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Anmerkung zu:BVerwG 3. Senat, Urteil vom 14.12.2023 - 3 C 10/22
Autor:Stefan Liebler, RiBVerwG
Erscheinungsdatum:17.06.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 2 StVG, § 315c StGB, § 316 StGB, Anlage 4 FeV, § 4 StVG, § 142 StGB, § 264 StPO, § 52 StGB, § 69 StGB, § 69a StGB, § 53 StGB, § 11 FeV, § 13 FeV
Fundstelle:jurisPR-BVerwG 12/2024 Anm. 1
Herausgeber:Verein der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht e.V.
Zitiervorschlag:Liebler, jurisPR-BVerwG 12/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV)



Leitsatz

Wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss i.S.v. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV), die die Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigen, liegen nur dann vor, wenn der Betroffene in mindestens zwei vom Geschehensablauf her eigenständigen Lebenssachverhalten je eine oder mehrere solche Zuwiderhandlungen begangen hat.



A.
Problemstellung
Die Klägerin begehrte die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Streitig war, ob die Fahrerlaubnisbehörde dafür die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens fordern durfte. Das hing davon ab, ob sie wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen hatte (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV).


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das AG hatte die Klägerin im September 2016 wegen in Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB) begangener fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr sowie vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort rechtskräftig zu einer (Gesamt-)Geldstrafe verurteilt, ihr die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung verhängt. Die Klägerin war am 02.04.2015 gegen 21:15 Uhr mit ihrem PKW in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand (Blutalkoholkonzentration – BAK – von 0,68 Promille) auf den Parkplatz eines Supermarkts gefahren. Nach dem Einkaufen hatte sie rückwärts ausgeparkt und war auf einen hinter ihrem Fahrzeug stehenden PKW gefahren. Sie war ausgestiegen und hatte den Schaden betrachtet. Dann war sie in ihre Wohnung zurückgefahren, ohne Unfallfeststellungen treffen zu lassen. Zu Hause hatte sie nach ihren Angaben bis zum Eintreffen der Polizei zwei Gläser Rotwein getrunken. Die ihr entnommenen Blutproben hatten BAKs von 1,48 und 1,37 Promille aufgewiesen.
Als die Klägerin im März 2018 die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis beantragte, forderte der Beklagte von ihr gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und d der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Sie habe am 02.04.2015 wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen; zwischen den beiden Fahrten liege eine Zäsur. Dagegen hat sie Klage erhoben. Mit Bescheid vom 03.07.2018 lehnte der Beklagte den Neuerteilungsantrag der Klägerin ab. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV sei wegen der Nichtbeibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens auf ihre fehlende Fahreignung zu schließen. Die Klägerin hat den Bescheid in das Klageverfahren einbezogen. Das VG hat ihre Klage abgewiesen. Auf ihre Berufung hat das OVG die erstinstanzliche Entscheidung geändert und den Beklagten verpflichtet, ihr die beantragte Fahrerlaubnis zu erteilen. Der Beklagte habe die Beibringensaufforderung nicht auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV stützen dürfen. Bei dem Geschehen am 02.04.2015 habe es sich nicht um wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss im Sinne dieser Regelung gehandelt.
Das BVerwG hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Das OVG hatte auf der Grundlage seiner revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden tatrichterlichen Würdigung des Tatgeschehens ohne Bundesrechtsverstoß angenommen, dass die Beibringensaufforderung nicht auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV gestützt werden durfte (I. und II.). Der Beklagte konnte die Beibringensaufforderung auch nicht auf eine andere Rechtsgrundlage stützen (III.).
I. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG müssen die Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Die Eignung besitzt nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG sowie § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 3 FeV, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Die Anforderungen sind insbesondere dann nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegen, wodurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 Satz 2 FeV). Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ist bei Alkoholmissbrauch die Eignung ausgeschlossen; er liegt vor, wenn das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können. Gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen oder das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss auf die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ist nur gerechtfertigt, wenn die Anforderung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (st.Rspr., BVerwG, Urt. v. 04.12.2020 - 3 C 5/20 - BVerwGE 171, 1). Zu beurteilen ist das nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihres Ergehens (st.Rspr., BVerwG, Urt. v. 04.12.2020 - 3 C 5/20 Rn. 15 und 25 - BVerwGE 171, 1).
II. Die Voraussetzungen von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV waren hier nicht erfüllt. Nach dieser Bestimmung ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Das ist nur dann der Fall, wenn der Betroffene in mindestens zwei vom Geschehensablauf her räumlich und zeitlich eigenständigen deutlich voneinander abgrenzbaren Lebenssachverhalten je eine oder mehrere solche Zuwiderhandlungen begangen hat (a)). Die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, die Unterbrechung der Fahrt durch den Einkauf im Supermarkt und den anschließend von der Klägerin verursachten alkoholbedingten Unfall sei keine hinreichend deutliche Zäsur, die zu einer Aufspaltung des Lebenssachverhalts in mehrere Trunkenheitsfahrten geführt habe, war revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (b)).
a) Wortlaut (aa), Systematik (bb) und Entstehungsgeschichte des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV (cc) haben nur eine geringe Aussagekraft für die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei einem zeitlich gestreckten Geschehensablauf wiederholt Zuwiderhandlungen begangen worden sind. Deshalb kommt dem Sinn und Zweck der Vorschrift erhebliche Bedeutung zu (dd).
aa) Der Wortlaut des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV, wonach „wiederholt“ Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen worden sein müssen, setzt voraus, dass dem Betroffenen mindestens zwei solche Zuwiderhandlungen zur Last fallen. „Wiederholt“ bedeutet nach dem allgemeinen Begriffsverständnis so viel wie „mehrmals“, „mehr als einmal“, „mindestens zweimal“. Dagegen gibt der Begriff keinen Aufschluss darüber, wann bei einem zeitlich gestreckten Geschehensablauf eine Zuwiderhandlung endet und eine zweite, neue Zuwiderhandlung beginnt.
Der Formulierung „Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss“ ist aber zu entnehmen, dass dem erreichten Blutalkoholgehalt und dem Führen eines Fahrzeugs unter dessen Einfluss nicht mehrere getrennte Trinkereignisse vorangegangen sein müssen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch meint der Begriff „Zuwiderhandlung“ eine gegen ein Verbot, eine Anordnung gerichtete Handlung (BVerwG, Urt. v. 07.04.2022 - 3 C 9/21 Rn. 27 - BVerwGE 175, 206). Maßgeblich ist daher, wie oft es mit dem – wie auch immer – erreichten, die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholpegel zu einem Verkehrsverstoß in Gestalt einer Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat gekommen ist. Alkoholkonsum begründet für sich genommen noch keinen solchen Verkehrsverstoß. Straßenverkehrsrechtlich relevant im Sinne einer „Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss“ wird er erst, wenn er ein die Fahrsicherheit beeinträchtigendes Ausmaß erreicht und vom Betroffenen nicht vom Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr getrennt wird. Das ergibt sich sowohl aus den einschlägigen Regelungen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts (vgl. die §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und 316 Abs. 1 StGB) als auch aus der Definition des fahrerlaubnisrechtlichen Begriffs „Alkoholmissbrauch“ in Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV.
bb) Die Normsetzungsmaterialien sind in Bezug auf die Frage unergiebig, wann von wiederholten Zuwiderhandlungen auszugehen ist.
In der Begründung zu § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV (VkBl. 1998, 1070) heißt es nur, Buchstabe b stelle gegenüber dem Punktsystem in § 4 StVG eine Spezialvorschrift dar, wonach die Maßnahme der Eignungsüberprüfung bereits bei einem wiederholten Alkoholverstoß zu ergreifen ist, unabhängig von der Punktzahl. Aus dem in der Begründung enthaltenen Wort „Alkoholverstoß“ ergeben sich keine weiter gehenden Anhaltspunkte. Dabei handelt es sich lediglich um ein abkürzendes Synonym für die im Normtext des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV verwendete längere Formulierung. Abgesehen davon wird auch mit der in der Normbegründung verwendeten Formulierung „bei einem wiederholten Alkoholverstoß“ eine mehrfache Regelverletzung vorausgesetzt, nicht aber auf die Art des Alkoholkonsums abgestellt. Die Annahme des OVG, der Begriff „Alkoholverstoß“ umfasse typischerweise den gesamten Lebenssachverhalt einer Fahrt unter Alkoholeinfluss, führt für die Abgrenzung nicht weiter, wann von einer relevanten Unterbrechung eines Lebenssachverhalts und damit von mehreren Zuwiderhandlungen i.S.d. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV auszugehen ist.
cc) Weiterführende Anhaltspunkte für die Abgrenzung zwischen einer einmaligen Zuwiderhandlung und wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss i.S.d. Buchstaben b erschließen sich ebenso wenig aus der Normsystematik des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV, namentlich einem Abgleich des Buchstaben b mit den in den weiteren Buchstaben der Nummer 2 genannten Voraussetzungen.
Der Verordnungsgeber erfasst mit den Tatbeständen des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV verschiedene Lebenssachverhalte, die die Fahrerlaubnisbehörde jeweils selbstständig zur Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verpflichten. Diese Tatbestände stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Vielmehr hat der Verordnungsgeber mit ihnen einen Rahmen geschaffen, bei dessen Ausfüllung auch die anderen Tatbestände und die ihnen zugrunde liegenden Wertungen zu berücksichtigen sind. Das gilt namentlich für die Tatbestände des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV (BVerwG, Urt. v. 17.03. 2021 - 3 C 3/20 Rn. 17 - BVerwGE 172, 18). Ausgehend davon hatte das OVG erwogen, der Umstand, dass gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV bei einem Betroffenen, der einmalig ein Fahrzeug im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss geführt hat, erst ab einer BAK von 1,6 Promille oder mehr die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen sei, könne zumindest einen Anhaltspunkt dafür geben, dass beim Buchstaben b, wo bereits eine erheblich niedrigere Blutalkoholkonzentration genüge, erhöhte Anforderungen an die Bejahung einer wiederholten Zuwiderhandlung zu stellen seien. Den Buchstaben b und c liegen aber unterschiedliche Anknüpfungspunkte für die Eignungszweifel zugrunde, die nach der Wertung des Verordnungsgebers der Klärung durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten bedürfen. Die im Buchstaben c angeführten Alkoholwerte, die schon bei einer einmaligen Zuwiderhandlung unter Alkoholeinfluss im Straßenverkehr die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Folge haben, gehen nach den Normsetzungsmaterialien auf die auf gesicherten Erkenntnissen der Alkoholforschung beruhende Einschätzung des Verordnungsgebers zurück, dass Betroffene mit BAKs ab 1,6 Promille über deutlich abweichende Trinkgewohnheiten und eine ungewöhnliche Trinkfestigkeit verfügten. Solche Personen würden doppelt so häufig rückfällig wie Personen mit geringeren Blutalkoholkonzentrationen (vgl. BR-Drs. 443/98, S. 5 f. sowie BVerwG, Urt. v. 17.03.2021 - 3 C 3/20 Rn. 35 - BVerwGE 172, 18). Danach knüpft die Annahme einer Wiederholungs- und Rückfallgefahr im Buchstaben c an den beim Betroffenen festgestellten ungewöhnlich hohen Alkoholpegel und dessen daraus zu entnehmende Trinkgewohnheiten an. Dagegen besteht nach dem Buchstaben b der Grund für Eignungszweifel darin, dass der Betroffene in der Vergangenheit wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen hat; angeknüpft wird hier also an den Umstand mehrfacher Zuwiderhandlungen.
dd) Danach kommen dem Sinn und Zweck der Regelung erhebliche Bedeutung für die Auslegung und Anwendung der Tatbestandsvoraussetzung der „wiederholt“ begangenen „Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss“ i.S.v. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV zu.
(1) § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV verpflichtet die Fahrerlaubnisbehörde, vom Betroffenen die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern, wenn nach Maßgabe der in den Buchstaben a bis e konkretisierten Voraussetzungen berechtigte Zweifel an der Fahreignung des Betroffenen im Zusammenhang mit einer Alkoholproblematik bestehen. § 13 FeV dient der Gefahrenabwehr und nicht der Sanktionierung eines in der Vergangenheit gezeigten Fehlverhaltens im Straßenverkehr. Die Regelung soll für die Zukunft alkoholbedingte Risiken für die Verkehrssicherheit so weit wie möglich ausschließen (st.Rspr.; BVerwG, Urt. v. 17.03.2021 - 3 C 3/20 Rn. 21 f. - BVerwGE 172, 18). Es geht der Sache nach um die Klärung der Frage, ob Wiederholungsgefahr besteht. Das ist auch für die Auslegung der in § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV aufgeführten Tatbestandsmerkmale von Bedeutung. Es soll verhindert werden, dass es erneut zu Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne kommt. Die Frage, ob ein solcher die Fahreignung ausschließender Alkoholmissbrauch durch den Betroffenen zu befürchten ist, ist auf der Grundlage einer Prognose zu beantworten. Deren Gegenstand ist, ob durchgreifende Zweifel daran bestehen, dass der Betroffene künftig das Führen eines Kraftfahrzeugs und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum in der gebotenen Weise trennen wird (BVerwG, Urt. v. 17.03.2021 - 3 C 3/20 Rn. 22). Wesentlich für die Auslegung der in § 13 FeV aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen ist außerdem, dass es dort noch nicht unmittelbar um die Entziehung oder – wie hier – die Erteilung der Fahrerlaubnis geht, sondern um die dieser Entscheidung vorgelagerte Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik. Die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens dient – wie § 13 Satz 1 Halbsatz 1 FeV ausdrücklich bestimmt – der Vorbereitung der Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis (BVerwG, Urt. v. 07.04.2022 - 3 C 9/21 Rn. 30 - BVerwGE 175, 206). Für eine Gutachtenanforderung gemäß § 13 FeV genügen sachlich fundierte Zweifel an der Fahreignung (BVerwG, Urt. v. 17.03.2021 - 3 C 3/20 Rn. 23).
(2) Danach präjudiziert die strafgerichtliche Würdigung des Tatgeschehens nicht dessen Bewertung in fahrerlaubnisrechtlicher Sicht. Der Umstand, dass das AG das Geschehen vom 02.04.2015 als fahrlässige Trunkenheitsfahrt und vorsätzliche Trunkenheitsfahrt nebst unerlaubtem Entfernen vom Unfallort begangen in zwei selbstständigen Handlungen gewertet hatte und von Tatmehrheit i.S.v. § 53 Abs. 1 StGB ausgegangen war, führt nicht dazu, dass bei der Anwendung von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV von wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss auszugehen ist.
(a) Die Einordnung des Tatgeschehens durch das Strafgericht folgte einer Grundsatzentscheidung des BGH. Er hatte darauf abgestellt, dass der Angeklagte nach einem alkoholbedingt verursachten Unfall, da er – wie er wusste – durch die sich aus § 142 StGB ergebende Wartepflicht an den Unfallort gebunden gewesen war, einen neuen Tatentschluss gefasst habe. Durch den Unfall sei er vor eine neue Lage gestellt worden. Die Fahrt habe sich – auch wenn das Fahrtziel das gleiche geblieben sei – in eine Flucht zum Zwecke der Erschwerung der Feststellungen über die Art der Unfallbeteiligung umgewandelt. Der zweite Abschnitt der Fahrt habe auf einem neuen, auf anderer Grundlage gefällten Entschluss beruht. Deshalb sei nicht eine einheitliche Trunkenheitsfahrt, sondern Tatmehrheit i.S.v. § 53 Abs. 1 StGB anzunehmen (BGH, Urt. v. 17.02.1967 - 4 StR 461/66 - BGHSt 21, 203). Diese Einordnung steht jedoch in einem anderen sachlichen Zusammenhang als die fahrerlaubnisrechtliche Prüfung wiederholter Zuwiderhandlungen i.S.d. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV. Bei der strafrechtlichen Bewertung des Konkurrenzverhältnisses begangener Straftaten nach den §§ 52 f. StGB geht es nicht um Gefahrenabwehr und Prävention wie bei § 13 FeV, sondern um die Sanktionierung eines in der Vergangenheit liegenden strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens, konkret um die Strafbemessung bei mehreren Gesetzesverletzungen. Daher ist die strafgerichtliche Betrachtung für die Bewertung des Tatgeschehens im Rahmen von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV nicht maßgebend. Ausschlaggebend muss wegen der gefahrenabwehrrechtlichen Ausrichtung von § 13 FeV vielmehr sein, ob im Entschluss zur Fortführung der Fahrt nach einem alkoholbedingt verursachten Unfall ein eigenständiger Anknüpfungspunkt dafür zu sehen ist, dass bei dem Betroffenen die Gefahr besteht, er werde sich auch künftig nicht an das Gebot halten, das Führen eines Fahrzeugs von einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum zu trennen.
(b) Ebenso wenig kann bei § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV auf den (straf-)prozessualen Tatbegriff des § 264 StPO abgestellt werden. Er bestimmt und begrenzt den Prüfungsumfang des Strafgerichts und ist u.a. für die Reichweite des Strafklageverbrauchs entscheidend. Unter Tat im (straf-)prozessualen Sinne wird ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang verstanden, der sich von anderen oder gleichartigen unterscheidet, und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand oder mehrere verwirklicht haben soll. Abgestellt wird auf einen einheitlichen geschichtlichen Lebensvorgang; er kann mehrere Handlungen i.S.d. §§ 52 f. StGB umfassen, wie die strafgerichtliche Beurteilung im vorliegenden Fall exemplarisch zeigt. Auch der (straf-)prozessuale Tatbegriff steht aber in einem anderen Sachzusammenhang als der auf Prävention und die Aufklärung von Eignungszweifeln ausgerichtete § 13 FeV.
(3) Ausgehend vom Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Regelung liegen wiederholte Zuwiderhandlungen unter Alkoholeinfluss i.S.v. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV, die zur Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens führen, nur vor, wenn der Betroffene in mindestens zwei vom Geschehensablauf her eigenständigen und deutlich voneinander abgrenzbaren Lebenssachverhalten je eine oder mehrere solche Zuwiderhandlungen begangen hat. Ob das der Fall ist, lässt sich nur durch eine Gesamtbetrachtung der Einzelumstände des Tatgeschehens feststellen. In den Blick zu nehmen sind dabei insbesondere der zeitliche Ablauf sowie die räumlichen Verhältnisse und damit auch die Dauer und Qualität einer eventuellen Fahrtunterbrechung. Erforderlich für die Annahme einer „wiederholten“ Zuwiderhandlung ist, dass es zu mindestens zwei voneinander deutlich abgrenzbaren Trunkenheitsfahrten gekommen ist. Nach diesen Grundsätzen wird die kurze Unterbrechung einer Fahrt, etwa zum Tanken, zu einer kurzen Rast, zum Aufsuchen einer Toilette, zu einem raschen Einkauf oder ähnlichen nur wenig Zeit in Anspruch nehmenden Verrichtungen in der Regel keine relevante Fahrtunterbrechung oder Zäsur begründen. Die anschließende Fortsetzung der Fahrt, bei der der Führer des Fahrzeugs nach wie vor durch den vorangegangenen Alkoholkonsum in seiner Fahrsicherheit beeinträchtigt ist, wird in solchen Fällen regelmäßig nicht die Annahme wiederholter Zuwiderhandlungen i.S.v. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV rechtfertigen.
Bei einem vom Fahrzeugführer alkoholbedingt verursachten Unfall ist zu prüfen, ob sich aus dem Entschluss zur Weiterfahrt vergleichbar einer mit größerem zeitlichen Abstand begangenen weiteren Zuwiderhandlung unter Alkoholeinfluss Zweifel daran ergeben, dass der Betroffene künftig das Trennungsgebot wahren wird. Solche Zweifel können insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn dem Betroffenen durch den Unfall bewusst geworden sein musste, dass er wegen des Alkoholkonsums nicht mehr fahrtüchtig war, er die Fahrt aber dennoch fortgesetzt hat. Ungeachtet dessen kann es auch dann, wenn der Betroffene eine Trunkenheitsfahrt nach einem von ihm alkoholbedingt verursachten Unfall fortsetzt, nach Maßgabe der weiteren in die Gesamtbetrachtung des Tatgeschehens einzustellenden Umstände gerechtfertigt sein, einen einheitlichen Geschehensablauf und damit nur eine, nicht aber wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss anzunehmen.
b) Danach war die tatrichterliche Würdigung der Einzelumstände durch das OVG, das in dem Tatgeschehen vom 02.04.2015 nicht mehrere, sondern nur eine Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss gesehen hat, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es hatte im Wesentlichen darauf abgestellt, dass es durch Einkauf und Unfall lediglich zu einer kurzzeitigen Unterbrechung gekommen und die Klägerin dann wie vorgesehen unmittelbar zu ihrer Wohnung zurückgefahren sei. Parkplatzunfälle kämen häufig vor und beruhten vielfach lediglich auf einer (leichten) Unachtsamkeit, ohne dass insofern eine Alkoholisierung vorliege. Auch die nach den Feststellungen des AG anzunehmende Blutalkoholkonzentration der Klägerin von 0,68 Promille und der durch den Unfall verursachte Schaden sprächen nicht für eine Zäsurwirkung. Mit seiner Würdigung hatte das OVG den ihm zukommenden Wertungsrahmen aus Sicht des BVerwG nicht überschritten.
III. Auch die Annahme des OVG, die Anforderung des medizinisch-psychologischen Gutachtens sei auch nicht auf der Grundlage einer anderen Rechtsgrundlage gerechtfertigt gewesen, war revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Die Gutachtensanforderung konnte nicht auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV gestützt werden. Nach dieser Bestimmung ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war. Fahrerlaubnisentziehung i.S.v. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV ist auch eine durch ein Strafgericht gemäß den §§ 69, 69a StGB angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis (BVerwG, Beschl. v. 24.06.2013 - 3 B 71/12 Rn. 5 f. - NJW 2013, 3670). Jedoch genügt es, damit die innere Kohärenz der in den Buchstaben des § 13 Satz 1 FeV aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen erhalten bleibt (BVerwG, Urt. v. 17.03.2021 - 3 C 3/20 Rn. 17 - BVerwGE 172, 18), wie gezeigt nicht, wenn das Strafgericht bei der Fahrerlaubnisentziehung nach den §§ 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2, 69a StGB in Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB) begangene Trunkenheitsfahrten angenommen hat. Von einer aus dem im Buchstaben b genannten Grund entzogenen Fahrerlaubnis kann nur ausgegangen werden, wenn aus der vom Präventionsgedanken geprägten fahrerlaubnisrechtlichen Perspektive wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss i.S.v. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV anzunehmen sind. Das war hier nicht der Fall.
b) Ebenso wenig fand die Beibringensaufforderung in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a Alt. 2 FeV eine rechtliche Grundlage; danach ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Auch hier gilt, dass das Geschehen vom 02.04.2015, wenn es die Voraussetzungen des Buchstaben b nicht erfüllt, für sich genommen auch nicht als sonstige Tatsache gewertet werden kann, die i.S.d. Buchstaben a Alternative 2 die Annahme von Alkoholmissbrauch begründet. Der Nachtrunk der Klägerin und der dadurch erreichte hohe Blutalkoholgehalt von 1,48 und 1,37 Promille konnten ebenfalls nicht als Zusatztatsache herangezogen werden, die die Anwendung des Buchstaben a Alternative 2 rechtfertigt. Die Klägerin hatte danach kein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt.
c) § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 9 Buchst. b FeV trugen die Beibringensaufforderung ebenfalls nicht. Können für § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV im Tatgeschehen vom 02.04.2015 keine wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss gesehen werden, steht das zugleich der Annahme wiederholter Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften i.S.v. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV entgegen. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 Buchst. b FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn der Entzug der Fahrerlaubnis auf einem Grund nach den Nummern 4 bis 7 beruht. Die Voraussetzungen der Nr. 4 waren zum maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtensanforderung nicht erfüllt, da die Klägerin keinen wiederholten Verstoß gegen verkehrsrechtliche Vorschriften i.S.d. Nr. 4 begangen hatte.


C.
Kontext der Entscheidung
Auf die vorangegangenen Referenzentscheidungen des BVerwG wird im konkreten Sachzusammenhang verwiesen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Das BVerwG hat klargestellt, dass wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss i.S.v. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV, die die Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigen, nur dann vorliegen, wenn der Betroffene in mindestens zwei vom Geschehensablauf her eigenständigen Lebenssachverhalten je eine oder mehrere solche Zuwiderhandlungen begangen hat. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, ist auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu prüfen. Die strafgerichtliche Wertung des Konkurrenzverhältnisses ist dafür wegen des anderen Regelungszusammenhangs nicht maßgeblich.
Das BVerwG geht außerdem zusammenfassend nochmals auf den für die Auslegung und Anwendung von § 13 FeV maßgeblichen Sinn und Zweck sowie die Regelungssystematik dieser äußerst praxisrelevanten Vorschrift ein.



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