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Anmerkung zu:OVG Magdeburg 4. Senat, Beschluss vom 21.11.2024 - 4 M 149/24
Autor:Prof. Dr. Michael Hippeli, LL.M., MBA, Ministerialrat
Erscheinungsdatum:18.02.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 3 VereinsG, § 123 VwGO, Art 19 GG, Art 1 GG, Art 3 GG, Art 21 GG, Art 9 GG, Art 5 GG, Art 4 GG, Art 140 GG, Art 137 WRV
Fundstelle:jurisPR-BKR 2/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Stephan Meder, Universität Hannover
Dr. Anna-Maria Beesch, RA'in und FA'in für Bank- und Kapitalmarktrecht
Zitiervorschlag:Hippeli, jurisPR-BKR 2/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Eröffnung und Fortbestand von Girokonten für Verlage mit verfassungsfeindlichen Erzeugnissen bei Sparkassen



Leitsätze

1. Eine Sparkasse kann als Anstalt des öffentlichen Rechts i.S.v. § 1 Abs. 2 SpkG-LSA die Eröffnung und Führung eines Girokontos nur dann verweigern, wenn dies durch einen sachlichen Grund i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt ist.
2. Insbesondere eine verfassungsfeindliche Zielsetzung stellt keinen Grund zur Ungleichbehandlung durch Vorenthaltung eines Girokontos dar, wenn ein Vereinsverbot nach Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. §§ 3 ff. VereinsG noch nicht förmlich durch die zuständige Stelle festgestellt wurde.



A.
Problemstellung
Ein Problem, welches bislang eher in leicht anderer Konstellation bekannt ist. Schon seit ca. 25 Jahren stellt sich des Öfteren die Frage, ob Sparkassen die Kontoeröffnung oder weitere Kontoführung für solche politische Parteien verweigern dürfen, wenn die jeweilige Partei (noch) nicht verboten ist, allerdings auch und gerade aus Sicht der betreffenden Sparkasse verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Soweit erkennbar, betraf dies bislang immer nur sog. rechtsextreme oder rechtspopulistische Parteien. Den Sparkassen ging es dabei vor allem um etwaige Imageschäden, denn wer will schon gerne die Hausbank von Rechtsextremen sein?
Nun musste das OVG Magdeburg allerdings über die hiervon abweichende Konstellation eines (noch) nicht verbotenen Vereins entscheiden, welcher derartige Ziele verfolgen soll. Von vornherein lag es auf der Hand, dass sich die beiden Konstellationen ähneln und lediglich die entsprechenden Grundrechtsgewährleistungen für die einzelnen Parteien/Vereine formal anders liegen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Antragstellerin ist eine im Handelsregister des AG Stendal eingetragene GmbH, welche die Zeitschrift „Compact-Magazin“ herausgibt. Das Compact-Magazin gilt als rechtsextreme deutsche politische Monatszeitschrift. Seit 2015 präsentiert sich das Compact-Magazin als Sprachrohr der rechtspopulistischen AfD sowie der islamfeindlichen Pegida-Bewegung. Das Magazin verbreitet dabei regelmäßig verschwörungstheoretische, geschichtsrevisionistische und antisemitische Inhalte (vgl. zu dieser Bewertung: https://de.wikipedia.org/wiki/Compact_(Magazin)#Verbotsverfahren, zuletzt abgerufen am 27.12.2024).
Im Juli 2024 verbot die Bundesinnenministerin die Antragstellerin, gestützt auf Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. § 3 VereinsG. Das BVerwG setzte den angeordneten Sofortvollzug des Verbots jedoch im August 2024 wieder teilweise außer Kraft (BVerwG, Beschl. v. 14.08.2024 - 6 VR 1/24 - NVwZ 2024, 1764).
Der vorliegende Rechtsstreit dreht sich um die Eröffnung eines Girokontos für die Antragstellerin bei einer Sparkasse in Sachsen-Anhalt, was ihr die betreffende Sparkasse verweigerte. Das VG Halle lehnte den Erlass einer einstweiligen Anordnung i.S.d. § 123 VwGO ab, wodurch die Sparkasse verpflichtet werden sollte, jenes Girokonto zu eröffnen. Gegen diese Entscheidung des VG erhob die Antragstellerin Beschwerde beim OVG Magdeburg.
Die Beschwerde war erfolgreich. Das OVG Magdeburg hat die zulässige Beschwerde auch für begründet erachtet. Denn die Antragstellerin habe es vermocht, einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen.
Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus den §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 SpkG-LSA i.V.m. den Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG. Hiernach komme Sparkassen als Wirtschaftsunternehmen die Aufgabe zu, in ihrem Geschäftsgebiet die Versorgung mit geld- und kreditwirtschaftlichen Leistungen sicherzustellen, wobei der grundrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz unmittelbar berücksichtigt werden muss. Die reine Beobachtung durch den Bundesverfassungsschutz hindere die Antragstellerin auch nicht daran, sich auf ihr zukommende Grundrechte zu berufen.
Sparkassen seien als Teil der vollziehenden Gewalt i.S.d. Art. 1 Abs. 3 GG tätig und insoweit unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Dies zwinge zur Beachtung der Grundrechte von (potenziellen) Kunden im jeweiligen Vertragsverhältnis. Art. 3 Abs. 1 GG verbiete es dann jedenfalls, ohne sachlichen Grund wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleichzubehandeln. Art. 3 Abs. 1 GG müsse dabei aus Gründen der Wirksamkeit der Grundrechte jedenfalls erst einmal zur Anwendung gebracht werden: Erst auf Ebene der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung seien vergleichende Betrachtungen mit anderen Konstellationen anzustellen.
Dass die Antragstellerin wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen vom Bundesverfassungsschutz beobachtet und im Verfassungsschutzbericht 2023 erwähnt wird, rechtfertige jedenfalls keine Ungleichbehandlung im Vergleich mit anderen wirtschaftlichen Unternehmen. So sei zunächst die Entscheidung des BVerwG aus August 2024 zu berücksichtigen: Danach unterliege die Antragstellerin ungeachtet ihrer Rechtsform GmbH zwar gleichwohl dem VereinsG. Jedoch sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt zweifelhaft, ob die Antragstellerin den Verbotsgrund des Sichrichtens gegen die verfassungsmäßige Ordnung erfülle. Schon mit Blick auf Parteien sei in der Judikatur des BVerwG anerkannt, dass allein die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei (selbst wenn diese rechtskräftig durch das BVerfG festgestellt wurde) keinen Grund zur Ungleichbehandlung durch Vorenthaltung eines Girokontos darstellt. Bei einem als Verein geltenden wirtschaftlichen Unternehmen lasse sich diese Rechtsprechung zwar nicht 1:1 übertragen, da es dann am Parteienprivileg des Art. 21 GG fehlt. Ähnlich dazu gelte aber auch für Vereine (und als Verein geltende wirtschaftliche Unternehmen) ein Vereinsprivileg i.S.v. Art. 9 GG. Auch Vereine dürften nur unter besonderen Bedingungen verboten werden. Im Vorfeld eines Verbots müssten aber stets die Grundrechte des Vereins beachtet werden; eine (eigene) Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit dürfe eine Sparkasse nicht vornehmen und damit gewissermaßen ein Vereinsverbot faktisch vorwegnehmen.
Zudem liege ein Anordnungsgrund vor. Die Antragstellerin habe glaubhaft gemacht, anderweitig kein Girokonto zu erhalten, und sie sei ehedem zügig auf die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr angewiesen.


C.
Kontext der Entscheidung
Eine stringente Entscheidung. Sie ist im Ergebnis konsistent zur Judikatur zu Girokonten von und für verfassungsfeindliche(n) Parteien. In beiden Fallkonstellationen gilt es dabei zu berücksichtigen, dass Sparkassen als Anstalten des öffentlichen Rechts von vornherein einer stärkeren Grundrechtsbindung unterliegen als andere Kreditinstitute (vgl. Biesok, Sparkassenrecht, 2021, S. 106). Doch auch die übrigen Kreditinstitute müssen im Rahmen ihrer Vertragsbeziehungen als Private die Grundrechtsgewährleistungen gegenüber (potenziellen) Kunden beachten. Hierbei spricht man von der sog. Drittwirkung der Grundrechte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.04.2018 - 1 BvR 3080/09 - NJW 2018, 1667, 1668; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, 18. Aufl. 2024, Art. 1 Rn. 48 ff.), die im Einzelfall auch bei der Frage von Girokonten für verfassungsfeindliche Parteien eine Rolle spielen kann (vgl. ausdrücklich BVerfG, Beschl. v. 22.02.2001 - 2 BvR 202/01 - NJW 2001, 1413, 1414). Faktisch ist damit jedes Kreditinstitut gehalten, die Grundrechte (potenzieller) Kunden zu beachten und dabei insbesondere alle gleichzubehandeln.
Zur Konstellation von Girokonten für verfassungsfeindliche Parteien haben sich dabei folgende Eckpunkte herauskristallisiert: In den Anfängen der Rechtsprechung hierzu entschied das LG Leipzig noch, dass eine Sparkasse einer Partei wie den Republikanern womöglich auf Basis des Kündigungsrechts in ihren AGBs das Girokonto kündigen kann, wenn ihr die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses aus Imagegründen nicht weiter zugemutet werden kann (LG Leipzig, Urt. v. 06.10.2000 - 08 O 7375/00 - NJW 2001, 80). Diese Entscheidung wurde aber im Instanzenzug wieder kassiert und stellt bis heute die vorherrschende Auffassung in der Rechtsprechung dar. Insoweit darf ein ausschließlich staatlich beherrschtes Kreditinstitut die politische Zielrichtung einer Partei nicht zum Anlass für eine Kontokündigung nehmen, solange das BVerfG die Verfassungswidrigkeit dieser Partei (noch) nicht festgestellt hat (BGH, Urt. v. 02.12.2003 - XI ZR 397/02 - NJW 2004, 1031; OLG Dresden, Urt. v. 15.11.2001 - 7 U 1956/01 - NJW 2002, 757; nun auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 03.06.2024 - OVG 3 S 15/24). Nach 2003 verlagerte sich der Streit mit Sparkassen (dann vor allem seitens der NPD/Die Heimat) auf die Ebene der Eröffnung von Girokonten. Hierfür ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben (VG Berlin, Beschl. v. 14.07.2005 - 2 A 62.05; VG Hannover, Urt. v. 13.05.2015 - 1 A 6549/13). Sparkassen müssen bei der Eröffnung von Girokonten für Parteigliederungen zwingend Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 ParteiG beachten und in aller Regel trotz einer Zugehörigkeit etwa zum rechtsextremen Parteienspektrum ein Konto eröffnen (VG Göttingen, Urt. v. 10.06.2009 - 1 A 91/08; VG Dresden, Urt. v. 29.01.2013 - 7 K 99/11).
Eine weitere Nuance der Streitigkeiten der NPD/Die Heimat jenseits von Anstalten des öffentlichen Rechts war diejenige mit der privatisierten Berliner Sparkasse. Hier entscheid das OVG Berlin-Brandenburg, dass auch ein privates Kreditinstitut das Parteienprivileg aus Art. 21 GG und das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten hat, so dass ein Girokonto eröffnet werden musste (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 14.12.2007 - OVG 3 B 7.06 - NJ 2008, 232).
Jenseits von Parteien hat es auch bereits Entscheidungen über die Kündigung von Girokonten von rechtsextremen Verlagen gegeben. Dort entschied das OLG München mit Blick auf die seinerzeit bereits privatisierte Postbank, dass diese auf Basis der Banken-AGB jederzeit das Vertragsverhältnis kündigen kann, wenn sie die Drittwirkung der Grundrechte (hier Art. 3 Abs. 1 (Gleichbehandlung) und Art. 5 Abs. 1 GG (Pressefreiheit)) beachtet (OLG München, Urt. v. 25.09.2001 - 5 U 3167/01 - NJW-RR 2002, 193). Ähnlich entschied auch das OVG Schleswig in Bezug auf die Eröffnung eines Girokontos durch einen rechtsextremen Verlag bei einer Sparkasse in Schleswig-Holstein: Die Sparkasse müsse im Rahmen von § 2 SparkG SH i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 GG ermessensfehlerfrei entscheiden; der politische Inhalt der Schriften spiele dabei keine Rolle (OVG Schleswig, Urt. v. 15.01.2015 - 2 LB 21/13).
Bislang noch nicht vor deutsche Gerichte geschafft hat es die Konstellation der Eröffnung/Kündigung eines Girokontos einer religiösen Organisation etwa aus dem islamistischen Spektrum bei Sparkassen oder sonstigen Kreditinstituten. Dieser Fall wird aber in den nächsten Jahren mit Sicherheit virulent werden. Hier dürfte letztlich wieder weitestgehend dasselbe gelten wie bei verfassungsfeindlichen Parteien oder Verlagen, nur dass dann neben Art. 3 Abs. 1 GG (anstatt Art. 21 GG oder Art. 9 GG und Art. 5 Abs. 1 GG) die Art. 4 GG sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV als Maßstab gelten, welchen dann Sparkassen und sonstige Kreditinstitute unmittelbar oder mittelbar über die Drittwirkung der Grundrechte zu beachten haben.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Same same, but different. Im Prinzip ist jeder Fall als gesonderter Einzelfall zu betrachten. Doch als grobe Leitlinie gilt, dass Sparkassen und sonstige Kreditinstitute nicht willkürlich handeln dürfen, sondern politische Parteien, Vereine/wirtschaftliche Unternehmen sowie Religionsgemeinschaften jeweils gleichbehandeln und daneben auch deren jeweilige Grundrechte beachten müssen, bis der Staat ein offizielles Verbotsverfahren abgeschlossen hat. Politisch agierende Religionsgemeinschaften unterliegen dabei im Übrigen ebenfalls dem vereinsrechtlichen Verbotsverfahren (BVerwG, Urt. v. 14.05.2014 - 6 A 3/13 - NVwZ 2014, 1573, 1576; Pieroth/Kingreen, NVwZ 2001, 841, 842; Roth, GSZ 2019, 89).



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