Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das BAG hatte im Revisionsverfahren über einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz gemäß Art 82 DSGVO zu entscheiden.
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem Jahr 2009 beschäftigt. Die Beschäftigung erfolgte entweder im Außendienst oder im Homeoffice. 2017 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis, der Kläger obsiegte mit der Kündigungsschutzklage. Als die Beklagte daraufhin dem Kläger eine neue Stelle anbot und ihn zu einem Gespräch hierzu einlud, legte der Kläger im März 2020 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor und sagte das Gespräch ab. Im Oktober 2020 kündigte die Beklagte aus vermeintlich betriebsbedingten Gründen erneut, auch hier gewann der Kläger seine Kündigungsschutzklage.
Das Arbeitsverhältnis wurde nicht spannungsfrei fortgeführt, vielmehr sprach die Beklagte eine dritte Kündigung am 29.07.2021 aus. Diesmal handelte es sich um eine Änderungskündigung mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis als „Account Manager“ für die Region Süd fortzusetzen. Der Kläger hätte hierfür umziehen müssen. Der Kläger nahm das Angebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an; auf seine Klage hin erklärte das Arbeitsgericht das Änderungsangebot für sozial gerechtfertigt. Nachdem die Beklagte den Kläger zur Arbeitsaufnahme zu den neuen Bedingungen ab dem 01.12.2021 aufgefordert hatte, zeigte dieser am 30.11.2021 eine Erkrankung an. Am 10.01.2022 nahm der Kläger dann die Arbeit auf. In der Folge kam es bereits in den nächsten Wochen zu Auseinandersetzungen darüber, ob die tatsächlich zugewiesenen Aufgaben dem Änderungsangebot entsprachen.
Am 04.02.2022 dann meldete der Kläger sich erneut arbeitsunfähig, dies unter Hinweis auf eine erlittene Verletzung. Am selben Tag stellte eine Fachärztin Arbeitsunfähigkeit bis zum 18.02.2022 fest; mit einer Folgebescheinigung vom 17.02.2022 wurde die Arbeitsunfähigkeit bis zum 04.03.2022 attestiert. Auf Veranlassung der Beklagten wurde der Kläger vom 25.02.2022 bis zum 04.03.2022 durch eine Detektei überwacht, wovon sich die Beklagte Hinweise auf eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit versprach. Hierbei wurden auch die Hausarztpraxis des Klägers sowie das Wohnhaus seiner Lebensgefährtin überwacht. Die Detektei erstellte dann einen Bericht. In diesem finden sich u.a. Angaben darüber, was der Kläger wann vor seinem Haus machte, dass er das linke Bein nachzog, dass die Detektei nicht den Eindruck hatte, der Kläger könne nicht schwer tragen und dass er auf seiner Terrasse Dinge gesägt und geschliffen habe.
Die Beklagte vermutete hieraufhin eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit und hörte den Kläger am 23.03.2022 hierzu an. Der Kläger wies darauf hin, dass die observierten Tätigkeiten seine Genesung nicht behindert hätten.
Mit Schreiben vom 31.08.2022 forderte der Kläger von der Beklagten eine Schmerzensgeldzahlung von mindestens 25.000 Euro. Er meinte, es habe kein Anlass für die Überwachung bestanden, und deshalb verstoße diese gegen die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung. Der Kläger klagte dann beim Arbeitsgericht auf die Zahlung dieses Betrages. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab; das Landesarbeitsgericht sprach dem Kläger eine Entschädigung i.H.v. 1.500 Euro zu. Hiergegen legten beide Parteien Revision ein, über die das BAG zu entscheiden hatte.
Das BAG hat beide Revisionen zurückgewiesen und führt zusammengefasst hierzu aus:
Der Kläger habe den Anspruch auf Zahlung der 1.500 Euro, nicht jedoch einen hierüber hinausgehenden Zahlungsanspruch. Ein Verstoß der Beklagten gegen die Datenschutz-Grundverordnung sei gegeben. Die Beklagte sei für die Überwachung des Klägers verantwortlich und habe ohne dessen Einwilligung dessen Gesundheitsdaten verarbeitet. Eine Erforderlichkeit dieser Datenverarbeitung entsprechend Art. 9 DSGVO i.V.m. § 26 BDSG sei nicht gegeben.
Jedenfalls soweit Daten etwa dazu erhoben und verarbeitet wurden, ob der Kläger das Bein nachzog und wieviel er tragen konnte, habe es sich um besonders schutzwürdige Gesundheitsdaten gehandelt. Deren Verarbeitung könne höchstens dann zulässig – weil erforderlich – sein, wenn der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert und eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse (§ 275 SGB V) unmöglich oder nicht zielführend sei. Bereits vor dem Inkrafttreten der DSGVO und der Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes habe das BAG herausgearbeitet, dass eine Überwachung des Beschäftigten nur dann zulässig ist, sofern berechtigte Zweifel an der Richtigkeit einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestehen sollten (BAG, Urt. v. 29.06.2017 - 2 AZR 597/16). Sofern solche Zweifel bestünden, habe der Arbeitgeber sich zunächst um eine Klärung durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen zu bemühen, da dies das mildere Mittel sei (BAG, Urt. v. 29.06.2017 - 2 AZR 597/16).
Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei vorliegend nicht erschüttert gewesen. Das BAG sei hier an die Würdigung des Landesarbeitsgerichts gebunden; diese könne nur auf grobe Fehlerhaftigkeit hin überprüft werden. Zutreffend und in nicht zu beanstandender Weise sei hier das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gekommen, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei nicht ausnahmsweise erschüttert gewesen. Der Kläger habe durch die unzulässige Überwachung auch einen immateriellen Schaden i.S.v. Art. 82 DSGVO erlitten. Die Entschädigung dieses Schadens diene einem Ausgleich, habe jedoch keine darüber hinausgehende Abschreckungs- oder Straffunktion (EuGH, Urt. v. 25.01.2024 - C-687/21 „MediaMarktSaturn“). Der Kläger habe darlegen müssen, dass ein Verstoß gegen die DSGVO vorgelegen habe und dass er einen Schaden erlitten habe. Hier sei dem Landesarbeitsgericht zu folgen, das angenommen habe, der Schaden liege in dem erlittenen Kontrollverlust und dem Verlust der Sicherheit vor Beobachtung im privaten Umfeld. Bei einer mehrtägigen Überwachung sei die Angst vor Kontrollverlust und weiterer Überwachung „selbsterklärend“ und müsste nicht weiter dargelegt werden.
Schließlich habe das Landesarbeitsgericht die Entschädigung mit einer Höhe von 1.500 Euro auch ohne erkennbare Rechtsfehler angemessen festgesetzt.
Da die DSGVO selbst keine Regelung zur Höhe des Schadensersatzes treffe, sei von den jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften auszugehen (EuGH, Urt. v. 20.06.2024 - C-182/22, C-189/22 „Scalable Capital“). Der im Einzelfall erlittene Schaden sei jeweils auszugleichen, wobei den Tatsachengerichten nach § 278 ZPO ein weiter Spielraum zustehe. Das Landesarbeitsgericht sei zwar entgegen der jüngsten Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urt. v. 20.06.2024 - C-182/22, C-189/22 „Scalable Capital“) noch davon ausgegangen, dem Schadensersatz komme neben dem Ausgleich des Schadens auch eine Abschreckungsfunktion zu. Dennoch erweise sich der ausgeurteilte Betrag als im Ergebnis angemessen, auch wenn nur die Ausgleichsfunktion zugrunde gelegt werde.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung begegnet keinen Bedenken. Hinsichtlich der Entschädigung nach Art. 82 DSGVO war etwas unklar, ob diese nur der Entschädigung des Betroffenen dient oder darüber hinaus auch eine Abschreckungs- bzw. Strafschadensfunktion im Sinne der Verhaltenssteuerung und Prävention entfalten soll, wodurch sie letztlich höher ausfallen könnte. Dies wurde durch den EuGH auf Vorlage des AG München zwischenzeitlich geklärt. In der Entscheidung vom 20.06.2024 (C-182/22 und C-189/22) hat der EuGH entschieden, dass die Entschädigung nach Art. 82 DSGVO allein dem Ausgleich des dem Betroffenen entstandenen Schadens dient. Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, wenn das BAG die durch das Landesarbeitsgericht ausgeurteilten 1.500 Euro im Rahmen der begrenzten Rechtskontrolle als Revisionsgericht nicht beanstandet.
Auch in Bezug auf die Bespitzelung von Arbeitnehmern durch Privatdetektive folgt das BAG im Grundsatz seiner bisherigen Rechtsprechung. Das BAG hat bereits früher festgestellt, dass die Observation eines Beschäftigten einen schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt, der nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn erhebliche Anhaltspunkte für eine Straftat tatsächlich bestehen. Entsprechend muss beim Vorliegen einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung deren Beweiswert bereits erschüttert sein, bevor der Arbeitgeber eine Observation veranlasst (BAG, Urt. v. 19.02.2015 - 8 AZR 1007/13). Anderenfalls drohen Entschädigungsklagen, die sowohl auf Art. 82 DSGVO wie auch auf § 823 BGB gestützt werden können.
In aller Regel dürfte es sowohl verschenktes Geld wie auch ein zusätzliches Risiko weiterer Entschädigungszahlungen bedeuten, krankgeschriebenen Arbeitnehmern hinterherzuschnüffeln. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nur selten ernsthaft erschüttert, und weiterhin ist kaum vorstellbar, dass bei derartigen Ermittlungsversuchen etwas herauskommt.
In Bezug auf die Beurteilung der Frage, ob Arbeitsunfähigkeit für eine bestimmte Tätigkeit bei einem bestimmten Arbeitgeber vorliegt, scheint die Sache an sich klar. Da es sich um eine medizinische Frage handelt, ist die Antwort von Ärzten zu geben, die hierfür ausgebildet sind. Entsprechend regelt das EFZG den Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit durch ärztliche Bescheinigung und bestimmt, dass bei begründetem Verdacht einer falschen Bescheinigung durch den behandelnden Arzt eine Überprüfung durch den ebenfalls hierfür ausgebildeten medizinischen Dienst der Krankenkassen in Betracht kommt.
Kommen weitere Personen ins Spiel, wird die Sache komplizierter, und gegenüber Ärzten nimmt die Fähigkeit zur Beurteilung medizinischer Fragen dramatisch ab. Um in der Bundesrepublik Arbeitgeber zu sein, muss niemand eine Schule von innen gesehen haben. Detektive müssen wohl eine kurze Ausbildung durchlaufen, staatlich geregelt ist diese nicht. Arbeitsrechtler haben zwar einmal studiert, das Jurastudium hat aber nichts mit Medizin zu tun und qualifiziert in keiner Weise für die Beurteilung medizinischer Sachverhalte. Wenn mithin Arbeitgeber Detektive beauftragen, um herauszufinden, ob sie gegenüber dem Arbeitsgericht Anhaltspunkte für eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit finden, versucht am Ende eine Gruppe medizinischer Laien eine ärztliche Stellungnahme zu beurteilen. Entsprechend führt dies für Arbeitgeber selten zum gewünschten Ergebnis, was in der Natur der Sache liegt. Regelmäßig sind dem Arbeitgeber weder die Diagnose noch die Beschwerden bekannt, die zu einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung führten. In diesem Fall sind sämtliche denkbaren Beobachtungen durch einen Detektiv komplett nutzlos, da keine beobachtbare Tätigkeit eine Arbeitsunfähigkeit an sich ausschließen kann. Interessant wird es mithin nur dann, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Diagnose wahrheitsgemäß mitgeteilt hat und dann bei Tätigkeiten angetroffen wird, die mit dieser Diagnose an sich unmöglich sein sollten (vgl. zu einer mitgeteilten Entzündung des Schultergelenks und festgestellten körperlich schweren Tätigkeiten während der Arbeitsunfähigkeit BAG, Urt. v. 26.09.2013 - 8 AZR 1026/12). Derartig klare Fälle dürften aber kaum einmal vorkommen.