Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger schloss mit der A GmbH, einem Zeitarbeitsunternehmen, mit Wirkung zum 01.09.2014 einen Arbeitsvertrag. In diesem wird – wie auch in späteren Arbeitsverträgen – auf für die Zeitarbeitsbranche geltenden Tarifverträge Bezug genommen. In einer Zusatzabrede wurde vereinbart, dass der Kläger die Arbeitsleistung bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie, als Metallarbeiter zu erbringen hat. Die A GmbH überließ den Kläger in der Zeit vom 01.09.2014 bis zum 31.05.2019 (mit einer Elternzeit-bedingten Unterbrechung vom 21.04.2016 bis zum 20.06.2016) ausschließlich an die Beklagte.
Die Beklagte ist Mitglied des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg (VME), der mit der IG Metall am 01.07.20217 mit Wirkung zum 01.04.2017 den TV LeiZ abgeschlossen hat, in dem u.a. eine ÜHD von bis zu 48 Monaten und eine Öffnungsklausel zugunsten freiwilliger Betriebsvereinbarungen vorgesehen ist, um den Einsatz von Zeitarbeitnehmern zu regeln, insbesondere mit Blick auf eine Höchstdauer des Einsatzes.
Die Beklagte hat mit dem Gesamtbetriebsrat am 16.09.2015 eine „Gesamtbetriebsvereinbarung zur Erhöhung der Personalflexibilität“ (GBV) für die Werke und die Zentrale geschlossen. Am 20.09.2017 vereinbarten die Betriebsparteien eine „freiwillige Gesamtbetriebsvereinbarung“, mit der u.a. die GBV wie folgt ergänzt wurde:
„Der Einsatz von Zeitarbeitnehmern im direkten Bereich (Produktion) darf eine Höchstdauer von 36 Monaten nicht überschreiten. Für Zeitarbeitnehmer, die am 01.04.2017 bereits beschäftigt waren, zählen für die ÜHD von 36 Monaten Einsatzzeiten ab dem 01.04.2017. Für Zeitarbeitnehmer, die nach dem 01.04.2017 beschäftigt werden, gelten die 36 Monate vom Zeitpunkt des Einsatzbeginns.“
Das ArbG Berlin wies die Klage ab. Der LArbG Berlin-Brandenburg setzte den Rechtsstreit aus und rief den EuGH an, der die vorgelegten Fragen mit Urteil vom 17.03.2022 (C-232/20) beantwortete. Unter Beachtung dieser Vorgaben hatte die Berufung des Klägers vor dem LArbG Berlin-Brandenburg keinen Erfolg.
Zwischen den Parteien sei – so das Gericht – kein Arbeitsverhältnis nach den §§ 9 Abs. 1 Nr. 1b, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG begründet worden. Die ÜHD sei durch den Einsatz des Klägers bei der Beklagten in der Zeit vom 01.09.2014 bis zum 31.05.2019 nicht überschritten worden. Die gesetzliche ÜHD von 18 Monaten sei wirksam auf 36 Monate – unter Berücksichtigung der Überlassungszeiten ab dem 01.04.2017 – verlängert worden.
Die ÜHD sei arbeitnehmer-, nicht arbeitsplatzbezogen zu bestimmen. Der Kläger sei der Beklagten im Zeitraum vom 01.09.2014 bis zum 31.05.2019 – nach Abzug der Elternzeit – insgesamt 55 Monate überlassen worden. Bezugspunkt der Einsatzzeit sei die Dauer der Eingliederung des überlassenen Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation eines Entleihers. Dies habe der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des AÜG und anderer Gesetze klargestellt. Die arbeitnehmerbezogene Berechnung der Überlassungsdauer sei mit dem Unionsrecht vereinbar.
Damit sei zwar die (gesetzliche) ÜHD von 18 Monaten nach § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG überschritten worden. Für die Parteien und die A GmbH sei aber die nach der GBV i.V.m. TV LeiZ, § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG festgelegte Höchstdauer von 36 Monaten ab dem 01.04.2017 maßgebend.
Nach § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG könne in einer Betriebsvereinbarung, die aufgrund eines Tarifvertrags nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG getroffen werde, eine abweichende ÜHD festgelegt werden. Diese müsse eine konkrete zeitliche Grenze bestimmen, durch die der „vorübergehende“ Charakter der Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG gewahrt werde, selbst wenn in § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG keine Obergrenze festgelegt werde (vgl. BAG, Urt. v. 14.09.2022 - 4 AZR 26/21).
Durch eine Betriebsvereinbarung nach § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG werde die zulässige ÜHD nicht nur für den Entleiher als Betriebspartei, sondern zugleich für die überlassenen Zeitarbeitnehmer und den Verleiher geändert. Die Zuordnung der Regelungsmacht an die Betriebsparteien des Einsatzbetriebs folge aus der Zuweisung der tariflichen Regelungsmacht an die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG. Eine auf dieser Grundlage geschlossene Betriebsvereinbarung solle die gleichen Auswirkungen wie der ihr zugrunde liegende Tarifvertrag haben. Nach dem gesetzgeberischen Konzept solle ein derartiger Tarifvertrag oder eine darauf aufsetzende Betriebsvereinbarung einheitlich die ÜHD für alle an der Überlassung Beteiligten (nämlich Entleiher, Verleiher und Zeitarbeitnehmer) ändern. Weder in § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG noch in § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG werde zwischen Entleih- und Verleihdauer unterschieden. Auch der Gesetzgeber gehe von einer (einheitlichen) ÜHD aus.
Die Geltung eines Tarifvertrags nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG, durch den die nach § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG gesetzlich festgelegte ÜHD abweichend geregelt werde, erfordere allein die Tarifgebundenheit des Entleihers. Für den Verleiher und den überlassenen Arbeitnehmer gelte die tarifliche Regelung unabhängig von deren Tarifgebundenheit. Es handle sich bei einer solchen weder um eine Inhalts- noch um eine Betriebsnorm i.S.d. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2 TVG. Vielmehr machten die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche von der ihnen vom Gesetzgeber eingeräumten Regelungsermächtigung Gebrauch, die sich von den in § 1 Abs. 1 TVG genannten Arten von Tarifnormen und deren unmittelbarer und zwingender Geltung unterscheide. Diese gesetzliche Strukturierung sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch das Unionsrecht stehe dieser nicht entgegen (BAG, Urt. v. 14.09.2022 - 4 AZR 26/21; BAG, Urt. v. 14.09.2022 - 4 AZR 83/21; BAG, Urt. v. 05.04.2023 - 7 AZR 224/22).
Die für die Parteien und die Verleiherin maßgebende ÜHD habe durch die GBV in Verbindung mit dem TV LeiZ auf 36 Monate ab dem 01.04.2017 ohne Berücksichtigung vorheriger Überlassungszeiten verlängert werden können.
Der Gesamtbetriebsrat sei für deren Abschluss nach § 50 Abs. 1 BetrVG zuständig gewesen. Der TV LeiZ sei wirksam zustande gekommen. Die IG Metall und der VME seien als Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG tarifzuständig.
Der TV LeiZ gestatte die Festlegung einer von 48 Monaten, die tariflich zulässig wären, abweichenden ÜHD durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung. Die in Nr. 2 TV LeiZ genannten arbeitsplatzbezogenen Merkmale stünden dem nicht entgegen. Die Tarifvertragsparteien wollten mit der Regelung keine zusätzlichen Kriterien für die mögliche Verlängerung der ÜHD durch eine Betriebsvereinbarung einführen. Eine derartige Bedeutung komme der Norm auch nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG (vgl. Urt. v. 08.11.2022 - 9 AZR 486/21) nicht zu. So habe das BAG zu § 2 Nr. 2 TV LeiZ ausgeführt, dass die Nichteinhaltung qualitativer oder quantitativer Anforderungen an die durch Zeitarbeitnehmer zu besetzenden Arbeitsplätze den Betriebsrat dazu berechtigen möge, seine Zustimmung zur beabsichtigten Einstellung zu verweigern (vgl. BAG, Beschl. v. 30.09.2014 - 1 ABR 79/12). Eine weiter gehende Bedeutung der Tarifregelung habe es – jedenfalls bisher – abgelehnt.
Die Nichterfüllung der Voraussetzungen nach Nr. 2.1 TV LeiZ, auf die sich der Kläger berufe und in diesem Zusammenhang eine befristete Überlassung bestreite, hätte nur zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses führen können, wenn wegen der Nichtanwendbarkeit der Bestimmungen des TV LeiZ die gesetzliche ÜHD maßgeblich gewesen wäre. Soweit die Tarifvertragsparteien in Nr. 2 TV LeiZ nämlich einen vorübergehenden Einsatz nicht nur an die Einhaltung der tarifvertraglichen ÜHD, sondern auch an arbeitsplatzbezogene Merkmale knüpften, führe eine Verletzung dieser Vorgaben nicht zur Anwendung des Rechtsfolgensystems in den §§ 9 Abs. 1, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG. § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG ordne die zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG führende Unwirksamkeit des Arbeitsverhältnisses nur für den Fall der Überschreitung der „zulässigen ÜHD nach § 1 Abs. 1b“ AÜG an. Das Rechtsfolgensystem sei insoweit abschließend. Für die Verletzung anderweitiger, den Begriff des vorübergehenden Einsatzes weiter gehend einschränkender Bestimmungen sehe das Gesetz diese Rechtsfolge nicht vor. Der (Fort-)Bestand des Zeitarbeitsverhältnisses zum Verleiher bleibe bei einer gegen die einschränkenden Regelungen verstoßenden Beschäftigung mangels gesetzlicher Anordnung unberührt (vgl. BAG, Urt. v. 08.11.2022 - 9 AZR 486/21).
Die in der GBV vorgesehene ÜHD von 36 Monaten unterschreite die im TV LeiZ vorgegebene maximale Überlassungszeit von 48 Monaten und halte sich im Rahmen dessen, was als „vorübergehend“ i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG anzusehen sei. „Vorübergehend“ bedeute nach dem allgemeinen Sprachgebrauch „zeitlich begrenzt“. Nicht „vorübergehend“ sei eine Überlassung, wenn sie unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände, zu denen insbesondere die Branchenbesonderheiten zählten, vernünftigerweise nicht mehr als „vorübergehend“ betrachtet werden könne. Dies sei jedenfalls der Fall, wenn die Überlassung ohne jegliche zeitliche Begrenzung erfolge und der Zeitarbeitnehmer dauerhaft anstelle eines Stammarbeitnehmers eingesetzt werden solle. Aus den Regelungen nach § 1 Abs. 1b Sätze 1, 6 AÜG, die die ÜHD außerhalb der Geltung eines Tarifvertrags auf 18 und 24 Monate festlegten, ergebe sich zudem, dass eine „vorübergehende“ Überlassung diesen Zeitraum übersteigen könne (vgl. BAG, Urt. v. 05.04.2023 - 7 AZR 224/22).
Danach sei die vereinbarte ÜHD als „vorübergehend“ anzusehen. Sie stelle eine hinreichend konkrete Obergrenze dar, die deutlich unterhalb derjenigen liege, die die Tarifvertragsparteien im TV LeiZ als ÜHD festgelegt hätten. Da hinsichtlich des TV LeiZ aufgrund des den Tarifvertragsparteien zustehenden Gestaltungsspielraums und deren Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen davon auszugehen sei, dass die Branchenbesonderheiten hinreichend Berücksichtigung gefunden hätten, sei dies auch hinsichtlich der sich in diesem Rahmen haltenden GBV anzunehmen. Ein Zeitraum von drei Jahren könne darüber hinaus nicht als dauerhaft angesehen werden, zumal damit die in § 1 Abs. 1b Sätze 1, 6 AÜG vorgesehenen Grenzen nicht um ein Vielfaches überschritten würden (vgl. BAG, Urt. v. 14.09.2022 - 4 AZR 26/21).
Der in GBV enthaltene Ausschluss der Berücksichtigung von Überlassungszeiten vor dem 01.04.2017 bei der Berechnung entspreche der ohnehin für alle Überlassungszeiten nach § 1 Abs. 1b AÜG angeordneten gesetzlichen Regelung in § 19 Abs. 2 AÜG. Zwar stehe diese Bestimmung nicht im Einklang mit Unionsrecht. Ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen Privaten anhängig sei, sei allerdings nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, eine unionsrechtswidrige Übergangsvorschrift unangewendet zu lassen, die für die Anwendung einer Regelung, die eine Höchstdauer der Überlassung eines Zeitarbeitnehmers festlege, die Berücksichtigung der dem Inkrafttreten dieser Regelung vorausgegangenen Überlassungszeiträume ausschließe (vgl. BAG, Urt. v. 14.09.2022 - 4 AZR 26/21). Die ÜHD von 36 Monaten sei durch den Einsatz des Klägers in der Zeit vom 01.04.2017 bis zum 31.05.2019 (= 26 Monate) nicht überschritten worden.
Aus einem Verstoß gegen das Verbot der vorübergehenden Überlassung nach § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG könne die begehrte Rechtsfolge nicht hergeleitet werden. Dabei handle es sich zwar um eine rechtlich unzulässige Gestaltung. Ein mehr als nur vorübergehender Einsatz eines Zeitarbeitnehmers bei einem Entleiher sei verboten. Für die Prüfung, ob es sich noch um eine „vorübergehende“ Überlassung handle, wären alle Überlassungszeiten des Klägers zu berücksichtigen, da § 19 Abs. 2 AÜG nur die Berechnung der ÜHD nach § 1 Abs. 1b AÜG betreffe. Selbst wenn die gesamte Überlassungsdauer (ab dem 01.09.2014) nicht mehr als „vorübergehend“ angesehen werden könnte, hätte dies nicht die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen der Beklagten und dem Kläger zur Folge. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG fingiere ein solches nur für die Fälle, in denen der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Zeitarbeitnehmer nach § 9 AÜG unwirksam sei. Dies sei bei einem Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG mangels Erwähnung in § 9 AÜG nicht der Fall. Eine analoge Anwendung von § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG scheide mangels planwidriger Regelungslücke aus (BAG, Urt. v. 14.09.2022 - 4 AZR 26/21).
Das Unionsrecht gebiete keine andere Auslegung von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG. Vorgaben zum Inhalt der Maßnahmen und Sanktionen zur Umsetzung der Zeitarbeitsrichtlinie mache diese nicht, insbesondere sei nicht die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher vorgeschrieben. Ein Zeitarbeitnehmer könne daher wegen eines solchen Verstoßes kein entsprechendes subjektives Recht aus dem Unionsrecht ableiten (vgl. BAG, Urt. v. 05.07.2022 - 9 AZR 476/21). Das gelte auch für den Fall, dass die Richtlinie mangels einer wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktion unzureichend umgesetzt worden sein sollte. Der durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigten Partei könnten allenfalls Schadensersatzansprüche zustehen. Gleiches gelte für den Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs. Habe sich der Gesetzgeber – wie vorliegend hinsichtlich § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG – entschieden, einen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nicht mit der Sanktion der Begründung eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher zu versehen, dürfe diese Rechtsfolge nicht über § 242 BGB herbeigeführt werden (BAG, Urt. v. 14.09.2022 - 4 AZR 26/21).