• 07.01.2025
  • Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG)

Persönliches Budget (§ 29 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) und Sozialgrenze des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG a. F.

Persönliches Budget (§ 29 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) und Sozialgrenze des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG a.F.

Das Hessische FG hat mit Urteil vom 11.6.2024 (6 K 448/21) zum Persönlichen Budget (§ 29 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) und zur Sozialgrenze des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG a.F. entschieden. Der Richter am FG Dr. Felix Magnus Kessens kommentiert die Entscheidung und gibt Hinweise für die Praxis:

I. Problemstellung

Das Hessische FG hatte darüber zu entscheiden, ob Leistungen, die Leistungsempfänger aus ihrem „Persönlichen Budget“ gem. § 29 SGB IX bezahlt hatten, auf die Sozialgrenze des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG (seit dem 1.4.2024: Buchst. n) anzurechnen sind oder unmittelbar gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der MwStSystRL von der Umsatzsteuer befreit werden können. Das Hessische FG hat – die Klage abweisend – entschieden, dass eine Anrechnung auf die Sozialgrenze nicht in Betracht kommt und ihre Leistungen daher steuerpflichtig sind.

II. Rechtsauffassungen/die Entscheidung des FG

Die Entscheidung reiht sich in verschiedene finanzgerichtliche Judikate ein, die die Rechtsfrage allesamt gleichlaufend entschieden haben. In zwei weiteren Verfahren sind Revisionen noch anhängig (Niedersächsisches FG, Urteil vom 25.3.2021 11 K 252/20, juris, rkr.; Hessisches FG, Urteil vom 20.10.2021 1 K 736/19, EFG 2022, 365, mit Anm. Brenne, Rev. eingelegt, Az. des BFH: V R 1/22; FG Düsseldorf, Urteil vom 14.12.2022 5 K 2911/18 U, EFG 2023, 1170, mit Anm. Kessens, Rev. eingelegt, Az. des BFH: XI R 1/23; Rev. in diesem Verfahren: XI R 25/24). In umsatzsteuersystematischer Hinsicht halte ich die klageabweisenden Entscheidungen allesamt für zutreffend (wie bereits eingehend ausgeführt in EFG 2023, 1170), wobei zur Wahrheit auch gehört, dass erst die Entscheidung der Revisionsinstanz die nötige Rechtssicherheit herstellen wird.

Diese restriktive Auslegung stellt auch keinen Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention dar (vgl. überzeugend Rz. 42 ff. des Besprechungsurteils). Sie begründet zudem keinen die Verfassungswidrigkeit der Norm auslösenden Gleichheitsverstoß nach Art. 3 GG (a. A. Schlegel, DStR 2023, 923). In derartigen Fällen liegen zwar stets identische Leistungen desselben Leistenden vor, aber die Umstände, wer umsatzsteuerrechtlich als Leistungsempfänger anzusehen ist (mit allen zivilrechtlichen Konsequenzen) und wer die Leistung bezahlt, rechtfertigen eine Differenzierung. Ungleiches ist nämlich nach dem Maß seiner Verschiedenheit auch entsprechend unterschiedlich zu behandeln. Außerdem ist fraglich, ob der vermeintliche Verfassungsverstoß überhaupt vor dem BVerfG gerügt werden könnte, da mit Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der MwStSystRL, der Grundlage des § 4 Nr. 16 UStG ist, vereinheitlichtes Unionsrecht vorliegt. Nach der Rspr. des BVerfG sind nämlich nach dem Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts bei der Anwendung unionsrechtlich vollständig vereinheitlichter Regelungen in aller Regel nicht die Grundrechte des Grundgesetzes, sondern allein die Unionsgrundrechte maßgeblich und durch den EuGH zu prüfen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 6.11.2019 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 216 – Recht auf Vergessen II).

III. Hinweise für die Praxis

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die nunmehr drei anhängigen Revisionsverfahren repräsentativ für eine Vielzahl auftretender Fälle sind, in denen aus Sicht des Gesetzgebers ein unerwünschtes Verhalten der Wirtschaftsteilnehmer hervorgerufen wird. Mit dem „Persönlichen Budget“ soll den Berechtigten ein selbstbestimmtes Leben in eigener Verantwortung ermöglicht werden, indem regelmäßige Geldzahlungen zur Verfügung gestellt werden, durch die sie Leistungen selbst organisieren können (BSG-Urteil vom 28.1.2021 B 8 SO 9/19 R, BSGE 131, 246, Rz. 30). Dieses gesetzgeberische Ziel könnte dann konterkariert werden, wenn die die Leistung erbringenden Unternehmen von einem Vertragsschluss und einer Leistungserbringung gegenüber Empfängern des „Persönlichen Budgets“ absehen, um nicht zu riskieren, dass die Befreiung sämtlicher ihrer Umsätze von der Umsatzsteuer entfällt. Dann würde sich für die Hilfsbedürftigen entweder die Auswahl der möglichen Leistenden reduzieren oder der Sozialversicherungsträger müsste im Rahmen der Bereitstellung des „Persönlichen Budgets“ die Umsatzsteuer zusätzlich zahlen. In diesem Zusammenhang ist der quantitative Aspekt unbekannt. Ob die vorstehenden unerwünschten „wirtschaftlichen Ausweichbewegungen“ tatsächlich in größerem Umfang stattfinden oder ob es sich bei den drei anhängigen Revisionen lediglich um die zu Gericht gelangten „Unfälle“ handelt, bedarf der Feststellung. Gegebenenfalls sollte die Rechtslage angepasst werden.

Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG)
Quelle: Fundstelle:
  • EFG 2025, 56-61
Autoren:
  • Richter am FG Dr. Felix Magnus Kessens