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Anmerkung zu:BVerwG 9. Senat, Beschluss vom 25.06.2024 - 9 VR 2/24
Autor:Prof. Dr. Ulrike Bick, Vors. Ri'inBVerwG
Erscheinungsdatum:12.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 80a VwGO, § 92 VwGO, § 161 VwGO, § 17e FStrG, § 80 VwGO, § 16a FStrG
Fundstelle:jurisPR-BVerwG 16/2024 Anm. 1
Herausgeber:Verein der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht e.V.
Zitiervorschlag:Bick, jurisPR-BVerwG 16/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Abgrenzung von baulichen Vollzugsmaßnahmen, Vorarbeiten i.S.d. § 16a FStrG und internen Vorbereitungsmaßnahmen



Leitsatz

Zur Aussetzung der Vollziehung eines nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a VwGO sofort vollziehbaren straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses von Amts wegen.



A.
Problemstellung
Planfeststellungsbeschlüsse für Straßenvorhaben sind nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG fehlt es aber an einem das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegenden Vollzugsinteresse, wenn der Vorhabenträger während eines längeren Zeitraums keine baulichen Vollzugsmaßnahmen beabsichtigt. In einem solchen Fall soll die Planfeststellungsbehörde die Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses gemäß § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO von Amts wegen aussetzen oder auf etwaige Vorabmaßnahmen begrenzen, damit potenzielle Kläger nicht in unnötige Eilverfahren gedrängt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 09.06.2023 - 9 VR 1/23 Rn. 5 m.w.N.).
Im zu besprechenden Fall hatte die Planfeststellungsbehörde die Vollziehung nicht ausgesetzt, obwohl sie frühestens Mitte 2025 mit Ausschreibungen und erst noch viel später mit baulichen Vollzugsmaßnahmen beginnen wollte. Erst im Eilverfahren setzte sie die Vollziehung aus.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Sachverhalt (vereinfacht)
Ein Naturschutzverband hat Mitte März 2024 einen Eilantrag nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gegen einen sofort vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss für ein straßenrechtliches Vorhaben gestellt und diesen Antrag fristgerecht, also innerhalb eines Monats, umfangreich begründet. Daraufhin teilte die Antragsgegnerin mit, dass der Vorhabenträger nicht vor Mitte 2025 mit ersten Umsetzungsmaßnahmen beginnen werde und setzte vor diesem Hintergrund die sofortige Vollziehung aus. Sie wies mit Blick auf die Kostenentscheidung darauf hin, dass dem antragstellenden Naturschutzverband durch verschiedene Umstände (Presseberichterstattung, Diskussionsveranstaltung) der geplante Bauablauf bekannt gewesen sei; im Übrigen habe er sich nicht danach erkundigt.
Nachdem die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, hat das BVerwG das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt und gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kostentragung entschieden.
II. Wesentliche Entscheidungsgründe
Das BVerwG hat die Kosten des Verfahrens vollständig der Antragsgegnerin auferlegt. Zur Begründung verweist es auf die oben in der Problemstellung genannte Rechtsprechung des BVerwG. Dabei betont es, dass sich die Aussetzung der Vollziehung nur auf bauliche Vollzugsmaßnahmen, nicht aber auf verwaltungsinterne Maßnahmen zur Vorbereitung des Planvollzugs beziehe; an deren Durchführung sei die Antragsgegnerin in der Zwischenzeit, also auch nach einer Aussetzungsentscheidung, nicht gehindert. Namentlich könne sie – auf eigenes Risiko – die Ausführungsplanung und die Ausschreibung von Bauleistungen vorantreiben.
Hier hätten die Umstände für eine Aussetzung gesprochen. Denn die Vorhabenträgerin beabsichtige während eines längeren Zeitraums, der aller Voraussicht nach erst nach Abschluss des beim BVerwG anhängigen Hauptsacheverfahrens enden werde, keine baulichen Vollzugsmaßnahmen. Geplant sei neben der Erstellung eines Konzepts bis Mitte 2024 zunächst lediglich die EU-weite Ausschreibung der Durchführungsplanung. Mit dem Bau selbst solle hingegen frühestens 2027 begonnen werden.
Es sei nicht nach billigem Ermessen geboten, dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil er sich nicht bei der Antragsgegnerin über etwaige drohende Vollzugsmaßnahmen erkundigt habe. Hierzu heißt es:
„Nach § 17e Abs. 2 Satz 1 FStrG kann der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nur innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses gestellt und begründet werden. Um im Hinblick darauf seine Rechte zu wahren, darf ein Antragsteller es als angemessen ansehen, innerhalb der Monatsfrist des § 17e Abs. 2 Satz 1 FStrG um vorläufigen Rechtsschutz nachzusuchen. Die Einsicht, von diesem Schritt Abstand nehmen zu können, braucht sich ihm nicht aufzudrängen. Denn wie dringlich das Vorhaben ist, das den Gegenstand des Planfeststellungsbeschlusses bildet, liegt außerhalb seiner Erkenntnissphäre. Hingegen hat es die Planfeststellungsbehörde in der Hand, die Einleitung eines gerichtlichen Eilverfahrens innerhalb der Monatsfrist des § 17e Abs. 2 Satz 1 FStrG entbehrlich zu machen, indem sie die Vollziehung nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO von Amts wegen aussetzt und dadurch zum Ausdruck bringt, dass nicht beabsichtigt ist, das Planvorhaben in absehbarer Zukunft ins Werk zu setzen.“


C.
Kontext der Entscheidung
Der Beschluss erläutert den Unterschied zwischen baulichen Vollzugsmaßnahmen und bloßen verwaltungsinternen Maßnahmen, wie z.B. Ausführungsplanungen oder Ausschreibungen. Die Aussetzung der Vollziehung bezieht sich nur auf die erstgenannten baulichen Maßnahmen, die der Ausführung des Vorhabens dienen; sie haben ihre Rechtsgrundlage in dem Planfeststellungsbeschluss und erfolgen in dessen Vollziehung.
Hiervon strikt zu trennen sind Vorarbeiten i.S.v. § 16a Abs. 1 FStrG. Nach dieser Vorschrift haben Eigentümer und sonstige Nutzungsberechtigte zur Vorbereitung der Planung und der Baudurchführung notwendige Kampfmittelräumungen, archäologische Untersuchungen und Bergungen sowie Vermessungen, Boden- und Grundwasseruntersuchungen einschließlich der vorübergehenden Anbringung von Markierungszeichen und sonstigen Vorarbeiten durch die Straßenbaubehörde oder die Autobahn GmbH zu dulden.
Nach der Wertung des Gesetzes ist es den Betroffenen zuzumuten, derartige Vorarbeiten wegen ihrer von der Norm vorausgesetzten geringen Eingriffsintensität – nach fristgemäßer unmittelbarer Bekanntgabe oder ortsüblicher Bekanntmachung und ggf. gegen Entschädigung – zu dulden. Mit Einwendungen gegen die Planung selbst können die Betroffenen im Rahmen von § 16a Abs. 1 FStrG nicht gehört werden (BVerwG, Beschl. v. 01.03.2012 - 9 VR 7/11 Rn. 10).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Aus dem Beschluss lassen sich wichtige Hinweise entnehmen:
Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde sollten nach Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses prüfen, ob überhaupt zeitnah mit baulichen Maßnahmen zum Vollzug des Beschlusses begonnen werden soll. Andernfalls ist es ratsam, die sofortige Vollziehung ganz auszusetzen oder auf einzelne geplante Maßnahmen zu begrenzen, um nicht potenzielle Kläger in einen unnötigen Eilantrag zu treiben. Ergeht eine solche Aussetzungsentscheidung, ist das für Vorhabenträger und Behörde risikolos, denn sie können weiterhin Vorarbeiten i.S.v. § 16a Abs. 1 FStrG durchführen; diese haben ihre Grundlage nicht im Planfeststellungsbeschluss, sondern in § 16a FStrG. Außerdem kann die Aussetzungsentscheidung bei Änderung der Umstände ohne Weiteres wieder aufgehoben werden. Ergeht die Aussetzungsentscheidung nicht, kann dies – wie der Beschluss zeigt – für die Behörde kostenrechtliche Folgen haben.
Adressaten eines Planfeststellungsbeschlusses, die Eilrechtsschutz in Erwägung ziehen, ist durchaus zu raten, sich zunächst bei der Planfeststellungsbehörde bzw. beim Vorhabenträger nach einer Aussetzung zu erkundigen. Denn hierdurch können sie sich u.U. die fristgebundene und meist sehr aufwändige Begründung des Eilantrags ersparen. Das BVerwG stellt allerdings klar, dass insoweit keine Pflicht oder Obliegenheit besteht. Denn es hat dem Antragsgegner die Kosten in vollem Umfang auferlegt, weil dieser die sofortige Vollziehung nicht von Amts wegen ausgesetzt hat; die fehlende Nachfrage des Antragstellers spielte keine Rolle.



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