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Anmerkung zu:BGH 2. Zivilsenat, Urteil vom 16.07.2024 - II ZR 71/23
Autor:Dr. Felix Bergmeister, LL.M. (Univ. of Chicago), Vors. RiLG
Erscheinungsdatum:23.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 52 GmbHG, § 45 GmbHG, § 16 GmbHG, § 256 ZPO, § 38 GmbHG, § 245 AktG, § 241 AktG, § 243 AktG, § 46 GmbHG, § 53 GmbHG, § 54 GmbHG
Fundstelle:jurisPR-BGHZivilR 17/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Markus Würdinger, Universität Passau
Zitiervorschlag:Bergmeister, jurisPR-BGHZivilR 17/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

BGH weist Klage von Martin Kind gegen seine Abberufung als Geschäftsführer der Hannover 96 Management GmbH ab



Leitsätze

1. Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH, die gegen die in der Satzung festgelegte, nicht auf zwingenden gesetzlichen Vorschriften beruhende Kompetenzverteilung verstoßen, sind lediglich anfechtbar.
2. Die Abberufung eines Geschäftsführers durch die nach der Satzung dafür nicht zuständige Gesellschafterversammlung ist keine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung.



A.
Problemstellung
Kann der GmbH-Alleingesellschafter den Fremdgeschäftsführer wirksam durch Gesellschafterbeschluss abberufen, wenn die Satzung diese Befugnis exklusiv dem Aufsichtsrat zuweist? Macht es einen Unterschied, dass es sich bei der Gesellschaft um die Komplementärin einer KGaA handelt, an der ein Investor die Mehrheit hält und dem gegenüber der Alleingesellschafter vertraglich zugesichert hat, dass jener über den Aufsichtsrat Mitentscheidungsrechte bei der Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung der Komplementär-GmbH erhält?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Die Beklagte ist eine GmbH, deren einziger Gesellschafter der H. …verein … e.V. ist. Der Kläger ist im Handelsregister als Geschäftsführer der Beklagten eingetragen. Die Beklagte ist Komplementärin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, die die derzeit am Spielbetrieb der 2. Fußball-Bundesliga teilnehmende Fußballmannschaft Hannover 96 unterhält. Einzige Kommanditaktionärin der KGaA ist die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG. Mehrheitskommanditistin der Sales & Service KG ist die M. GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Kläger war.
Nach ihrer Satzung hat die Beklagte einen aus vier Mitgliedern bestehenden Aufsichtsrat, der die Geschäftsführer bestellt und abberuft. Zwei Mitglieder des Aufsichtsrats werden vom Aufsichtsrat der KGaA bestimmt, bei den zwei weiteren Mitgliedern handelt es sich um vom Verein entsandte Personen.
Unter dem 23.08.2019 vereinbarten der Verein, die KGaA und die Sales & Service KG in einem sog. Hannover-96-Vertrag unter anderem, dass der Verein die Satzung der Beklagten nicht ohne vorherige schriftliche Zustimmung der Sales & Service KG ändern, ergänzen oder ersetzen dürfe. Weiter heißt es dort, dass die Sales & Service KG durch die derzeitige Satzungsregelung, vermittelt über den Aufsichtsrat der Beklagten, Mitentscheidungsrechte bei der Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung der Beklagten habe, und der Erhalt dieser Rechte essenzieller Bestandteil des Hannover-96-Vertrags sei, insbesondere im Hinblick auf die sich für den Verein ergebenden Pflichten.
In einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 25.07.2022 fassten Vertreter des Vereins einen notariell beurkundeten Beschluss über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund „im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses“.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses vom 25.07.2022 über seine Abberufung als Geschäftsführer der Beklagten. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.
II. Die Revision der Beklagten hatte Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Abweisung der Klage.
Der Beschluss über die Abberufung des Klägers ist dem BGH zufolge wirksam.
1. Er sei nicht entsprechend § 241 Nr. 3 AktG nichtig.
Gesellschafterbeschlüsse, die gegen die in der Satzung festgelegte, nicht auf zwingenden gesetzlichen Vorschriften beruhende Kompetenzverteilung verstoßen, seien lediglich anfechtbar. Danach könne die Abberufung des Klägers durch den Verein als solche nicht zur Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses entsprechend § 241 Nr. 3 AktG führen, selbst wenn man darin mit dem Berufungsgericht einen Verstoß gegen die in der Satzung der Beklagten bestimmte Kompetenz des Aufsichtsrats zur Abberufung des Geschäftsführers sehen wollte. Der vom Verein gefasste Abberufungsbeschluss sei vielmehr schon deshalb mit den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts vereinbar, weil § 52 Abs. 1 GmbHG dem fakultativen Aufsichtsrat nicht von Gesetzes wegen die Kompetenz zur Abberufung der Geschäftsführer zuweise, sondern diese Kompetenz gemäß den §§ 45 Abs. 2, 46 Nr. 5 GmbHG vielmehr grundsätzlich der Gesellschafterversammlung vorbehalten sei.
Es lägen auch nicht besondere Umstände vor, die zur Nichtigkeit des Beschlusses entsprechend § 241 Nr. 3 AktG führten.
Die vom Berufungsgericht bejahte Missachtung des Zustimmungsvorbehalts des Hannover-96-Vertrags durch den Verein rechtfertige nicht die Annahme, dass der Abberufungsbeschluss mit dem Wesen der GmbH nicht zu vereinbaren sei. Die Beachtung von derartigen Stimmbindungsverträgen gehöre nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts.
Die Nichtigkeit lasse sich auch nicht aus den prozesswirtschaftlichen Erwägungen ableiten, die den Senat veranlasst haben, ausnahmsweise die Anfechtbarkeit eines unter Verletzung einer von allen Gesellschaftern untereinander eingegangenen Bindung zustande gekommenen Beschlusses anzunehmen. Eine von sämtlichen Gesellschaftern untereinander eingegangene Bindung sei einem mit Nichtgesellschaftern vereinbarten schuldrechtlichen Zustimmungsvorbehalt schon nicht vergleichbar. Zudem besage die prozessuale Anfechtbarkeit eines Beschlusses nichts über seine materiell-rechtliche Nichtigkeit. Schließlich widerspreche die Nichtigkeitsfolge der auf das Verhältnis der Vertragsparteien beschränkten Bindungswirkung des Zustimmungsvorbehalts.
Unterwirft sich der Alleingesellschafter in Angelegenheiten der Gesellschaft gegenüber einem Nichtgesellschafter einem schuldrechtlichen Zustimmungsvorbehalt, ist diese Vereinbarung nicht zugleich eine solche der Gesellschaft. Sie kann nicht mit gesellschaftsrechtlichen Mitteln durchgesetzt werden, weil ihr Gläubiger außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses steht. Vielmehr obliegt es dem aus dem Zustimmungsvorbehalt Berechtigten, seine Ansprüche gegen den daraus Verpflichteten außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses durchzusetzen. Anders als das Berufungsgericht meint, handelt es sich dabei nicht um eine „unnötige Förmelei“, sondern um den für Nichtgesellschafter einzigen Weg, schuldrechtliche Vereinbarungen mit dem Alleingesellschafter durchzusetzen. Die Anfechtungsklage ist, von Sonderfällen abgesehen, den nach § 16 Abs. 1 GmbHG zu bestimmenden rechtlichen Gesellschaftern vorbehalten. Die Nichtgesellschaftern offenstehende Möglichkeit, die Nichtigkeit eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung durch eine allgemeine Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO feststellen zu lassen, soweit sie ein Feststellungsinteresse haben, setzt die Nichtigkeit des Beschlusses voraus, begründet sie aber nicht. Die Auffassung des Berufungsgerichts überdehnt auch den Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse. Da nichtige Beschlüsse von Anfang an keine Rechtswirkungen entfalten und die Nichtigkeit von jedermann geltend gemacht werden kann, würden sich schuldrechtliche Pflichtverletzungen unabhängig von dem Willen des Gläubigers und auch zugunsten von Personen auswirken, die, wie der Kläger, weder an dem Stimmbindungsvertrag beteiligt sind noch sonst daraus Ansprüche ableiten können.
Die Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses lasse sich auch nicht damit begründen, dass das von ihm angenommene kompetenz- und vertragswidrige Verhalten des Vereins ansonsten „innergesellschaftlich sanktionslos“ bliebe. Der vom Berufungsgericht gezogene Schluss von der Unanfechtbarkeit auf die Nichtigkeit habe in § 243 Nr. 3 AktG keine Stütze. Auch sonst gebe es keinen Rechtssatz, nach dem eine Verletzung der Satzung stets gesellschaftsrechtlichen Sanktionen unterliegen müsse. Vielmehr entspreche es dem Wesen der GmbH, dass ein die Satzung verletzender Beschluss nicht mit Erfolg angefochten werden kann, wenn es an einer zur Anfechtung befugten Person fehlt. Die Nichtigkeit eines vertragswidrig zustande gekommenen Beschlusses lasse sich daher auch nicht mit der Erwägung begründen, sie sei zur Durchsetzung des Zustimmungsvorbehalts, dem sich der Verein unterworfen habe, erforderlich. Da zwischen der schuldrechtlichen und der korporationsrechtlichen Ebene zu unterscheiden sei, wirke sich eine vertragliche Pflichtverletzung nicht unmittelbar auf das Gesellschaftsverhältnis aus. Vielmehr bestimmten sich ihre Rechtsfolgen grundsätzlich im Verhältnis der Vertragsparteien nach den von ihnen privatautonom begründeten Regeln.
2. Der Beschluss über die Abberufung des Klägers sei auch nicht sittenwidrig und damit entsprechend § 241 Nr. 4 AktG nichtig.
In der Inanspruchnahme der nach der Satzung dem Aufsichtsrat zustehenden Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers durch die Gesellschafterversammlung liege keine sittenwidrige Schädigung Dritter.
Der bloße Verstoß gegen eine Satzungsbestimmung mache einen Gesellschafterbeschluss anfechtbar, aber nicht nichtig. Bei einem Kompetenzkonflikt zwischen der Gesellschafterversammlung und dem fakultativen Aufsichtsrat seien weder der Aufsichtsrat noch seine Mitglieder allgemein zur Anfechtung von kompetenzwidrig gefassten Gesellschafterbeschlüssen befugt. Danach habe das von einem kompetenzwidrig gefassten Gesellschafterbeschluss unmittelbar betroffene Gesellschaftsorgan die Verletzung der Satzung hinzunehmen. Diese innergesellschaftliche Risikozuweisung könne nicht durch die Annahme der Sittenwidrigkeit eines derartigen Beschlusses, der regelmäßig im Bewusstsein der Verletzung der Satzung gefasst werde, unterlaufen werden. Noch weniger lasse sich die Sittenwidrigkeit des Abberufungsbeschlusses damit begründen, dass der Verein mit ihm zugleich die „Machtbalance“ innerhalb der von der Beklagten, der KGaA und der Sales & Service KG gebildeten Organisationsstruktur sowie die in der Satzung der Beklagten vorgesehenen Entsenderechte in den Aufsichtsrat missachtet habe. Solche von dem angegriffenen Beschluss mittelbar betroffenen Interessen und Rechte würden jedenfalls nicht stärker geschützt als das übergangene Gesellschaftsorgan selbst.
Ebenso wenig liege in der Verletzung eines Stimmbindungsvertrags ohne Weiteres eine sittenwidrige Schädigung der Vertragspartner, selbst wenn sie vorsätzlich erfolgt ist. Die Annahme der Sittenwidrigkeit eines unter bewusster Missachtung eines Stimmbindungsvertrags zustande gekommenen Beschlusses der Gesellschafterversammlung über die Abberufung eines Geschäftsführers würde wiederum dem Grundsatz widersprechen, nach dem zwischen der schuldrechtlichen und der korporationsrechtlichen Ebene zu unterscheiden ist und vereinbarungswidrig zustande gekommene Beschlüsse nicht anfechtbar sind. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung beschränkten sich grundsätzlich auf das Verhältnis der am Schuldverhältnis Beteiligten, hätten aber keine Wirkung nach außen. Sonst würde bis zur Klärung dieser Pflichtverletzung in der Schwebe bleiben, ob der Geschäftsführer die Gesellschaft weiter vertreten kann, und bei Feststellung der Nichtigkeit wären die von ihm in Vertretung der Gesellschaft vorgenommenen Rechtsakte in Frage gestellt. Das seien Folgen, die für die bloße Verletzung eines Stimmbindungsvertrags nicht in Kauf genommen werden könnten.
Schließlich führe auch eine Gesamtbetrachtung zu keinem anderen Ergebnis. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Alleingesellschafter unter Inkaufnahme der mit einer Vertragsverletzung verbundenen Folgen die Satzung ändern und die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers an sich ziehen kann (§§ 53, 54 GmbHG). Dass der Verein von einer förmlichen Satzungsänderung keinen Gebrauch gemacht, sondern sich auf eine Satzungsdurchbrechung beschränkt habe, stellt sich nicht als besonders verwerflich dar.
3. Der Beschluss sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung nichtig.
Ein Beschluss der nach der Satzung unzuständigen Gesellschafterversammlung über die Abberufung eines Geschäftsführers müsse nicht die für eine Satzungsänderung geltenden Formvorschriften einhalten.
Dieser begründe keinen von der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand. Die Verletzung der Satzung betreffe das Zustandekommen des Beschlusses und erledige sich spätestens mit seiner Bekanntgabe an den Geschäftsführer. Die Beendigung des Organverhältnisses sei kein satzungswidriger rechtlicher Zustand. Sie wäre auch eingetreten, wenn der Geschäftsführer sein Amt in Übereinstimmung mit der Satzung verloren hätte. Die Einhaltung der Förmlichkeiten einer Satzungsänderung sei auch nicht unter Berücksichtigung des mit der Registerpublizität bezweckten Schutzes des Rechtsverkehrs geboten. Interessen des Rechtsverkehrs seien nicht betroffen, wenn der Beschluss nicht materiell einer Satzungsänderung gleichkomme. Maßgebend für die Beurteilung seien daher nicht die Auswirkungen des Beschlusses, sondern sein konkreter Regelungsgehalt. Daran gemessen berühre ein unter Missachtung der in der Satzung festgelegten Kompetenzordnung gefasster Beschluss über die Abberufung eines Geschäftsführers nicht die schützenswerten Interessen des Rechtsverkehrs.
Die zum Handelsregister eingereichte Satzungsurkunde informiere den Rechtsverkehr nach wie vor zutreffend über die Verhältnisse der Gesellschaft, insbesondere die Kompetenz des Aufsichtsrats zur Abberufung des Geschäftsführers. Die Einsichtnahme in den zum Handelsregister eingereichten Abberufungsbeschluss würde sich in der Erkenntnis erschöpfen, dass die Gesellschafterversammlung in der Vergangenheit in Abweichung von der Satzungsregelung einmalig die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers in Anspruch genommen hat. Eine für den Rechtsverkehr relevante und fortwirkende Regelung, auf die er sich einstellen können müsste, ergäbe sich daraus nicht. Die Publizitätsfunktion des Handelsregisters schütze aber nicht das Vertrauen des Rechtsverkehrs darin, dass in der Vergangenheit ausschließlich Beschlüsse unter Beachtung der Vorgaben der Satzung gefasst wurden.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Wer als Investor den Geschäftsführer stellen und ihn gegen Abberufung sichern will, kann bei der Vertragsgestaltung auf verschiedene erprobte Instrumente zurückgreifen. Namentlich kann im Gesellschaftsvertrag eine Bestimmung entsprechend § 38 Abs. 2 GmbHG getroffen werden oder, was in der Praxis bevorzugt wird, es können alle möglichen Vorkehrungen zum Gegenstand einer Vereinbarung auf Ebene der Gesellschafter der GmbH gemacht werden, an der der Investor beteiligt ist.
Beim Investoreneinstieg im hiesigen Fall standen diese „klassischen“ Schutzmechanismen nicht zur Verfügung. Der Grund: die sog. 50+1-Regel im deutschen Profifußball. Bei dem Kläger handelt es sich nämlich um Martin Kind und bei dem „H. … verein … e.V.“ um Hannover 96, der seine Zweitligamannschaft auf die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA ausgegliedert hat, um die Beteiligung eines Investors zu ermöglichen (die Pressestelle des BGH, dessen Mitteilung unsere Überschrift entnommen ist, hat – anders als der Senat – die handelnden Personen ohne Umschweife benannt). An den Investoreneinstieg stellt der Ligaverband im Einklang mit dem DFB bei Ausgliederung auf eine Kapitalgesellschaft die Anforderung, dass der Verein mehrheitlich an ihr beteiligt ist, was für die KGaA dahin konkretisiert wird, dass es ausreicht, wenn der Verein oder eine 100%ige (!) Tochter den Komplementär stellt und sichergestellt ist, dass der Verein „eine vergleichbare Stellung hat wie ein an der Kapitalgesellschaft mehrheitlich beteiligter Gesellschafter“ (vgl. § 8 Ziff. 3 der Satzung der DFL Deutsche Fußball Liga e.V. vom 10.10.2023, abrufbar unter www.dfl.de).
Der Weg über eine Beteiligung des Investors (auch) an der Komplementär-GmbH und die Absicherung des Geschäftsführers aus dem Investorenlager durch Gesellschaftervereinbarung war also versperrt. Juristisch kreativ hat man deshalb die (vermeintlich) nächstbeste Gestaltung gewählt: Der Verein bleibt Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH, für die Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers ist jedoch nicht die Gesellschafterversammlung zuständig, sondern ein Aufsichtsrat, der je zur Hälfte zusammengesetzt ist aus Vertretern des Vereins und der KGaA, bei der der Investor die Mehrheit hält. Gleichzeitig verpflichtet sich der Verein, den Gesellschaftsvertrag der Komplementär-GmbH nicht ohne Zustimmung des Investors zu ändern.
II. Als sich bei Hannover 96 vor den Augen der Öffentlichkeit die Vorstellungen von Verein und Investor auseinanderentwickelt hatten, entschloss sich der Verein zur Abberufung Martin Kinds durch Gesellschafterbeschluss, also unter Umgehung des Aufsichtsrats.
Der abberufene Geschäftsführer setzte sich dagegen zur Wehr, erwirkte eine einstweilige Verfügung, um vorerst im Amt bleiben zu können (vgl. LG Hannover, Urt. v. 16.08.2022 - 32 O 116/22) und klagte gegen den Abberufungsbeschluss.
Die größte Hürde dabei: Anders als bei der Aktiengesellschaft (§ 245 Satz 1 Nr. 4 AktG) ist der (Fremd-)Geschäftsführer nicht zur Anfechtungsklage befugt, was der BGH hier bekräftigt (Rn. 54). Es genügte deshalb nicht, dass der Abberufungsbeschluss unter Verletzung des Gesellschaftsvertrags zustande gekommen war (§ 243 Abs. 1 AktG analog). Es musste ein Nichtigkeitsgrund vorliegen.
Das Berufungsgericht hat zwei Nichtigkeitsgründe angenommen: Der Beschluss sei mit dem Wesen der GmbH nicht zu vereinbaren (§ 241 Abs. 1 Nr. 3 AktG analog) und verstoße durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten (§ 243 Abs. 1 Nr. 4 AktG analog). Beides ist eindeutig nicht richtig, wie der BGH jetzt mit erfreulich großer dogmatischer Klarheit und Präzision herausgearbeitet hat.
1. Was das Wesen der GmbH angeht, kommt es nicht darauf an, welche vom dispositiven GmbH-Recht abweichenden Bestimmungen der Gesellschaftsvertrag der einzelnen GmbH enthält (hier: Abberufung des Geschäftsführers nur durch den Aufsichtsrat). Es geht dabei vielmehr um die tragenden abstrakt-generellen Strukturmerkmale des GmbH-Rechts schlechthin. Zu diesen gehört weder die Existenz eines Aufsichtsrats noch – für den Fall, dass ein fakultativer Aufsichtsrat vorgesehen ist – dessen Personalkompetenz (vgl. § 46 Nr. 5 GmbHG i.V.m. § 52 Abs. 1 GmbHG). Im konkreten Fall mag zusätzlich der Hannover-96-Vertrag verletzt worden sein. Dass dieser nichts mit dem Wesen der GmbH zu tun hat, versteht sich allerdings von selbst, auch wenn dies befremdlicherweise im Instanzenzug (implizit) anders gesehen worden ist. Es handelt sich dabei noch nicht einmal um eine im engeren Sinne gesellschaftsrechtliche (also: korporationsrechtliche) Vereinbarung.
Es hilft auch nicht, dass nach der Rechtsprechung des BGH unter bestimmten Umständen ausnahmsweise die Verletzung einer Stimmbindungsvereinbarung auf Gesellschafterebene zur Anfechtbarkeit des Gesellschafterbeschlusses führt. Diese Ausnahme steht von vornherein auf dogmatisch wackligen Beinen (vgl. die beachtlichen Gegenargumente bei OLG Stuttgart, Urt. v. 07.02.2001 - 20 U 52/97 - BB 2001, 794 und Wertenbruch in: MünchKomm GmbHG, 4. Aufl. 2023, Anh. § 47 Rn. 239 f.), setzt aber mindestens voraus, dass alle Parteien der Stimmbindungsvereinbarung auch der Gesellschaft angehören (vgl. BGH, Urt. v. 20.01.1983 - II ZR 243/81 - NJW 1983, 1910, 1911). Nur dann kann man nach dem BGH die Regelung als eine solche auch der Gesellschaft behandeln. Im hiesigen Fall erfolgte die Bindung gegenüber einem Dritten. Dann muss es unverrückbar dabei bleiben, dass der Nichtgesellschafter etwaige Ansprüche nur außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses durchsetzen kann. Die Argumente sind wasserdicht, mit denen der BGH die Gegenauffassung ablehnt, die darin eine „unnötige Förmelei“ sieht.
Entsprechendes gilt für das Argument des Berufungsgerichts, dass das Verhalten des Vereins ansonsten „innergesellschaftlich sanktionslos“ bliebe. Der Grundsatz, dass Gesellschafterbeschlüsse lediglich anfechtbar sind, wenn sie gegen die im Gesellschaftsvertrag festgelegte Kompetenzverteilung verstoßen, wird nicht dadurch obsolet, dass es sich um eine Ein-Mann-GmbH handelt. Vielmehr entspricht es, wie der BGH es auf den Punkt bringt, dem Wesen der GmbH, dass ein den Gesellschaftsvertrag verletzender Beschluss nicht mit Erfolg angefochten werden kann, wenn es keine zur Anfechtung befugte Person gibt.
2. Der BGH arbeitet sodann dogmatisch sauber heraus, dass der Abberufungsbeschluss auch nicht durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten verstößt, auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer sittenwidrigen Schädigung Dritter. Die Argumentation ist hier im Schwerpunkt systematisch: Der bloße Verstoß gegen eine Satzungsbestimmung macht einen Gesellschafterbeschluss anfechtbar, nicht nichtig. Der fakultative Aufsichtsrat ist zur Anfechtung von kompetenzwidrig gefassten Gesellschafterbeschlüssen nicht befugt. Diese innergesellschaftliche Risikozuweisung kann nicht durch die Annahme der Sittenwidrigkeit eines derartigen Beschlusses unterlaufen werden. Entgegen dem Berufungsgericht kann auch nicht den Ausschlag geben, dass der Verein den Hannover-96-Vertrag bewusst missachtet habe. Dann würde nämlich die Nichtigkeit eines Gesellschafterbeschlusses jedes Mal bei der bloßen Verletzung eines Stimmbindungsvertrags im Raum stehen. Dabei gilt doch der Grundsatz, dass vereinbarungswidrig zustande gekommene Beschlüsse nicht einmal anfechtbar sind, weil sie die korporationsrechtliche Ebene nicht betreffen. Der BGH lässt in diesem Zusammenhang zu Recht auch die diffuse Erwägung des Berufungsgerichts nicht gelten, der Verein habe die „Machtbalance“ innerhalb der mit dem Investor gebildeten Organisationsstruktur missachtet.
3. Der BGH nutzt schließlich noch die Gelegenheit, um seine Rechtsprechung zu satzungsdurchbrechenden Gesellschafterbeschlüssen zu konturieren. Hiermit hatte das erstinstanzliche Gericht die Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses begründet. Anders als hinsichtlich der tragenden Erwägungen in der Berufungsentscheidung besteht hier tatsächlich ein dogmatisch aufgeladener Streit (erschöpfend zum Meinungsstand: Hoffmann/Bartlitz in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 4. Aufl. 2023, § 53 Rn. 46 ff.). Nach ständiger Rechtsprechung sind satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschlüsse wirksam, wenn sie sich auf eine punktuelle Regelung beschränken. Sie sind hingegen nichtig, wenn sie (i) einen von der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand begründen und (ii) die für eine Satzungsänderung geltenden Formvorschriften nicht einhalten. Letzteres ist bei dem hier gefassten Beschluss der Fall, weil er zwar notariell beurkundet ist (§ 53 Abs. 3 GmbHG), aber nicht die genau bestimmte Änderung des Satzungstextes enthält, die es ermöglicht, daraus den Wortlaut der geänderten Satzung abzuleiten (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Was das erstgenannte Kriterium angeht, ist die Behandlung von kompetenzwidrigen Personalentscheidungen umstritten. Der BGH trifft, am Sinn und Zweck von § 54 GmbHG orientiert, jetzt die überzeugende Festlegung, dass ein Beschluss der nach der Satzung unzuständigen Gesellschafterversammlung über die Abberufung eines Geschäftsführers nicht die für eine Satzungsänderung geltenden Formvorschriften einhalten muss: Die Verletzung der Satzung betreffe das Zustandekommen des Beschlusses und erledige sich spätestens mit seiner Bekanntgabe an den Geschäftsführer. Das Handelsregister schütze aber nicht das Vertrauen des Rechtsverkehrs darin, dass in der Vergangenheit ausschließlich Beschlüsse unter Beachtung der Vorgaben der Satzung gefasst wurden. Wie der Fall zu beurteilen wäre, dass die Gesellschafterversammlung wiederholt Kompetenzen für sich in Anspruch nimmt, die nach der Satzung dem Aufsichtsrat zugewiesen sind, lässt der BGH allerdings ausdrücklich offen (Rn. 52).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Diese Entscheidung ist gesellschaftsrechtlich spannend, Schlagzeilen gemacht hat sie aber sportrechtlich und sportpolitisch. Neben der Meldung, dass Martin Kind jetzt doch wirksam abberufen ist, lohnt auch durch diese Brille der Blick auf die Gestaltung, die daraus eine so schwere Geburt gemacht hat. Man kann es nicht anders sagen, als dass hier eine Umgehung der 50+1-Regel versucht worden ist: Während der Verein Hannover 96 auf dem Papier die Stellung als Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH behielt, hatte er sich der Befugnis begeben, deren Geschäftsführer nach Belieben auszutauschen. Durch die Einrichtung des paritätisch besetzten und mit der Kompetenz zur Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers ausgestatteten Aufsichtsrats (bei gleichzeitiger Verpflichtung, an diesen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags nichts zu ändern) ist er vielmehr darauf angewiesen, dass sich die von ihm entsandten Aufsichtsratsmitglieder mit den Vertretern des Investors einigen. Hierin liegt bei unbefangener Betrachtung ein klarer Verstoß gegen den Geist von 50+1, und es lässt sich auch kaum überzeugend begründen, warum der Verein trotzdem noch, wie erforderlich, eine vergleichbare Stellung wie ein an der Kapitalgesellschaft mehrheitlich beteiligter Gesellschafter innehaben soll.
Die DFL hat die Gestaltung trotzdem nicht beanstandet und in einer Stellungnahme vom 27.08.2019 (abrufbar unter https://www.dfl.de/de/aktuelles/keine-sonderregelung, abgerufen am 19.08.2024) auf das Weisungsrecht des Alleingesellschafters gegenüber dem Geschäftsführer sowie die „gesellschaftsvertraglich“ unveränderten Rechte des Vereins verwiesen.
Ersteres stimmt grundsätzlich zwar, reicht aber nicht: Es ist unrealistisch anzunehmen, dass das Weisungsrecht so kleinteilig ausgeübt werden könnte, dass es das fehlende Vertrauen in die Person des Geschäftsführers kompensiert; und das Weisungsrecht trägt nur so lange, wie die Weisungen befolgt werden, was im Fall von Martin Kind nach der Behauptung des Vereins „beharrlich“ nicht geschehen sein soll (vgl. erstinstanzliches Urteil, Rn. 25).
Mit Letzterem ist wohl gemeint, dass GmbH-rechtlich zur Not durchregiert werden kann. Dies hat der BGH jetzt zwar so gesehen. Die Vorgehensweise war aber nicht satzungskonform, und der Verein könnte dafür den Preis bezahlt haben, wegen Verletzung des Hannover-96-Vertrags gegenüber dem Investor schadensersatzpflichtig zu sein (wenn man unterstellt, dass ein wichtiger Grund nicht vorlag bzw. der Verein sich darauf wegen Selbstwiderlegung nicht berufen konnte; vgl. Berufungszurückweisungsbeschluss, Rn. 35 f. – in der Sache nicht überzeugend: vgl. Kablitz, EWiR 2023, 521, 522 f.). Auch muss man sich vor Augen führen, dass der streitgegenständliche Gesellschafterbeschluss im Juli 2022 gefasst worden war und Martin Kind die einstweilige Verfügung erwirkt hatte, das Amt des Geschäftsführers weiterhin ausüben zu dürfen. Es sind also zwei Jahre vergangen, in denen der Verein – entgegen der regulatorischen Zielsetzung von 50+1 – seine eigenen unternehmenspolitischen Vorstellungen nicht uneingeschränkt durchsetzen konnte. In diese Zeit fiel nicht zuletzt die Abstimmung vom 11.12.2023 über einen Investoreneinstieg auf Ebene der DFL, bei der bekanntlich im Raum steht, dass Martin Kind weisungswidrig abgestimmt haben könnte.
Eine nochmals andere Frage ist, ob die 50+1-Regel in ihrer jetzigen Form kartellrechtlich überhaupt haltbar ist. Daran sind Zweifel erlaubt, weil die Regel Ausnahmen kennt, die nur von bestimmten Clubs in Anspruch genommen werden können. Diese Zweifel werden nur verstärkt, wenn sich mehr und mehr herauskristallisiert, dass die Regel auch dort, wo sie gilt, aufgeweicht wird, sei es so, wie im Fall Hannover 96, sei es dadurch, dass sich der Investor auf andere Weise als gesellschaftsrechtlich den faktischen Einfluss auf „seinen“ Verein gesichert hat, wie im Fall RB Leipzig. Immerhin dieses Gesichtspunkts scheint sich das Bundeskartellamt jetzt annehmen zu wollen. In der Erwägung, dass die 50+1-Regel „einheitlich, konsistent und diskriminierungsfrei“ angewendet werden müsse, hat es angekündigt, die Lizenzierungspraxis der DFL „genauer [zu] untersuchen“ (Pressemitteilung vom 29.05.2024, abrufbar unter www.bundeskartellamt.de).



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