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Anmerkung zu:BVerwG 4. Senat, Beschluss vom 08.01.2024 - 4 BN 15/23
Autor:Prof. Dr. Andreas Decker, RiBVerwG
Erscheinungsdatum:07.10.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 249 BBauG, § 2 BBauG, § 7 ROG, § 10 BBauG, § 6 BBauG, § 35 BBauG, § 214 BBauG, § 215 BBauG
Fundstelle:jurisPR-BVerwG 20/2024 Anm. 1
Herausgeber:Verein der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht e.V.
Zitiervorschlag:Decker, jurisPR-BVerwG 20/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Fehlerhafte Bekanntmachung und Rügefrist nach § 215 Abs. 1 BauGB



Leitsatz

Lässt die Bekanntmachung der Genehmigung eines Flächennutzungsplans, der eine Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erzielen soll, nicht erkennen, dass diese Wirkung den gesamten Außenbereich der Gemeinde betrifft (und erreicht sie deshalb nicht den Hinweiszweck nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB), wird die Rügefrist des § 215 Abs. 1 BauGB a. F. nicht ausgelöst.



A.
Problemstellung
„Und täglich grüßt das Murmeltier“ ist man geneigt zu sagen, wenn es um Verfahren über die Planung von Konzentrationsflächen für Windenergieanlagen geht. Obwohl es sich hierbei mit Blick auf § 249 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 245e Abs. 1 Satz 1 BauGB in der seit 01.02.2023 geltenden Fassung um auslaufendes Recht handelt (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 24.01.2023 - 4 CN 6/21 Rn. 10 - BVerwGE 177, 306), beschäftigen solche Planungen nach wie vor das BVerwG. In der Regel wird hier über die Einordnung bestimmter Flächen als „harte“ Tabuzone oder die Frage gestritten, ob der Planung ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept zugrunde liegt oder der Windenergie substanziell Raum verschafft wurde (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urt. v. 18.08.2015 - 4 CN 7/14 Rn. 8 - BVerwGE 152, 372). Im vorliegenden Fall spielte die Musik indessen bei der Frage, welche Anforderungen an den von § 215 Abs. 2 BauGB (hier noch in der Fassung des Bau- und Raumordnungsgesetzes vom 18.08.1997, BGBl I, 2081) geforderten Hinweis zu stellen sind, wenn die Bekanntmachung der Genehmigung eines Änderungs-Flächennutzungsplans mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB den Hinweiszweck verfehlte.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Die Antragstellerin plant im Gebiet der Antragsgegnerin die Errichtung und den Betrieb eines Windparks mit insgesamt sieben Windenergieanlagen. Dazu stellte sie im Oktober 2019 einen Genehmigungsantrag. Die Standorte befinden sich außerhalb der Zonen, die die 20. Änderung des Flächennutzungsplans – Sachlicher Teilflächennutzungsplan Windenergie – der Antragsgegnerin als Vorranggebiete für die Nutzung für Windenergieanlagen darstellt. Nach dem Erläuterungsbericht zur 20. Änderung sollen Sondergebiete zur Aufstellung von Windkraftanlagen an drei Windkonzentrationszonen entstehen. Danach bezweckt die Darstellung der Ausweisung von Konzentrationszonen, dass „die Konzentrationszone“ das Gewicht eines öffentlichen Belangs erhält, der einer Windkraftanlage an anderer Stelle entgegensteht.
Die 20. Änderung des Flächennutzungsplans wurde bereits Ende 1998 vom Rat der Antragsgegnerin beschlossen und anschließend genehmigt. Die Genehmigung ist unter der Überschrift „20. Änderung des Flächennutzungsplans; Ausweisung von Vorranggebieten für Windkraftanlagen“ bekannt gemacht worden. Zugleich wurden drei Zeichnungen veröffentlicht, in denen jeweils eine der beschlossenen Konzentrationszonen dargestellt war. Unter dem 27.02.2021 wurde die Genehmigung im Amtsblatt der Antragsgegnerin mit Rückwirkung zum 19.12.1998 erneut bekannt gemacht.
Auf den Normenkontrollantrag der Antragstellerin hat das OVG festgestellt, dass die 20. Änderung des Flächennutzungsplans – Sachlicher Teilflächennutzungsplan Windenergie – unwirksam ist, soweit damit eine Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erzielt werden soll. Der Plan leide an einem gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlichen Abwägungsfehler, weil die Antragsgegnerin nicht ermittelt und bewertet habe (§ 2 Abs. 3 BauGB), ob der Windenergie substanziell Raum verschafft worden sei. Der Abwägungsfehler sei auch nicht nachträglich unbeachtlich geworden. Er sei von der Antragstellerin mit Blick auf die Bekanntmachung vom 27.02.2021 rechtzeitig gerügt worden. Dagegen sei die frühere, 1998 erfolgte Bekanntmachung irrelevant, weil sie gegen rechtsstaatliche Publizitätserfordernisse verstoßen und daher das Anlaufen der Rügefrist nicht habe auslösen können. Die Bekanntmachung lasse weder durch die zeichnerische Darstellung der dargestellten Vorranggebiete bzw. Konzentrationszonen noch durch die textlichen Formulierungen in irgendeiner Weise erkennen, dass es um eine Planung gehe, die für den gesamten Außenbereich der Antragsgegnerin eine Ausschlusswirkung für die Nutzung von Windenergie erzeugen solle. Die Verwendung des Ausdrucks „Vorranggebiete“ genüge nicht, um eine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Ebenso wie der Ausdruck „Konzentrationszone“, der in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht verwendet werde und deshalb nicht ausreiche, um ein Mindestmaß an rechtsstaatlicher Publizität einer Bekanntmachung zu begründen, reiche auch der Ausdruck „Vorranggebiet“ nicht aus. Die Verwendung dieses Ausdrucks im Recht der Raumordnung (vgl. § 7 Abs. 4 ROG 1998) lasse sich nicht auf die Bedeutung in der Flächennutzungsplanung übertragen. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, ausnahmsweise gleichwohl eine Eignung der Bekanntmachung aus dem Jahr 1998 für die Auslösung eines Beginns des Fristlaufs nach § 215 Abs. 1 BauGB anzunehmen.
II. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde blieb erfolglos. Die Frage, ob die Bekanntmachung der Genehmigung eines Flächennutzungsplans, der die Ausschlusswirkung gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB entfalten soll, den räumlichen Geltungsbereich fehlerfrei erkennen lassen und damit ihren Hinweiszweck (i.S.v. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 3 BauGB) erreichen müsse, um die Rügefrist nach § 215 Abs. 1 BauGB a. F. auszulösen, oder ob auch eine Bekanntmachung die Rügefrist auslösen kann, die in dieser Hinsicht mangelhaft sei, rechtfertige die Zulassung der Revision nicht. In der Rechtsprechung seien die Anforderungen an den Hinweis auf die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Verletzung von Vorschriften sowie auf die Rechtsfolgen gemäß § 215 Abs. 2 BauGB – auch in früheren Fassungen – geklärt. Eine derartige Belehrung dürfe keinen irreführenden Zusatz haben und dürfe insbesondere nicht geeignet sein, einen Betroffenen vom rechtzeitigen Geltendmachen von Mängeln abzuhalten. Sie müsse die durch die Planung Betroffenen bei Bekanntmachung der Satzung auf ihre Rechte so aufmerksam machen, dass sie diese ungeschmälert wahrnehmen könnten. Ein Hinweis, der geeignet sei, beim Betroffenen einen rechtserheblichen Irrtum hervorzurufen und ihn davon abzuhalten, gegenüber der Gemeinde einen die Verletzung der in § 215 Abs. 1 BauGB (a.F.) genannten Vorschriften begründenden Sachverhalt geltend zu machen, löse die Unbeachtlichkeit nicht aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.06.2012 - 4 CN 5/10 Rn. 15 m.w.N. - BVerwGE 143, 192; BVerwG, Beschl. v. 31.01.2022 - 4 BN 25/21 Rn. 5). Lasse bei einer Konzentrationszonenplanung mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB in einem Flächennutzungsplan die Bekanntmachung der Genehmigung nicht erkennen, dass die Planung eine Ausschlusswirkung für den gesamten Außenbereich erzielen soll, so hätten die Eigentümer von Grundstücken außerhalb der Konzentrationszonen keinen Anlass, sich mit der Planung weiter zu befassen und diese auf etwaige Rechtsfehler hin zu überprüfen. Unabhängig von der inhaltlichen Richtigkeit des Hinweistextes als solchem sei die räumliche und sachliche Reichweite der Planung und damit – mittelbar – auch des Hinweises dann nicht hinreichend erkennbar.


C.
Kontext der Entscheidung
Nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB ist die Erteilung der nach § 6 Abs. 1 BauGB erforderlichen Genehmigung der Änderung eines Flächennutzungsplans der höheren Verwaltungsbehörde ortsüblich bekanntzumachen. In gleicher Weise formuliert auch § 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB für den genehmigungsbedürftigen Bebauungsplan. Mitzuteilen ist danach die Tatsache der Erteilung der Genehmigung. Das allein genügt aber nicht. Vielmehr muss die Bekanntmachung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB geeignet sein, einen vom Gesetz vorausgesetzten Hinweiszweck zu erfüllen. Denn nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 3 BauGB ist eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften des Baugesetzbuchs für die Rechtswirksamkeit eines Flächennutzungsplans beachtlich, wenn der mit der Bekanntmachung des Flächennutzungsplans – richtig: der Bekanntmachung seiner Genehmigung – verfolgte Hinweiszweck nicht erreicht worden ist.
Im Urteil vom 29.10.2020 (4 CN 2/19 - BVerwGE 170, 26) hat das BVerwG betont, dass die Bekanntmachung der Genehmigung eines Flächennutzungsplans nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB ihren Adressaten den räumlichen Geltungsbereich der Darstellungen hinreichend deutlich machen muss. Dieser Geltungsbereich ist bei Darstellungen von Flächen für Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB der gesamte Außenbereich der Gemeinde. Begründet hat es dies mit den Besonderheiten einer Konzentrationszonenplanung. Diese bestehen darin, dass Konzentrationszonen (hier für Windenergieanlagen) ausgewiesen werden und kraft dieser Ausweisung der übrige Außenbereich der Gemeinde für die konzentrierte Nutzung in der Regel gesperrt wird. Denn nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB stehen öffentliche Belange einem Vorhaben nach (u.a.) § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB in der Regel auch dann entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Die Gemeinde verfügt so über ein Instrument, das sie in die Lage versetzt, die bauliche Entwicklung im Außenbereich zu steuern (BVerwG, Urt. v. 17.12.2002 - 4 C 15/01 - BVerwGE 117, 287, 292). Im Anwendungsbereich des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erfüllt der Flächennutzungsplan mithin eine dem Bebauungsplan vergleichbare Funktion (BVerwG, Urt. v. 26.04.2007 - 4 CN 3/06 Rn. 14, 16 - BVerwGE 128, 382), die sich auf den gesamten Außenbereich erstreckt. Die Wirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB tritt allerdings nicht stets ein, wenn eine Gemeinde Flächen für die Windenergie darstellt (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.12.2018 - 4 CN 3/18 Rn. 31 m.w.N. - BVerwGE 164, 74). Für die Ausschlusswirkung bedarf es vielmehr einer im Flächennutzungsplan zum Ausdruck kommenden planerischen Entscheidung der Gemeinde, die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für Vorhaben außerhalb der ausgewiesenen Konzentrationsflächen eintreten zu lassen. Diese ist im Flächennutzungsplan ausdrücklich darzustellen oder muss in den Darstellungen in sonstiger Weise zum Ausdruck kommen (BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 4 CN 1/12 Rn. 16 - BVerwGE 146, 40).
Dem entsprechend bestehen im Falle einer eine Konzentrationszonenplanung ändernden Planung erhöhte Anforderungen hinsichtlich der Bekanntmachung der Genehmigung, um dem von § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 3 BauGB geforderten Hinweiszweck zu genügen. Stellt die Gemeinde dabei kartographisch nur einen Ausschnitt ihres Gemeindegebiets dar, wird sie folglich im Text der Bekanntmachung deutlich machen müssen, wenn die Darstellungen nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB rechtliche Wirkungen im gesamten Außenbereich entfalten sollen.
Der Beschluss vom 08.01.2024 führt die Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Bekanntmachung der Genehmigung von Änderungen eines Flächennutzungsplans mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB konsequent weiter. Genügt danach die Bekanntmachung vorstehend beschriebenen Anforderungen nicht, wirkt sich dies zwangsläufig auch auf den von § 215 Abs. 2 BauGB (a.F.) geforderten Hinweis aus. Denn lässt sich aus der Bekanntmachung der Genehmigung nicht erkennen, dass die Planung eine Ausschlusswirkung für den gesamten Außenbereich erzielen soll, dann haben die Eigentümer von Grundstücken außerhalb der Konzentrationszonen keinen Anlass, sich mit der Planung weiter zu befassen und diese auf etwaige Rechtsfehler hin zu überprüfen. Der fehlerhafte Hinweis ist damit geeignet, beim Betroffenen einen rechtserheblichen Irrtum auszulösen und ihn von der Geltendmachung der unter § 215 Abs. 1 BauGB fallenden Fehler gegenüber der Gemeinde abzuhalten. Damit ist der Hinweis selbst fehlerhaft und löst keinen Fristlauf aus.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die vorstehende Entscheidung zieht die notwendigen Konsequenzen aus den Anforderungen an die Bekanntmachung der Genehmigung einer Änderung einer Konzentrationszonenplanung in einem Flächennutzungsplan, wie sie das BVerwG im Urteil vom 29.10.2020 (4 CN 2/19 - BVerwGE 170, 26) herausgearbeitet hat. Es wäre im Übrigen kaum verständlich, wenn eine den Anforderungen des § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB nicht genügende Bekanntgabe, infolge derer die Änderung des Flächennutzungsplans nicht wirksam geworden ist, gleichwohl die Wirkungen des § 215 Abs. 1 BauGB in Bezug auf die in der Norm genannten Fehler auslösen könnte.
Im Ergebnis kann damit festgehalten werden: Verfehlt die Bekanntmachung der Genehmigung einer Änderung eines Flächennutzungsplans mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB den Hinweiszweck gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 3 BauGB, dann setzt die Bekanntmachung auch nicht die Rügefrist des § 215 Abs. 1 BauGB in Lauf.



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