juris PraxisReporte

Anmerkung zu:LArbG Köln 4. Kammer, Urteil vom 06.02.2024 - 4 Sa 390/23
Autor:Dr. Kai-Oliver Burmann, RA und FA für Arbeitsrecht
Erscheinungsdatum:26.06.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 252 BGB, § 280 BGB, § 283 BGB, § 254 BGB, § 315 BGB
Fundstelle:jurisPR-ArbR 25/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Burmann, jurisPR-ArbR 25/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Schadenersatz wegen verspäteter Zielvorgabe



Leitsätze

1. Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist.
2. Eine Anreizfunktion wird nicht per se dadurch ausgeschlossen, dass die unterlassene Zielvorgabe unternehmensbezogene Ziele betrifft.



A.
Problemstellung
Die vorliegende Entscheidung betrifft die bisher noch nicht geklärte Frage, ob neben einer gänzlich unterbliebenen auch eine verspätete Zielvorgabe einen Schadensersatzanspruch wegen Unmöglichkeit auslösen kann.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aufgrund einer verspätet erfolgten Zielvorgabe.
Der Kläger war bei der Beklagten in leitender Funktion tätig. Seine Vergütung setzte sich aus einem Fixum und einem Zielbonus zusammen. Insofern war durch Betriebsvereinbarung geregelt, dass die Zielvorgaben bis zum 01.03. eines jeden Jahres erfolgen mussten.
Im Jahr 2019 kündigte der Kläger zu Ende September. Eine Zielvorgabe erfolgte erst anlässlich der Übergabe der Arbeitsmittel Ende September. Die vorgegebenen Ziele erreichte der Kläger nur teilweise.
Seine daraufhin auf Schadensersatz wegen der seiner Ansicht nach verspäteten, sowie formell unwirksam und ermessensfehlerhaft erfolgten Zielvorgabe erhobene Klage wies das Arbeitsgericht als unbegründet ab. Die dagegen erhobene Berufung führte zur Abänderung und antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.
Nach Auffassung des LArbG Köln ist eine in der Zielperiode pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebene Zielvorgabe in gleicher Weise zulasten des Arbeitgebers schadensersatzauslösend wie die pflichtwidrig und schuldhaft nicht abgeschlossene Zielvereinbarung. Erfolge eine Zielvorgabe sodann erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, sei sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Dem Arbeitnehmer bliebe dann kein hinreichender Zeitraum mehr, die vorgegebenen Jahresziele effektiv zu verfolgen. Daher habe der Kläger Anspruch auf Schadensersatz gemäß den §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB, wobei gemäß § 252 Satz 1 BGB von einer hundertprozentigen Zielerreichung auszugehen sei.


C.
Kontext der Entscheidung
Ausgangspunkt des Urteils ist die grundlegende Entscheidung des BAG (Urt. v. 12.12.2007 - 10 AZR 97/07), wonach eine unterbliebene Zielfestlegung einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers nach den §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB begründen könne. Nach Ablauf der Zielperiode sei eine Festlegung von Zielen nicht mehr möglich. Zwar könnten Ziele an sich auch für die Vergangenheit vereinbart werden. Eine Zielvereinbarung könne entsprechend dem Motivationsgedanken ihre Anreizfunktion aber nur dann erfüllen, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kennt. Nach Ablauf der Zielperiode könne der Arbeitnehmer daher statt der Festlegung von Zielen Schadensersatz verlangen. Im Hinblick auf den Umfang des zu ersetzenden Schadens, der auch den entgangenen Gewinn umfasse, sei grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte. Zwar müssten Zielvereinbarungen nicht stets die in Aussicht gestellte Bonuszahlung auslösen. Sie verfehlten jedoch ihren Motivationszweck und würden ihrer Anreizfunktion nicht gerecht, wenn die festgelegten Ziele vom Arbeitnehmer von vornherein nicht erreicht werden können. Ausgangspunkt für die Bemessung des Schadens sei deshalb der zugesagte Bonus. Beruhte das Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung auch auf einem Verschulden des Arbeitnehmers – etwa weil auch dieser keine Verhandlung über die zu vereinbarenden Ziele verlangt hatte –, sei ein Schadensersatzanspruch nicht ausgeschlossen; es müsse lediglich das Mitverschulden nach § 254 BGB angemessen berücksichtigt werden. Diese Grundsätze hat das BAG zuletzt bestätigt (BAG, Urt. v. 17.12.2020 - 8 AZR 149/20).
Offengelassen hat das BAG aber bisher, ob diese Grundsätze auch bei Zielvorgaben gelten. Dabei betonte das BAG mehrfach (vgl. BAG, Urt. v. 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 Rn. 16; BAG, Urt. v. 17.12.2020 - 8 AZR 149/20 Rn. 37) den grundlegenden Unterschied zwischen Zielvereinbarungen und Zielvorgaben; bei Zielvereinbarungen seien nach der vertraglichen Regelung die Ziele, von deren Erfüllung die Bonuszahlung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festzulegen. Hingegen würden Zielvorgaben allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht i.S.d. § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt wird.
Dass eine pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebene Zielvorgabe in gleicher Weise zulasten des Arbeitgebers schadensersatzauslösend sein könne wie die pflichtwidrig und schuldhaft nicht abgeschlossene Zielvereinbarung, hatten bereits mehrere Landesarbeitsgerichte entschieden (LArbG Frankfurt, Urt. v. 30.04.2021 - 14 Sa 606/19 Rn. 56; LArbG Köln, Urt. v. 26.01.2018 - 4 Sa 433/17 Rn. 44 ff.; LArbG Mainz, Urt. v. 15.12.2015 - 8 Sa 201/15 Rn. 79; LArbG München, Urt. v. 20.06.2012 - 10 Sa 951/11 Rn. 54; LArbG Hamm, Urt. v. 02.10.2008 - 15 Sa 1000/08 Rn. 92).
Bemerkenswerter ist die Entscheidung daher in anderer Hinsicht. So hatte das BAG auch offengelassen, ob Unmöglichkeit bereits vor Ablauf einer Zielperiode eintreten könne, also auch ein verspäteter Abschluss einer Zielvereinbarung etwa erst gegen Ende der Zielperiode oder zu einem Zeitpunkt, zu dem der Zweck der Leistungssteigerung und Motivation aus anderen Gründen nicht mehr erreicht werden kann, zu einem Schadensersatzanspruch wegen Unmöglichkeit führen könne (vgl. BAG, Urt. v. 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 Rn. 47).
Das LArbG Köln bejaht diese Frage. Erfolge eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, sei sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Dem Arbeitnehmer bleibe dann kein hinreichender Zeitraum mehr, die vorgegebenen Jahresziele effektiv zu verfolgen. Die Vereinbarung von Zielen sei aber sinnentleert, wenn diese nicht mehr der Motivation des Mitarbeiters dienen können.
Eben diese teleologischen Erwägungen hatte auch das BAG in seiner grundlegenden Entscheidung angestellt, um die Unmöglichkeit einer Zielvereinbarung nach Ablauf der Zielperiode zu begründen: Ziele könnten zwar an sich auch für einen vergangenen Zeitraum formuliert werden. Eine Zielvereinbarung, die bei Zielerreichung einen Anspruch des Arbeitnehmers auf einen Bonus begründet, könne entsprechend dem Motivationsgedanken ihre Anreizfunktion aber nur dann erfüllen, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kennt und weiß, auf das Erreichen welcher persönlicher oder unternehmensbezogener Ziele der Arbeitgeber in dem jeweiligen Zeitraum besonderen Wert legt und deshalb bereit ist, bei Erreichen dieser Ziele den zugesagten Bonus zu zahlen. Eine dem Motivationsgedanken und damit dem Sinn und Zweck einer Zielvereinbarung gerecht werdende Aufstellung von Zielen für einen vergangenen Zeitraum sei nicht möglich (BAG, Urt. v. 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 Rn. 47).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Vom Begründungsansatz des BAG ausgehend ist die Entscheidung des LArbG Köln überzeugend.
Aus praktischer Sicht ist jedenfalls zu begrüßen, dass sich das Landesarbeitsgericht hinsichtlich des Zeitpunkts, in dem die Anreizfunktion nicht mehr erfüllt werden könne, festlegt: Dieser sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist. Das kann man so oder anders sehen. Dem Rechtsanwender gibt diese Festlegung aber zumindest Orientierung.
Schließlich hat das Landesarbeitsgericht die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Da die Entscheidung aber den Begründungsansatz des BAG aufnimmt und fortführt, ist eher nicht damit zu rechnen, dass die eingelegte Revision (10 AZR 57/24) Erfolg hat.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!