- 15.12.2023
- Goltdammer's Archiv für Strafrecht (GA)
Zum Umgang mit langen Zeitabständen zwischen Tat und Urteil
Liegt zwischen einer schweren Tat und ihrer Verurteilung ein erheblicher zeitlicher Abstand, können Richterinnen und Richter vor einem Dilemma stehen. Die Schuld des Täters verlangt nach einer angemessen hohen Strafe, aus Gründen der Resozialisierung erscheint eine Vollstreckung der Freiheitsstrafe hingegen nicht geboten. In der Praxis werden nicht selten disproportional milde Strafen verhängt, um eine Aussetzung zur Bewährung zu ermöglichen; damit wird jedoch gegenüber dem Täter, dem Opfer und der Gesellschaft eine falsche Bewertung des begangenen Unrechts kommuniziert.
Der Beitrag untersucht die Bedeutung von Zeitabläufen für die Beurteilung der Schuld des Täters und für die Notwendigkeit der Strafvollstreckung. Auf Basis der Annahme, dass die Übelszufügung durch realen Freiheitsentzug grundsätzlich notwendiger Inhalt der staatlichen Kommunikation ist, kommt der Vollstreckung zwar Bedeutung für den gerechten Schuldausgleich zu; bei langen Zeitabläufen verschieben sich jedoch die Gewichte zugunsten spezialpräventiver Erwägungen. Vorgeschlagen wird daher eine Erweiterung der Aussetzungsfähigkeit auch bei hohen Strafen, wenn Zeitablauf und Lebenswandel den Vollzug der Strafe unötig erscheinen lassen.