- 19.09.2024
- Goltdammer's Archiv für Strafrecht (GA)
Keine Gerechtigkeit um jeden Preis.
Mit seinem epochalen wie mutigen Urteil vom 31.10.2023 hat der Zweite Senat des BVerfG den Wiederaufnahmegrund gem. § 362 Nr. 5 StPO, der durch das sog. „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ eingeführt wurde, für unvereinbar mit dem Mehrfachverfolgungsverbot aus Art. 103 Abs. 3 GG, auch in Verbindung mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes aus Art. 20 Abs. 3 GG, und für nichtig erklärt. Die Vorschrift erlaubte die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten von Freigesprochenen, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die dringende Gründe dafür bilden, dass der im früheren Verfahren Freigesprochene wegen Mordes oder bestimmter Straftaten nach dem VStGB verurteilt wird. Neuland hat der Senat betreten, indem er erstmals die mit Art. 103 Abs. 3 GG verbürgten Verfassungsbindungen der Gesetzgebung konkretisieren musste, ohne die sich aus diesen Bindungen ergebenden Folgefragen für die herkömmlichen Wiederaufnahmegründe in § 362 Nr. 1–4 StPO aus dem Blick zu verlieren. Auch wenn seine Lösung im Grundsatz überzeugt, bleiben einige Fragen offen.