Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Der konkrete Sachverhalt
Seit 2019 hatte die Gewerkschaft ver.di die Evangelische Kirche Mitteldeutschlands, das Diakonische Werk und die Weimarer Klinik immer wieder aufgefordert, mit ihr in Tarifverhandlungen einzutreten. Dies wurde unter Hinweis auf den Dritten Weg abgelehnt; dieser habe nach der Rechtsprechung des BAG Vorrang, so dass kein Anlass für Tarifverhandlungen bestehe. Am 15.07.2024 beschloss der ver.di-Bundesvorstand die Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen in dem Weimarer Krankenhaus. Am 26.07.2024 kündigte ver.di einen eintägigen Warnstreik für den 01.08.2024 an, der am 30.07.2024 (6 Ga 15/24) vom ArbG Erfurt durch einstweilige Verfügung untersagt wurde. Er wurde daraufhin abgesagt; stattdessen fanden zwei „aktive Mittagspausen“ am 05.08.2024 und am 12.08.2024 statt.
Mit Schreiben vom 02.09.2024 kündigte der ver.di-Landesfachbereichsleiter gegenüber der Klinik einen Warnstreik für den 14.10.2024 an, was dieses mit der Aufforderung zu einer Unterlassungserklärung beantwortete. Am 20.09.2024 erhoben die Evangelische Kirche Mitteldeutschlands, das ihr zugeordnete Diakonische Werk und die Weimarer Klinik beim ArbG Erfurt Klage gegen ver.di und machten in einem normalen Urteilsverfahren einen Unterlassungsanspruch geltend (Az: 4 Ca 1707/24). Erst am 27.09.2024 wurde in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Antrag gestellt, den für 14.10.2024 vorgesehenen Warnstreik zu verbieten.
Die Arbeitsgerichtsbarkeit reagierte schnell. Das ArbG Erfurt gab mit Urteil vom 09.10.2024 dem Unterlassungsbegehren vorläufig statt und verbot den Streik per einstweiliger Verfügung. Die dagegen von ver.di eingelegte Berufung wurde mit dem hier zu besprechenden Urteil des LArbG Erfurt vom 11.10.2024 zurückgewiesen. Es umfasst 37 Seiten, wobei man angesichts der zeitlichen Restriktionen ein gewisses Maß an Bewunderung nicht verhehlen kann.
II. Prozessuale Probleme
Gegen das am 09.10.2024 verkündete Urteil des ArbG Erfurt hat die Gewerkschaft ver.di sofort zu Protokoll des Gerichts Berufung eingelegt und diese auch mit einem Schriftsatz begründet, obwohl die schriftlichen Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung noch gar nicht vorlagen. Außerdem wurde um die höchstmögliche Abkürzung der Erwiderungsfrist gebeten, damit eine Berufungsverhandlung vor dem Warnstreiktag, dem 14.10.2024, möglich würde. Noch am selben Tag beraumte das ebenfalls in Erfurt ansässige Landesarbeitsgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 11.10.2024 an und verkürzte die Ladungsfrist auf 24 Stunden. Den Berufungsbeklagten wurde eine Einlassungsfrist bis 10.10.2024, 24 Uhr bewilligt. Die verständliche Eile warf einige Rechtsprobleme auf.
Zunächst stellte das Landesarbeitsgericht fest, eine Berufung könne auch dann eingelegt werden, wenn die Gründe des angefochtenen Urteils noch gar nicht vorliegen würden. Dies wurde aus § 66 Abs. 2 Satz 1 ArbGG geschlossen, wonach die Berufungsfrist spätestens nach fünf Monaten zu laufen beginnt, auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch keine Gründe vorliegen (das Gericht spricht irrtümlich davon, dass die Frist spätestens nach fünf Monaten ablaufe, doch ist dies für den weiteren Gang der Argumentation unerheblich). Allerdings konnte die Berufung nicht zu Protokoll des Arbeitsgerichts, sondern nur beim Landesarbeitsgericht eingelegt werden. Dieser Mangel war jedoch dadurch geheilt, dass die Berufungsbegründung ersichtlich dem Landesarbeitsgericht übermittelt wurde; darin lag eine konkludente Einlegung der Berufung. Dass damit gleichzeitig zwei Berufungen vorlagen, eine formnichtige und eine im Ergebnis korrekte, sei unerheblich; gegen ein Urteil gebe es nur ein Rechtsmittel, über das einheitlich zu entscheiden sei.
Der zweite Problemkreis betraf die Fristen. Im einstweiligen Rechtsschutz würden die (Monats-)Fristen des § 66 ArbGG nicht „passen“. Es sei daher in eiligen Fällen wie dem vorliegenden „aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes“ angezeigt, sofort einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen. Dabei könne die Ladungsfrist nach § 226 ZPO auf Antrag verkürzt werden. Dieser Antrag könne auch konkludent dadurch gestellt werden, dass der Antragsteller eine „möglichst schnelle Entscheidung“ erreichen wolle, was sich aus seinem Vorbringen ergebe, Dazu kommt als weiteres Problem, dass für die Berufungsbegründung an sich eine Monatsfrist gilt. Die Rechtslage im einstweiligen Verfügungsverfahren sei umstritten, doch entspreche es der prozessualen „Fairness“, der Gegenseite in etwa so viel Zeit einzuräumen, wie der Berufungsführer in Anspruch genommen habe. Dass alles seine Ordnung hatte, wird schließlich daraus geschlossen, dass am Ende der mündlichen Verhandlung beide Seiten um eine Sachentscheidung gebeten hatten und so offensichtlich davon ausgingen, allen erheblichen Sachvortrag zur Kenntnis des Gerichts gebracht zu haben.
III. Die inhaltlichen Fragen
1. Eingriff in ein absolutes Recht
Anspruchsgrundlage für den Unterlassungsanspruch ist das allen drei Verfügungsklägern zustehende kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Dieses wird zunächst etwas unspezifisch auf „§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB, Art. 4 Abs. 1 und 2, 140 GG sowie Art. 137 Abs. 3 WRV“ gestützt. Es erfülle die Anforderungen eines durch § 1004 Abs. 1 BGB geschützten absoluten Rechts. Das Gericht folgt der Rechtsprechung des BVerfG und bekennt sich dabei zu einer originären, nicht vom Staat abgeleiteten kirchlichen Gewalt: Es gehe um einen „vom Verfassungsgeber anerkannten unantastbaren Freiheitsraum, der nicht etwa vom Staat zur Verfügung gestellt oder von ihm abgeleitet ist.“ Träger des Selbstbestimmungsrechts seien nicht nur die Kirche als solche und das unter ihrem entscheidenden Einfluss stehende Diakonische Werk. Auch die Klinik sei ausreichend mit der Kirche verflochten und erfülle mit ihrer karitativen Zweckbestimmung einen Auftrag der verfassten Kirche.
Ob auch die Klinik eine kirchliche Einrichtung sei, war ersichtlich von der Gewerkschaft ver.di bestritten worden. Das Landesarbeitsgericht betonte, eine wirtschaftliche Betätigung im Wettbewerb mit nichtkirchlichen Einrichtungen stehe der Ausübung der kirchlichen Nächstenliebe nicht entgegen. „Allein das Ziel der Erwirtschaftung eines wirtschaftlichen Ergebnisses, das die Substanz der vorhandenen Einrichtungen und Arbeitsplätze sichert und eine sinnvolle Weiterentwicklung ermöglicht, ist für sich genommen noch nicht geeignet, die im Übrigen klar erkennbare religiöse Prägung des Handelns zu verdrängen“.
Ein Warnstreik stelle einen Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht dar. Dieses umfasse auch die Befugnis, statt Tarifautonomie und Streik das Modell des Dritten Weges zu wählen. Mit diesem sei aber eine Arbeitsniederlegung unvereinbar.
2. Die Anforderungen des BAG an den sog. Dritten Weg
Eingehend setzt sich das Landesarbeitsgericht mit der Frage auseinander, ob im konkreten Fall die Anforderungen erfüllt waren, die das BAG (Urt. v. 20.11.2012 - 1 AZR 179/11) für die Ersetzung von Tarifautonomie und Streik durch den Dritten Weg aufgestellt hat. Zusammenfassend wird diese Vorgabe mit den Worten umschrieben:
3. Prüfungsmaßstab
Ob der Erlass einer einstweiligen Verfügung nur bei „offensichtlicher“ Rechtswidrigkeit gerechtfertigt sei, müsse nicht entschieden werden. Anders als in sonstigen Streikfällen müsse keine (komplizierte) Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip stattfinden (die letztlich der Grund dafür ist, nur bei „offensichtlicher Rechtswidrigkeit“ zu intervenieren); vielmehr gehe es allein darum, ob die Vorgaben des BAG erfüllt seien. Dies führe dazu, dass „zur Überzeugung der Kammer“ der angekündigte Warnstreik „offensichtlich rechtswidrig“ sei.
Auch der Verfügungsgrund liege vor. Zwar nehme eine Unterlassungsverfügung in Bezug auf einen unmittelbar bevorstehenden Streik die Hauptsache vorweg, doch würden die Arbeitgeberinteressen gleichwohl überwiegen. Würden Streiks stattfinden, die ggf. zum Abschluss eines Tarifvertrags führen, so wären ihre Folgen praktisch nicht mehr rückgängig zu machen, auch wenn sich der Streik nachträglich als rechtswidrig herausstellen würde. Würde sich dagegen ein verbotener Streik nachträglich als rechtmäßig erweisen, so würde dies lediglich zu einer zeitlich verzögerten Umsetzung der Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG führen.
Kontext der Entscheidung
I. Streiks in kirchlichen Einrichtungen
Seit den Grundsatzentscheidungen des BAG vom 20.11.2012 (1 AZR 179/11 - NZA 2013, 448 und 1 AZR 611/11 - NZA 2013, 437) hat es keine größeren gerichtlichen Auseinandersetzungen um das Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen mehr gegeben. Angesichts der schwieriger gewordenen Situation im Krankenhaus- und Pflegebereich stellt sich nunmehr das Problem erneut. Dabei hatte die Gewerkschaft ver.di ihre Warnstreiks so terminiert, dass eine vorherige gerichtliche Klärung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes möglich war. Vermutlich wurde bewusst auf eine Überraschungsaktion eines für den folgenden Tag angekündigten Warnstreiks verzichtet, obwohl bei ausreichendem Notdienst das Risiko, auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden, recht überschaubar gewesen wäre.
II. Die Vorfrage: Wann liegt eine kirchliche Einrichtung vor?
Kaum angesprochen hat das Landesarbeitsgericht die Frage, ob das Weimarer Krankenhaus überhaupt als kirchliche Einrichtung anzusehen war, was Voraussetzung für die Anwendung der Grundsätze des kirchlichen Arbeitsrechts ist.
Nach der Rechtsprechung des BAG (Beschl. v. 05.12.2007 - 7 ABR 72/06 - NZA 2008, 653) ist eine institutionelle Anbindung an die Amtskirche oder das ihr zugeordnete Diakonische Werk erforderlich, was sich beispielsweise in der Befugnis zur Benennung der maßgebenden Entscheidungsträger oder in der Gesellschafterstruktur niederschlägt. Dazu muss zusätzlich ein kirchlicher Charakter kommen, der die Tätigkeit „mit Leben erfüllt“ und für die Menschen, die die Dienste in Anspruch nehmen, „erfahrbar“ ist.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG geht der kirchliche Charakter einer Einrichtung dann verloren, wenn die Wahrnehmung ihrer Aufgaben „vorrangig auf Vermögensmehrung ausgerichtet“ ist (BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 - 2 BvR 661/12 Rn. 150). Das BAG (Urt. v. 20.11.2012 - 1 AZR 179/11 Rn. 100) hat sich dem angeschlossen und daraus am Beispiel der Scientology auch Konsequenzen gezogen und den kirchlichen Charakter nicht anerkannt (BAG, Beschl. v. 22.03.1995 - 5 AZB 21/94).
Das BAG (Urt. v. 20.11.2012 - 1 AZR 179/11 Rn. 98) hat vom Selbstverständnis und Auftrag der Kirchen gesprochen, „Gott in geistiger Einkehr und Zuwendung an die Welt zu dienen“; die Dienstgemeinschaft bedeute, dass „jede Arbeitsleistung ein Stück kirchlichen Auftrags in der Welt verwirklicht.“
Die Zuwendung zum einzelnen Menschen, der der Hilfe bedarf, muss auch dann erfolgen, wenn dies die wirtschaftliche Situation der Einrichtung belastet. Wirtschaftliche Gesichtspunkte dürfen nur insoweit berücksichtigt werden, als dadurch die Substanz der vorhandenen Einrichtungen und Arbeitsplätze erhalten und eine sinnvolle Weiterentwicklung der Einrichtung ermöglicht wird (BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 - 2 BvR 661/12 Rn. 150). Im Vorrang der Zuwendung zum einzelnen Patienten und Hilfebedürftigen liegt der entscheidende Unterschied zu einer kommerziell betriebenen Einrichtung.
In der Praxis dürften Fälle selten sein, in denen der kirchliche Charakter einer Einrichtung, insbesondere eines Krankenhauses, durch Profitstreben so stark überlagert wird, dass der kirchliche Charakter verloren geht. Aus vielen Einrichtungen wird stattdessen berichtet, dass alle Beteiligten unter einem enormen Kostendruck leiden. Berichte von Krankenhäusern, die Insolvenz anmelden mussten, unterstreichen dies. So hat es im Jahr 2023 insgesamt 40 Krankenhausinsolvenzen gegeben, und für 2024 war nach Auffassung der Deutschen Krankenhausgesellschaft mit einer noch höheren Anzahl zu rechnen (
https://www.zeit.de/gesundheit/2023-12/krankenhausgesellschaft-warnung-rekordinsolvenzen-kliniken, abgerufen am 26.02.2025, auch zum Folgenden).
Im Jahre 2023 hatten 78% aller Krankenhäuser ein negatives Betriebsergebnis, während dies im Jahre 2022 „nur“ 54% waren. Der Anteil der Häuser mit einem Überschuss sank von 35% (2022) auf 7% (2023).
Diese wirtschaftliche Situation kann die Verfolgung kirchlicher Zwecke in gleicher Weise behindern wie eine Orientierung an der Gewinnmaximierung. Nicht anders als in weltlichen Krankenhäusern wird auf möglichst gut zugeschnittene Fallpauschalen geachtet; die dadurch generierten Einnahmen stehen im Vordergrund, primär nicht das für den Patienten Notwendige. Die Zahl der Operationen ist in den letzten zehn Jahren nicht nur in absoluten Zahlen deutlich gestiegen; eine Steigerung liegt auch dann noch vor, wenn man die demographische Entwicklung, d.h. das Älterwerden der Bevölkerung und die damit verbundene höhere Krankheitshäufigkeit mit einrechnet. Als Ursachen werden neben dem System der Fallpauschalen die Mindestmengenregelungen zur Qualitätssicherung genannt; um sich ein bestimmtes Segment an Operationen zu erhalten, wird bei der Stellung von Indikationen Großzügigkeit praktiziert.
Dies hat mit dem „Dienst am Nächsten“ genauso wenig zu tun wie eine bedingungslose Orientierung am Profitprinzip. Dass sich daran durch die aktuelle Krankenhausreform Wesentliches ändert, ist nicht erkennbar.
Um möglichst geringe Aufwendungen zu haben, um in kurzer Zeit so viel wie irgend möglich zu erledigen, wird auch bei der Pflege auf die Wahrung kirchlicher Grundsätze weitestgehend verzichtet. Die „Zuwendung“ zum Patienten, die Zeit in Anspruch nimmt, verliert ihre praktische Bedeutung, wenn die Beschäftigten so viele Aufgaben zu erledigen haben, dass sie sich dafür keine Zeit mehr nehmen können. An die Stelle von Empathie tritt eine schnell absolvierte Alltagsroutine. Dies wird besonders deutlich, wenn für einzelne Aufgaben quantitative Vorgaben gemacht werden, d.h. vorgeschrieben wird, wie viel Zeit z.B. für die Versorgung von 20 Patienten am Morgen aufgewendet werden darf. Der religiöse Charakter der Tätigkeit wird unsichtbar; in Wahrheit ist er verschwunden.
Das LArbG Erfurt hat sich dieser Problematik nicht gestellt. Es hat sich mit dem oben unter B III 1 wiedergegebenen Hinweis begnügt, wirtschaftliche Gesichtspunkte könnten zum Zwecke der Erhaltung der Einrichtung und der Arbeitsplätze sowie zu deren sinnvoller Weiterentwicklung berücksichtigt werden. Dies wird weder dem Diskussionsstand noch der Praxis gerecht; man mag es mit Rücksicht auf die zeitlichen Restriktionen akzeptieren, unter denen das Gericht stand.
III. Die Vorgaben des BAG
1. Die Aussagen des BAG
Zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG besteht eine Kollisionslage, die in einer Weise aufzulösen ist, dass beide möglichst umfassend zur Geltung kommen (BAG, Urt. v. 20.11.2012 - 1 AZR 179/11). Das kirchliche wie das weltliche Regelungsverfahren sind darauf gerichtet, das Arbeitsleben sinnvoll zu ordnen, „indem der typische Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch kollektives Handeln zu einem angemessenen Ausgleich gebracht wird. Dieses Interessengegensatzes wie der strukturellen Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers seien sich auch die Kirchen bewusst“ (BAG, Urt. v. 20.11.2012 - 1 AZR 179/11 Rn. 116). Notwendig ist nach Auffassung des BAG daher ein System kollektiver Verhandlung mit Partnern, die über eine „annähernd gleiche Verhandlungsstärke“ verfügen. Das Paritätsprinzip gilt auch hier (ebenso in aller Deutlichkeit Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche. Staatliches Arbeitsrecht und kirchliches Dienstrecht, 8. Aufl. 2020, § 15 Rn. 11 ff.).
Zur Einschaltung der Gewerkschaften führt das BAG (Urt. v. 20.11.2012 - 1 AZR 179/11 Rn. 118) aus, die Kirche dürfe ihre Autonomie nicht dazu nutzen, Gewerkschaften durch Besetzungsregeln für Arbeitsrechtliche Kommissionen und Schiedskommissionen von einer frei gewählten Mitwirkung am Dritten Weg auszuschließen. Dies würde die Freiheit koalitionsspezifischer Betätigung über Gebühr beschränken. „Eine solche vom Leitbild der Dienstgemeinschaft nicht gebotene Beschränkung ist von besonderem Gewicht, da sie sich auch verzerrend auf die Tarifpolitik der einzelnen Gewerkschaft auswirkt. Die Attraktivität und Wirkkraft einer Gewerkschaft wird erheblich eingeschränkt, wenn sie gehindert wird, die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber dem Arbeitgeber im Wege von Kollektivverhandlungen zu verfolgen.“ Anders ausgedrückt: Die Gewerkschaft muss als Interessenvertretung sichtbar sein, Verhandlungsergebnisse müssen auch auf ihre Aktivitäten zurückzuführen sein.
2. Die Schwäche der innerbetrieblichen Vertreter
Der LArbG Erfurt verkennt die spezifische Abhängigkeit, in der sich innerbetriebliche Vertreter im Gegensatz zu gewerkschaftlichen Verhandlungspartnern befinden.
Zum einen besteht bei den „Dienstnehmer-Mitgliedern“ der Arbeitsrechtlichen Kommission nur insoweit Kündigungsschutz, als die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist. Eine außerordentliche Kündigung bleibt möglich. Was fehlt, ist die auch bei Mitgliedern der Mitarbeitervertretungen (sowie bei Betriebs- und Personalräten) bestehende verfahrensrechtliche Absicherung, dass eine Kündigung nur mit Zustimmung der Mehrheit der Gremienmitglieder möglich ist. Dies hat zur Folge, dass bei unerwünschtem Verhalten eine (möglicherweise unberechtigte) außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden kann, die den Betroffenen in die Situation bringt, sich im Wege eines langwierigen gerichtlichen Verfahrens wieder „hineinklagen“ zu müssen. Einstweilige Verfügungen auf Rückkehr sind selten, der Weiterbeschäftigungsanspruch beginnt in der Regel erst nach einem obsiegenden Urteil erster Instanz. In der unmittelbaren Zukunft ist der Betroffene „draußen“.
Zum zweiten kann die Unabhängigkeit eines Interessenvertreters nicht nur dadurch gefährdet sein, dass er eine Kündigung befürchtet. Dies mag sogar im vorliegenden Zusammenhang eine eher fernliegende Sorge sein. Viel wichtiger ist, dass eine inhaltliche Konfrontation mit einzelnen Arbeitgebervertretern dazu führen kann, dass die eigenen Beförderungschancen erheblich leiden, dass die Karriere einen „Knick“ erfährt. Dies kann zu einem sehr vorsichtigen und zurückhaltenden Verhalten führen – und zwar sogar dann, wenn in Wirklichkeit auf der anderen Seite Toleranz vorherrscht und in Wahrheit gar keine Benachteiligung droht. Selbst in einem solchen Fall ist ein Arbeitnehmervertreter in einer sehr viel schwächeren Position als ein externer Gewerkschaftsvertreter, der von vornherein weiß, dass er keine persönlichen Nachteile zu befürchten hat.
Im konkreten Fall kann die Gewerkschaft einen von fünf Sitzen der Arbeitnehmerseite einnehmen, da der andere „externe“ Sitz an die Vereinigung kirchlicher Mitarbeiter fallen wird, die keine Gewerkschaft im Rechtssinne ist. Die Mehrheit liegt auf alle Fälle bei den innerbetrieblichen Vertretern. Unter diesen Umständen besteht in der Arbeitsrechtlichen Kommission keine Parität im Sinne gleicher Durchsetzungschancen beider Seiten. Ergänzend sei darauf verwiesen, dass das einschlägige Kirchengesetz für den neutralen Vorsitzenden des Schlichtungsausschusses verlangt, dass er weder haupt- noch nebenamtlich im kirchlichen oder diakonischen Dienst stehen darf, weil – so muss man schlussfolgern – andernfalls seine Unabhängigkeit nicht gesichert wäre. Warum soll dies bei den „Dienstnehmer-Vertretern“ anders sein?
3. Die Einflusslosigkeit der Gewerkschaften
Dem gewerkschaftlichen Vertreter stehen keinerlei ins Gewicht fallende Rechte zu. Als Mitglied der Arbeitsrechtlichen Kommission kann er allein keine Sitzung beantragen, sondern bedarf nach § 13 Abs. 2 Satz 3 ARRG-DW.EKM (= Arbeitsrechtsregelungsgesetz des Diakonischen Werks Evangelischer Kirchen Mitteldeutschlands) der Unterstützung durch mindestens zwei weitere Mitglieder. Er kann auch nicht verlangen, dass man sich in der Sitzung mit bestimmten Fragen oder Forderungen befasst. Vielmehr ist er nach § 13 Abs. 4 ARRG-DW.EKM lediglich befugt, bis zur Feststellung der Tagesordnung Beratungsgegenstände „vorzuschlagen“. Ob einem solchen Vorschlag Rechnung getragen wird, entscheidet die Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Mitglieder der Kommission. Von daher besteht keine sichere Möglichkeit, auch nur eine Diskussion der Arbeitnehmervertreter über eine gewerkschaftliche Forderung zu erreichen. Selbst wenn dies geschieht, besteht keinerlei Gewissheit, dass sich die Mehrheit die Vorstellungen ganz oder teilweise zu eigen macht.
Der gewerkschaftliche Vertreter hat also schon in den ausschussinternen Verhandlungen nicht einmal die Möglichkeit, in der Sitzung seine Vorstellungen allen übrigen Mitgliedern zur Kenntnis zu bringen. Schon deshalb muss man Verständnis dafür haben, dass die Gewerkschaften von ihrem Entsendungsrecht keinen Gebrauch machen. Ihr Vertreter wäre außerdem auf sich selbst gestellt, wenn es um konkrete Verhandlungen mit der Dienstgeberseite geht. Damit fehlt es an der vom BAG geforderten organisatorischen Einbindung der Gewerkschaften in das Verfahren des sog. Dritten Weges. Diese Schwäche der Rechtsstellung des gewerkschaftlichen Vertreters hat das LArbG Erfurt nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, sondern sich mit der Feststellung begnügt, dem gewerkschaftlichen Vertreter sei kein „irgendwie geartetes Veto- oder Blockaderecht“ einzuräumen. Darum geht es im vorliegenden Zusammenhang aber ersichtlich nicht. Auch wird eine „Marginalisierung“ der gewerkschaftlichen Beteiligung verneint, ohne dass die hier genannten (nicht besonders fernliegenden) Gesichtspunkte aufgegriffen würden.
4. Das Verfahren vor dem Schlichtungsausschuss
Der Dritte Weg führt seinem Anspruch nach nur deshalb zu einem Kompromiss, weil bei Nichteinigung in der Arbeitsrechtlichen Kommission eine paritätisch besetzte Schlichtungskommission mit neutralem Vorsitzenden entscheidet. Auch dieses Ziel wird durch die geltende kirchenrechtliche Ordnung nicht erreicht.
Jede Seite in der Arbeitsrechtlichen Kommission bestimmt ihre beiden Vertreter im Schlichtungsausschuss. Weder die Gewerkschaft noch die Mitarbeitervereinigung hat jedoch ein Anrecht darauf, dort auch effektiv vertreten zu sein. Die drei „innerbetrieblichen“ Vertreter haben jederzeit die Möglichkeit, mit ihrer Mehrheit die beiden Arbeitnehmervertreter im Schlichtungsausschuss zu bestimmen. Ob sie davon auch wirklich Gebrauch machen, ist eine andere Frage; schon die Möglichkeit als solche bringt den gewerkschaftlichen Vertreter in eine extrem defensive Position. Er kann daher eine Repräsentanz im Schlichtungsausschuss allenfalls dann erreichen, wenn er sich die Position der (ja weniger unabhängigen) innerbetrieblichen Vertreter hundertprozentig zu eigen macht.
Dazu kommt ein Weiteres. Der mit dem entscheidenden Stimmrecht ausgestattete Vorsitzende wird nicht etwa wie der Vorsitzende einer Einigungsstelle durch Konsens beider Seiten oder durch ein neutrales Gericht bestellt. Vielmehr genügt es, wenn er in der Arbeitsrechtlichen Kommission acht Stimmen auf sich vereinigt – was im Einzelfall bedeuten kann, dass er gegen die Stimmen der Gewerkschaft und der Mitarbeiterverbände gewählt werden kann. Dies ist kein Bestellungsverfahren, das am Gedanken der Parität beider Seiten ausgerichtet ist. Vielmehr eröffnet es die Möglichkeit, dass die relative Abhängigkeit der innerbetrieblichen Vertreter ins Spiel gebracht wird und diese zu einem entsprechenden Abstimmungsverhalten bewogen werden.
Kommt es nicht zu einer Entscheidung durch die Arbeitsrechtliche Kommission, so wird der Vorsitzende durch die Landessynode gewählt. Übertragen auf einen eingetragenen Verein des bürgerlichen Rechts als Arbeitgeber würde dies bedeuten, dass die Mitglieder- oder Delegiertenversammlung die neutrale Person wie z.B. den Einigungsstellenvorsitzenden wählt. Damit wäre das Bestimmungsrecht einem Organ eingeräumt, das eindeutig der Arbeitgeberseite zuzurechnen ist. Von einer so ausgewählten Person lässt sich schwerlich erwarten, dass sie wirklich einen Mittelweg zwischen den Vorstellungen der Beschäftigten und denen des Dienstgebers gehen wird.
Auch diese Regelung bleibt eindeutig hinter dem vom BAG gewollten Prinzip der gleichen Einflussmöglichkeiten beider Seiten zurück. Das LArbG Erfurt ist auf all dies nicht eingegangen und hat lediglich festgestellt: „Auch die Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts an die paritätische Besetzung und den neutralen Vorsitz des Schlichtungsausschusses sind gewahrt.“ Dies mag im Rahmen einer summarischen Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verständlich sein; im Hauptsacheverfahren ist eine volle inhaltliche Auseinandersetzung geboten.