juris PraxisReporte

Autor:Jan Henning Buschfeld, RA
Erscheinungsdatum:21.06.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 3 LkSG, § 823 BGB, § 249 BGB, § 840 BGB, § 830 BGB, § 199 BGB, § 1 VDuG, EURL 2020/1828, EURL 104/2014, EGV 864/2007
Fundstelle:jurisPR-Compl 3/2024 Anm. 6
Herausgeber:Prof. Dr. Norbert Nolte, RA
Zitiervorschlag:Buschfeld, jurisPR-Compl 3/2024 Anm. 6 Zitiervorschlag

Zivilrechtliche Lieferkettenhaftung nach der CS3D

A. Einleitung

Die Europäische Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit, bekannt als CS3D oder CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive), wird in Kürze in Kraft treten. Die Richtlinie richtet sich an EU-Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern und einem weltweiten Nettoumsatz von über 450 Mio. Euro. Für Nicht-EU-Unternehmen gilt eine Schwelle von 450 Mio. Euro an in der EU generiertem Umsatz, ungeachtet ihrer Mitarbeiterzahl. Ziel ist es, ein risikobasiertes Sorgfaltspflichtensystem zu implementieren, das Menschenrechts- und Umweltverstöße überwacht, verhindert oder behebt. Unternehmen müssen Maßnahmen ergreifen, um negative Auswirkungen zu ermitteln, zu verhindern, zu minimieren und Abhilfe zu leisten. Diese Pflichten erstrecken sich auf den eigenen Geschäftsbetrieb, Tochtergesellschaften sowie direkte und indirekte Geschäftspartner. Umfasst ist die gesamte Aktivitätskette, von der Produktion über Dienstleistungen bis hin zu Transport und Lagerung. Zudem verlangt die Richtlinie von den Unternehmen die Einführung eines Klimatransitionsplans, der im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen steht.

Während die CS3D in einigen Punkten vom deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) abweicht und über dieses hinausgeht, betritt sie aus deutscher Sicht kein völlig neues Terrain. Neu ist allerdings die zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen. Der deutsche Gesetzgeber hatte sich beim LkSG gegen eine spezialgesetzliche Lieferkettenhaftung entschieden, was § 3 Abs. 3 LkSG ausdrücklich klarstellt. Mit der Umsetzung der CS3D wird sich das ändern. Auf den zivilrechtlichen Haftungs- und Verfahrensregelungen zum Private Enforcement der CS3D liegt der Fokus dieses Beitrags.

B. Überblick über die Haftungs- und Verfahrensregelungen

Das zivilrechtliche Haftungsregime der CS3D soll den wirksamen Zugang zur Justiz und zu angemessener Entschädigung für Betroffene von nachteiligen Auswirkungen auf Menschenrechte und die Umwelt sicherstellen. Flankierende Verfahrensregelungen zielen darauf ab, praktische und verfahrensrechtliche Hindernisse für die Geltendmachung – wie den erschwerten Zugang zu Beweismitteln, begrenzte Verjährungsfristen, das Fehlen von Verbandsklageverfahren oder übermäßig hohe Kosten – zu beseitigen (vgl. Erwägungsgrund 79 und 82). Die haftungs- und verfahrensrechtlichen Regelungen sind in Art. 29 CS3D gebündelt. Nach Art. 29 Abs. 61 und Art. 4 Abs. 2 steht es den Mitgliedstaaten frei, strengere Haftungsregelungen zu erlassen.

I. Haftungsvoraussetzungen

Ein Unternehmen kann nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 für Schäden haftbar gemacht werden, die natürlichen oder juristischen Personen entstehen, wenn:

das Unternehmen seinen Sorgfaltspflichten gemäß Art. 10 (Verhinderung potenzieller negativer Auswirkungen) und Art. 11 (Behebung eingetretener negativer Auswirkungen) vorsätzlich oder fahrlässig nicht nachgekommen ist und
aufgrund dieses Versäumnisses ein nach nationalem Recht geschütztes rechtliches Interesse der betroffenen Person geschädigt wurde.

Die Haftung setzt also einen schuldhaften Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten voraus, der kausal zu einem Schaden an einem geschützten Rechtsgut geführt hat. Der Schaden muss ferner einer Person entstanden sein, die durch die in Anhang I der Richtlinie genannten Rechte geschützt wird. Beispielsweise soll einem Vermieter kein finanzieller Verlust ersetzt werden, wenn ein aufgrund fehlender Sicherheitsstandards im Unternehmen geschädigter Arbeiter die Miete nicht bezahlen kann. Konkrete Anforderungen an die Kausalität regelt die Richtlinie nicht (Erwägungsgrund 79). Nach Art. 29 Abs. 1 Satz 2 kann ein Unternehmen aber nicht haftbar gemacht werden, wenn der Schaden nur von seinen Geschäftspartnern verursacht wurde.

Eine Safe-Harbour-Regelung, wie sie der Vorschlag der Kommission vorsah, enthält Art. 29 nicht mehr. Vielmehr stellt Art. 29 Abs. 4 nunmehr klar, dass Unternehmen auch dann haftbar gemacht werden können, wenn sie an Industrie- oder Multi-Stakeholder-Initiativen teilnehmen, sich und ihre Prozesse durch unabhängige Dritte überprüfen lassen oder Vertragsklauseln mit Geschäftspartnern vereinbaren, um die Einhaltung der Sorgfaltspflichten zu unterstützen.

II. Rechtsfolgen

Sind die Haftungsvoraussetzungen erfüllt, gewährt Art. 29 Abs. 2 einen Anspruch auf vollständige Entschädigung. Die Entschädigung darf nicht zu einer Überkompensation führen; Strafschadensersatz oder Mehrfachkompensation sind ausgeschlossen. Wird ein Schaden sowohl vom Unternehmen als auch von dessen Tochterunternehmen oder Geschäftspartnern verursacht, haften sie nach Art. 29 Abs. 5 Satz 2 gesamtschuldnerisch.

III. Verjährung

Die Verjährungsfristen für Ansprüche nach der CS3D müssen nach Art. 29 Abs. 3 Buchst. a mindestens fünf Jahre betragen und dürfen keinesfalls kürzer sein als die nationalen Verjährungsfristen für sonstige zivilrechtliche Ansprüche. Der Lauf der Verjährungsfrist beginnt nicht, bevor der Verstoß beendet wurde und der Kläger Kenntnis von den Umständen des Verstoßes, dem entstandenen Schaden und der Identität des Rechtsverletzers erlangt hat oder vernünftigerweise hätte erlangen können.

IV. Durchsetzungsregelungen

Von der Anspruchsdurchsetzung dürfen etwaige Geschädigte nicht durch die Kosten abgeschreckt werden, die nach Art. 29 Abs. 3 Buchst. b nicht unverhältnismäßig hoch sein dürfen. Neben Schadensersatzansprüchen müssen Kläger nach Art. 29 Abs. 3 Buchst. c Unterlassungsmaßnahmen zum Abstellen von Verstößen beantragen können. Dies umfasst nicht nur das Unterlassen des Verhaltens an sich, sondern auch das Ergreifen aktiver Maßnahmen zum Abstellen eines Verstoßes. Zudem muss etwaigen Geschädigten Eilrechtsschutz in Form vorläufiger Maßnahmen offenstehen.

Die wichtigste Regelung zur Durchsetzung von Ansprüchen enthält Art. 29 Abs. 3 Buchst. d. Danach müssen die Mitgliedstaaten angemessene Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein mutmaßlich Geschädigter eine Gewerkschaft, eine nichtstaatliche Menschenrechts- oder Umweltorganisation, eine sonstige Nichtregierungsorganisation (NGO) sowie nationale Menschenrechtsinstitutionen mit Sitz in einem Mitgliedstaat zur Durchsetzung seiner Ansprüche ermächtigen kann. Als mögliche Anforderungen an eine solche Organisation nennt die Richtlinie, dass die Organisation eine eigene ständige Vertretung aufrechterhält, nicht kommerziell und nicht nur vorübergehend zur Durchsetzung der durch diese Richtlinie geschützten Rechte oder der entsprechenden Rechte im nationalen Recht tätig ist.

Obwohl die Richtlinie das Fehlen angemessener Verbandsklageverfahren kompensieren will, enthält sie keinen Mechanismus zur kollektiven Durchsetzung möglicher Ansprüche. Nach Erwägungsgrund 84 sind die Regelungen der CS3D auch nicht so auszulegen, dass Mitgliedstaaten verpflichtet wären, die Umsetzungsbestimmungen zur europäischen Verbandsklagerichtlinie (EU) 2020/1828 auf Ansprüche nach der CS3D auszuweiten. Hierzu bedarf es einer überschießenden Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie durch die Mitgliedstaaten.

V. Offenlegung von Beweismitteln

Ein weiteres praktisches Hindernis sieht die CS3D in dem erschwerten Zugang der Kläger zu notwendigen Beweismitteln. Um diese Schwierigkeiten zu überwinden, sieht Art. 29 Abs. 3 Buchst. e die Offenlegung von Beweismitteln durch das Unternehmen vor. Voraussetzung ist, dass der Kläger die Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs mit zumutbarem Aufwand und anhand zugänglicher Tatsachen und Beweismittel hinreichend belegt hat. Der Kläger muss auch angeben, dass sich zusätzliche Beweismittel in der Verfügungsgewalt des Unternehmens befinden. Die Herausgabe von Beweismitteln ist auf das erforderliche und verhältnismäßige Maß zu beschränken. Bei der Abwägung der Verhältnismäßigkeit haben die Gerichte folgende Aspekte zu berücksichtigen:

inwieweit die Klage oder die Klageerwiderung durch zugängliche Tatsachen und Beweismittel gestützt wird,
den Umfang und die Kosten der Offenlegung sowie die berechtigten Interessen aller Parteien und betroffener Dritter, einschließlich der Verhinderung einer Suche nach irrelevanten Informationen,
ob die offenzulegenden Beweismittel vertrauliche Informationen enthalten und welche Vorkehrungen zum Schutz dieser Informationen bestehen.

Vertrauliche Informationen in den Beweismitteln stehen einer Offenlegung somit nicht entgegen, wenn das Gericht dies als verhältnismäßig erachtet. Dann muss aber sichergestellt sein, dass die Gerichte wirksame Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Informationen anordnen können.

VI. Zwingender Anwendungsvorrang

Art. 29 Abs. 7 schreibt die zwingende und vorrangige Geltung der Haftungsregelungen der CS3D vor. Insbesondere wenn ein Schaden in einem Drittland außerhalb der EU eintritt, kann nach den allgemeinen kollisionsrechtlichen Vorschriften das Recht eines Nicht-EU-Landes anwendbar sein (etwa nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO). Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der CS3D-Haftungsregelungen auch dann anzuwenden sind, wenn auf die Ansprüche ansonsten nicht das nationale Recht eines Mitgliedstaats anzuwenden wäre. Damit kann ein Anspruch im Sinne der CS3D auch dann geltend gemacht werden, wenn ein solcher Anspruch nach dem gemäß dem internationalen Privatrecht anwendbaren Recht gar nicht existiert oder dessen Haftungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind.

C. Einordnung und erste Überlegungen zur Umsetzung

Das LkSG muss an die Regelungen der CS3D angepasst werden.2 Während einige Haftungsvorgaben bereits dem geltenden deutschen Recht entsprechen, besteht insgesamt ein deutlicher Anpassungs- und Neuregelungsbedarf. Aufgrund des zwingenden Charakters des gesamten Art. 29 bietet sich eine Umsetzung durch entsprechende Klarstellungen und Verweisungen auch dort an, wo das geltende Recht den Anforderungen der CS3D bereits genügt.

I. Haftungsvoraussetzungen

Das Verschuldens- und Kausalitätserfordernis sowie die Einbeziehung in den Schutzbereich der Norm (hier der menschenrechts- und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten) entsprechen allgemeinen Haftungsvoraussetzungen im deutschen Recht. Um Diskussionen darüber vorzubeugen, ob und welche Regelungen der CS3D als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen sind, sollten im LkSG spezialgesetzliche Anspruchsgrundlagen (Schadensersatz und Unterlassung) eingeführt werden, die die Haftung auf Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten aus den Art. 10 und 11 beschränken. Eine zivilrechtliche Haftung für andere (Sorgfalts-)Pflichten, wie etwa die Pflicht zur Aufstellung eines Klimaplans, sollte nicht vorgesehen werden. Dies wird von der CS3D auch nicht verlangt. Dem Vorschlag des Europäischen Parlaments, die Haftung auf sämtliche Verpflichtungen aus der CS3D zu erstrecken, wurde schon für die Richtlinie nicht entsprochen.

Darüber hinaus ist bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften zu berücksichtigen, dass gemäß Art. 5 Abs. 1 die Sorgfaltspflichten risikobasiert sind. Auch wenn Art. 10 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 3 jeweils einen Katalog an „geeigneten“ Maßnahmen vorsehen, die „erforderlichenfalls“ zu ergreifen sind, bestimmt sich die Frage, welche Maßnahmen geeignet und erforderlich sind, nach der Schwere und Wahrscheinlichkeit der identifizierten Risiken (risikobasierter Ansatz). Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. o sind unter „geeigneten Maßnahmen“ solche zu verstehen, mit denen die Ziele der Sorgfaltspflicht erreicht werden können, indem die negativen Auswirkungen in einer Weise wirksam angegangen werden, die dem Schweregrad und der Wahrscheinlichkeit der Auswirkungen entspricht und die dem Unternehmen nach vernünftigem Ermessen zur Verfügung stehen, wobei den Umständen des Einzelfalls, einschließlich der Art und des Umfangs der negativen Auswirkungen und einschlägigen Risikofaktoren, Rechnung getragen wird. Die CS3D räumt den Unternehmen somit ein gewisses Ermessen (Business Judgement) ein.3 Ob ein schuldhafter Verstoß vorliegt, muss sich also danach bemessen, ob das Ermessen pflichtgemäß und vertretbar ausgeübt wurde, oder ob unter den gegebenen Umständen und den identifizierten Risiken vernünftigerweise nicht zu erwarten war, dass die ergriffenen Maßnahmen geeignet sind, nachteilige Auswirkungen zu verhindern, zu mildern, zu beenden oder zu beseitigen. Wird dieser Rahmen eingehalten, sollte Unternehmen auch ohne ausdrückliche Safe-Harbour-Regelung ein sicherer Hafen für angemessene unternehmerische Einschätzungen gewährt werden.

Die Richtlinie erkennt weiter an, dass nachteilige Auswirkungen unter Umständen selbst mit angemessenen Maßnahmen nicht verhindert, abgestellt oder gemindert werden können. Die wesentlichen Verpflichtungen der CS3D sind „Mittelverpflichtungen“. Unternehmen müssen und können nicht gewährleisten, dass negative Auswirkungen nicht auftreten oder unterbunden werden (Erwägungsgrund 19). Aus dem Auftreten einer nachteiligen Auswirkung kann daher nicht ohne Weiteres auf einen Sorgfaltspflichtverstoß oder ein Verschulden geschlossen werden.

II. Rechtsfolgen

Die Forderung der CS3D nach vollständiger Entschädigung entspricht dem Grundsatz der Schadenskompensation der §§ 249 ff. BGB. Der Geschädigte soll so gestellt werden, wie er ohne den Verstoß stünde, aber auch nicht bessergestellt sein. Die gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Verursacher folgt aus den §§ 840 Abs. 1, 830 BGB.

Im Übrigen berührt die zivilrechtliche Haftung eines Unternehmens nach Art. 29 Abs. 5 Satz 1 nicht die Haftung seiner Tochterunternehmen oder direkter oder indirekter Geschäftspartner in der Aktivitätskette des Unternehmens. Haftungsadressat ist das jeweilige Unternehmen. Aus dem Zusammenspiel der Definitionen des Unternehmensbegriffs in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a mit den weiteren Differenzierungen zwischen Tochterunternehmen, Muttergesellschaft und Unternehmensgruppe (Art. 3 Abs. 1 Buchst. e, q, s) folgt, dass die einzelne juristische Person gemeint ist und nicht die wirtschaftliche Einheit im unionsrechtlichen Sinn.

III. Verjährung

Obwohl der EuGH Verjährungsfristen von drei Jahren ab Kenntnis mit dem Effektivitätsgrundsatz grundsätzlich für vereinbar hält,4 geht die CS3D darüber hinaus und etabliert eine Mindestfrist von fünf Jahren ab Beendigung des Verstoßes. Die Abweichung der Verjährungsvorgaben der CS3D von § 199 Abs. 1 BGB macht eine eigenständige Verjährungsregelung notwendig. Aus dem Schweigen der CS3D zu absoluten Verjährungsfristen kann nicht automatisch der Schluss gezogen werden, dass absolute Verjährungsfristen unzulässig sind. Die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung ist im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Unionsrecht grundsätzlich vereinbar, sofern die Regelung die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität einhält.5 Nach Art. 29 Abs. 3 Buchst. a dürfen nationale Vorschriften über den Beginn, die Dauer, die Aussetzung oder die Unterbrechung von Verjährungsfristen die Erhebung von Schadensersatzklagen nicht unangemessen behindern (Effektivität) und nicht weniger streng sein als die allgemeinen nationalen Regelungen zur zivilrechtlichen Haftung (Äquivalenz). Eine absolute Frist von zehn Jahren sollte die Anspruchsdurchsetzung im Sinne der Rechtssicherheit nicht übermäßig erschweren.

IV. Durchsetzungsregelungen

In Bezug auf Verfahrenskosten, Unterlassungsmaßnahmen sowie Eilrechtsschutz dürften sich aus deutscher Sicht keine besonderen Umsetzungserfordernisse ergeben. Allerdings wirft Art. 29 Abs. 3 Buchst. d zur Ermächtigung von Gewerkschaften, NGOs oder Menschenrechtsinstitutionen Fragen auf. Durch Streichung des in der Entwurfsversion noch enthaltenen Zusatzes, dass die genannten Organisationen „in their own capacity“ klagen können, sollte den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität bei der Umsetzung gegeben werden. Wie sollte eine Klage der genannten Organisation aber erfolgen, wenn nicht „in their own capacity“? Soll die Organisation lediglich die Prozessvertretung für die geschädigte Person als Partei übernehmen können? Oder ist doch eine Prozessstandschaft für Gewerkschaften und NGOs gemeint, bei der fremde Rechte in eigenem Namen geltend gemacht werden? Die Erläuterung in Erwägungsgrund 84, dass dies über eine Ermächtigung zur Vertretung des Opfers im Rahmen einer Intervention Dritter erreicht werden könne, schafft mehr Verwirrung als Klärung. Zudem stellt sich die Frage, ob zur Umsetzung von Art. 29 Abs. 3 Buchst. d die Ansprüche nach der CS3D in die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie (EU) 2020/1828 aufgenommen werden können. Die CS3D sieht eine solche Erstreckung ausdrücklich nicht vor. § 1 Abs. 1 des Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetzes setzt die Verbandsklagerichtlinie bereits überschießend um und erfasst sämtliche bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Verbrauchern (und kleinen Unternehmen) und einem Unternehmen. Soweit bei der Umsetzung der CS3D keine Rückausnahme vorgesehen wird, sind damit auch zivilrechtliche Ansprüche nach den CS3D-Umsetzungsvorschriften grundsätzlich erfasst.6

V. Offenlegung von Beweismitteln

Die CS3D enthält keine Bestimmung dazu, wer die Haftungsvoraussetzungen nachweisen muss (Erwägungsgrund 81). Zur Vermeidung einer zu weitgehenden Haftung und nach allgemeinen Grundsätzen sollte der Kläger die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und erforderlichenfalls beweisen müssen. Dabei könnte Geschädigten die Offenlegung von Beweismitteln nach Art. 29 Abs. 3 Buchst. e zu Hilfe kommen. Zu der Frage, ab wann die Plausibilität eines Anspruchs belegt ist, verhalten sich die Erwägungsgründe der CS3D nicht. Eine sehr ähnliche Regelung findet sich in Art. 8 des Entwurfs der neuen Produkthaftungsrichtlinie 2022/0302(COD) und in Teilen auch in Art. 5 der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104/EU. Schon zu letzterer war umstritten, wann ein Schaden ausreichend plausibel ist.7 Der Hinweis auf die Vorlage „zusätzlicher“ Beweismittel und das Abwägungskriterium, ob die Offenlegung durch zugängliche Tatsachen und Beweismittel gerechtfertigt wird, spricht dafür, dass der Anspruch durch Tatsachen schlüssig dargelegt und durch zugängliche Beweismittel zumindest „anbewiesen“ sein muss. Hier wäre eine klarere Umsetzungsregelung wünschenswert.

VI. Zwingender Anwendungsvorrang

Auch wenn Art. 29 Abs. 7 keinen ausdrücklichen Verweis auf Art. 16 Rom II-VO enthält, handelt es sich bei den Haftungsregelungen aufgrund ihres international zwingenden Charakters um Eingriffsnormen in diesem Sinne.8 Die zwingende Natur kommt jedoch nur dann zum Tragen, wenn das angerufene Gericht an den Normanwendungsbefehl der Umsetzungsregelungen gebunden ist, was nur bei Gerichten in einem Mitgliedstaat der Fall ist. Wird ein Unternehmen im Nicht-EU-Ausland verklagt, kommt es darauf an, ob nach dem internationalen Privatrecht des betreffenden Staates das Recht eines Mitgliedstaats anwendbar ist.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die CS3D wird kommen, ungeachtet dessen, ob man in ihr einen Meilenstein für den Menschenrechtsschutz sieht oder ein Bürokratiemonster, das die Wirtschaft in der EU überlastet und ihre Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Unternehmen im Anwendungsbereich der CS3D müssen sich auf die Umsetzung der Richtlinie einstellen und ihre Risikomanagement- und Compliance-Systeme entsprechend anpassen. Im Vergleich zum LkSG wird die CS3D durch die weiter gehende Definition der Aktivitätsketten und die Einbeziehung indirekter Geschäftspartner zu einer Ausweitung der Sorgfaltspflichten führen. Durch das Private Enforcement der CS3D und die Klagemöglichkeit für Gewerkschaften, NGOs oder andere qualifizierte Organisationen erhöhen sich die Haftungsrisiken für Unternehmen deutlich. Auch wenn noch Fragen in Bezug auf die Umsetzung zu klären sind, wird NGOs und anderen qualifizierten Organisationen beim Private Enforcement vermutlich eine Vorreiterrolle zukommen, vor allem bei Schäden in Drittstaaten. Individualklagen etwaiger Geschädigter aus dem Nicht-EU-Ausland in einem Mitgliedstaat sind im Sinne einer strategischen Prozessführung denkbar, aber weniger wahrscheinlich. Ob die zivilrechtliche Haftung auszuufern droht, bleibt allerdings abzuwarten. Die risikobasierten Sorgfaltspflichten erfordern nicht die maximale oder bestmögliche Risikovorsorge und Abhilfe, sondern verhältnismäßige und leistbare Maßnahmen, wobei den Unternehmen ein vernünftiges Ermessen eingeräumt wird. Im Ergebnis muss Unternehmen daher ein gewisses Business Judgement im Hinblick auf die ergriffenen Maßnahmen zugebilligt werden, innerhalb dessen sie nicht haftbar gemacht werden sollten. Auch das Verschuldenserfordernis, der Schadensbegriff und vor allem die Kausalität könnten und sollten als Korrektiv gegen eine zu weitgehende Haftung dienen. Das nächste Wort haben ohnehin erst einmal die nationalen Gesetzgeber, die die CS3D innerhalb von zwei Jahren ab Inkrafttreten umsetzen müssen.


Fußnoten


1)

Artikel ohne Gesetzesangabe beziehen sich auf die CS3D.

2)

Vgl. die angekündigte Anpassung des LkSG an europäische Regelungen in BT-Drs. 19/30505, S. 2. Ginge es nach der CDU/CSU-Fraktion, soll das LkSG allerdings zunächst mit sofortiger Wirkung aufgehoben werden. Hierzu hat die CDU/CSU-Fraktion am 11.06.2024 einen Entwurf eines Lieferkettensorgfaltspflichtenaufhebungsgesetzes eingebracht (BT-Drs. 20/11752).

3)

Kalss, ZfPW 2024, 181, 204, 211.

4)

EuGH, Urt. v. 22.04.2021 - C-485/19 Rn. 58; EuGH, Urt. v. 15.04.2010 - C-542/08 Rn. 28.

5)

EuGH, Urt. v. 22.04.2021 - C-485/19 Rn. 58.

6)

Thönissen, NJW 2023, 945, 947.

7)

BGH, Urt. v. 04.04.2023 - KZR 20/21 Rn. 50.

8)

Vgl. Ungerer, JPIL 17 (2021), 399, 420, zu Eingriffsnormen im Richtlinienrecht.


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