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Anmerkung zu:BGH 2. Zivilsenat, Urteil vom 29.10.2024 - II ZR 222/21
Autor:Dr. Felix Bergmeister, LL.M. (Univ. of Chicago), Vors. RiLG
Erscheinungsdatum:24.01.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 131 HGB, § 736 BGB, § 738 BGB, § 730 BGB, § 723 BGB, § 712a BGB
Fundstelle:jurisPR-BGHZivilR 2/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Markus Würdinger, Universität Passau
Zitiervorschlag:Bergmeister, jurisPR-BGHZivilR 2/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Kündigung durch vorletzten BGB-Gesellschafter



Leitsatz

Zur Auslegung einer Fortführungsklausel im Gesellschaftsvertrag einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts.



Orientierungssatz zur Anmerkung

Der Rechtsprechung des BGH lässt sich keine allgemeine Auslegungsregel dergestalt entnehmen, dass eine Regelung in einem Gesellschaftsvertrag, in der allgemein von „Gesellschaftern“ die Rede ist, im Zweifel auch nur „einen Gesellschafter“ meinen kann. Ob dies angenommen werden kann, ist eine Frage des Einzelfalls.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung betrifft die Kündigung durch den vorletzten BGB-Gesellschafter und die Frage der Einschlägigkeit der im Gesellschaftsvertrag enthaltenen Fortführungsklausel.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Der Kläger und der Streithelfer waren in einer Rechtsanwaltsgesellschaft als Gesellschaft bürgerlichen Rechts miteinander verbunden. Der Sozietätsvertrag vom 08.11.2007 enthält in § 18 Abs. 1 folgende Regelung:
„Im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters wird die Sozietät durch die anderen Gesellschafter fortgeführt, soweit mindestens zwei Gesellschafter verbleiben. Auch im Falle der Kündigung der Sozietät durch einen Gesellschafter können die übrigen Gesellschafter beschließen, die Sozietät fortzuführen. Der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters wächst den übrigen Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligung zu.“
Ende September 2016 kündigte der Streithelfer die Sozietät zum 31.12.2017. Mit Schreiben vom 05.01.2018 forderte der Kläger die Beklagte – eine Bank, bei der die Gesellschaft mehrere Konten unterhielt – dazu auf, die Konten auf ihn als Gesamtrechtsnachfolger umzuschreiben. Die Beklagte lehnte dies ab.
Der (u.a.) auf Umschreibung der Konten gerichteten Klage hat das Berufungsgericht mit der Begründung stattgegeben, das Gesellschaftsvermögen sei auf den Kläger als letzten verbleibenden Gesellschafter übergegangen.
II. Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Die Auslegung durch das Berufungsgericht leide an revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehlern, weil sie mit dem klaren und eindeutigen Wortlaut der Fortsetzungsklausel nicht vereinbar sei:
„Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GV wird im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters die Sozietät fortgeführt, ‚soweit mindestens zwei Gesellschafter verbleiben‘. Die Fortführung nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters wird danach ausdrücklich von der Bedingung abhängig gemacht, dass eine Mehrzahl von Gesellschaftern verbleibt.
Nach § 18 Abs. 1 Satz 2 GV sollen ‚auch im Falle der Kündigung der Sozietät durch einen Gesellschafter (…) die übrigen Gesellschafter beschließen (können), die Sozietät fortzuführen‘. Durch die Verwendung des Begriffs ‚auch‘ in § 18 Abs. 1 Satz 2 GV wird ein systematischer Bezug zu § 18 Abs. 1 Satz 1 GV hergestellt. Dies spricht dafür, dass die dort vorgesehene Einschränkung der Fortführung der Gesellschaft durch mindestens zwei Gesellschafter auch im Fall der Fortführung nach Kündigung gelten soll. Dieses Verständnis wird dadurch bekräftigt, dass § 18 Abs. 1 Satz 2 GV die Möglichkeit der Fortsetzung der Gesellschaft den ‚übrigen‘ und damit mehreren Gesellschaftern gewährt.
Die in § 18 Abs. 1 Satz 3 GV vorgesehene Rechtsfolge, dass der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters den übrigen Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligung zuwächst, kann nicht, wie durch das Berufungsgericht, isoliert betrachtet werden, sondern setzt eine Fortsetzung der Gesellschaft nach den Sätzen 1 oder 2 der Vereinbarung voraus, mithin eine Fortsetzung durch mehrere. Dies wird wiederum durch den Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 3 GV bekräftigt, der mit Blick auf die verbleibenden Gesellschafter ebenfalls die Mehrzahl verwendet (‚den übrigen Gesellschaftern‘) und damit im Einklang mit den Regelungen in § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2 GV den Verbleib von mindestens zwei Gesellschaftern voraussetzt.“
Es bilde zwar selbst ein vermeintlich klarer und eindeutiger Wortlaut der Erklärung keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände. Zu den auslegungsrelevanten Gesamtumständen, die einen Rückschluss auf den Inhalt einer Erklärung ermöglichen, gehörten insbesondere die Absprachen der Vertragsparteien im Rahmen der vertragsanbahnenden Verhandlungen. Ob Umstände vorliegen, die eine vom klaren und eindeutigen Wortlaut des § 18 Abs. 1 GV abweichende Auslegung dahin rechtfertigen, dass das Vermögen der Gesellschaft auf den Kläger übergegangen ist, sei bisher aber nicht festgestellt.
Der Senat könne die Auslegung der in § 18 Abs. 1 GV enthaltenen Fortführungsklausel nicht selbst vornehmen, weil die für die Auslegung maßgeblichen Gesamtumstände nicht hinreichend aufgeklärt seien. Vorsorglich weise er darauf hin, dass sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts seiner Rechtsprechung keine allgemeine Auslegungsregel dergestalt entnehmen lasse, wenn allgemein von „Gesellschaftern“ die Rede sei, dies im Zweifel auch nur „einen Gesellschafter“ meinen könne. Ob dies angenommen werden könne, sei eine Frage des Einzelfalls.


C.
Kontext der Entscheidung
Führte die Kündigung des vorletzten Gesellschafters dazu, dass der letzte verbleibende Gesellschafter (Allein-)Inhaber des Gesellschaftsvermögens wurde? Dies hing von der Auslegung der gesellschaftsvertraglichen Fortführungsklausel ab.
Deren Bedeutung erschließt sich vor dem Hintergrund des damals geltenden dispositiven Gesetzesrechts: Mangels einer Vorschrift wie in § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HGB a.F. für oHG und KG führte die wirksame Kündigung eines BGB-Gesellschafters zur Auflösung der Gesellschaft und zu deren Liquidation nach den §§ 730 ff. BGB a.F. Enthielt der Gesellschaftsvertrag hingegen eine Fortführungsklausel, führte die Kündigung zum Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters (§ 736 Abs. 1 BGB a.F.) bei gleichzeitiger Entstehung eines Abfindungsanspruchs (§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.). Handelte es sich um den vorletzten Gesellschafter, wuchs – bei Bestehen einer einschränkungslosen Fortführungsklausel – dem letzten verbleibenden Gesellschafter das Gesellschaftsvermögen an, d.h. die Aktiva und Passiva gingen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf ihn über.
Für unseren Kläger (den letzten verbleibenden Gesellschafter) bedeutete dies: Entweder war er als Gesamtrechtsnachfolger Alleininhaber des Kontos geworden, oder es war eine Abwicklungsgesellschaft entstanden, bei der überdies die Geschäftsführung allen Gesellschaftern gemeinschaftlich zustand (§ 730 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F.), unter Einschluss des kündigenden vorletzten Gesellschafters – mit der Folge, dass dem Kläger unter jedem Gesichtspunkt die Befugnis fehlte, die Umstellung der Konten zu verlangen.
Die hiesige Fortführungsklausel ordnet aber nicht schlechthin die Fortsetzung der Gesellschaft an, sondern nur dann, wenn mindestens zwei Gesellschafter verbleiben (§ 18 Abs. 1 Satz 1 GV). Es heißt dann weiter, dass auch im Fall der Kündigung die Fortführung durch die übrigen Gesellschafter soll beschlossen werden können (§ 18 Abs. 1 Satz 2 GV). Bei unbefangener Lektüre wird damit für den Fall der Kündigung durch den vorletzten Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft (und sei es durch Anwachsung des Vermögens beim letzten Gesellschafter) gerade nicht angeordnet. Dass gemäß § 18 Abs. 1 Satz 3 GV der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters den übrigen Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligung zuwachse, kann hingegen nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist bloß Anordnung der Rechtsfolge für den Fall, dass die Gesellschaft nicht aufgelöst ist, was sich nach den Sätzen 1 und 2 beurteilt. So sieht es jetzt auch der BGH.
Anders noch das Berufungsgericht: § 18 Abs. 1 Satz 3 enthalte keine Einschränkung dahin gehend, dass der Übergang der Anteile nicht gelten solle, wenn nur ein Gesellschafter übrigbleibe. „Übrige Gesellschafter“ i.S.d. § 18 Abs. 1 Satz 3 könne auch nur ein Gesellschafter sein. Es entspreche allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und der Rechtsprechung des BGH, dass eine Regelung, wenn allgemein von „Gesellschaftern“ die Rede sei, im Zweifel auch nur „einen Gesellschafter“ meinen könne.
Der BGH weist darauf hin, dass sich seiner Rechtsprechung eine allgemeine Auslegungsregel dieses Inhalts nicht entnehmen lasse, und arbeitet sorgfältig heraus, dass der Wortlaut klar und eindeutig ist, aber im entgegengesetzten Sinne des berufungsgerichtlichen Verständnisses.
Dem Berufungsgericht ist freilich zuzugeben, dass es zusätzlich ein teleologisches Argument in Ansatz gebracht hat: Gerade wenn die Gesellschaft, wie hier, ursprünglich nur aus zwei Gesellschaftern bestanden habe, sei nicht anzunehmen, dass die Regelung nur für den eventuellen Fall gelten sollte, dass etwaige weitere Gesellschafter hinzuträten (Berufungsurteil, Rn. 18). Dies ist ein beachtlicher Gesichtspunkt. Tatsächlich verbleibt für die hiesige Fortführungsklausel in einer Zwei-Personen-Gesellschaft (die es wohl durchgehend war) kein Anwendungsbereich. Methodisch war dieses Auslegungsergebnis so trotzdem nicht haltbar, weil es die gebotene Auslegung anhand der Gesamtumstände nicht leistet, zu denen insbesondere Absprachen der Vertragsparteien im Rahmen der vertragsanbahnenden Verhandlungen gehören.
Der BGH hat das Berufungsurteil deshalb zu Recht aufgehoben und zurückverwiesen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Nach neuem Personengesellschaftsrecht ist eine Fortführungsklausel entbehrlich. Die Rechtsfolge, dass bei Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Gesellschafter die Gesellschaft fortbesteht, soweit im Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes geregelt ist, ergibt sich jetzt aus § 723 Abs. 1 Nr. 2 BGB (Fortsetzung der Gesellschaft als Regelfall).
Für das Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters hat das MoPeG die Regel kodifiziert, wie sie bereits unter Geltung des alten Rechts (bei Bestehen einer Fortführungsklausel) entwickelt worden war: Die Gesellschaft erlischt ohne Liquidation (§ 712a Abs. 1 Satz 1 BGB), und ihr Vermögen geht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den verbleibenden Gesellschafter über (§ 712a Abs. 1 Satz 2 BGB).
Der Lebenssachverhalt, der der besprochenen Entscheidung zugrunde liegt, spielt vollständig und abschließend unter dem alten Recht. Fragen der intertemporalen Gesetzesanwendung stellten sich nicht. In Zukunft wird es in der Praxis hingegen spannend. Denn die von nun an auszulegenden Gesellschaftsverträge werden bis auf Weiteres überwiegend solche sein, die vor Inkrafttreten des MoPeG geschlossen wurden, auf die aber – mangels Übergangsregelung – das MoPeG Anwendung findet (instruktiv hierzu Mock, NJW 2023, 3537).
Auf den hiesigen Fall bezogen, hätte dies bedeutet: Es wäre durch Auslegung zu ermitteln gewesen, ob bei Kündigung der Mitgliedschaft durch den vorletzten Gesellschafter die Liquidation oder der Vermögensübergang auf den letzten Gesellschafter gewollt war. Hätte sich weder Ersteres noch Letzteres feststellen lassen, hätte sich aus dem dispositiven Recht Letzteres ergeben. Unter dem alten Recht war das Ergebnis entgegengesetzt. Dogmatisch liegt darin kein Widerspruch, weil der Grundsatz gilt, dass der, der sich bei der Gestaltung von Rechtsverhältnissen dem dispositiven Recht unterwirft, sich auch von etwaigen Veränderungen abhängig macht (vgl. Mock, NJW 2023, 3537 Rn. 29). Es ist für den durchschnittlichen BGB-Gesellschafter aber nicht selbstverständlich. In der Praxis besteht in diesen und vergleichbaren Konstellationen deshalb Aufklärungs- und Beratungsbedarf.



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