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Anmerkung zu:LArbG Mainz 2. Kammer, Urteil vom 14.07.2022 - 2 Sa 316/21
Autor:Dr. Johannes Oehlschläger, RA und FA für Arbeitsrecht
Erscheinungsdatum:05.02.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 23 KSchG, § 1 KSchG, § 141 ZPO, § 138 ZPO, § 612a BGB, § 448 ZPO
Fundstelle:jurisPR-ArbR 5/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Oehlschläger, jurisPR-ArbR 5/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung bei behauptetem Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB



Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB liegt vor, wenn die zulässige Rechtsausübung der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme, z.B. die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, ist.
2. Der Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 612a BGB und damit auch für den Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und zulässiger Rechtsausübung.



A.
Problemstellung
Das LArbG Mainz befasste sich in dieser Entscheidung mit der Frage, ob eine Kündigung wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB nichtig ist.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Der Beklagte war Mitglied des Deutschen Bundestages und beschäftigte zum Zeitpunkt der Kündigung durchschnittlich sechs Mitarbeiter. Der Kläger war laut Arbeitsvertrag als wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Unterstützung des Beklagten bei dessen parlamentarischer Arbeit in der 19. Wahlperiode eingestellt. Im Arbeitsvertrag wurde als regelmäßige Arbeitsstätte das Wahlkreisbüro in F-Stadt festgelegt. Der Kläger war zugleich Büroleiter des Abgeordnetenbüros des Beklagten in N-Stadt. Während seiner Zeit als Büroleiter in N-Stadt pendelte der Kläger zwischen dem Abgeordnetenbüro in N-Stadt und dem Wahlkreisbüro in F-Stadt. Mit Änderungsvertrag vom August 2020 vereinbarten die Parteien eine Verringerung der Arbeitszeit auf 22 Stunden bei entsprechender Reduzierung der Vergütung. In der Folge war der Kläger nicht mehr als Büroleiter tätig.
Nachdem ein anderer Mitarbeiter des Beklagten einen Facebook-Eintrag veröffentlichte, wonach dem Kläger die Leitung des Abgeordnetenbüros entzogen wurde, bat der Kläger den Beklagten, auf diesen Mitarbeiter einzuwirken und den Beitrag löschen zu lassen. In der Folge kam es zu einem Gespräch zwischen Kläger und Beklagtem, wobei streitig ist, ob der Beklagte dem Kläger mitteilte, dass der Kläger eine Kündigung erhalte, weil dieser von ihm verlangt habe, dass er gegen seinen weiteren Mitarbeiter wegen des Facebook-Eintrags vorgehe. Mit Schreiben vom 23.12.2020 ist dem Kläger ein Kündigungsschreiben zum 28.02.2021 zugegangen.
Mit der vom Kläger erhobenen Klage macht er geltend, dass die Kündigung wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB nichtig sei. Im Wesentlichen argumentierte der Kläger, dass der Beklagte aufgrund der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht verpflichtet gewesen sei, dafür Sorge zu tragen, dass die Äußerungen auf der Facebook-Seite unverzüglich entfernt werden. Folglich sei auch die Bitte des Klägers, dass der Beklagten gegen den entsprechenden Mitarbeiter interveniere, gerechtfertigt. Der Beklagte hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten, dass zwischen der Kündigung und der Bitte des Klägers, den anderen Mitarbeiter zur Entfernung des Facebook-Eintrages aufzufordern, kein unmittelbarer Zusammenhang bestehe.
Das LArbG Mainz hat entschieden, dass die Kündigung nicht wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB i.V.m. § 134 BGB nichtig sei. Zudem finde das Kündigungsschutzgesetz nach § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG keine Anwendung, so dass es zur Wirksamkeit der Kündigung keines Kündigungsgrundes nach § 1 Abs. 2 KSchG bedurfte. Im Streitfall konnte auch nach einer Beweisaufnahme nicht festgestellt werden, dass der Beklagte dem Kläger wegen einer zulässigen Rechtsausübung gekündigt hat. Die Aussagen der beiden vom Kläger benannten Zeugen waren unergiebig und haben den vom Kläger vorgetragenen Gesprächsinhalt nicht bestätigt. Auch nach der erfolgten persönlichen Anhörung der Parteien (§ 141 ZPO) spricht nicht mehr für die Darstellung des Klägers als für die des Beklagten. Da der Kläger jedoch darlegungs- und beweisbelastet ist, hatte das Landesarbeitsgericht die Berufung als unbegründet zurückgewiesen.


C.
Kontext der Entscheidung
Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Dabei soll dieses Benachteiligungsverbot den Arbeitnehmer in seiner Willensfreiheit bei der Entscheidung darüber unterstützen, ob ein Recht ausgeübt wird oder nicht. Eine Kündigung kann eine solche Maßnahme i.S.d. § 612a BGB darstellen. Nach der Rechtsprechung liegt ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB vor, wenn die zulässige Rechtsausübung der tragende Beweggrund, das heißt das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme ist. Das BAG hat in diesem Zusammenhang bereits entschieden, dass es nicht ausreiche, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet und dass im Fall eines Motivbündels auf das wesentliche Motiv abzustellen sei (BAG, Urt. v. 20.05.2021 - 2 AZR 560/20).
Das BAG hat in diesem Zusammenhang ebenfalls entschieden, dass der Arbeitnehmer dabei die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 612a BGB und damit auch für den Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und zulässiger Rechtsausübung trägt. Er habe einen Sachverhalt vorzutragen, der auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Maßnahme des Arbeitgebers und einer vorangegangenen zulässigen Ausübung von Rechten hindeute. Der Arbeitgeber muss sich nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen zu diesem Vortrag erklären. Sind entscheidungserhebliche Behauptungen des Arbeitnehmers streitig, sind grundsätzlich die von ihm angebotenen Beweise zu erheben (BAG, Urt. v. 18.11.2021 - 2 AZR 229/21).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Das Maßregelungsverbot des § 612a BGB spielt in der Praxis eine eher untergeordnete Rolle, da die meisten Arbeitnehmer ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel eher auf den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz stützen. Ist das Kündigungsschutzgesetz allerdings nicht anwendbar, bleibt für viele Mitarbeiter nur der Rückgriff auf § 612a BGB.
Die vorliegende Entscheidung des LArbG Mainz zeigt exemplarisch, warum der Weg für Arbeitnehmer über § 612a BGB steinig ist. Denn anders als im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes, in dem zugunsten des Arbeitnehmers zahlreiche Beweiserleichterungen bzw. eine Beweisumkehr gelten, ist der Arbeitnehmer bei einem Verstoß gegen § 612a BGB darlegungs- und beweislastpflichtig. Für den Arbeitnehmer bedeutet dies, eine mögliche Beweisaufnahme gut vorzubereiten und seine Tatsachen mit sorgsam ausgewählten Beweisangeboten zu untermauern.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Das LArbG Mainz äußert sich auch noch zur Zulässigkeit einer Parteivernehmung von Amts wegen. Eine solche dürfe nach § 448 ZPO nämlich nur angeordnet werden, wenn aufgrund einer vorangegangenen Beweisaufnahme oder des sonstigen Verhandlungsinhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache spricht.



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