juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 6. Zivilsenat, Beschluss vom 12.03.2024 - VI ZR 166/22
Autoren:Dr. Florian Junkers, RA,
Dr. Jan Kappel, RA
Erscheinungsdatum:30.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 266 StGB, § 522 ZPO, Art 103 GG, § 199 BGB, § 299 StGB, § 138 ZPO, § 406e StPO, § 138 BGB, § 823 BGB, § 852 BGB
Fundstelle:jurisPR-Compl 4/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Norbert Nolte, RA
Zitiervorschlag:Junkers/Kappel, jurisPR-Compl 4/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

BGH stärkt das Zivilrecht als Waffe in der Korruptionsbekämpfung



Leitsätze

1. Zur Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Fall der Nichtberücksichtigung einer zwar rechtzeitig bei Gericht eingegangenen, aber nicht zur Verfahrensakte gelangten Stellungnahme zu einem gerichtlichen Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO.
2. Zur Bestimmung des durch die unerlaubte Handlung Erlangten i.S.d. § 852 BGB im Falle von Schmiergeldzahlungen.



Orientierungssatz zur Anmerkung

Bei der Bestimmung des vom Schädiger aufgrund derselben unerlaubten Handlung Erlangten i.S.d. § 852 Satz 1 BGB ist jeder dem Ersatzpflichtigen zugeflossene Gegenstand - dem Umfang nach beschränkt durch den Schaden des Verletzten - anzusehen. Insoweit kommt als erlangtes Etwas die zugeflossene Auftragsvergütung in Betracht. Regelmäßig können im Rahmen einer möglichen Schmälerung der Bereicherung des Schuldners ggf. sein Vermögen verringernde Gegenleistungen und Aufwendungen Berücksichtigung finden. Das ist bei einer Bereicherung aufgrund einer Schmiergeldabrede von vornherein ausgeschlossen.



A.
Problemstellung
Besonders populär in der rechtlichen Diskussion ist in den letzten Jahren die Verknüpfung zwischen Verstößen gegen das Kartellrecht und den damit regelmäßig einhergehenden zivilrechtlichen Kartellschadensersatzklagen. Eine ähnliche Verknüpfung, wenn auch mit gewichtigen Unterschieden, gibt es auch generell zwischen dem Wirtschaftsstrafrecht und dem Zivilrecht, namentlich in Korruptionsfällen. Auch hier kommt dem Zusammenspiel der häufig parallellaufenden Verfahren eine maßgebliche Bedeutung zu:
Setzt die Anzeige im Strafverfahren Verjährungsfristen im Zivilrecht in Gang? Wie bestimmen sich Schaden und „Erlangtes“ im Straf- und im Zivilverfahren? Was bedeutet eine Entscheidung in einem Verfahrensweg für den jeweils anderen? Was muss wie bewiesen werden? Mit einigen dieser Fragen hat sich nun der BGH in der betrachteten Entscheidung auseinandergesetzt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung, die die Klägerin auf die vermeintliche Zahlung von Schmiergeldern durch die Beklagte an einen ehemaligen Bau- und Projektleiter der Klägerin stützt.
Die Klägerin führte Bauprojekte zur Anbindung von Off-Shore-Windparks an das Stromnetz auf dem Festland durch. Die Beklagte erbrachte in diesem Zusammenhang ab 2008 als Subunternehmerin Leistungen für die Klägerin.
Anfang 2014 kündigte die Klägerin ihre vertraglichen Beziehungen zu einem Bau- und Projektleiter, der für die Klägerin tätig war. Im Zusammenhang mit der Abwicklung der Zusammenarbeit erhielt die Klägerin Kenntnis davon, dass dieser Projektleiter der Beklagten im Jahr 2009 sechs Rechnungen über jeweils 6.000 Euro gestellt hatte. Grundlage soll ein zwischen dem Projektleiter und der Beklagten geschlossener Vertrag über angebliche Planungs-, Ausführungs- und sonstige Leistungen im Rahmen eines anderen, die Klägerin nicht betreffenden Projektes gewesen sein.
Im Juli 2014 erstattete die Klägerin Strafanzeige gegen den ehemaligen Projektleiter wegen des Verdachts der Untreue nach § 266 StGB sowie der Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 StGB. Die Klägerin äußerte basierend auf entsprechenden Indizien im Rahmen der Strafanzeige den Verdacht, dass mehrere von ihr beauftragte Nachunternehmer dem ehemaligen Projektleiter und einem weiteren Angestellten der Klägerin unzulässige Vorteile (wie die zuvor genannten Geldbeträge) gewährt hatten. Der ehemalige Projektleiter und der Angestellte der Klägerin hatten zuvor gemeinsam Aufträge vergeben und Zahlungen an Lieferanten freigegeben.
Im Rahmen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, einschließlich durchgeführter Durchsuchungen, konnte festgestellt werden, dass die Beklagte an den Projektleiter bis September 2012 insgesamt Zahlungen i.H.v. 271.320 Euro geleistet hat. Unterlagen zu vermeintlichen Beratungsleistungen des Projektleiters auf Grundlage behaupteter Beraterverträge konnten hingegen nicht gefunden werden.
Die Klägerin erhielt im Januar 2019 Einsicht in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft und beantragte im April 2019 einen Mahnbescheid gegen die Beklagte. Nach einem hiergegen gerichteten Widerspruch durch die Beklagte wurde das Verfahren an das zuständige LG Hannover abgegeben, das die Klage abwies. Die hiergegen gerichtete Berufung wies das OLG Celle mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Nach Ansicht der Vorinstanzen seien die Schadensersatzansprüche der Klägerin verjährt. Die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 852 BGB lägen nicht vor.
II. Die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH hatte Erfolg und führte zur Aufhebung der Entscheidung des OLG und Zurückverweisung der Sache.
Nach Ansicht des BGH ist nicht auszuschließen, dass das OLG bei Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin zum Hinweisbeschluss vom 30.03.2022 (diesen hatte des OLG aufgrund der Angabe eines falschen Aktenzeichens nicht rechtzeitig zur Kenntnis genommen, was nach Ansicht des BGH einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG darstellt) hinsichtlich der Fragen der Verjährung eines deliktischen Schadensersatzanspruchs und des Bestehens eines Anspruchs nach § 852 BGB zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Hinsichtlich der Verjährung des deliktischen Schadensersatzanspruchs bestätigt der BGH zunächst, dass das OLG zutreffend davon ausgegangen ist, dass die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis des Anspruchsinhabers dann vorliegt, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage, Erfolg versprechend möglich ist. Hierzu sei – so der Senat weiter – weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, noch müssten hinreichend sichere Beweismittel vorliegen, um einen Rechtsstreit risikolos führen zu können.
Soweit das OLG Celle hieraus ableitet, dass die erforderliche Kenntnis der Klägerin bereits mit Erstattung der Strafanzeige vorgelegen habe (mit der Folge, dass die Verjährung bereits im Jahr 2014 zu laufen begonnen habe), widerspricht dem der BGH. Die Klägerin habe in der – durch das OLG nicht berücksichtigten – Stellungnahme zu Recht darauf hingewiesen, dass die tatsächliche Frage der geleisteten Schmiergeldzahlung bereits für die Darlegung der Verletzungshandlung (und nicht „nur“ für die Höhe des Schadens) relevant ist. Dies hat das OLG Celle insoweit jedoch nicht festgestellt.
Dass die Klägerin in der Strafanzeige einen Verdacht der Schmiergeldzahlungen beschrieben habe, lasse nach Ansicht des BGH jedenfalls nicht zwingend auf eine Kenntnis nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB schließen.
Soweit das OLG Celle zudem einen Anspruch der Klägerin aus § 852 BGB verneint hat, gelangt der BGH auch insoweit zu einer abweichenden Auffassung. Die Klägerin habe zu Recht auf die „Schmiergeldrechtsprechung“ des BGH abgestellt, wonach eine Vermutung dafür besteht, dass Schmiergeldzahlungen in die spätere Vergütung eingepreist werden und somit zum Schaden führen. Es wäre nach Ansicht des BGH widersprüchlich, wenn diese Vermutung zur Begründung des Schadens herangezogen würde, bei der Bestimmung des vom Schädiger aufgrund derselben unerlaubten Handlung Erlangten nach § 852 BGB (in Form der vom Geschädigten gezahlten Auftragsvergütung) aber nicht.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Rechtsprechung hat, bezogen auf die zivilrechtliche Bewertung von Korruptionssachverhalten, bereits früh erkannt, wie schwierig für den Geschädigten (regelmäßig ein geschädigtes Unternehmen) oftmals die Beweisführung hinsichtlich des korruptionsbedingt konkret eingetretenen Schadens sein kann. Vor diesem Hintergrund wurden sukzessive Beweiserleichterungen zugunsten der durch Korruptionssachverhalte Geschädigten entwickelt, um etwaige Schadensersatzprozesse auch in einem Zivilprozess erfolgreich durchsetzen zu können.
Der faktische Hintergrund hierzu ist vom Grundsatz her einfach und die Entwicklung der Beweiserleichterungen in der zivilrechtlichen Rechtsprechung logisch und nicht zuletzt auch kriminalpolitisch richtig. Ein Korruptionsfall in der freien Wirtschaft, präzise also ein Fall der Bestechung und Bestechlichkeit nach § 299 StGB, stellt sich dergestalt dar, dass ein Unternehmen als Lieferant/Auftragnehmer Zuwendungen an einen oder mehrere Mitarbeiter oder Beauftragte eines Käufers/Auftraggebers erbringt. Dies erfolgt wohl nur in Ausnahmefällen in Form des klassischen Bildes der Übergabe eines prallgefüllten Geldkoffers, sondern vielmehr über etwas komplexere Strukturen, die nicht zuletzt oftmals eine „Steuerehrlichkeit“ des Leistenden suggerieren sollen. Die Zuwendungen sollen regelmäßig möglichst „unauffällig“ erfolgen und sind mithin oft schwierig aufzudecken und zu beweisen. Das Stellen von Scheinrechnungen, also Rechnungen, denen ganz oder teilweise keine Leistungen gegenüberstehen, ist dabei ein gängiges Mittel um entweder „freie Gelder“ zu generieren, die zugewandt werden können, oder auch um direkte Zuwendungen zu erhalten.
Der den Vorteil Leistende wird der Lebenserfahrung nach nur dann einen Vorteil gewähren, wenn er im Gegenzug hierfür ein für ihn vorteilhaftes Geschäft/einen vorteilhaften Auftrag erlangt; alles andere wäre widersinnig und widerspräche der Lebenswirklichkeit.
Der Käufer/der Auftraggeber steht jetzt in der Nachweisführung vor mehreren Herausforderungen: Steht ein Fall der Bestechung und Bestechlichkeit im Raum, so muss die Unternehmensführung des Käufers/Auftraggebers regelmäßig dem Verdacht und in der Folge den hieraus resultierenden Ansprüchen nachgehen. Hierbei ist der Käufer/Auftraggeber darauf angewiesen, den Sachverhalt so weit wie möglich intern aufzuklären. Oftmals wird die rein interne Untersuchung aber nicht ausreichen, um die für eine erfolgversprechende Anspruchsverfolgung erforderlichen Informationen zu gewinnen. Insbesondere ist die Nachvollziehung von Zahlungsflüssen regelmäßig nicht möglich.
Die interne Untersuchung kann sich, wie der Name bereits sagt, in erster Linie primär auf die Aufarbeitung interner Vorgänge konzentrieren. Bei Korruptionssachverhalten zulasten des geschädigten Käufers/Auftraggebers jedoch liegen ganz erhebliche Erkenntnisquellen nicht im Unternehmen, sondern bei Dritten, nämlich dem Lieferanten/dem Auftragnehmer. Und selbst bei Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen wird ein exakter Beweis darüber, wie und in welcher Höhe exakt ein Kaufpreis oder eine Vergütung korruptionsbedingt erhöht wurde, nur (höchst) selten zu führen sein.
Genau diese Herausforderungen hat die Rechtsprechung erkannt und hilft dem Geschädigten in Form diverser Beweiserleichterungen zur Nachweisführung einer korruptionsbedingten Preiserhöhung respektive eines Schadens, was bereits im Kontext des § 138 BGB (Sittenwidrigkeit) sowie der unerlaubten Handlung, §§ 823 ff. BGB, mehrfach entschieden (u.a. BGH, Urt. v. 26.03.1962 - II ZR 151/60; BGH, Urt. v. 08.12.1988 - VII ZR 83/88; BGH, Urt. v. 14.03.1991 - VII ZR 342/89) und sodann hinsichtlich des Nachweises einer Schmiergeldabrede selbst weiterentwickelt worden ist (BGH, Urt. v. 18.01.2018 - I ZR 150/15).
Mit dem vorliegenden Urteil hat der BGH diese Rechtsprechung seiner Linie treu bleibend erneut bestätigt und auf Ansprüche aus § 852 BGB als „verlängerten Anspruch“ aus unerlaubter Handlung erstreckt. Dies ist nur konsequent und logisch. Der BGH hat mit diesem Urteil aber auch darüber hinaus eine wichtige und richtige Aussage getroffen.
Ähnlich wie in Konstellationen des Kartellschadensersatzes ist in Korruptionskonstellationen für den geschädigten Käufer/Auftraggeber das Zusammenspiel von Strafverfahren und Zivilverfahren von enormer Bedeutung bei der Aufarbeitung des Sachverhaltes und auch bei der Durchsetzung etwaiger Schadensersatzansprüche. Die Erstattung einer professionellen und gut vor- und aufbereiteten Strafanzeige und damit verbunden die Auslösung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ist daher für potenziell durch Korruption geschädigte Unternehmen nicht selten der richtige, teilweise der einzige Weg, um die rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens angemessen und zielführend zu verfolgen.
Hier stellt sich insofern in der Abfolge der Sachverhaltskenntnis und -aufarbeitung und der damit einhergehenden Möglichkeit der Rechtsverfolgung ein gewichtiger Unterschied dar, was der BGH in seiner Entscheidung zutreffend aufgreift.
Regelmäßig kommt zunächst eine Verdachtssituation auf, die es aufzuklären gilt. In diesem Stadium liegen oftmals Indizien, vielleicht auch erste Beweise für gewisse Teilsachverhalte vor. Auf dieser Basis wird es oftmals möglich sein, die vorläufigen Informationen in Form einer Strafanzeige zu erfassen, die zutreffend die Annahme eines strafrechtlichen Anfangsverdachtes begründen und somit den Ausgangspunkt für weiter gehende strafrechtliche Ermittlungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft begründen. Wie auch hier der Name bereits klarstellt, wird mit einer Strafanzeige regelmäßig in einem eher frühen Stadium der Sachverhaltserfassung ein „Verdacht“ geschildert. Natürlich muss sich diese Verdachtsschilderung auf eine belastbare Informationsbasis stützen, welche von den Ermittlungsbehörden objektiv überprüft wird.
Die Informationslage, die die Beschreibung eines Anfangsverdachts ermöglicht, wird jedoch häufig nicht dieselbe sein, wie diejenige, die erforderlich ist, um eine erfolgversprechende Zivilklage zu erheben, in welcher Tatsachen entsprechend der Wahrheitspflicht nach § 138 ZPO vorgetragen und im Bestreitensfall auch bewiesen werden müssen. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren dient schließlich gerade der Aufklärung der Verdachtslage und einer entsprechenden Beweisführung. Das Ermittlungsverfahren endet daher regelmäßig, wenn aus Sicht der Staatsanwaltschaft der Sachverhalt so weit aufgeklärt ist, dass entweder ein hinreichender Verdacht vorliegt, der eine Anklage oder anderweitige Verfahrensbeendigungen ermöglicht, oder eine Einstellung erfolgt, weil der Verdacht sich nicht bestätigt hat.
Der zivilrechtlich Geschädigte entspricht typischerweise dem „Verletzten“ im Sinne der Strafprozessordnung und kann als solcher nach § 406e StPO die Einsicht in die strafrechtliche Ermittlungsakte beantragen, die ihm auch regelmäßig gewährt wird – insbesondere um die Durchsetzungsmöglichkeiten zivilrechtlicher Ansprüche zu prüfen. Die Ermittlungsakte bietet folglich nicht selten – erst – die Grundlage, um bewerten zu können, ob eine erfolgversprechende klageweise Anspruchsverfolgung in Frage kommt oder auch nicht.
Der Schluss, wie ihn vorliegend die Vorinstanz gezogen hatte, dass die Erstattung einer Strafanzeige gleichsam impliziert, dass zu diesem Zeitpunkt auch eine Klageerhebung möglich gewesen wäre, kann daher nicht überzeugen. So wurden relevante Informationen und Beweismittel erst im Rahmen behördlicher Dursuchungen und weiterer Ermittlungsmaßnahmen gewonnen, die die Basis für den streitgegenständlichen Sachverhalt – die Zuwendungen zur Auftragserlangung dem Grunde wie der Höhe nach – gebildet haben. Auf den Verjährungsbeginn kann daher nicht aus dem Umstand geschlossen werden, ob eine Strafanzeige erstattet werden kann bzw. werden konnte. Für die Bestimmung des Verjährungsbeginns kommt es auf den Einzelfall an. Sofern für die Beschreibung des den Anspruch begründenden Sachverhaltes in nicht unerheblichem Maß auf die aus dem Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse abgestellt werden muss, so wird es für den Verjährungsbeginn entsprechend regelmäßig auf den Zeitpunkt der Einsichtsgewährung in die Ermittlungsakte ankommen.
Zu dem Aspekt der Beweiserleichterung hat die Rechtsprechung schon lange den Grundsatz entwickelt, dass davon auszugehen ist, dass im Fall einer Bestechung der Kaufpreis respektive die Vergütung jedenfalls im Verhältnis eins zu eins um den Betrag erhöht wurde, der als unlautere Zuwendung zum Zweck der Auftragserlangung geleistet wurde (BGH, Urt. v. 02.12.2005 - 5 StR 119/05; BGH, Urt. v. 21.03.2002 - 5 StR 138/01). Hierfür spräche der Beweis des ersten Anscheins, der von dem Lieferanten/Auftragnehmer ausgeräumt werden müsse. Dieser Ansatz ist auch logisch und lebensnah, da der Lieferant/Auftragnehmer die unlautere Zuwendung praktisch als „Kosten“ in seinen Auftrag einrechnen muss; anderenfalls würde die Zuwendung keinen Sinn ergeben.
Die in dem betrachteten Urteil zu klärende Frage war nun diejenige, ob dieser Grundsatz der Beweiserleichterung, wie er zu § 138 BGB und den §§ 823 ff. BGB entwickelt wurde, auch auf etwaige Ansprüche aus § 852 BGB anzuwenden ist. Dies hat der BGH zu Recht bejaht.
Zunächst ist die Einordnung der teilweise etwas unbekannteren Norm des § 852 BGB erforderlich. Untechnisch könnte man § 852 BGB als einen „deliktischen Schadensersatzanspruch light“ bezeichnen. So ähnelt der § 852 BGB von seinem Charakter her einerseits der strafrechtlichen Einziehung nach § 73 StGB und andererseits natürlich dem bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruch. Er soll – auch nach der etwaigen Verjährung der allgemeinen Ansprüche aus unerlaubter Handlung – dem Geschädigten innerhalb einer Frist von zehn Jahren ermöglichen, von demjenigen Schädiger, der etwas aus der Tat erlangt hat, das Erlangte herauszuverlangen. Das heißt, dieser Anspruch ermöglich nicht, jeden im Zusammenhang mit der Straftat erlittenen Schaden zu regressieren; er ermöglicht (lediglich), von dem Anspruchsgegner das zu verlangen, was dieser aus der Tat erlangt hat.
Es stellt sich folglich die Frage, was konkret der Anspruchsgegner aus der Tat erlangt hat. Genau an dieser Stelle greift nun die Beweiserleichterung, die von der Rechtsprechung bereits zu § 138 BGB und den §§ 823 ff. BGB entwickelt wurde.
Im Fall der Bestechung und Bestechlichkeit leistet der Lieferant/Auftragnehmer eine unlautere Zuwendung, um einen Auftrag zu erhalten. Nach der bestehenden Beweiserleichterung wird der korrespondierende Kaufvertrag/Auftrag deshalb mindestens im Verhältnis eins zu eins um den Betrag erhöht, der als Zuwendung von dem Lieferanten/Auftragnehmer geleistet wird. Das „Erlangte“ seitens des Lieferanten/Auftragnehmers ist folglich der um den Zuwendungsbetrag erhöhte Auftrag. Diese Erhöhung muss der Lieferant/Auftragnehmer nach § 852 BGB zurückgewähren und kann sich aufgrund seiner Bösgläubigkeit auch nicht auf eine etwaige Bereicherung berufen.
Dieses Ergebnis deckt sich vom Ansatz her auch mit der strafrechtlichen Rechtsprechung zum Erlangten im Zusammenhang mit Korruptionssachverhalten. Nachdem ehemals im Strafrecht noch davon ausgegangen wurde, dass der gesamte korruptionsbedingt vergebene Auftrag das „Erlangte“ darstellt – das würde bedeuten der gesamte Kaufpreis/die gesamte Auftragsvergütung – hat dies durch die Entscheidung zum Kölner Müllskandal (BGH, Urt. v. 02.12.2005 - 5 StR 119/05) eine gewisse Eingrenzung erfahren, wobei die Untergrenze des Erlangten jedenfalls die Höhe der gewährten Zuwendung darstellt.
Die betrachtete Entscheidung des BGH steht daher in Einklang mit der bisherigen ständigen Rechtsprechung in Zivilsachen zu Korruptionssachverhalten wie auch in Einklang mit der strafrechtlichen Rechtsprechung zur Bestimmung des „Erlangten“ aus Korruptionstaten.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Korruptionssachverhalte sind bekanntermaßen oftmals komplex und schwierig aufzuarbeiten. Der BGH hat dem mit seiner Entscheidung erneut Rechnung getragen und die Rechte der aus Straftaten geschädigten Unternehmen weiter gestärkt. Erstens wird anerkannt, dass im Unternehmen eine belastbare Grundlage für die Prüfung einer Anspruchsverfolgung vorliegen muss, um die Verjährungsfrist in Gang zu setzen. Zweitens wird – auch kriminalpolitisch richtig – klargestellt, dass in Korruptionsfällen unabhängig von der ggf. subjektiven Verjährung des „breiten“ Schadensersatzanspruches aus unerlaubter Handlung jedenfalls der Anspruch aus § 852 BGB gegenüber dem Lieferanten/Auftragnehmer, der sich einen Auftrag mit unlauteren Zuwendungen erkauft, erst objektiv nach zehn Jahren verjährt. Diese Möglichkeit der Anspruchsverfolgung ist umgekehrt von der Unternehmensführung des geschädigten Unternehmens bei der Entscheidungsfindung zum Umgang mit der zivilrechtlichen Aufarbeitung eines Korruptionssachverhaltes zu berücksichtigen.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!