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Anmerkung zu:BVerwG 2. Senat, Beschluss vom 09.12.2024 - 2 B 9/24
Autor:Dr. Klaus von der Weiden, RiBVerwG
Erscheinungsdatum:24.03.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 153a StPO, § 132 VwGO, § 47 BeamtStG, § 77 BBG, Art 7 GG
Fundstelle:jurisPR-BVerwG 6/2025 Anm. 1
Herausgeber:Verein der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht e.V.
Zitiervorschlag:von der Weiden, jurisPR-BVerwG 6/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Sexuelle Beziehung eines Lehrers mit einem minderjährigen Schüler als inner- oder außerdienstliche Pflichtverletzung



Leitsatz

Die Fortführung einer sexuellen Beziehung zu einem minderjährigen Schüler derselben Schule durch einen Lehrer ist auch dann als innerdienstliche Pflichtverletzung zu bewerten, wenn den Beteiligten der Umstand bei ihrer Kontaktaufnahme nicht bekannt war und ein unmittelbares Unterrichtsverhältnis nicht besteht.



A.
Problemstellung
Ist die Fortführung einer außerdienstlich angebahnten sexuellen Beziehung eines Lehrers mit einem Schüler, nachdem der Lehrer Kenntnis davon erlangt, dass es sich um einen minderjährigen Schüler handelt, der die Schule besucht, an der er unterrichtet, als innerdienstliche oder als außerdienstliche Pflichtverletzung zu qualifizieren?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Beklagte ist Gymnasiallehrer und Studiendirektor im Landesdienst. Zuletzt war er überwiegend als Fachleiter an einem Studienseminar tätig und unterrichtete drei Wochenstunden an einer Gesamtschule. Er ist seit 2020 mit einem Mann verheiratet.
Der Beklagte nahm im Januar 2017 über eine Dating-Plattform für volljährige homosexuelle Männer Kontakt zu einem im Februar 2000 geborenen Schüler auf, der schon mehrfach als „Callboy“ tätig gewesen war. In der Folgezeit lernten sich der Beklagte und der Schüler persönlich kennen. Dem Beklagten wurde dabei – spätestens beim zweiten Treffen – bekannt, dass es sich bei der vermittelten Person um einen Schüler der 11. Jahrgangsstufe der Schule handelte, an der er selbst unterrichtete. Bis September 2017 kam es bei drei Treffen im Haus des Beklagten zum Austausch sexueller Handlungen zwischen dem Beklagten und dem Schüler. Zudem gewährte der Beklagte dem Schüler Geldleistungen.
Der Kläger leitete im Jahr 2017 ein Disziplinarverfahren gegen den einschlägig disziplinarrechtlich vorbelasteten Beklagten ein. Das Strafverfahren gegen den Beklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen wurde gegen eine Auflage gemäß § 153a StPO eingestellt. Nach weiteren disziplinarischen Ermittlungen hat der Kläger die auf die Dienstentfernung des Beklagten gerichtete Disziplinarklage erhoben.
Das VG hat den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Das OVG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und insbesondere ausgeführt: Der Beklagte habe ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen begangen, das bei umfassender Würdigung seine Dienstentfernung erfordere. Er habe die freundschaftliche Beziehung zu einem minderjährigen Schüler über Monate fortgesetzt. Auch nachdem er gewusst habe, dass es sich um einen Schüler der 11. Jahrgangsstufe seiner – des Beklagten – Schule handelte, sei es noch zu einem weiteren sexuellen Kontakt gekommen. Ein solches Verhalten stelle bei einem Lehrer ein außerordentlich schweres Versagen im Kernbereich seiner dienstlichen Pflichten dar und beeinträchtige nicht nur das Ansehen des Berufsbeamtentums, sondern zeige in der Regel die fehlende Eignung für den Lehrerberuf.
Das BVerwG hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen. Es hat zur Begründung insbesondere ausgeführt:
Die geltend gemachten Zulassungsgründe rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
Die Revision ist nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 67 Satz 1 LDG NRW wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen.
Die Frage, ob „bei einem Lehrer, der im Privatbereich gegen die Distanzpflicht bei einem Schüler verstößt, den er nicht persönlich unterrichtet hat und ein dienstlicher Bezug zur dienstlichen Tätigkeit des Beamten nicht vorliegt,“ eine innerdienstliche oder außerdienstliche Pflichtverletzung gegeben ist, rechtfertigt auch dann nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, wenn sie im Sinne der allein entscheidungserheblichen Fragestellung dahin verstanden wird, ob die Fortsetzung einer außerdienstlich angebahnten sexuellen Beziehung eines Lehrers mit einem Schüler, nachdem der Lehrer Kenntnis davon erlangt, dass es sich um einen minderjährigen Schüler handelt, der die Schule besucht, an der er unterrichtet, als innerdienstliche oder als außerdienstliche Pflichtverletzung zu qualifizieren ist. Die Frage kann anhand der bestehenden Senatsrechtsprechung beantwortet werden.
Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG (vgl. auch § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG) begehen Beamte ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Außerhalb des Dienstes ist die Pflichtverletzung nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG (vgl. auch § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG) nur dann ein Dienstvergehen, wenn die Pflichtverletzung nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Die Unterscheidung zwischen inner- und außerdienstlicher Pflichtverletzung beruht dabei nicht auf der formalen Zuordnung in räumlicher oder zeitlicher Beziehung zur Dienstausübung. Das wesentliche Unterscheidungselement ist vielmehr funktionaler Natur. Entscheidend für die rechtliche Einordnung eines Verhaltens als innerdienstliche Pflichtverletzung ist dessen kausale und logische Einbindung in ein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit. Besteht eine derartige funktionale Verknüpfung, kommt es nicht darauf an, ob das Dienstvergehen innerhalb oder außerhalb der Dienstzeit begangen wird. Ist eine solche Einordnung nicht möglich – insbesondere, wenn sich das Handeln als das Verhalten einer Privatperson darstellt –, ist es als außerdienstliches (Fehl-)Verhalten zu qualifizieren (BVerwG, Urt. v. 01.02.2024 - 2 A 7/23 - NVwZ 2024, 926 Rn. 27 m.w.N.).
Ausgehend hiervon ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Fortführung einer sexuellen Beziehung zu einem minderjährigen Schüler derselben Schule durch einen Lehrer auch dann als innerdienstlich zu bewerten ist, wenn den Beteiligten diese Umstände bei ihrer Kontaktaufnahme nicht bekannt waren und ein unmittelbares Unterrichtsverhältnis nicht besteht.
Ein Lehrer ist nach dem umfassenden und auf Art. 7 Abs. 1 GG beruhenden Bildungsauftrag der Schule nicht nur zur Vermittlung von Wissen, sondern – ergänzend zu den Eltern und von diesen unabhängig – auch zur Erziehung der Kinder verpflichtet. Er muss insbesondere die Entwicklung der ihm anvertrauten Kinder fördern und schützen. Zudem muss der Lehrer in seiner Vorbildfunktion die verfassungsrechtlich geschützte Werteordnung glaubhaft vermitteln. Selbst außerdienstliche Verstöße gegen die vorgenannten Anforderungen berühren bei einem Lehrer in besonderem Maße sein Amt und seine Dienstausübung. Dies gilt bereits dann, wenn zu befürchten ist, dass der Lehrer ihretwegen auf Vorbehalte der Eltern der von ihm unterrichteten Kinder stößt und deswegen nicht mehr die Autorität und das Vertrauen der Allgemeinheit genießt, auf die er für die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben zwingend angewiesen ist. Insoweit genügt die bloße Eignung für einen solchen Vertrauensverlust, ohne dass dieser konkret eingetreten sein muss. Ein dem Lehrer vorwerfbares Verhalten im unmittelbaren Umgang mit Schülern konkret seiner Schule ist dabei nicht erforderlich.
Die Fortsetzung einer außerdienstlich angebahnten sexuellen Beziehung eines Lehrers mit einem Schüler, nachdem der Lehrer Kenntnis davon erlangt, dass es sich um einen minderjährigen Schüler handelt, der die Schule besucht, an der er unterrichtet, ist als innerdienstliche Pflichtverletzung zu qualifizieren. Ab Kenntniserlangung von dem Umstand, dass es sich um einen minderjährigen Schüler „seiner“ Schule handelt, besteht die kausale und logische Einbindung in das Lehreramt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit des Lehrers. Unabhängig von der außerdienstlich begründeten Aufnahme der sexuellen Beziehung steht der Lehrer mit einem Schüler derselben Schule in einem dienstlichen Zusammenhang, der sich auf unterschiedliche Weise aktualisieren kann. Die Fortführung der sexuellen Beziehung zu einem minderjährigen Schüler derselben Schule kann daher nicht als „Privatsache“ oder Teil der „rein privaten Freizeitgestaltung“ des Lehrers begriffen werden. Die logische und zwingende Einbindung in den Dienst als Lehrer derselben Schule ergibt sich im Übrigen bereits aus dem Erfordernis, einer Ausnutzung des Ungleichverhältnisses und dem Verdacht von Grenzüberschreitungen an der Schule wirksam begegnen zu können.


C.
Kontext der Entscheidung
Inner- oder außerdienstliches Dienstvergehen?
Die Unterscheidung zwischen inner- und außerdienstlicher Pflichtverletzung beruht nicht ausschließlich auf der formalen Zuordnung in räumlicher oder zeitlicher Beziehung zur Dienstausübung. Das wesentliche Unterscheidungselement ist vielmehr funktionaler Natur. Entscheidend für die rechtliche Einordnung eines Verhaltens als innerdienstliche Pflichtverletzung ist dessen kausale und logische Einbindung in ein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit. Maßgebliche Bedeutung hat somit, ob das pflichtwidrige Verhalten in das Amt und in die damit verbundenen dienstlichen Pflichten eingebunden gewesen ist. Besteht diese Verknüpfung, kommt es nicht darauf an, ob das Dienstvergehen innerhalb oder außerhalb der Dienstzeit begangen wird. Ist eine solche Einordnung nicht möglich – insbesondere wenn sich das Handeln als das Verhalten einer Privatperson darstellt –, ist es als außerdienstliches (Fehl-)Verhalten zu qualifizieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.08.2009 - 1 D 1/08 Rn. 54 - Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr 1; BVerwG, Urt. v. 29.07.2010 - 2 A 4/09 Rn. 194; BVerwG, Urt. v. 02.03.2023 - 2 A 19/21 Rn. 40; BVerwG, Beschl. v. 19.08.2019 - 2 B 72/18 Rn. 8 - Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr 9).
Weil maßgeblich ist, ob das pflichtwidrige Verhalten in das Amt und in die damit verbundenen dienstlichen Pflichten eingebunden gewesen ist, können – wie im vorliegenden Fall – auch außerhalb der Dienstzeit erfolgte Pflichtverletzungen innerdienstlicher Natur sein.
Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 01.02.2024 - 2 A 7/23 - NVwZ 2024, 926 mit Anm. von der Weiden, jurisPR-BVerwG 17/2024 Anm. 4.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Fortführung einer außerdienstlich angebahnten sexuellen Beziehung eines Lehrers mit einem Schüler, nachdem der Lehrer Kenntnis davon erlangt, dass es sich um einen minderjährigen Schüler handelt, der die Schule besucht, an der er unterrichtet, ist als innerdienstliche – und nicht „lediglich“ als außerdienstliche – Pflichtverletzung zu qualifizieren.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die außerdem mit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage, „ob auch im Fall der überlangen Dauer des beamtenrechtlichen Disziplinarverfahrens auf Entlassung erkannt werden kann, welche zum Verlust der Beamtenversorgung und Nachversicherung bei der gesetzlichen Rentenversicherung führen würde und welche Vorgaben hierzu sich aus dem Unionsrecht oder der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergeben“, ist in der Rechtsprechung des BVerwG geklärt. Die unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens kann nicht zur Milderung der Disziplinarmaßnahme führen, wenn das Dienstvergehen eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gebietet. Das von dem Beamten durch sein Dienstvergehen zerstörte Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf und damit auch nicht durch eine verzögerte disziplinarrechtliche Sanktionierung wiederhergestellt werden. Auch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK steht dem nicht entgegen (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 28.02.2013 - 2 C 3/12 - BVerwGE 146, 98, Rn. 44 ff.; BVerwG, Urt. v. 17.11.2017 - 2 C 25/17 - BVerwGE 160, 370, Rn. 92 f.; BVerwG, Beschl. v. 12.07.2018 - 2 B 1/18 - Buchholz 235.1 § 38 BDG Nr 1, Rn. 10; BVerwG, Beschl. v. 16.08.2021 - 2 B 21/21 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr 53, Rn. 21; BVerwG, Beschl. v. 23.06.2022 - 2 B 38/21 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr 56, Rn. 7 ff. und BVerwG, Beschl. v. 07.08.2024 - 2 B 10/24 Rn. 11).



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