juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BVerwG 3. Senat, Urteil vom 06.06.2024 - 3 C 5/23
Autor:Stefan Liebler, RiBVerwG a.D.
Erscheinungsdatum:13.01.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 44 StVO, § 49 StVO, § 2 StVO, § 25 StVO, § 1 StVO, Art 3 GG, § 39 StVO, § 43 StVO, § 45 StVO, § 12 StVO
Fundstelle:jurisPR-BVerwG 1/2025 Anm. 1
Herausgeber:Verein der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht e.V.
Zitiervorschlag:Liebler, jurisPR-BVerwG 1/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Anspruch von Anwohnern auf ein Einschreiten der Straßenverkehrsbehörde gegen verbotenes Gehwegparken



Leitsätze

1. Das aus § 12 Abs. 4 und 4a StVO folgende Verbot des Gehwegparkens schützt nicht nur das Interesse der Gehwegbenutzer als Teil der Allgemeinheit, sondern auch das individuelle Interesse der Anwohner an einer bestimmungsgemäßen Benutzung des Gehwegs, ohne dabei durch parkende Fahrzeuge erheblich beeinträchtigt zu werden; der Schutz ist vorbehaltlich besonderer örtlicher Gegebenheiten auf den Gehweg der „eigenen“ Straßenseite des Anwohners im Straßenabschnitt bis zur Einmündung der nächsten Querstraße begrenzt.
2. In diesem Umfang haben die Anwohner einen Anspruch gegen die Straßenverkehrsbehörde auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Einschreiten gegen das Gehwegparken.



A.
Problemstellung
Die zentrale und höchst praxisrelevante Frage des Verfahrens war, inwieweit Anwohner einen Anspruch gegen die Straßenverkehrsbehörde auf ein Einschreiten gegen verbotenes Gehwegparken haben.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Die fünf Kläger begehrten ein straßenverkehrsbehördliches Einschreiten der Stadtgemeinde Bremen gegen in ihren Straßen verbotswidrig aufgesetzt auf den Gehwegen geparkte Fahrzeuge. Die Kläger sind Eigentümer von Häusern in diesen Straßen; einige der Kläger bewohnen sie auch selbst. Die drei Straßen sind Einbahnstraßen. Deren Fahrbahnen sind zwischen 5,00 und 5,50 m breit; auf beiden Seiten verlaufen Gehwege mit einer Breite zwischen 1,75 und 2,00 m. Verkehrszeichen mit Regelungen zum Halten und Parken sind nicht angeordnet. Auf beiden Seiten der Straßen wird seit Jahren nahezu durchgehend aufgesetzt auf den Gehwegen geparkt.
Die Kläger hatten bei der Straßenverkehrsbehörde erfolglos beantragt, Maßnahmen gegen das verbotswidrige Parken zu ergreifen. Auf ihre nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klagen hatte das VG Bremen die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide verpflichtet, die Kläger unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu zu bescheiden und die Klagen im Übrigen abgewiesen. § 12 Abs. 4 und 4a StVO sei drittschützend zugunsten der Kläger. Wegen der Dauer und Häufigkeit der Beeinträchtigungen sei das Entschließungsermessen der Beklagten auf null reduziert; ein Ermessensspielraum verbleibe ihr bei der Auswahl des einzusetzenden Mittels.
Hiergegen hatten Kläger und Beklagte Berufung eingelegt. Auf die Berufung der Beklagten hatte das OVG die erstinstanzliche Entscheidung dahin abgeändert, dass eine erneute Entscheidung über die Anträge der Kläger unter Beachtung seiner Rechtsauffassung zu erfolgen habe; im Übrigen hatte es die Berufungen zurückgewiesen. Die Sachanträge der Kläger seien nur zulässig, soweit sie eine Neubescheidung verlangten. I.V.m. dem gesetzlichen Gehwegparkverbot könnten sie einen individuellen Anspruch auf ein Einschreiten der Beklagten haben, soweit die Nutzbarkeit der Gehwege in unzumutbarer Weise beeinträchtigt werde. § 12 Abs. 4 und 4a StVO zielten auch auf den Schutz der Kläger als Straßenanlieger vor unzumutbaren Verkehrseinwirkungen durch das verbotswidrige Parken. Entgegen der Auffassung des VG führten allein die Dauer und Häufigkeit der Verstöße jedoch nicht zu einer Ermessensreduzierung auf null. In Bremen sei das Gehwegparken insbesondere in den innerstädtischen Lagen weit verbreitet und über Jahrzehnte weitestgehend geduldet worden. Die Ressourcen der Straßenverkehrsbehörde seien begrenzt. Vor diesem Hintergrund sei nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte zunächst den Problemdruck in den am stärksten betroffenen Quartieren zu ermitteln und ein Konzept für ein stadtweites Vorgehen umzusetzen gedenke.
II. Die Revision der Beklagten hatte Erfolg, soweit das OVG die Beklagte dazu verpflichtet hatte, die Anträge der Kläger unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu zu bescheiden, ihr Anspruch erstrecke sich auf die streitgegenständlichen Straßen insgesamt. Im Übrigen hat das BVerwG die Revisionen der Kläger und der Beklagten zurückgewiesen.
1. Das BVerwG hat – anders als das OVG – die Klagen mit allen drei Anträgen für zulässig erachtet und – wie das OVG – neben dem Rechtschutzbedürfnis auch die Klagebefugnis der Kläger bejaht. Nicht beanstandet hat es die Auffassung des OVG, § 45 Abs. 1 StVO sowie polizei- und verwaltungsvollstreckungsrechtliche Vorschriften des Bremer Landesrechts begründeten i.V.m. § 12 Abs. 4 und 4a StVO möglicherweise ein subjektives Recht der Kläger auf ein Einschreiten der Beklagten gegen das Gehwegparken. Die Frage, ob und ggf. zu wessen Gunsten und in welchem Umfang § 12 Abs. 4 und 4a StVO Drittschutz vermittelt, sei bislang in der BVerwG-Rechtsprechung noch nicht geklärt.
2. Das BVerwG hat – mit der nachfolgenden Einschränkung – revisionsrechtlich nichts dagegen erinnert, dass das OVG die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet hatte, über die Anträge der Kläger unter Beachtung seiner Rechtsauffassung erneut zu entscheiden. Nicht mit Bundesrecht vereinbar sei aber die Rechtsauffassung des OVG, der Anspruch eines Anwohners auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Maßnahmen gegen unerlaubtes Parken auf dem Gehweg erstrecke sich nicht nur auf „seine“ Straßenseite im Straßenabschnitt bis zur Einmündung der nächsten Querstraße, sondern auf die Straße insgesamt.
3. Die Straßenverkehrsbehörde der Beklagten war, soweit es um Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen geht, auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 und 9 StVO und, was andere geeignete Maßnahmen betrifft, nach der insoweit maßgebenden Auslegung des bremischen Landesrechts durch das OVG jeweils i.V.m. § 12 Abs. 4 und 4a StVO befugt, gegen das Parken auf den Gehwegen der streitgegenständlichen Straßen einzuschreiten.
a) Dort ist das Parken auf den Gehwegen verboten. Nach § 12 Abs. 4 Satz 1 StVO ist zum Parken der rechte Seitenstreifen zu benutzen, wenn er dazu ausreichend befestigt ist, sonst ist an den rechten Fahrbahnrand heranzufahren. Daraus folgt i.V.m. § 12 Abs. 4a StVO, der eine Erlaubnis für das Parken auf Gehwegen voraussetzt, dass auf Gehwegen nicht geparkt werden darf, soweit das nicht im Einzelfall durch Zeichen oder durch eine Parkflächenmarkierung erlaubt wurde. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht in den drei Straßen keine solche Erlaubnis. Dass die Beklagte das Gehwegparken seit Jahren duldet, ändert nichts an der Verbotswidrigkeit; ein „Gewohnheitsrecht“ auf Gehwegparken wird dadurch nicht begründet.
b) Die Straßenverkehrsbehörde der Beklagten ist gemäß § 44 Abs. 1 StVO für das beantragte Einschreiten gegen das verbotene Gehwegparken sachlich zuständig; nach dieser Bestimmung sind die Straßenverkehrsbehörden zuständig zur Ausführung dieser Verordnung, soweit nichts anderes bestimmt ist. Um die Ausführung der Straßenverkehrs-Ordnung im Sinne dieser Regelung geht es auch, wenn sich nur das durchzusetzende Ver- oder Gebot aus der Straßenverkehrs-Ordnung ergibt, nicht aber die für ein behördliches Einschreiten heranzuziehende Ermächtigungsgrundlage (BVerwG, Urt. v. 20.10.2015 - 3 C 15/14 Rn. 24 - BVerwGE 153, 140). Zuständig ist die Straßenverkehrsbehörde der Beklagten danach nicht nur, soweit zur Verhinderung des nach § 12 Abs. 4 und 4a StVO verbotenen Parkens Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nach § 45 Abs. 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 StVO, sondern auch, soweit Maßnahmen nach bremischem Landesrecht in Betracht kommen.
c) Nach den tatsächlichen Feststellungen des OVG waren die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 StVO für das Anordnen von Verkehrszeichen und -einrichtungen erfüllt. Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten.
Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörde zur Unterbindung verbotenen Gehwegparkens, namentlich die vom OVG in Betracht gezogene Anordnung eines einseitigen Haltverbots (Zeichen 283), zielen i.S.v. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO auf eine Beschränkung oder ein Verbot der Benutzung bestimmter Straßen. Sie wären durch Gründe der „Sicherheit des Verkehrs“ im Sinne dieser Regelung gerechtfertigt. Nach den tatsächlichen Feststellungen des OVG wird - insoweit unstreitig - durch das aufgesetzte Gehwegparken in den streitgegenständlichen Straßen seit Jahren gegen das dort bestehende Verbot verstoßen. Das verbotswidrige Parken begründet gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 12 StVO zudem eine Ordnungswidrigkeit. Betroffen ist die „Sicherheit des Verkehrs“ i.S.v. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO nicht erst, wenn der Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift zu einer Gefährdung von Leib und Leben oder Eigentum führt, was hier nach den Feststellungen des OVG nicht der Fall ist. Es genügt, wenn – wie hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts – davon auszugehen ist, dass es auch in Zukunft zu den Verstößen kommen wird. Verbotenes Gehwegparken verletzt darüber hinaus auch die „Ordnung des Verkehrs“ i.S.v. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. Die auf den Gehwegen verbotswidrig abgestellten Fahrzeuge nehmen einen Verkehrsraum in Anspruch, der gemäß § 12 Abs. 4 und 4a StVO i.V.m § 25 Abs. 1 Satz 1 StVO namentlich den Fußgängern zur Nutzung zugewiesen ist.
Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO lagen vor; nach dieser Vorschrift sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. In den streitgegenständlichen Straßen wurde seit Jahren gegen das Gehwegparkverbot aus § 12 Abs. 4 und 4a StVO verstoßen. Die Annahme des OVG, dass allein die Straßenverkehrs-Ordnung auch künftig voraussichtlich nicht zu einem ordnungsgemäßen Parken führen wird (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 24.01.2019 - 3 C 7/17 Rn. 14 - BVerwGE 164, 253), war revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
d) Nach den Feststellungen des OVG waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für nach Landesrecht mögliche sonstige Maßnahmen zur Verhinderung des Gehwegparkens, wie der Erlass von Wegfahrgeboten oder Abschleppanordnungen, ebenfalls erfüllt.
4. Die Kläger haben einen räumlich begrenzten Anspruch gegen die Beklagte auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Ergreifen von Maßnahmen gegen das verbotswidrige Parken auf den Gehwegen in den streitgegenständlichen Straßen.
a) Dem Wortlaut, der Systematik und der Entstehungsgeschichte von § 12 Abs. 4 und 4a StVO lassen sich keine Hinweise darauf entnehmen, ob und ggf. inwieweit der Verordnungsgeber dem grundsätzlichen Verbot des Gehwegparkens eine drittschützende Wirkung beilegen wollte.
Eine in Teilen drittschützende Wirkung ergibt sich jedoch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Sie dient zunächst der Ordnung des Verkehrs. Das aus § 12 Abs. 4 und 4a StVO folgende grundsätzliche Verbot des Gehwegparkens ergänzt für den ruhenden Verkehr die Trennung von Fahrzeug- und Fußgängerverkehr: Fahrzeuge müssen die Fahrbahnen benutzen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 StVO); wer zu Fuß geht, muss die Gehwege benutzen (§ 25 Abs. 1 Satz 1 StVO; vgl. auch § 2 Abs. 5 StVO zu Kindern mit Fahrrädern). Parken dürfen Fahrzeuge auf Gehwegen nur, soweit das durch Verkehrszeichen oder Markierung erlaubt ist (§ 12 Abs. 4 und 4a StVO). Diese Aufteilung des öffentlichen Straßenraums dient dem Interesse der Allgemeinheit an einer sicheren und leichten Fortbewegung aller Verkehrsteilnehmer. Das Verbot, auf dem Gehweg zu parken, wo das nicht ausdrücklich erlaubt ist, schützt in erster Linie die Fußgänger und andere berechtigte Gehwegbenutzer. Für die Annahme eines subjektiven Rechts aller Gehwegbenutzer genügt das jedoch nicht. Sie sind nicht ein von der Allgemeinheit abgegrenzter Kreis von Personen mit individuell geschützten Interessen an einer ungehinderten Gehwegnutzung, sondern Teil der Allgemeinheit. Das aus § 12 Abs. 4 und 4a StVO folgende Verbot des Gehwegparkens schützt indes – räumlich begrenzt – auch das individuelle Interesse der Anwohner an einer bestimmungsgemäßen Benutzung des Gehwegs, ohne dabei durch parkende Fahrzeuge erheblich beeinträchtigt zu werden. Insoweit konkretisiert das Verbot die Grundregel des Straßenverkehrs in § 1 Abs. 1 StVO. Nach dieser Vorschrift erfordert die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme. Die Anwohner sind ein erkennbar abgegrenzter Kreis Dritter. Sie sind auf die Nutzung des vor ihrem Grundstück verlaufenden Gehwegs in besonderer Weise angewiesen und die Lage des von ihnen bewohnten Grundstücks unterscheidet sie von der Allgemeinheit. Sie sind vom verbotenen Gehwegparken zudem in besonderer Weise betroffen. Sämtliche Kläger sind Anwohner in diesem Sinne.
b) In der erforderlichen qualifizierten Weise werden die Interessen der Anwohner nur berührt, wenn die verbotswidrig geparkten Fahrzeuge die Nutzbarkeit des Gehwegs, insbesondere nach Ausmaß und Dauer, erheblich beeinträchtigen. Daraus, dass § 12 Abs. 4 und 4a StVO das nicht durch Verkehrszeichen oder Markierung erlaubte Parken auf der gesamten Breite des Gehwegs und auch nur für kurze Dauer verbietet, ergibt sich nichts anderes. Die zu fordernde Beeinträchtigungsschwelle ist andererseits nicht erst dann erreicht, wenn die Benutzung des Gehwegs nicht mehr möglich oder nicht mehr zumutbar ist. Aus dem Urteil des BVerwG vom 04.06.1986 - 7 C 76/84 - BVerwGE 74, 234 zum Schutz von Anliegern vor Lärm auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO folge nichts anderes.
Ob Beeinträchtigungen der Gehwegbenutzung durch verbotswidrig geparkte Fahrzeuge in diesem Sinne erheblich sind, hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab (BVerwG, Urt. v. 04.06.1986 - 7 C 76/84 - BVerwGE 74, 234, 239 f.). Von Bedeutung sind u.a. die verbleibende Gehwegbreite, die Länge der Verengung, das Verhältnis der verbotswidrig in Anspruch genommenen zur gesamten Gehwegfläche, die Dichte des Gehwegverkehrs, die Ausweichmöglichkeiten sowie die Dauer der Beeinträchtigungen. Zu Recht hatte das OVG auch die Folgen des verbotswidrigen Parkens für Personen im Rollstuhl und mit Kinderwagen in den Blick genommen; Personen mit einem Kind an der Hand sind ebenfalls zu betrachten. Anwohner haben unabhängig davon, ob sie zu diesem Personenkreis gehören, ein schutzwürdiges eigenes Interesse, diesen Personen bei der Benutzung des Gehwegs begegnen zu können. Für Eigentümer von Wohngrundstücken gilt nichts anderes. Eine feste Restgehwegbreite – etwa von 1,50 m –, deren Unterschreiten zwingend oder auch nur in der Regel als erheblichen Beeinträchtigung zu werten wäre, lässt sich nicht angeben. Erforderlich ist immer eine Gesamtwürdigung der Umstände.
Davon war auch das OVG ausgegangen. Nach seinen bindenden tatsächlichen Feststellungen wird in den drei Straßen seit Jahren unerlaubt nahezu durchgehend aufgesetzt auf den Gehwegen geparkt. Dadurch verbleibe eine nutzbare Gehwegbreite von – zum Teil deutlich – weniger als 1,50 m auf annähernd der gesamten Länge der Gehwege; ein Begegnungsverkehr sei nicht mehr möglich. Es begegnete revisionsrechtlich keinen Bedenken, dass dem OVG bei der tatrichterlichen Würdigung der Gesamtsituation diese Beeinträchtigungen für die Bejahung eines subjektiven Rechts der Kläger ausgereicht hatten.
5. Die Annahme des OVG, das Entschließungsermessen der Beklagten sei nicht auf null reduziert, sie könne es auch so ausüben, dass sie in den streitgegenständlichen Straßen jedenfalls derzeit noch nicht einschreite, war revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
a) Nach ständiger Rechtsprechung ist der im Straßenverkehrsrecht im Rahmen von § 45 Abs. 1 StVO zu gewährende Drittschutz grundsätzlich auf einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde begrenzt (vgl. u.a. BVerwG, Urt. v. 04.06.1986 - 7 C 76/84 - BVerwGE 74, 234, 236 und BVerwG, Urt. v. 22.12.1993 - 11 C 45/92 Rn. 18 m.w.N. - Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr 9). Dasselbe gilt – wie das Berufungsgericht für die Revision verbindlich entschieden hat – hinsichtlich der hier für ein Einschreiten in Betracht kommenden Eingriffsermächtigungen aus dem bremischen Landesrecht. Dementsprechend bedarf es besonderer Umstände, um eine Ermessensreduzierung auf null annehmen zu können. Dabei haben insbesondere das Ausmaß oder die Schwere der Störung oder Gefährdung eine maßgebende Bedeutung, berücksichtigt werden können aber auch die Konkurrenz mit anderen Handlungspflichten der Verwaltung und der Umstand möglicherweise knapper Ressourcen. Schließlich ist das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten.
b) Das OVG hatte seine Wertung im Wesentlichen darauf gestützt, es verbleibe eine eingeschränkte Nutzbarkeit der Gehwege. Allein die Dauer und Häufigkeit der Verstöße führten nicht zu einer Ermessensreduzierung auf null. Es handle sich um ein stadtweit verbreitetes Problem, das über Jahrzehnte weitestgehend geduldet worden sei. Die Ressourcen der Beklagten seien begrenzt. Vor diesem Hintergrund sei es nicht zu beanstanden, wenn sie zunächst den Problemdruck in den am stärksten betroffenen Quartieren zu ermitteln und ein Konzept für ein stadtweites Vorgehen umzusetzen gedenke. Diese Erwägungen hat das BVerwG revisionsrechtlich nicht beanstandet.
Den Interessen der Kläger kann das Interesse der parkenden Verkehrsteilnehmer an einer ungehinderten Fortsetzung ihres rechtswidrigen Verhaltens nicht entgegengehalten werden; es ist nicht schutzwürdig. Allerdings kann die langjährige generelle Duldung des unerlaubten Gehwegparkens durch die Beklagte erfordern, deren Beendigung und die geplanten Maßnahmen anzukündigen. Zu berücksichtigen gegenüber dem Interesse der Anwohner ist das im öffentlichen Interesse liegende Ziel, durch Regelungen des ruhenden Verkehrs und andere Maßnahmen die Interessen von Fußgängern, Fahrzeugführern und ggf. weiteren Nutzern im öffentlichen Straßenraum zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen, und zwar nicht nur in den streitgegenständlichen, sondern auch in den anderen Straßen, in denen verbotswidrig auf Gehwegen geparkt wird. Hat die Beklagte nach einer Bestandsaufnahme in den betroffenen Quartieren ein Konzept für ein stadtweites Vorgehen entwickelt, werden die Belange der Kläger auch nach Auffassung des BVerwG nicht unangemessen zurückgestellt, wenn die Straßenverkehrsbehörde zunächst in anderen, nach dem Konzept vorrangigen Straßen Maßnahmen ergreift. Das gilt – wie das OVG zutreffend angenommen hatte – jedoch nur, solange sie das Konzept tatsächlich und nachvollziehbar verfolgt. Dass die Beklagte den streitgegenständlichen Straßen Vorrang vor allen anderen betroffenen Straßen im Stadtgebiet geben müsste, hatten weder die Kläger geltend gemacht noch hatte das OVG entsprechende Tatsachen festgestellt.
6. Die vom OVG ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten, über die Anträge der Kläger auf Einschreiten gegen das verbotswidrige Gehwegparken in den streitgegenständlichen Straßen unter Beachtung seiner Rechtsauffassung erneut zu entscheiden, war mit der noch darzulegenden räumlichen Einschränkung mit Bundesrecht vereinbar.
Die Annahme des OVG, die Beklagte habe ihr Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt, hat das BVerwG nicht beanstandet. Unzutreffend war die Beklagte davon ausgegangen, die Straßenverkehrsbehörde sei für Maßnahmen gegen das unerlaubte Gehwegparken auf der Grundlage von Landesrecht i.V.m. § 12 Abs. 4 und 4a StVO sachlich nicht zuständig. Bei den hier bestehenden andauernden und erheblichen Verstößen gegen das Gehwegparkverbot war auch die Erwägung der Beklagten, angesichts des bereits § 12 Abs. 4 und 4a StVO zu entnehmenden Verbots des Gehwegparkens stehe einer Anordnung von Verkehrszeichen oder -einrichtungen der in der Verwaltungsvorschrift zu den §§ 39 bis 43 StVO enthaltene Grundsatz entgegen, „nur so viele Verkehrszeichen wie nötig – so wenige Verkehrszeichen wie möglich“. Gegen die Annahme des OVG, eine entsprechende Beschilderung oder Markierung werde die Wahrscheinlichkeit eines regelkonformen Parkverhaltens erhöhen, war revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
7. Eine Verletzung von Bundesrecht hat das BVerwG dagegen in der Annahme des OVG gesehen, der Anspruch der Kläger auf ermessensfehlerfreie Entscheidung erstrecke sich nicht nur auf „ihre“ Straßenseite im Straßenabschnitt bis zur Einmündung der nächsten Querstraße, sondern auf die jeweils streitgegenständliche Straße insgesamt. Subjektive Rechte der Anwohner begründet § 12 Abs. 4 und 4a StVO vorbehaltlich besonderer örtlicher Gegebenheiten – für die hier nichts ersichtlich war – nur für den Gehweg der „eigenen“ Straßenseite des Anwohners im Straßenabschnitt bis zur Einmündung der nächsten Querstraße. Außerhalb des eigenen Abschnitts und der eigenen Straßenseite sind Anwohner und Eigentümer nicht mehr hinreichend von der Allgemeinheit unterscheidbar. Auf den Gehweg unmittelbar vor dem eigenen Grundstück ist das subjektive Recht dagegen nicht begrenzt.


C.
Kontext der Entscheidung
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich der im Straßenverkehrsrecht im Rahmen von § 45 Abs. 1 StVO zu gewährende Drittschutz grundsätzlich auf einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde begrenzt (vgl. u.a. BVerwG, Urt. v. 04.06.1986 - 7 C 76/84 - BVerwGE 74, 234, 236 und BVerwG, Urt. v. 22.12.1993 - 11 C 45/92 Rn. 18 m.w.N. - Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr 9). In dem schon länger zurückliegenden Urt. v. 04.06.1986 - 7 C 76/84 - BVerwGE 74, 234 hatte sich das BVerwG mit dem Schutz von Anliegern vor Verkehrslärm auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO befasst.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Das BVerwG hat rechtliche Leitlinien zu der in vielen deutschen Städten höchst relevanten Frage des Einschreitens gegen verbotenes Gehwegparkens entwickelt.
Es hat entschieden, dass das aus § 12 Abs. 4 und 4a StVO folgende Verbot des Gehwegparkens auch dem Schutz der Anwohner dient, den Gehweg bestimmungsgemäß benutzen zu können, ohne dabei durch parkende Fahrzeuge erheblich beeinträchtigt zu werden. Ihre subjektiven Rechte sind räumlich regelmäßig auf den Gehweg der „eigenen“ Straßenseite im Straßenabschnitt bis zur Einmündung der nächsten Querstraße begrenzt. In diesem Umfang haben sie einen Anspruch gegen die Straßenverkehrsbehörde auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Einschreiten gegen unzulässiges Gehwegparken. Das Gehwegparkverbot gemäß § 12 Abs. 4 und 4a StVO ist somit nicht „zahnlos“, sondern der Durchsetzung durch Anwohner zugänglich, die durch den Verstoß gegen dieses Verbot beeinträchtigt werden.
Es steht zu erwarten, dass auf der Grundlage dieser Entscheidung des BVerwG nun vermehrt entsprechende Anträge auf die Straßenverkehrsbehörden zukommen.
Aus der Entscheidung des BVerwG ergibt sich zugleich, dass die Straßenverkehrsbehörde in Ausübung ihres Entschließungsermessens nach Maßgabe der Umstände des konkreten Einzelfalles ermessensfehlerfrei auch zu dem Ergebnis kommen kann, derzeit noch nicht einzuschreiten. Das muss sie freilich plausibel begründen.
Abgesehen davon hat die Straßenverkehrsbehörde ein – selbstverständlich ebenfalls fehlerfrei auszuübendes – Auswahlermessen hinsichtlich der Art der Maßnahmen, die sie gegen verbotswidriges Gehwegparken ergreifen will. Das hatte im vorliegenden Verfahren keiner der Beteiligten infrage gestellt.



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