Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Arbeitgeberin beschäftigte circa 1.175 Arbeitnehmer. Innerhalb von drei Jahren erteilte die Arbeitgeberin insgesamt 17 Arbeitnehmern folgende Anordnung:
„In Abstimmung zwischen Ihrem Fachvorgesetzten und dem Personalleiter sind Sie ab Erhalt dieses Schreibens bis auf Widerruf dazu verpflichtet, jede Krankmeldung durch ein ärztliches Attest – vom ersten Fehltag an – im Service Center Personal vorzulegen.“
Der Betriebsrat war der Auffassung, er hätte vorher beteiligt werden müssen.
Das BAG verneinte jedoch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
Zwar sei bei der Verpflichtung des Arbeitnehmers, bereits mit dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, das Ordnungsverhalten i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG berührt. Es fehle in dem zu entscheidenden Fall jedoch an einem kollektiven Bezug. Ein solcher kollektiver Bezug bestünde nur dann, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer nach festen Vorgaben zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit verpflichte. Das BAG sah im konkreten Fall nicht genügend Anhaltspunkte für solche Vorgaben. Der Umstand allein, dass allen Arbeitnehmern eine „Attestauflage“ erteilt werden könnte, genüge nicht für die Annahme eines kollektiven Bezugs.
Die „Attestauflage“ sollte vorliegend erst nach einer Abstimmung zwischen dem jeweiligen Fachvorgesetzten und dem Personalleiter erfolgen. Für das BAG sprach dieses Abstimmungserfordernis gegen das Vorliegen fester Vorgaben, da die Abstimmung im Einzelfall erfolge.
Ein kollektiver Bezug ergäbe sich auch nicht daraus, dass die „Attestauflage“ inhaltlich und gleichförmig ausgestaltet worden sei. Denn die Ausgestaltung einer solchen Auflage betreffe nicht das „Ob“ der Ausübung des Rechts aus § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG, sondern das „Wie“. Die Vorgaben hinsichtlich des Verfahrens betreffe allein das Arbeitsverhalten der Vorgesetzten, nicht deren Ordnungsverhalten, so dass sich auch insofern kein Mitbestimmungsrecht ergebe.
Schließlich könne nicht aus der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer auf eine regelhafte Erteilung der „Attestauflage“ geschlossen werden, da nur 17 von insgesamt mehr als 1.000 Beschäftigten eine solche Auflage erhalten haben.
Ebenso wenig war es für das BAG ausreichend, dass die „Attestauflagen“ Arbeitnehmer mit häufigen Kurzerkrankungen und hohen Fehlzeiten mit vielen Einzelfehltagen betrafen. Es genüge nicht, wenn für den Arbeitgeber im Allgemeinen höhere Krankheits- oder Fehlzeiten Anlass dafür seien, das Bestimmungsrecht nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG auszuüben. Der Betriebsrat habe gerade nicht vorgetragen, dass die „Attestauflage“ ab einer bestimmten Anzahl an Fehltagen – unabhängig vom Einzelfall – erteilt worden sei.
Auswirkungen für die Praxis
Das BAG stellt klar, dass die Vorlageaufforderung nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG dem Ordnungsverhalten zuzuordnen ist und der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG grundsätzlich beachten muss. Dabei kommt es jedoch auf den Einzelfall an. Nur wenn der Arbeitgeber Voraussetzungen festlegt, bei deren Erfüllung eine „Attestauflage“ erteilt wird, hat der Betriebsrat tatsächlich mitzubestimmen. Die Auflage muss sich also auf den Arbeitsplatz als solchen beziehen und nicht auf einen Arbeitnehmer persönlich.
Insoweit besteht ein Spannungsverhältnis mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, der im Rahmen des § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG zu beachten ist. Will der Arbeitgeber aber keine festen Regeln für die „Attestauflage“ aufstellen, um kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auszulösen, kann es im Einzelfall zu einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz kommen.