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Anmerkung zu:LArbG Stuttgart 3. Kammer, Beschluss vom 13.06.2024 - 3 TaBV 1/24
Autoren:Dr. Alexander Bissels, RA und FA für Arbeitsrecht,
Dr. Benjamin Münnich, RA
Erscheinungsdatum:13.11.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 19 BetrVG, § 7 BetrVG, § 99 BetrVG, § 8 BetrVG
Fundstelle:jurisPR-ArbR 45/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Bissels/Münnich, jurisPR-ArbR 45/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Wahlrecht von betriebsfremden Matrixmanagern bei Betriebsratswahlen



Leitsätze

1. Eine Matrix-Führungskraft ist regelmäßig (nur) in ihrem „Stammbetrieb“, nämlich dem Betrieb, dem sie arbeitsvertraglich zur regelmäßigen Arbeitsleistung zugeordnet ist, zum Betriebsrat wahlberechtigt.
2. Die Kriterien, die das BAG in seinem Beschluss vom 12.06.2019 (1 ABR 5/18) zur Beurteilung der Frage der Eingliederung von Matrix-Führungskräften in einen Betrieb nach § 99 BetrVG für maßgeblich erachtet, sind wegen der unterschiedlichen Normzwecke nicht vollumfänglich auf die nach § 7 Satz 1 BetrVG vorzunehmende Beurteilung der Wahlberechtigung von Matrix-Führungskräften übertragbar.



A.
Problemstellung
Das LArbG Stuttgart hat sich mit der Frage befasst, ob Führungskräfte, die innerhalb einer Matrixstruktur zum Vorgesetzten von Arbeitnehmern außerhalb ihres Stammbetriebs eingesetzt werden, in einen solchen, ihnen fremden Betrieb eines Unternehmens eingegliedert und damit gemäß § 7 BetrVG wahlberechtigt sind. Im Ergebnis hat das LArbG Stuttgart diese Frage – anders als kürzlich zuvor das LArbG Frankfurt – verneint.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Gegenstand des Verfahrens war der Streit zwischen einer Arbeitgeberin und einem neu gewählten Betriebsrat über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Inhaltlich ging es dabei um die Frage, ob betriebsfremde Führungskräfte (= Matrixmanager) an der Betriebsratswahl teilnehmen durften. Das Unternehmen der Arbeitgeberin war in einer unternehmensinternen Matrixstruktur organisiert, die sich dadurch kennzeichnete, dass fachlich verantwortliche Führungskräfte (sog. Line Manager oder Matrixmanager) bestimmter Arbeitnehmer außerhalb des Betriebs der Letztgenannten angesiedelt waren.
Am 20.05.2022 hatte der Wahlvorstand die Bekanntmachung der Vorschlagslisten für die Wahl des Betriebsrats im Betrieb Region S. ausgehängt. Danach wurden drei Vorschlagslisten fristgerecht eingereicht. In der Wählerliste waren zum einen 498 Arbeitnehmer des Betriebs Region S. und zum anderen 128 Führungskräfte aufgeführt, die Arbeitnehmer des Betriebs Region S. steuerten, ansonsten jedoch einem anderen Betrieb der Arbeitgeberin angehörten (= Matrixmanager), nämlich 33 dem Betrieb Zentrale, 23 dem Betrieb N., 19 dem Betrieb W. und 53 dem Betrieb M. Die Führungskräfte hatten keine eigenständige Kompetenz zur Einstellung und/oder Entlassung von Arbeitnehmern, zur Erteilung von Abmahnungen, zur Gewährung von Gehaltserhöhungen oder zur Anordnung neuer Arbeitsaufgaben. Die Führungskräfte waren regelmäßig einem Standort arbeitsvertraglich zugeordnet.
Die Arbeitgeberin machte geltend, die Betriebsratswahl vom 23.06.2022 sei unwirksam, da in die Wählerliste Führungskräfte aufgenommen worden seien, die nicht dem Betrieb Region S. angehörten.
Das ArbG Stuttgart erklärte die Betriebsratswahl für unwirksam (ArbG Stuttgart, Beschl. v. 25.10.2023 - 14 BV 112/22). Die gegen die Entscheidung gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem LArbG Stuttgart keinen Erfolg. Rechtlicher Ausgangspunkt war dabei § 7 Satz 1 BetrVG, der bestimmt, dass zum Betriebsrat alle Arbeitnehmer des Betriebs wahlberechtigt sind, die das 16. Lebensjahr vollendet haben.
Die 128 Matrixmanager seien bei der Betriebsratswahl vom 23.06.2022 entgegen der Auffassung des Betriebsrats nicht wahlberechtigt gemäß § 7 BetrVG gewesen. Arbeitnehmer „des Betriebs“ und damit betriebsangehörig i.S.d. § 7 Satz 1 BetrVG seien solche Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stünden und innerhalb der Betriebsorganisation des Arbeitgebers abhängige Arbeitsleistungen erbrächten.
Die hierbei erforderliche Eingliederung in die Betriebsorganisation setze zwar nicht voraus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeiten auf dem Betriebsgelände verrichte – denn der Betriebsbegriff sei nicht in dem Sinne räumlich zu verstehen, dass mit der Grenze des Betriebsgrundstücks oder der Betriebsräume der Betriebsbereich ende. Allerdings komme es, wenn der Vertragsarbeitgeber Inhaber mehrerer Betriebe sei, für die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung nach § 7 BetrVG entscheidend darauf an, in welchem Betrieb der Arbeitnehmer „tatsächlich“ eingegliedert sei, so dass es letztlich eine Eingliederung nur in einem Betrieb, dem Stammbetrieb geben könne.
Insofern weiche nach der zustimmungswürdigen Auffassung des LArbG Stuttgart der Eingliederungsbegriff des § 7 BetrVG von demjenigen des § 99 BetrVG ab. Diese Auslegung des Eingliederungsbegriffs folge aus dem Sinn und Zweck der Regelung. Das Mitbestimmungsrecht bei der Einstellung gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG habe vor allem das Ziel, die Interessen der bereits im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen. Im Gegensatz dazu verfolge § 7 BetrVG den Zweck, sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer, deren Interessen der Betriebsrat durch seine Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte vertrete, auch aktiv an der Wahl des Betriebsrats teilnehmen und dessen personelle Zusammensetzung beeinflussen könnten. Dies lege nahe, dass die Matrixmanager nur in dem Betrieb wahlberechtigt seien, dem sie arbeitsvertraglich zugeordnet seien (Stammbetrieb). Eine sachliche Grundlage, die eine mehrfache Wahlberechtigung für die Matrixmanager rechtfertige, sei hingegen nicht gegeben.
Die Teilnahme der nicht wahlberechtigten Matrixmanager an der Betriebsratswahl stelle einen wesentlichen Verstoß gegen eine Vorschrift über das Wahlrecht i.S.d. § 19 Abs. 1 BetrVG dar. Durch diesen Verstoß, der nicht berichtigt worden sei, habe das Wahlergebnis auch geändert oder beeinflusst werden können. Aus diesem Grund sei der Wahlanfechtungsantrag der Arbeitgeberin begründet.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Bewertung der Betriebszugehörigkeit, also die Frage, ob Arbeitnehmer in einen bestimmten Betrieb eingegliedert sind, erreicht zunehmend die Arbeitsgerichte in den verschiedenen inhaltlichen Regelungskontexten.
Nach der Rechtsprechung des BAG zur Einstellung nach § 99 BetrVG sollen Matrixmanager in alle Betriebe eingegliedert sein, in denen sie Vorgesetzte von Arbeitnehmern des Betriebs sind, soweit sie mit der Wahrnehmung dieser fachlichen Führungsaufgaben auch den arbeitstechnischen Zweck der jeweiligen fremden Betriebe verwirklichen (BAG, Beschl. v. 12.06.2019 - 1 ABR 5/18; BAG, Beschl. v. 26.05.2021 - 7 ABR 17/20; BAG, Beschl. v. 14.06.2022 - 1 ABR 13/21). Dieser Judikatur folgen, soweit ersichtlich, die Instanzgerichte (vgl. LArbG Stuttgart, Beschl. v. 14.03.2023 - 15 TaBV 1/22; LArbG Köln, Beschl. v. 29.10.2021 - 9 TaBV 17/21; LArbG Kiel, Beschl. v. 18.01.2022 - 2 TaBV 25/21).
Nicht höchstrichterlich geklärt ist allerdings, ob die vom BAG entwickelten Maßstäbe auf die betriebliche Zuordnung von Matrixmanagern i.S.v. § 7 BetrVG übertragbar sind. Das LArbG Frankfurt hat diese Frage bejaht und entschieden, dass Matrixmanager in diesen Fällen auch an allen Betriebsratswahlen aktiv wahlberechtigt seien (LArbG Frankfurt, Beschl. v. 22.01.2024 - 16 TaBV 98/23). Diese Auffassung ist jedoch wegen damit einhergehender Wertungswidersprüche und ungeklärter Folgefragen abzulehnen (vgl. Wisskirchen/Münnich, DB 2024, 2226, 2227). Die hiesige Entscheidung weicht überzeugend und zu Recht von der Entscheidung des LArbG Frankfurt ab (vgl. Arnold, ArbR 2024, 507).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Aus Sicht der Praxis ist die Entscheidung des LArbG Stuttgart nicht nur inhaltlich richtig, sondern auch begrüßenswert. Ihr folgend, sind im Rahmen von Betriebsratswahlen Matrixmanager nur in ihrem Stammbetrieb wahlberechtigt – sofern diese lediglich fachliche Führungsaufgaben hinsichtlich Arbeitnehmer anderer Betriebe ausüben.
Das vereinfacht die Bewertung der Betriebszugehörigkeit und mithin die Rechtssicherheit im Rahmen von Betriebsratswahlen. Es dürfte für einen Wahlvorstand praktisch kaum umsetzbar sein, im Rahmen der vom BAG zu § 99 BetrVG geforderten Gesamtabwägung im Einzelfall rechtssicher zu ermitteln, ob einem Matrixmanager eine Rechtsstellung zukommt, die es erlaubt, von einer Eingliederung in den betreffenden Wahlbetrieb auszugehen (vgl. Rn. 59 der Besprechungsentscheidung). Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass die Leitungskompetenzen und Zuständigkeiten in Matrixstrukturen typischerweise nicht statisch, sondern einem regelmäßigen Wandel ausgesetzt sind. Die vom LArbG Frankfurt eröffnete Möglichkeit einer multiplen Wahlberechtigung eröffnet ferner die Folgefrage, ob hiermit auch eine multiple Wählbarkeit i.S.d. § 8 BetrVG einhergeht (vgl. Wisskirchen/Münnich, DB 2024, 2226, 2228).
Vor dem Hintergrund der divergierenden Urteile der Landesarbeitsgerichte bleibt es spannend. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des LArbG Stuttgart zum BAG ist inzwischen eingelegt worden (Az.: 7 ABR 28/24).



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