• 29.08.2024
  • Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG)

Anforderung an Ermessensentscheidung gem. § 152 Abs. 1 AO n. F.

Anforderung an Ermessensentscheidung gem. § 152 Abs. 1 AO n.F.

Das FG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 24.4.2024 (7 K 7123/23) zu den Anforderungen an eine Ermessensentscheidung gem. § 152 Abs. 1 AO n.F. entschieden. Der Vorsitzende Richter am FG Dr. Ulrich Herbert kommentiert das Urteil und gibt Hinweise für die Praxis:

Die Entscheidung betrifft die durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.2016 (BGBl. I 2016, 1679) eingefügte Neufassung des § 152 AO. Darüber, dass diese im Streitfall anwendbar war, bestand zwischen den Beteiligten kein Streit, so dass das FG von Ausführungen dazu abgesehen hat. Der zeitliche Anwendungsbereich bestimmt sich nach Art. 97 § 8 Abs. 4 EGAO (Steuererklärungen, die nach dem 31.12.2018 einzureichen sind), für Veranlagungssteuern sind dies also im Wesentlichen die VZ 2018 ff. (Schober in Gosch, AO/FGO, § 152 AO Rz. 7).

Abweichend von der bisherigen Rechtslage sieht § 152 AO n.F. sowohl ermessensunabhängige (§ 152 Abs. 2 AO – in der Praxis der Normalfall), als auch ermessenabhängige (§ 152 Abs. 1 AO) Verspätungszuschläge vor. Der Streitfall betrifft die letztgenannte Fallgruppe, zu der (für die Neuregelung) noch keine höchstrichterliche Rspr. vorliegt. Die vorliegende Rspr. der FG zu dieser Norm ist nicht einheitlich. Während ein Teil der FG-Rspr. die in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO a.F. angesprochenen Ermessenskriterien (Zweck, den Stpfl. zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile, sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Stpfl.) anwenden will (insbesondere FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27.4.2023, 4 K 394/21, EFG 2024, 257, Rev. eingelegt, Az. des BFH: V R 13/23), hält dies ein anderer Teil der FG-Rspr. nicht für sachgerecht (Hessisches FG, Urteil vom 19.2.2021, 9 K 939/20, juris; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.3.2024, 7 K 7067/22 [derselbe Senat wie im Besprechungsurteil], EFG 2024, 1361, Rev. anhängig, Az. des BFH: XI R 19/24); wohl auch Sächsisches FG, Urteil vom 8.11.2023, 8 K 682/23, juris, Rev. eingelegt, Az. des BFH: XI R 1/24). Da nach § 152 Abs. 1 AO n.F. nur ein Ermessen über das „ob“ der Festsetzung des Verspätungszuschlags, jedoch nicht über die Höhe des Verspätungszuschlags besteht, hat sich das FG zu Recht der letztgenannten Auffassung angeschlossen.

Dementsprechend ließ es das FG ausreichen, dass sich die Finanzbehörde im Rahmen der Ermessenserwägungen darauf beschränkt hat, auf die wiederholt erheblich verspätete Abgabe der Steuererklärungen hinzuweisen. Damit hatte die Finanzbehörde Abschn. 5.2 AEAO zu § 152 AO umgesetzt, in dem die wiederholte Verletzung der Erklärungsfrist als Anwendungsfall für die ermessensabhängige Festsetzung des Verspätungszuschlags hervorgehoben wird.

Abweichendes dürfte gelten, wenn Besonderheiten des Sachverhalts vorliegen, die Anlass zu Erörterungen seitens der Finanzbehörde geben, z.B., wenn auf Grund der Liquidation des Stpfl. keine weiteren Steuererklärungen mehr abzugeben waren (vgl. FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27.4.2023, 4 K 394/21, EFG 2024, 257, Rev. eingelegt, Az. des BFH: V R 13/23) oder wenn auf Grund der wirtschaftlichen Situation des Stpfl. Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die gesetzlich vorgegebene Höhe des Verspätungszuschlags die finanzielle Leistungsfähigkeit des Stpfl. überfordert (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.3.2024, 7 K 7067/22, EFG 2024, 1361, Rev. anhängig, Az. des BFH: XI R 19/24). Damit ist – insbesondere für die zweite Fallgruppe – nicht gesagt, dass insoweit eine Festsetzung des Verspätungszuschlags stets ausscheidet. Der Finanzbehörde ist jedoch zuzumuten, dass sie diese Besonderheiten des Sachverhalts zur Kenntnis nimmt und in ihre Erwägungen in erkennbarer Weise einbezieht.

Schließlich weist der Besprechungsfall noch verfahrensrechtliche Besonderheiten auf: Ursprünglich hatte die Finanzbehörde (zu Recht) eine ermessensunabhängige Festsetzung des Verspätungszuschlags vorgenommen, weil sich nach der ursprünglichen (Schätzungs-)Veranlagung für die Umsatzsteuer eine Nachzahlung ergeben hatte. Davon musste die Finanzbehörde nach Einreichung der Steuererklärung abrücken. Das FG hat es als rechtlich unbedenklich angesehen, dass die Finanzbehörde die Festsetzung, die sich von Anfang an auf den Mindestbetrag von 25 €/Monat Verspätung beschränkt hatte, bestehen ließ und die erforderlichen Ermessenserwägungen in einem Schriftsatz an das FG vor Erlass des Bescheids über die Aufrechterhaltung des Verspätungszuschlags mitteilte (ebenso, wenn auch nicht entscheidungserheblich FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.3.2024, 7 K 7067/22, EFG 2024, 1361, Rev. anhängig, Az. des BFH: XI R 19/24).

Adressaten von ermessensabhängigen Festsetzungen von Verspätungszuschlägen sollten ausgehend von der vorliegenden Rspr. prüfen, ob ein Rechtsbehelf gegen die Festsetzung Aussicht auf Erfolg hat. Gegebenenfalls kommt ein Ruhen des Rechtsbehelfsverfahrens gem. § 363 Abs. 2 Satz 1 AO oder § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 251 ZPO im Hinblick auf die oben erwähnten Revisionsverfahren in Betracht.

Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG)

Quelle:
Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG)

Fundstelle:
EFG 2024, 1357-1361

Autoren:
Vorsitzender Richter am FG Dr. Ulrich Herbert