juris PraxisReporte

Anmerkung zu:EuGH 2. Kammer, Urteil vom 26.09.2024 - C-432/23
Autor:Prof. Dr. Norbert Nolte, RA
Erscheinungsdatum:06.12.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 177 AO 1977, § 43a BRAO, EWGRL 799/77, 12016P051, 12016P052, 12016M003, EURL 16/2011, 12016P007
Fundstelle:jurisPR-Compl 6/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Norbert Nolte, RA
Zitiervorschlag:Nolte, jurisPR-Compl 6/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Das anwaltliche Berufsgeheimnis im Spannungsverhältnis zu grenzüberschreitenden steuerrechtlichen Informationsersuchen (zum Schutz- und Gewährleistungsumfang des Art. 7 GRCh)



Tenor

1. Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass eine anwaltliche Rechtsberatung auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts in den Bereich des durch diesen Artikel gewährleisteten verstärkten Schutzes des Austauschs zwischen Rechtsanwalt und Mandanten fällt, so dass eine Entscheidung, mit der ein Rechtsanwalt angewiesen wird, der Verwaltung des ersuchten Mitgliedstaats zum Zweck eines in der Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG vorgesehenen Informationsaustauschs auf Ersuchen sämtliche Unterlagen und Informationen über seine Beziehungen zu seinem Mandanten, die eine solche Rechtsberatung betreffen, vorzulegen, einen Eingriff in das durch diesen Artikel garantierte Recht auf Achtung der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandanten darstellt.
2. Die Prüfung (…) hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 2011/16 im Hinblick auf Art. 7 und Art. 52 der Charta der Grundrechte beeinträchtigen könnte.
3. Art. 7 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte sind dahin auszulegen, dass sie einer Anordnungsentscheidung, wie sie in Nr. 1 des vorliegenden Tenors beschrieben ist, entgegenstehen, die auf eine nationale Regelung gestützt ist, nach der die Beratung und Vertretung durch einen Rechtsanwalt in Steuerangelegenheiten außer bei Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung des Mandanten nicht in den Genuss des durch diesen Art. 7 gewährleisteten verstärkten Schutzes der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant kommt.



A.
Problemstellung
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Behörden innerhalb der EU wird kontinuierlich ausgebaut und unionsrechtlich determiniert. Dies gilt nicht zuletzt für die Finanzverwaltungen im Hinblick auf Informationsaustausche zum gleich- und gesetzmäßigen Steuervollzug. In diesem Zusammenhang geraten insbesondere Rechtsanwälte, die besonderen berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten unterliegen, im Hinblick auf etwaige Melde- und Unterrichtungspflichten in den Fokus. Die Verschwiegenheitspflichten des Rechtsanwalts werden vom Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses, der unionsrechtlich in Art. 7 GRCh verankert ist, umfasst. Art. 7 GRCh gewährleistet im Rahmen rechtsberatender Tätigkeiten das Recht auf Achtung und Schutz der Korrespondenz zwischen Rechtsanwälten und ihren Mandanten. Dieser Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses ist auch bei der Umsetzung der Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung 2011/16/EU (sog. DAC-Richtlinie/EU-AHiRL) zu berücksichtigen.
Der EuGH hatte sich vor diesem Hintergrund mit mehreren Fragen, die ihm als Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt wurden, zu befassen:
Stellt eine an einen Rechtsanwalt im Rahmen eines Informationsersuchens adressierte nationale Anordnungsentscheidung einen Eingriff in Art. 7 GRCh dar (1.)? Ergibt sich daraus ggf. eine Ungültigkeit der Vorschriften der DAC-Richtlinie aufgrund eines unzureichenden Berufsgeheimnisschutzes nach Art. 7 und 52 Abs. 1 GRCh (2.)? Inwieweit ist eine nationale Vorschrift sowie die darauf basierende behördliche Anordnung zur Mitwirkungspflicht eines Rechtsanwalts hinsichtlich des Informationsersuchens mit den Art. 7 und 52 Abs. 1 GRCh vereinbar (3.)?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Dem Ausgangsfall liegt ein Rechtsstreit einer als Kommanditgesellschaft in Luxemburg gegründeten Anwaltskanzlei und der Rechtsanwaltskammer Luxemburg (Ordre des Avocats du Barreau de Luxembourg) als Streithelferin einerseits und der luxemburgischen Finanzverwaltung andererseits zugrunde.
Seinen Ursprung fand der Rechtsstreit in einem auf die DAC-Richtlinie gestützten Informationsersuchen einer spanischen Steuerbehörde an die Finanzverwaltung Luxemburg, das eine Unternehmenstransaktion einer spanischen Gesellschaft zum Gegenstand hatte, die wiederum von der klagenden Anwaltskanzlei für ihre Mandantin, die spanische Gesellschaft, rechtlich begleitet worden war. Daraufhin erließ die luxemburgische Finanzverwaltung am 28.06.2022 eine Anordnungsentscheidung gegenüber der luxemburgischen Anwaltskanzlei, wonach diese sämtliche Unterlagen und Informationen über Dienstleistungen an die spanische Gesellschaft vorzulegen hatte. Die adressierte Anwaltskanzlei verweigerte die Herausgabe der Unterlagen mit dem Hinweis, dass alle angeforderten Unterlagen und Informationen unter die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht fielen. Zudem sei das Mandat nicht steuer-, sondern gesellschaftsrechtlicher Natur gewesen. Die luxemburgische Finanzverwaltung verhängte nach wiederholter Aufforderung am 16.09.2022 wegen Nichtbefolgung der Anordnungsentscheidung eine Geldbuße. Die Anwaltskanzlei erhob am 18.10.2022 eine Nichtigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Luxemburg. Im Berufungsverfahren legte das zuständige Gericht dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsersuchens u.a. Fragen zum anwaltlichen Berufsgeheimnisschutz vor.
II. 1. Der EuGH ordnet die Anordnungsentscheidung der Luxemburger Finanzbehörde als einen Eingriff in den nach Art. 7 GRCh gewährleisteten Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses ein. Dabei betont das Gericht, dass Art. 7 GRCh dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, der als Mindestschutzstandard nach 52 Abs. 3 GRCh zu berücksichtigen ist, umfassend entspricht. Dies betrifft die Vertraulichkeit sowohl hinsichtlich der Existenz als auch des Inhalts der erbrachten Rechtsberatung. Grund des umfassenden Schutzes ist das Vertrauen der Rechtssuchenden in die geschützte Kommunikation mit ihren Rechtsanwälten. Der verstärkte Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses gilt unabhängig von dem jeweiligen Rechtsgebiet und somit auch im Rahmen einer gesellschaftsrechtlichen Beratung. Eine Anordnungsentscheidung, die einen Rechtsanwalt zur Offenlegung seiner Korrespondenz auf der Grundlage eines Informationsersuchens nach der DAC-Richtlinie verpflichtet, stellt demnach einen Eingriff in das Recht auf Achtung der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandanten nach Art. 7 GRCh dar.
2. Die Frage, ob die DAC-Richtlinie selbst wegen eines Verstoßes gegen Art. 7 GRCh und 52 GRCh ungültig ist, da sie abgesehen von Art. 17 Abs. 4 EU-AHiRL keine ausdrückliche Regelung zum Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses bei Informationsersuchen vorsieht, verneint der EuGH. Er stellt zunächst anhand der Regelungssystematik der Richtlinie klar, dass nach Art. 6 EU-AHiRL die ersuchte Behörde notwendige Vorkehrungen zur Ermittlung der erbetenen Informationen treffen muss, deren Voraussetzungen und Grenzen sich aus dem jeweiligen nationalen Recht ergeben. In Art. 18 Abs. 1 EU-AHiRL werde dies dadurch bekräftigt, dass der ersuchte Mitgliedstaat alle ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Beschaffung der erbetenen Informationen treffen muss. Die Richtlinie legt jedoch bei Informationsaustauschen auf Ersuchen – im Vergleich zu anderen in der Richtlinie vorgesehenen Informationsaustauschen – keine Meldepflicht für Informationsinhaber fest. Art. 17 Abs. 4 EU-AHiRL sieht vielmehr das Recht einer Ablehnung der Informationsbeschaffung vor, sofern nationale Vorschriften – auch hinsichtlich anwaltlicher Verschwiegenheitspflichten – entgegenstehen. Nach Art. 51 Abs. 1 GRCh müssen die Mitgliedstaaten den Schutz des Art. 7 GRCh innerhalb ihrer entsprechenden nationalen Verfahren durch nationale Vorschriften ausgestalten und gewährleisten. Daher sieht der EuGH die Gültigkeit der Richtlinie im Hinblick auf einen Verstoß gegen den Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses nach den Art. 7 und 52 GRCh nicht in Frage gestellt.
3. Eine nationale Regelung, die eine Mitwirkungspflicht des Rechtsanwalts bei Informationsersuchen im Rahmen von Steuerangelegenheiten vorschreibt, ist nach Ansicht des EuGH nicht mit den Art. 7 und 52 Abs. 1 GRCh vereinbar. Das in Art. 7 GRCh verankerte Recht kann zwar keinen absoluten Schutz beanspruchen, sondern muss vielmehr im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion ausgelegt werden. Demnach sind Einschränkungen des Art. 7 GRCh unter den Anforderungen des Art. 52 Abs. 1 GRCh grundsätzlich zulässig. Dies gilt jedoch nur, sofern diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind und dabei den Wesensgehalt des Grundrechts wahren. Die der Anordnung zugrunde liegende luxemburgische Vorschrift des § 177 Abs. 2 AO untersagt dem adressierten Rechtsanwalt die Verweigerung der Offenlegung seiner anwaltlichen Korrespondenz im Rahmen steuerrechtlicher Angelegenheiten nur dann, wenn und soweit dem Mandanten dadurch keine strafrechtlichen Konsequenzen drohen. Damit unterliegen Inhalt und Existenz einer steuerrechtlichen Beratung grundsätzlich nicht dem umfassenden Berufsgeheimnisschutz nach Art. 7 GRCh. Die Regelung des § 177 AO führt demnach dazu, dass der Inhalt steuerrechtlicher Beratungen fast vollständig aus dem verstärkten Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation nach Art. 7 GRCh ausgenommen und damit der Schutzbereich des anwaltlichen Berufsgeheimnisses in diesem Rechtsgebiet ausgehöhlt wird. Art. 7 der Charta schützt nämlich das Anwaltsgeheimnis im Rahmen jeder Rechtsberatung und erlaubt damit keine Differenzierung nach Rechtsgebieten.
Die Regelung des § 177 AO im luxemburgischen Recht und somit auch die darauf basierenden Anordnungsentscheidungen der Luxemburger Finanzverwaltung wahren demnach nicht den Wesensgehalt des unionsrechtlich garantierten anwaltlichen Berufsgeheimnisschutzes nach den Art. 7 und 52 Abs. 1 GRCh. Die Art. 7 und 52 GRCh sind so auszulegen, dass sie einer entsprechenden Anordnungsentscheidung auf Grundlage nationalen Vorschriften, die eine grundsätzliche Mitwirkungspflicht von Rechtsanwälten bei steuerrechtlichen Angelegenheiten vorsehen, entgegenstehen.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung ist ein weiterer Meilenstein in der Rechtsprechung des EuGH zum Schutz des unionsrechtlich verankerten anwaltlichen Berufsgeheimnisses nach Art. 7 GRCh. Gerade in Zeiten, in denen der Respekt der Strafverfolgungs- und sonstigen Behörden mit Sanktionskompetenzen gegenüber der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht erodiert, kann die Bedeutung des Urteils aus Luxemburg nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Der EuGH hat den besonderen Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses hinsichtlich des Inhaltes und der Existenz der rechtlichen Beratung schon in vergangenen Entscheidungen hervorgehoben, so dass Rechtsuchende – abgesehen von Ausnahmefällen – auf einen umfassenden Schutz vor Offenlegung ihrer Korrespondenz mit den beauftragten Rechtsanwälten vertrauen dürfen (EuGH, Urt. v. 08.12.2022 - C-694/20). Dabei hat der EuGH bereits zuvor die Bedeutung der Vertraulichkeit des Mandatsverhältnisses gegenüber der Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen betont und eine Unterrichtungspflicht verschwiegenheitsverpflichteter Personen gegenüber anderen Intermediären für ungültig erklärt (EuGH, Urt. v. 08.12.2022 - C-694/20).
Die Bekämpfung aggressiver Steuerplanung und die Verhinderung der Gefahren von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung stellen zwar unionsrechtlich anerkannte, dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen i.S.v. Art. 52 Abs. 1 GRCh dar, die es erlauben, die Ausübung der durch Art. 7 GRCh garantierten Rechte einzuschränken (EuGH, Urt. v. 29.07.2024 - C-623/22). Die Einführung von Meldepflichten für bestimmte Berufsangehörige ist in Steuerangelegenheiten damit grundsätzlich unionsrechtskonform möglich. Diese Meldepflichten müssen aber von solchen die Anwaltschaft betreffenden Mitwirkungspflichten aufgrund des vorrangigen anwaltlichen Berufsgeheimnisschutzes abgegrenzt werden (EuGH, Urt. v. 29.07.2024 - C-623/22; vgl. auch Mitteilung der BRAK, Ausgabe 17/2024). Dies ergibt sich aus der „singulären Stellung des Rechtsanwalts innerhalb der Gerichtsorganisation der Mitgliedstaaten sowie der ihm übertragenen grundlegenden Aufgabe“ der Verteidigung von Rechtsunterworfenen (EuGH, Urt. v. 29.07.2024 - C-623/22 Rn. 116; vgl. auch EGMR, Urt. v. 06.12.2012 - 12323/11, zu Art. 8 Abs. 1 EMRK).
Prägnant hat die (deutsche) Generalanwältin Kokott die überragende Bedeutung des Anwaltsgeheimnisses in einem Rechtsstaat in ihren Schlussanträgen hervorgehoben, auf die der EuGH in seiner Entscheidung wiederholt Bezug nimmt:
„Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 der Charta stellen das Anwaltsgeheimnis unter einen besonderen Schutz. Dieser rechtfertigt sich insbesondere daraus, dass Rechtsanwälten in einer demokratischen Gesellschaft eine grundlegende Aufgabe übertragen wird, nämlich die Verteidigung der Rechtsunterworfenen. (…) Es gehört zum Wesen der Berufstätigkeit eines Rechtsanwalts, dass sein Mandant ihm Geheimnisse anvertraut und er sonstige vertrauliche Mitteilungen erhält. Der Mandant kann vernünftigerweise erwarten, dass diese Kommunikation privat und vertraulich bleibt. Ist die Vertraulichkeit der Informationen nicht gewährleistet, kann kein Vertrauen entstehen. (…) Schließlich sind Rechtsanwälte nicht nur Interessenvertreter ihrer Mandanten, sondern auch unabhängige Organe der Rechtspflege. Das Anwaltsgeheimnis schützt daher nicht nur die Individualinteressen von Rechtsanwalt und Mandant, sondern auch das Interesse der Allgemeinheit an einer Rechtspflege, die rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Damit ist der besondere Schutz des Anwaltsgeheimnisses auch Ausfluss des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit, auf die sich die Europäische Union gemäß Art. 2 EUV gründet.“ (Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 30.05.2024 - C-432/23 Rn. 22 bis 24).
Die Entscheidung des Gerichtshofs, die Gültigkeit der DAC-Richtlinie selbst nicht infrage zu stellen, ist auf Kritik gestoßen. Gefordert wird, dass die Richtlinie selbst Mindestbestimmungen für den Schutz des Berufsgeheimnisses auf sekundärrechtlicher Ebene enthalten müsse und deshalb hätte für ungültig erklärt werden müssen (so der DAV, Stellungnahme Nr. 68/2023). Dass innerstaatliche Vorschriften hierzu allein nicht ausreichen würden, hätte der EuGH in seiner Entscheidung zur Nichtigkeit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung im Hinblick auf Eingriffe in Art. 7 GRCh zum Ausdruck gebracht, in welcher er ausführt, dass Richtlinien „klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der fraglichen Maßnahme vorsehen und Mindestanforderungen aufstellen [müssen], so dass die Personen (…) über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz ihrer personenbezogenen Daten (…) ermöglichen.“ (EuGH, Urt. v. 21.06.2022 - C-817/19 Rn. 117).
Allerdings räumt die DAC-Richtlinie den Mitgliedstaaten erhebliche Umsetzungsspielräume ein, so dass ein Eingriff in Art. 7 GRCh den nationalen Umsetzungsvorschriften und nicht der Richtlinie selbst zuzurechnen wäre. Insbesondere die Art. 6 Abs. 3 und 17 Abs. 4 EU-AHiRL verweisen hier auf die nationalen Vorschriften. Es ist also an den Mitgliedstaaten, die Vorgaben des EuGH zum Schutz des Art. 7 GRCh umzusetzen und an den mitgliedstaatlichen Behörden, die Möglichkeit einer umfassenden Abwägung zwischen dem Allgemeininteresse eines ordnungsgemäßen Steuervollzugs einerseits und der Wahrung des anwaltlichen Berufsgeheimnisses andererseits zu gewährleisten (so auch die Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 30.05.2024 - C-432/23).
Zuletzt reiht sich die Entscheidung des Gerichtshofs in die bisherige Rechtsprechung des EuGH ein, wonach ein unantastbarer Kernbereich des Art. 7 GRCh beispielsweise auch durch die Regelung eines generellen Zugriffs auf elektronische Kommunikation verletzt wird (EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14). Dieser Eingriff in den Wesensgehalt des Art. 7 GRCh liegt nach der vorliegenden Entscheidung auch bei steuerrechtlichen Beratungen vor, wenn die rechtsberatende Korrespondenz gegenüber der Finanzverwaltung nach nationalen Vorschriften grundsätzlich nicht dem anwaltlichen Berufsgeheimnisschutz unterliegt. Andernfalls würde der Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses nach Art. 7 GRCh im gesamten Bereich steuerrechtlicher Beratungen ausgehöhlt (so auch Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 30.05.2024 - C-432/23). Dieser Schutzgehalt des Art. 7 GRCh gilt gleichermaßen für eine rechtliche Beratung im Bereich des Gesellschaftsrechts.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die vorliegende Entscheidung des EuGH stärkt, über den Bereich steuerrechtlicher Informationsersuchen hinaus, den Schutz des unionsrechtlich determinierten anwaltlichen Berufsgeheimnisses aus Art. 7 GRCh. Die unzweideutigen und kraftvollen Worte aus Luxemburg werden auch von den deutschen Gerichten immer dann zu beachten sein, wenn Fragen nach der Reichweite der nationalen Vorschriften zu anwaltlichen Verschwiegenheitspflichten, wie insbesondere in § 43a Abs. 2 BRAO verankert, in Rede stehen. Einer fortschreitenden Erosion des Schutzes des geschützten „Raumes“, in dem Rechtsanwalt und Mandant vertrauensvoll und vertraulich miteinander kommunizieren können, hat der EuGH einen Riegel vorgeschoben.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!