Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien stritten über einen Bonusanspruch des Klägers für das Fiskaljahr 2019/2020.
Der Kläger war bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 01.10.2010 bis zum 30.04.2020 beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Parteien war eine variable Vergütung i.H.v. 15% des Brutto-Jahresbasisgehaltes geregelt, welche unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt und durch zwei zeitlich aufeinanderfolgende Betriebsvereinbarungen näher konkretisiert wurde. Der Kläger beanspruchte sodann nach seiner Kündigung zum 30.04.2020 die Bonuszahlung auf Grundlage des Arbeitsvertrages in Verbindung mit der Vorgängerregelung der zeitlich nachgelagerten Betriebsvereinbarung. Die nun geltende Betriebsvereinbarung sei unwirksam und hätte die Vorgängerregelung nicht ablösen können, da die Betriebsparteien nicht befugt gewesen seien, den bereits bestehenden leistungsbezogenen Bonusanspruch in einen solchen ohne Leistungsbezug umzuwandeln.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten verweigerte jedoch die Zahlung des vertraglich vereinbarten Bonusgehalts. Dies sei damit zu begründen, dass laut der am 29.05.2019 neu geschlossenen Betriebsvereinbarung ein Anspruch wegen Eigenkündigung ausgeschlossen sei.
Das BAG stellte in seiner Entscheidung zunächst fest, dass der im Arbeitsvertrag beschriebene Freiwilligkeitsvorbehalt einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB nicht standhalte. Die Klausel stelle nicht auf den Entstehungsgrund etwaiger Ansprüche ab. Zudem erweise sich die Klausel als intransparent, da sie die Gewährung des Bonusses ausschließen wolle und sich damit mit der arbeitsvertraglichen Abrede in Widerspruch setze, die diesen Anspruch vermittle.
Für den streitgegenständlichen Bonusanspruch sei jedoch – entgegen der Ansicht des Klägers – die zeitlich nachfolgende Betriebsvereinbarung maßgeblich. Die Parteien einer Betriebsvereinbarung könnten jederzeit von ihnen getroffene Regelungen abändern. Die neue Betriebsvereinbarung könne auch für Arbeitnehmer ungünstigere Bestimmungen enthalten. Im Verhältnis zweier gleichrangiger Normen gelte nicht das Günstigkeitsprinzip, sondern die Zeitkollisionsregel. Lediglich bereits entstandene Ansprüche könnten nicht ohne Weiteres geschmälert werden. Die Möglichkeit einer solchen Regelung sei durch das Vertrauensschutz- und Verhältnismäßigkeitsprinzip beschränkt.
Das BAG stellte zugleich heraus, dass die vom Kläger vertretene Ansicht, eine Gesamtunwirksamkeit der Betriebsvereinbarung ergebe sich aus dem fehlenden Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, unzutreffend sei. Zu der weiten Regelungskompetenz der Betriebsparteien gehörten nicht nur die ausdrücklich geregelten Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung. Vielmehr sei den Betriebsparteien auch die Möglichkeit eröffnet, andere Gegenstände durch freiwillige Betriebsvereinbarungen (§ 88 BetrVG) zu regeln. Auch die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz BetrVG führe nicht zu einer Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung, insbesondere weil diese nicht greife, soweit es um Angelegenheiten gehe, die der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterlägen.
Die in der Betriebsvereinbarung getroffene Stichtagsregelung sei hingegen unwirksam. Diese unterfalle nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. § 88 BetrVG erlaube den Entzug verdienten Arbeitsentgelts und die damit verbundene unangemessene Erschwerung des Kündigungsrechts nicht. Den Betriebsparteien stünde zwar eine umfassende Kompetenz zu, die materiellen und formellen Arbeitsbedingungen zu regeln. Allerdings unterliege die aus § 88 BetrVG folgende Regelungsbefugnis ihrerseits Binnenschranken. Zwar finde keine Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB statt. Doch seien die Betriebsparteien an die Grundsätze von Recht und Billigkeit gebunden. Die Auszahlung verdienten Entgelts könne daher nicht davon abhängig gemacht werden, dass weitere Zwecke – wie Betriebstreue – erfüllt würden. Die streitgegenständliche Bonuszahlung habe arbeitsleistungsbezogenen Vergütungscharakter, deren Auszahlung nicht von der in der Stichtagsregelung getroffenen Beschränkung abhängig gemacht werden könne.
Kontext der Entscheidung
Individualrechtlich bezieht sich die Entscheidung auf die gefestigte Rechtsprechung zu sog. Freiwilligkeitsvorbehalten (BAG, Urt. v. 25.01.2023 - 10 AZR 109/22). Auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene arbeitet die Entscheidung die umfassende Regelungskompetenz der Betriebsparteien für alle betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen sowie den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen heraus (st.Rspr., z.B. BAG, Urt. v. 08.11.2022 - 9 AZR 486/21) und betont, dass zu dieser weiten Kompetenz nicht nur die ausdrücklich mitbestimmten Tatbestände gehören, sondern vielmehr die Möglichkeit eröffnet ist, freiwillige Betriebsvereinbarungen zu schließen (BAG, Beschl. v. 28.07.2020 - 1 ABR 41/18). Hinsichtlich der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG bezieht sich diese Entscheidung auf die hierzu ergangene Rechtsprechung (BAG, Urt. v. 17.08.2021 - 1 AZR 175/20).