch wenn der materielle Unterhaltsanspruch für diesen Zeitraum gar nicht mehr besteht. Dies kann nur durch ein Abänderungsverfahren nach §§ 238, 239 FamFG verhindert werden, in dem dann auch auf einen entsprechenden Antrag die Zwangsvollstreckung vorläufig eingestellt wird.
Allerdings passt dieses Werkzeug nicht wirklich auf die Herausforderungen der Corona-Krise. Ein Unterhaltstitel wird geschaffen, um für die Zukunft eine klare, verbindliche Regelung zu erreichen und so auf Dauer für Rechtsfrieden zu sorgen. Einem solchen Titel liegt immer eine Prognose der zukünftigen Gegebenheiten zugrunde; eine Abänderungsmöglichkeit ist nur für den Sonderfall einer unvorhergesehenen Veränderung vorgesehen.
Aber auch in einem solchen Abänderungsverfahren erfolgt eine Abänderung für die Zukunft unter den gleichen Aspekten der möglichen Prognose. Man will auch damit wieder einen neuen Titel schaffen, der möglichst lange Bestand hat.
Wenn man aber – wie jetzt bei der Corona-Krise – die zukünftigen Entwicklungen in keiner Weise zuverlässig vorhersehen kann, sondern man damit rechnen muss, dass sich alle paar Monate die Eckpunkte der Unterhaltsfestsetzung ändern, müsste man auch alle paar Monate ein neues Abänderungsverfahren durchführen. Das kann aber nicht Sinn der Sache sein. Denn jedes Abänderungsverfahren kostet Geld, belastet die Justiz und auch die Nerven der Beteiligten.
Ich rate daher dazu, erst einmal eine einvernehmliche Lösung zu versuchen.
Muss die zum Unterhalt verpflichtete Person eine Nebentätigkeit aufnehmen, wenn sonst kein Mindestunterhalt geleistet werden kann?
Viefhues: Bisher war klar, dass ein seinem minderjährigen Kind gegenüber zum Barunterhalt verpflichteter Elternteil, der mit seinem Erwerbseinkommen nicht den Mindestunterhalt des Kindes sicherstellen konnte, zu einer Nebentätigkeit verpflichtet war. Das gilt auch – und gerade auch – bei Kurzarbeit, zumal der Bedarf an Aushilfen z.B. im Supermarkt, bei der Zulieferung, im Gesundheitsamt oder Krankenhaus nicht von der Hand zu weisen ist. Aber bei der Entscheidung über eine Obliegenheit zur Nebentätigkeit darf gerade jetzt nicht rein pauschal argumentiert werden, sondern muss immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalles – speziell unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit – abgestellt werden. Daher sind auch weitere Erschwernisse in der persönlichen Lebenssituation – wie z.B. fehlende Betreuungsmöglichkeiten für im Haushalt lebenden Kinder – zu berücksichtigen. Zudem sind auch insoweit die Unwägbarkeiten der künftigen Entwicklung (behördliche Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, konjunkturelle Entwicklung) zu beachten.
Zudem ist ein wirtschaftlicher Aspekt ist nicht von der Hand zu weisen. Eine Zusatztätigkeit kann dann nicht verlangt werden, wenn das dadurch erzielte Geld vom Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld abgezogen wird, demnach also weder dem Bezieher dieser Leistungen noch mittelbar dem Unterhaltsgegner davon etwas bleibt. Folglich sind die konkret geltenden Anrechnungsvorschriften zu beachten.
Darf der Umgang wegen Corona verweigert oder verringert werden?
Viefhues: Leider gibt es Elternteile, denen der Umgang mit dem anderen Elternteil ohnehin „ein Dorn im Auge“ ist und die jetzt die Corona-Krise als Joker ansehen, um ihrem Ziel einer Umgangsverweigerung ein legitimes Mäntelchen umzuhängen und dabei auch den aktuellen Notbetrieb bei Gerichten und Jugendämtern ausnutzen, um erst einmal Fakten zu schaffen.
Auch in der Corona-Krise darf das Umgangsrecht aber nicht auf der Strecke bleiben. Die Situation muss hier wesentlich differenzierter betrachtet werden; dabei sollten auch durchaus mal kreative und flexible Lösungen angestrengt werden.
Die schlichte Sorge vor einer Ansteckung beim anderen Elternteil rechtfertigt auf jeden Fall keine Umgangsverweigerung.
Ein behördliches Ausgangsverbot durch die Verordnungen und Allgemeinverfügungen der Länder dürfte kein Recht zur Umgangsverweigerung geben. Dies ist allerdings umstritten. Angesichts der Bedeutung von Umgangskontakten für die Eltern-Kind-Beziehung sind diese grundsätzlich zum erlaubten „absolut nötigen Kontaktminimum“ zu zählen.
Klar ist die Situation, wenn das Kind unter häuslicher Quarantäne steht, die nach § 30 IfSG angeordnet wurde; dann muss der persönliche Umgang ausfallen. Ist der Obhutselternteil vorerkrankt oder pflegt seine alten Eltern im Haushalt und hat daher seinen Haushalt von der Außenwelt isoliert – sich also in freiwillige und vorsorgliche häusliche Quarantäne begeben, in die er auch das Kind einschließt, besteht die Befürchtung, dass das Kind durch den Umgang die Viren „hereinschleppt“. Denkbar und kreativ wäre es hier, das Kind vorübergehend in den Haushalt des anderen Elternteils wechseln zu lassen. Damit wäre auch das Risiko ausgeschlossen, dass das Kind eine Ansteckung aus seiner Schule oder seinem Kindergarten in den Haushalt seines Obhutselternteils einschleppt.
Verfahrensrechtlich ist zudem daran zu erinnern, dass sich der Obhutselternteil auch in Corona-Zeiten nicht eigenmächtig über eine gerichtliche Umgangsregelung hinwegsetzen kann, sondern ggf. eine Änderung dieser Regelung durch das Gericht erreichen muss.
Ist eventuell ein Kontakt nur über Telefon oder Videochats zumutbar?
Viefhues: Auf jeden Fall. Die heutigen Möglichkeiten, Kontakte per Telefon oder sogar Video durchzuführen, sollten verstärkt genutzt werden. Solche Kontakte sind nicht nur zumutbar, sondern durchaus gewünscht.
Wie werden persönliche Anhörungen beim Familiengericht aktuell gehandhabt?
Viefhues: Darauf kann ich keine generelle Antwort geben.
Das Verfahrensrecht verlangt z.B. beim Scheidungsverfahren, aber vor allem auch bei Kindschaftssachen die persönliche Anhörung der Beteiligten. Das hat einmal den Sinn, dass sich das Gericht einen persönlichen Eindruck verschaffen kann, aber zum anderen auch die Möglichkeit eröffnet wird, in einem Gespräch unter Anwesenden gemeinsam nach einer Problemlösung zu suchen.
Eine Verhandlung im Gerichtssaal mit Gesichtsmaske bietet dies sicherlich nicht und schließt auch nicht alle gesundheitlichen Risiken aus. Denkbar ist auch, bestimmte Anhörungen per Video durchzuführen, wie dies in § 128a ZPO bereits erlaubt ist. Allerdings sind in den wenigsten Gerichten die technischen Voraussetzungen hierfür gegeben.
Ob in bestimmten Fallgestaltungen – wie z.B. einer unstreitigen Scheidung – auf eine mündliche Anhörung ganz verzichtet werden kann, wird derzeit intensiv diskutiert.
Mein Fazit ist hier:
Man sollte sehr schnell kreative Lösungen umsetzen, um die Gerichtsverfahren im Interesse der Beteiligten zeitnah bearbeiten und erledigen zu können. Wenn man sich statt dessen hier unnötig an verfahrensrechtlichen Restriktionen festbeißt, führt dies bei gleichbleibenden Eingängen und reduzierten Erledigungen in den Gerichten zu einem wenig bürgernahen Verfahrensstau, der die Justiz und natürlich auch die Anwaltschaft noch lange nach dem Ende der Corona-Krise belasten wird.
Sehen Sie bezogen auf die Corona-Krise den Bedarf für weitere Regelungen des Gesetzgebers – eventuell zum Schutz des Kindeswohls, oder wegen häuslicher Gewalt?
Viefhues: Nein, das ist kein Problem fehlender gesetzlicher Regelungen, sondern die Auswirkung beengter Wohnverhältnisse und fehlender sozialer Kontrolle.
Die Nerven der Familien, die auf der einen Seite Einkommensverluste zu verzeichnen haben, auf der anderen Seite wochenlang ihre Kinder rund um die Uhr zuhause betreuen müssen, sind nachvollziehbar schon stark angespannt. Und wenn dies in einer kleinen Wohnung geschieht, in der man sich nicht mal „aus dem Wege gehen“ kann, sind verstärkte Konflikte – gerade in schon vorher angespannten Verhältnissen - vorprogrammiert. Und wenn dann kein Kindergarten und keine Schule stattfindet und auch die Untersuchungen beim Kinderarzt ausfallen, fallen Spuren von Gewalttätigkeiten gegenüber Kindern schlichtweg nicht auf.
juris: Sehr geehrter Herr Dr. Viefhues, vielen Dank für das Gespräch!
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